T 0291/07 (Veränderung der Anzahl von Menüpunkten/BMW) of 9.10.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T029107.20091009
Datum der Entscheidung: 09 October 2009
Aktenzeichen: T 0291/07
Anmeldenummer: 03763650.3
IPC-Klasse: G06F 3/033
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Steuerung eines Bildschirmanzeigesystems in Fahrzeugen
Name des Anmelders: Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (Hilfsantrag 2 - ja nach Änderungen)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die am 4. Oktober 2006 zur Post gegeben wurde, auf Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 03763650.3 mangels erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ 1973. Die angefochtene Entscheidung stützt sich auf die folgenden Druckschriften:

D1: EP 1 069 496 A

D2: DE 3 836 555 A

(Prioritätsanmeldung zu EP 0 366 132 B1)

D3: EP 0 607 731 A.

II. Die Beschwerdegebühr wurde mit der Beschwerdeschrift, eingegangen am 28. November 2006, entrichtet. Mit der Beschwerdebegründung, eingegangen am 2. Februar 2007, wurde die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage des beigefügten Anspruch 1 beantragt. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.

Die Kammer hat in einem Bescheid vom 22. Juli 2009 zur mündlichen Verhandlung geladen und ihre vorläufige Meinung zu der Beschwerde dargelegt. Dabei wurden Einwände gestützt auf Art. 56 EPÜ erhoben.

III. Mit Schreiben vom 9. September 2009 reichte die Beschwerdeführerin einen Schriftsatz ein, in dem neben einer Stellungnahme zur vorläufigen Meinung der Kammer ein weiterer unabhängiger Anspruch 1 gemäß einem ersten Hilfsantrag vorgelegt wurde.

IV. Am 9. Oktober 2009 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf geänderte Ansprüche 1 und 2 gemäß einem zweiten Hilfsantrag vorgelegt wurden und der bisherige Hauptantrag sowie der erste Hilfsantrag zurückgenommen wurden.

Anspruch 1 gemäß dem verbliebenen zweiten Hilfsantrag lautet: "1. Bildschirmanzeigesystem für ein Fahrzeug,

- mit einem Bildschirm zur Darstellung von Menüpunkten,

- mit einem durch den Nutzer bedienbaren Stellglied zur Steuerung der grafischen Darstellung einer hierarchischen Menüstruktur, weiche Menüpunkte umfasst, auf dem Bildschirm,

- wobei für Menüpunkte eine Statistik geführt wird, welche dokumentiert, wie häufig der Menüpunkt vom Nutzer in vorausgehenden Betriebsfällen ausgewählt wurde,

- wobei die Anzahl dargestellter Menüpunkte durch das Stellglied derart reduzierbar ist, dass zunächst die Kategorie der in vorausgehenden Betriebsfällen am seltensten oder gar nicht ausgewählten Menüpunkte ausgeblendet wird, und dann die nächste Kategorie von Menüpunkten ausgeblendet wird usw. bis nur noch die Kategorie der sehr häufig genutzten Menüpunkte dargestellt wird, und

- wobei dieser Vorgang umkehrbar ist.

V. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten zweiten Hilfsantrags (Patentansprüche 1 und 2) und daran anzupassender Beschreibung und Zeichnungen.

VI. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag und erster Hilfsantrag

2. Diese beiden Anträge wurden von der Beschwerdeführerin im Verlauf der mündlichen Verhandlung zurück genommen. Die Kammer hat somit nicht mehr darüber zu entscheiden.

Zweiter Hilfsantrag

3. Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin und der Prüfungsabteilung, dass die Entgegenhaltung D1 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.

So offenbart die D1 eine dynamische Anpassung der Darstellung einer Menüstruktur abhängig von der Gewichtung der Menüpunkte anhand der Häufigkeit ihrer Verwendung (vgl. D1, Abschnitt 9, Spalte 2, Zeilen 35-41, und Abschnitt 12, Spalte 3, Zeilen 37-40, und Abschnitt 13), indem alle Menüpunkte über einer Seltenheitsschwelle dargestellt und darunter nicht dargestellt werden, oder auch, indem solche Menüpunkte unter einer Seltenheitsschwelle kleiner oder an einer visuell schlecht wahrnehmbaren Position dargestellt werden (vgl. D1, Abschnitt 13, Spalte 3, Zeilen 53-58).

4. Entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin offenbart die D1 darüber hinaus aus Sicht der Kammer jedoch nicht nur ein hartes Umschalten zwischen zwei extremen Informationsmengen (vgl. z.B. Seite 6, letzter Absatz, und Seite 8, Absatz 3 der Beschwerdebegründung) durch eine Rücksetzmöglichkeit von der reduzierten Menüstruktur auf die Grundeinstellung (vgl. D1, Abschnitt 9), sondern auch weitere manuelle Eingriffsmöglichkeiten für den Nutzer. Dies zum einen, indem der Nutzer aufgefordert wird, der geänderten Darstellung einer reduzierten Menüstruktur zuzustimmen, was eine Eingabe erfordert. Zum anderen auch durch eine Auswahl zwischen einer Mehrzahl von situationsspezifischen Konstellationen (siehe D1, Abschnitt 14, insbesondere Spalte 4, Zeile 5 "manuell eingebbar" und Zeile 17 "Situation "Stau" eingegeben").

5. Die Kammer weist darauf hin, dass die D1 in der Beschreibungseinleitung auf die Druckschrift EP 366 132 B1 verweist (vgl. Abschnitt 2 der D1), welche ein Familienmitglied der Entgegenhaltung D2 ist. Die D1 geht somit, wie die vorliegende Anmeldung auch, von einem Stellglied, wie in der D2 beschrieben, aus und offenbart damit neben dem Hinweis auf Softkeys und Touch-Screen als Eingabemittel (vgl. Spalte 2, Zeilen 16 und 26) implizit auch die Möglichkeit eines Hardware-Stellglieds mit mehreren Freiheitsgraden (Multifunktions-Bedieneinrichtung), welches zur Steuerung der grafischen Darstellung einer hierarchischen Menüstruktur dient.

6. Somit verbleibt aber als Unterscheidungsmerkmal des geltenden Anspruchs 1 gegenüber der Lehre der D1, dass die Anzahl darzustellender Menüpunkte durch Betätigen eines Stellglieds nicht nur reduziert werden kann, sondern dieser Vorgang durch Betätigen des Stellglieds auch in Stufen umgekehrt werden kann, d.h. die Anzahl darzustellender Menüpunkte durch Betätigen eines Stellglieds auch erhöht werden kann.

7. Daraus ergibt sich, in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin (vgl. Seite 3, "Zu Punkt 10", der Eingabe der Beschwerdeführerin vom 9. September 2009), die objektive technische Aufgabe, ein Bildschirmanzeigesystem zu schaffen, mit dem die Darstellung einer Menüstruktur während der Fahrt noch stärker an die Bedürfnisse des Nutzers angepasst werden kann.

8. Der D1 ist zwar der Hinweis auf eine "dynamische Anpassung der Darstellungen" zu entnehmen (vgl. Spalte 4, Zeile 1) und je nach Auswahlhäufigkeit Menüpunkte größer oder kleiner darzustellen oder ganz auszublenden. Jedoch ist der D1 keine Anregung darauf zu entnehmen, einem Nutzer die Möglichkeit zu geben, an der automatischen auf der Auswahlhäufigkeit der Menüpunkte basierenden Anpassung der Anzahl dargestellter Menüpunkte gezielt Veränderungen vorzunehmen. Insbesondere schweigt die D1 im Hinblick auf eine Möglichkeit, durch Betätigung des Stellglieds die Anzahl der dargestellten Menüpunkte entsprechend dem individuellen Bedürfnis wieder zu vergrößern.

Selbst wenn man hierbei die Möglichkeit einer expliziten Zustimmung des Nutzers zu einer automatische Anpassung berücksichtigt (vgl. D1, Spalte 2, Zeilen 28 bis 32), so erfordert dies allenfalls eine entsprechende Eingabe (Zustimmung oder Ablehnung), gibt aber keine Anregung, eine aktive Eingriffsmöglichkeit zum Variieren der Anzahl darzustellender Menüpunkte vorzusehen. Vor allem ist darin keine Anregung für eine Eingriffsmöglichkeit des Nutzers zum Erweitern bzw. Vergrößern der Anzahl von dargestellten Menüpunkten je nach Bedarf zu sehen.

9. Damit hat der Fachmann auch keine Veranlassung, ausgehend von D1 allgemeine Kenntnisse des Dimmens von Licht etc. heranzuziehen, wie von der Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung argumentiert (vgl. Punkt 2.3). Sieht sich der Fachmann ausgehend von der Lehre der D1 mit der Situation konfrontiert, dass das automatisch angepasste Menü für seine Bedürfnisse zu stark reduziert wurde und die Anzahl wieder vergrößert werden soll, so findet er dafür in der D1 nämlich bereits ein Lösung, indem ein Rücksetzen auf die Grundkonfiguration vorgeschlagen wird. Dies führt jedoch gerade von einer Regelung der Anzahl darzustellender Menüpunkte in Stufen mittels eines Stellglieds gemäß dem Gegenstand von Anspruch 1 weg, insbesondere von der Maßnahme des letzten Teilmerkmals (die Möglichkeit zur schrittweisen Umkehrung des Vorgangs).

10. Auch die ebenfalls in der D1 vorgeschlagene Möglichkeit, durch manuelle Eingabe eine Adaption zwischen verschiedenen situationsspezifischen Funktionsbelegungen vornehmen zu können (vgl. Abschnitt 14), führt den Fachmann nicht zur Lösung der objektiven Aufgabe gemäß Anspruch 1. Der Fachmann entnimmt daraus nur, dass durch eine manuelle Eingabe zwischen verschiedenen Vorbelegungen bzw. Presets umgeschaltet werden kann. Darin sieht die Kammer jedoch keine Anregung für eine Regelung der Anzahl darzustellender Menüpunkte in Stufen mittels eines Stellglieds.

11. Außerdem hat die Prüfungsabteilung alternativ auf die weitere Druckschrift D3 verwiesen, welche ebenfalls das Gebiet der Menüsteuerung betrifft und offenbart, einen Menüpunkt zu unterdrücken oder dessen optische Intensität zu verringern ("dimming"), sobald die Nutzungshäufigkeit eines Menüpunkts einen Schwellwert unterschreitet (vgl. Fig. 2 und 3; Spalte 3, Zeilen 30-57). Die Prüfungsabteilung hat argumentiert, dass die D3 weiter vorsehe, die Anzahl der angezeigten Menüpunkte in Stufen einzustellen. Dies ergebe sich daraus, dass für jeden Nutzer ein eigener individueller Schwellwert vorgesehen sei, woraus zumindest implizit zu entnehmen sei, dass auch für einen einzelnen gegebenen Nutzer dieser Schwellwert einstellbar ist (vgl. Seite 5, erster Absatz der angefochtenen Entscheidung). Die Beschwerdeführerin hat dem entgegen gehalten, dass nach der D3 ein automatisch ablaufendes Verfahren vorgeschlagen sei, welches abgesehen von einer Initialisierungsphase keine Eingriffsmöglichkeiten hinsichtlich der Häufigkeitsschwelle böte.

12. Aus Sicht der Kammer entnimmt der Fachmann der D3 nicht, dass eine Anzahl von dargestellten Menüpunkten aktiv geändert werden kann, sondern lediglich die Möglichkeit zum Setzen eines Schwellwertes, der sich auf die Anzahl von Menüpunkten auswirken kann. Aus der D3 geht darüber hinaus nicht zweifelsfrei hervor, dass für jeden Nutzer auch mehrere verschiedene Häufigkeitsschwellen bestimmt werden können. So interpretiert die Kammer die Passage "The same threshold may be established for all menus, or different thresholds may be established for each user" (vgl. Spalte 3, Zeilen 35-37) im Kontext der gesamten Offenbarung der D3 dahingehend, dass verschiedene Schwellwerte für verschiedene Menüs vorgesehen sein können, nicht aber verschiedene Schwellwerte für einen Nutzer innerhalb desselben Menüs. Die D3 offenbart somit lediglich, in einer Initialisierungsphase einmalig einen Schwellwert zu setzen, der dann im weiteren Verlauf unverändert bestehen bleibt. Hieraus lässt sich für den Fachmann daher keine Anregung für eine Regelung der Anzahl darzustellender Menüpunkte in Stufen mittels eines Stellglieds gemäß dem Gegenstand von Anspruch 1 entnehmen.

13. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 ist somit weder durch die Offenbarung der D1 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen, noch durch eine Kombination der Lehren der D1 und der D3 nahegelegt und beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ). Der Gegenstand des abhängigen Anspruchs 2 wird durch Anspruch 1 gestützt und beruht daher ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anweisung ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten zweiten Hilfsantrags (Patentansprüche 1 und 2) und daran anzupassender Beschreibung und Zeichnungen.

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