T 0411/07 (Verfahren zur Herstellung von Hörgeräten/PHONAK) of 3.11.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T041107.20091103
Datum der Entscheidung: 03 November 2009
Aktenzeichen: T 0411/07
Anmeldenummer: 00956012.9
IPC-Klasse: H04R 25/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Hörgeräten und Hörgerät
Name des Anmelders: PHONAK AG
Name des Einsprechenden: Siemens Audiologische Technik GmbH
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag) - verneint
Zulässigkeit (Hilfsantrag) - verneint
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0153/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Ein Einspruch wurde gegen das europäische Patent Nr. 1316239 in seiner Gesamtheit gestützt auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ eingelegt. Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung vom 11. Januar 2007 festgestellt, dass unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

II. Insbesondere hat die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung festgestellt, dass die unabhängigen Ansprüche 9-15 des damaligen Hauptantrags nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ in Verbindung mit Regel 29 (2) EPÜ 1973 erfüllen, dass jedoch die Ansprüche des Hilfsantrags bestehend aus den Ansprüchen 1-8 des Hauptantrags gewährbar seien, da Anspruch 1 des Hilfsantrags neu und erfinderisch sei, unter anderem gegenüber der Lehre von

D4: EP 0821543 A.

III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) mit einem am 5. März 2007 eingegangenen Schreiben Beschwerde ein. Die Beschwerde wurde mit einem am 3. Mai 2007 eingegangenen Schreiben begründet. Weitere Argumente wurden in einem am 4. Oktober 2007 eingegangenen Schreiben vorgebracht. Sie beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent gemäß dem Hauptantrag aus dem Einspruchsverfahren bestehend aus den Ansprüchen 1-15 aufrechtzuerhalten. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt und auf einen noch zu formulierenden Produktanspruch verwiesen.

IV. Die Beschwerdeführerin II (Einsprechende) legte ihrerseits in einem am 19. März 2007 eingegangenen Schreiben Beschwerde ein und begründete diese mit einem am 16. Mai 2007 eingegangenen Schreiben. Sie beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.

V. In einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung nahm die Kammer zur Sache vorläufig Stellung.

VI. Mit Schreiben vom 21. September 2009, eingegangen am 23. September 2009, bestätigte die Beschwerdeführerin I ihren Hauptantrag und machte weitere Ausführungen zur Sache.

VII. In der mündlichen Verhandlung, die am 3. November 2009 vor der Kammer stattfand, beantragte die Beschwerdeführerin I die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche 1-15 (Hauptantrag) oder des Anspruchs 14 dieses Anspruchssatzes (Hilfsantrag).

Die Beschwerdeführerin II beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Am Ende der Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

VIII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"Verwendung eines Zwei- oder Mehrkomponenten Spritzgiessverfahrens bei einem Verfahren zur Herstellung von Hörgeräten, wobei mindestens zwei Hörgeräteteile mit unterschiedlichen Funktionen und aus unterschiedlichen Materialien dadurch erstellt und nachhaltig assembliert werden, dass sie aus unterschiedlichen Materialkomponenten durch Zwei- oder Mehrkomponenten-Spritzgiesstechnik bereits vereint erstellt und dadurch assembliert werden."

Der Hauptantrag weist ferner unabhängige Ansprüche 9-15 auf, die sich jeweils auf ein aus mehreren Teilen nachhaltig assembliertes Hörgerät beziehen.

Der Anspruch des Hilfsantrags, der dem Anspruch 14 des Hauptantrags entspricht, lautet wie folgt:

"Hörgerät aus mehreren Teilen nachhaltig assembliert, dadurch gekennzeichnet, dass mindestens zwei der Teile aus unterschiedlichen Materialien durch Zwei- oder Mehrkomponenten-Spritzgiesstechnik gemeinsam gefertigt sind, wobei an der Aussenseite einer Gehäusepartie mindestens ein vorgegebener Flächenbereich aus anderem Material als die Gehäusepartie gefertigt und gemeinsam mit letzterer in Zwei- oder Mehrkomponenten-Spritzgiesstechnik erstellt ist, vorzugsweise als Designelement und/oder tastbarer Flächenbereich als Bedienhilfe am Hörgerät."

Entscheidungsgründe

1. Verbindung der Beschwerden (Artikel 10 VOBK):

Gemäß Artikel 10 (1) VOBK werden die beiden Beschwerden im selben Verfahren behandelt.

2. Anspruch 1 des Hauptantrags: Neuheit und erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf D4:

2.1 Die Kammer geht von D4 als nächstliegendem Stand der Technik aus.

Dieses Dokument betrifft eine Membran 14 als Mantelfläche eines Hörgerätes, die den inneren Bereich (12, 20) des Hörgerätes umschließt und somit Teil des Hörgerätes ist (siehe Zusammenfassung). Zur Herstellung dieser Membran wird ein Spritzgießverfahren angewandt (Spalte 7, Zeile 57 - Spalte 8, Zeile 1).

Somit zeigt D4 die Verwendung eines Spritzgießverfahrens bei einem Verfahren zur Herstellung von Hörgeräten.

Die in D4 beschriebene Membran weist zwei Teile mit unterschiedlichen Funktionen und aus unterschiedlichen Materialien auf, nämlich zum einen ein Formschlussmittel 39, das aus einem leicht härteren Material besteht als der Rest der Membran (Spalte 8, Zeilen 5-9), und zum anderen eben diesen Rest der Membran. Materialbeispiele sind in Spalte 8, Zeilen 14-16 aufgeführt, wobei es sich um Kunststoffe handelt.

Somit werden gemäß dem aus D4 bekannten Verfahren mindestens zwei Hörgeräteteile mit unterschiedlichen Funktionen und aus unterschiedlichen Materialien erstellt und nachhaltig assembliert, wobei sie aus unterschiedlichen Materialkomponenten durch Spritzgießtechnik erstellt und assembliert werden.

2.2 In D4 ist nicht explizit angegeben, dass es sich bei dem verwendeten Spritzgussverfahren um ein Zwei- oder Mehrkomponenten-Spritzgießverfahren handelt und dass die zwei Hörgeräteteile - hier also das Formschlussmittel 39 und der Rest der Membran - durch Zwei- oder Mehrkomponenten-Spritzgießtechnik bereits vereint erstellt werden. Jedoch wird dort erwähnt, die Membran in einem Spritzguss-Verfahren herzustellen, bei dem es möglich ist, beschränkt verschiedene Materialien derart aneinander zu gießen, dass zwischen den Materialien sehr stabile Fließnähte entstehen (Spalte 7, Zeile 57 - Spalte 8, Zeile 5).

2.3 Die Einspruchsabteilung hat diese Passage in D4 dahingehend interpretiert, dass sie sich neben dem Zwei- oder Mehrkomponentenverfahren auch auf die Möglichkeit beziehe, die beiden Materialen in einem sogenannten "Insert-Moulding-Verfahren" aneinander zu gießen, so dass das beanspruchte spezielle Verfahren neu gegenüber der allgemeinen Offenbarung von D4 sei.

Zwar wird das "Insert-Moulding-Verfahren" üblicherweise zum Umgießen von Einsätzen aus von dem Gießmaterial deutlich unterschiedlichem Material, wie zum Beispiel von Metallen, verwendet, jedoch ist ein solches Verfahren auch beim Aneinandergießen verschiedener Kunststoffe ein denkbares Herstellungsverfahren, und auch die Beschwerdeführerin II hat eine solche Möglichkeit akzeptiert.

Es kann aber dahin gestellt bleiben, ob der beanspruchte Gegenstand neu gegenüber der Lehre von D4 ist, da er, wie sich aus folgendem ergibt, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

2.4 Der beanspruchte Gegenstand ist nämlich für den von D4 ausgehenden Fachmann aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnis naheliegend.

Ausgehend von der Information, dass gemäß D4 die Membran - die die mindestens zwei Hörgeräteteile im Sinne des Anspruchs 1 umfasst (siehe Punkt 2.1) - in einem Spritzgussverfahren hergestellt wird, bei dem es auch möglich ist, beschränkt verschiedene Materialien, bei denen es sich um Kunststoffe handelt, aneinander zu gießen, und unter Berücksichtigung der in Figur 5 gezeigten engen Verbindung zwischen dem Formschlussmittel 39 und dem Rest der Membran, war es für den Fachmann naheliegend, das Zwei- oder Mehrkomponenten-Spritzgießverfahren, das im übrigen in der Kunststoff-Verarbeitungstechnik hinreichend bekannt ist (siehe Streitpatent, Spalte 1, Zeilen 6-16), zur Herstellung der aus zwei Komponenten bestehenden Membran zumindest in Erwägung zu ziehen, um die in der Technik allgemein bekannten Vorteile, wie etwa Verringerung von Material- und Personalkosten (siehe loc. cit.) zu erreichen.

Die Verwendung der von der Einspruchsabteilung betrachteten Alternative des "Insert-Moulding-Verfahrens" ist zum Umgießen von beschränkt verschiedenen Kunststoffen eher ungeeignet, da es bei Kunststoffmaterialien mit geringen Unterschieden in ihren jeweiligen Materialparametern möglicherweise Stabilitätsprobleme beim Umgießen eines schon ausgehärteten Einsatzes mit dem heißen Gießmaterial geben kann. Ein solches Verfahren würde der Fachmann nicht ohne besonderen Grund verwenden.

Weiterhin denkbar wäre eine Klebeverbindung zweier separat durch Spritzgießen geformter Teile. Ein solches Verfahren ist aber extrem aufwendig, so dass es der Fachmann auch nicht ohne besonderen Grund verwenden würde. Weitere Alternativen wurden nicht vorgebracht.

2.5 Dem von der Beschwerdeführerin I vorgebrachte Argument, der lange Zeitraum von der allgemeinen Einführung der Mehrkomponenten-Spritzgusstechnik bei der Kunststoffverarbeitung bis zur Verwendung bei der Hörgeräteherstellung wäre ein Hinweis darauf, dass es für den Fachmann nicht naheliegend gewesen wäre, diese Technik zur Herstellung von Hörgeräten zu verwenden, kann nicht gefolgt werden:

Ein langer Zeitraum zwischen der allgemeinen Einführung einer Technik und einer speziellen Anwendung derselben kann für sich allein keine erfinderische Tätigkeit begründen. Konkrete Umstände, die den Fachmann davon abgehalten hätten, diese Technik hier anzuwenden, wurden aber von der Beschwerdeführerin I nicht dargelegt und sind auch sonst nicht ersichtlich.

2.6 Aus diesen Gründen erfüllt der Hauptantrag nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

3. Hilfsantrag: Zulässigkeit

3.1 Der Anspruch des Hilfsantrags wurde erst in der mündlichen Verhandlung eingereicht. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann es die Kammer ablehnen, alternative Anspruchsfassungen zu berücksichtigen, wenn sie in einem sehr fortgeschrittenen Verfahrensstadium, z.B. in der mündlichen Verhandlung, eingereicht worden und nicht eindeutig gewährbar sind (etwa T 153/85, ABl. EPA 1988, 1; Punkt 2 der Gründe; siehe auch Artikel 13 (1) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der am 13. Dezember 2007 in Kraft getretenen Fassung (ABl. EPA 2007, 536)).

3.2 Im Hinblick auf den beanspruchten Gegenstand ist schon aus D4 ein nachhaltig assembliertes Hörgerät aus mehreren Teilen, wobei mindestens zwei der Teile aus unterschiedlichen Materialien bestehen und durch Spritzgießtechnik gefertigt sind, bekannt (Spalte 7, Zeile 57 - Spalte 8, Zeile 9). Wie schon oben unter Punkte 2.4 - 2.6 ausgeführt, war es für den Fachmann naheliegend, diese mindestens zwei Teile im Falle einer Membran und eines Formschlussmittels durch Zwei- oder Mehrkomponenten-Spritzgießtechnik gemeinsam zu fertigen.

Ausgehend von dieser Sachlage war es für den Fachmann darüber hinaus naheliegend, zum Erreichen der bekannten Vorteile der Mehrkomponenten-Spritzgießtechnik, wie etwa Verringerung von Material- und Personalkosten (siehe Streitpatent, Spalte 1, Zeilen 6-16), zumindest in Betracht zu ziehen, beliebige weitere Teile des Hörgeräts einschließlich eines mindestens einen an der Außenseite einer Gehäusepartie vorgegebenen Flächenbereichs aus einem anderem Material als die Gehäusepartie gemeinsam mit letzterer in Zwei- oder Mehrkomponenten-Spritzgießtechnik zu erstellen und somit ohne erfinderisches Zutun zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in D4 der mindestens eine vorgegebene Flächenbereich aus einem anderen Material als die Gehäusepartie in einem inneren Bereich der Gehäusepartie und nicht an deren Außenseite gefertigt ist, da die Verwendung der Zwei- oder Mehrkomponenten-Spritzgießtechnik, sobald sie für den Fachmann im Hörgerätebereich etabliert ist (siehe Punkt 2.4), sich diesem auf Grund ihrer bekannten Vorteile in naheliegender Weise zur Herstellung weiterer, nicht in D4 beschriebener Teile des Hörgeräts anbietet.

3.3 Da der Gegenstand des einzigen Anspruchs des Hilfsantrags prima facie nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, wurde der Hilfsantrag nicht zugelassen.

4. Somit ist der einzige im Verfahren befindliche Antrag der Patentinhaberin nicht gewährbar.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Das Patent wird widerrufen.

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