T 1920/06 () of 24.4.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T192006.20090424
Datum der Entscheidung: 24 April 2009
Aktenzeichen: T 1920/06
Anmeldenummer: 01980312.1
IPC-Klasse: B60N 2/015
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fahrzeugsitz mit Packagestellung
Name des Anmelders: KEIPER GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Faurecia Autositze GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Änderungen - Zulässigkeit - bejaht
Erfinderische Tätigkeit - bejaht
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0507/22

Sachverhalt und Anträge

I. Der gegen das europäische Patent Nr. 1 222 088 eingelegte Einspruch, der auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) und 100 c) EPÜ 1973 gestützt wurde, führte zum Widerruf des Patents durch die am 1. Dezember 2006 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 19. Dezember 2006 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 14. März 2007 eingereicht.

III. Am 24. April 2009 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Basis der Ansprüche 1 bis 10 gemäß Hauptantrag eingereicht in der mündlichen Verhandlung. Die zuvor gestellten Hilfsanträge wurden von der Beschwerdeführerin zurückgenommen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückzuweisung der Beschwerde.

IV. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"1. Fahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugsitz, der zwischen wenigstens einer zur Personenbeförderung geeigneten Sitzstellung und einer zusammengeklappten Packagestellung einstellbar ist, mit

a) einem gelenkigen Sitzgestell (9, 11, 21, 29, 31) mit vorderen Füßen (11; 11'; 111; 111'; 211) und hinteren Füßen (21; 21"; 21"'; 121; 121'; 221), welche lösbar an der Fahrzeugstruktur zu befestigen sind,

b) einem Sitzkissen (3; 203), welches mit einem Sitzkissenträger (9; 9"'; 109; 209) versehen ist, der an den vorderen Füßen (11; 11'; 111; 111'; 211) angelenkt ist, wobei das Sitzkissen (3; 203) beim Übergang von der Sitzstellung in die Packagestellung mit einer Schwenkbewegung hochklappt, während die vorderen Füße (11; 11'; 111; 111'; 211) unbewegt bleiben,

c) einer Rückenlehne (5; 205), die zum Übergang von der Sitzstellung in die Packagestellung nach dem Lösen der in ihrem Bereich vorhandenen hinteren Füße (21; 21"; 21'"; 121; 121'; 221) eine Versatzbewegung vollführt, wobei die Rückenlehne (5; 205) in der Packagestellung hinter dem hochgeklappten Sitzkissen (3; 203) angeordnet ist, und

d) Kopplungsmitteln (29, 31; 29', 31'; 31"; 29""; 129, 129"', 131, 149; 149'; 149"; 149"'; 149""; 229, 231; 229', 231', 249, 251, 253) mit ersten und zweiten Koppeln (29, 31; 29', 31'; 31"; 29""; 129, 131; 129"'; 229, 231; 229', 231'), mit denen die Bewegungen der Rückenlehne (5; 205) und des Sitzkissens (3; 203) zwischen der Sitzstellung und der Packagestellung gekoppelt sind,

dadurch gekennzeichnet, dass

e) die erste Koppel (29; 29'; 29""; 129, 229; 229') einerseits am hinteren Fuß (21; 21"; 21"'; 121; 121'; 221) und andererseits am vorderen Fuß (11; 11'; 111; 111'; 211) angelenkt ist, wobei bei der Versatzbewegung der Rückenlehne (5; 205) in Richtung des Sitzkissens (3; 203) die erste Koppel (29; 29'; 29""; 129, 229; 229') als Schwenkarm des hinteren Fußes (21; 21"; 21"'; 121; 121') dient,

f) die zweite Koppel (31; 31'; 31"; 131; 231; 231') einerseits am Sitzkissenträger (9; 9"'; 109) und andererseits am hinteren Fuß (21; 21"; 21"'; 121; 121') angelenkt ist oder zwischen Sitzkissen (203) und Rückenlehne (205) wirkt,

und

g) der Sitzkissenträger (9; 9"'; 109) in seinem vorderen Endbereich an den vorderen Füßen (11; 11'; 111; 111'; 211) angelenkt ist."

V. Die folgenden Dokumente haben im Beschwerdeverfahren eine Rolle gespielt

D1: WO-A-01/19640,

D2: US-A-4 736 985,

D4: DE-A-195 33 932,

D6: DE-C-699 589,

D7: ES-A-2 147 090,

D8: DE-C-196 07 060.

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die in den Ansprüchen durchgeführten Änderungen überwänden die Einwände der Beschwerdegegnerin in Hinblick auf eine Verallgemeinerung durch Weglassen von wesentlichen Merkmalen. Sie seien daher zulässig.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei erfinderisch gegenüber den von der Beschwerdegegnerin zitierten Entgegenhaltungen.

VII. Im Hinblick auf die geänderten Ansprüche kann das Vorbringen der Beschwerdegegnerin wie folgt zusammengefasst werden:

a) Zur Zulässigkeit der geänderten Ansprüche

Der bereits vor der Einspruchsabteilung vorgetragene Einwand, dass bei der Übernahme von Merkmalen aus der ursprünglichen Beschreibung in die geänderten Ansprüche bestimmte Teilmerkmale herausgegriffen worden seien, die durchgehend in Kombination mit weiteren Teilmerkmalen offenbart gewesen seien und deshalb nur in dieser Kombination hätten übernommen werden dürfen, werde weitgehend aufrechterhalten.

Insbesondere bei der Aufnahme der Merkmalsgruppe f) in den Anspruch 1 sei das Teilmerkmal zur Funktion der zweiten Koppel weggelassen worden, wonach diese bei der Versatzbewegung der Rückenlehne den hinteren Fuß nach vorne zieht. Dieses Teilmerkmal sei ohnehin in Verbindung mit der kinematischen Angabe, dass die erste Koppel als Schwenkarm des hinteren Fußes diene, als wesentlich anzusehen. Durch das Weglassen dieses Teilmerkmals sei eine Verallgemeinerung entstanden, die gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ verstoße.

Des Weiteren sei das die dritte Ausführungsform des Fahrzeugsitzes gemäß den Figuren 7A und 7B betreffende Teilmerkmal, wonach die zweite Koppel "zwischen Sitzkissen (203) und Rückenlehne (205) wirkt", viel zu abstrakt und allgemein formuliert. Die zweite Koppel sei nämlich bei diesem Ausführungsbeispiel in einem ganz bestimmten Zusammenhang offenbart, insbesondere in Kombination mit einem Kulissenstein 235 (vgl. Seite 11 ersten Absatz der WO-A-02/22391, nachfolgend D0 genannt), was in den Anspruch 1 nicht mit aufgenommen worden sei. Auch diese Verallgemeinerung verstoße gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ.

Zusätzlich sei bei dem in den Figuren 7A und 7B der Streitpatentschrift offenbarten, dritten Ausführungsbeispiel des Fahrzeugsitzes der Sitzkissenträger nicht, wie dies in der Merkmalsgruppe b) des Anspruchs 1 verlangt werde, an den vorderen Füßen angelenkt, sondern es seien zusätzliche Koppeln 251, 253 vorgesehen, die lediglich eine indirekte Anlenkung bewirkten. Dazu sei das Hochklappen des Sitzkissens von der Sitzstellung in die Packagestellung durch die Koppeln 251,253 in dem dritten Ausführungsbeispiel nicht offenbart, so dass die Kombination der Merkmale b) mit dem Merkmal, wonach die zweite Koppel zwischen Sitzkissen und Rückenlehne wirke, nicht ursprünglich offenbart worden sei. Diese Merkmalskombination und das dritte Ausführungsbeispiel nach den Figuren 7A,7B sollten daher aus dem Anspruch 1 und dem Streitpatent gestrichen werden. Insgesamt seien somit die geänderten Ansprüche unzulässig.

b) Mangelnde erfinderische Tätigkeit

Zur Frage der erfinderischen Tätigkeit sei zuerst zu vermerken, dass die Priorität des Streitpatents für das Ausführungsbeispiel gemäß den Figuren 7A und 7B nicht wirksam sei, weil die Prioritätsunterlagen die Anlenkung der zweiten Koppel zwischen Sitzkissen und Rückenlehne nicht offenbarten. Die Druckschrift D1 sei somit für einen Teil des Anspruchs 1 ein Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ und deshalb für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit relevant.

Ferner, wenn die Kammer die indirekte Anlenkung des Sitzkissenträgers an die vorderen Füßen über die Koppeln 251, 253 gemäß den Figuren 7A-7B als eine "Anlenkung" im Sinne des Anspruchs 1 lese, dann wäre auch dieser Maßstab bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit anzuwenden und jegliche aus dem Stand der Technik bekannte, indirekte Anlenkung über Koppeln oder ähnliches als "Anlenkung" im Sinne des Anspruchs zu betrachten.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Bemerkungen sei festzustellen, dass mehrere Argumentationslinien zum Gegenstand des Anspruchs 1 führten:

Erstens ergebe sich der Gegenstand des Anspruchs schon alleine aus der D7. Diese Druckschrift zeige nämlich einen Kraftfahrzeugsitz, der zwischen einer Sitzstellung (Figur 1) und einer Packagestellung (Figur 2) einstellbar sei. Die vorderen Füße 3 und die hinteren Füße 4,8 seien lösbar an der Fahrzeugstruktur zu befestigen. Ein Sitzkissen 1 mit Sitzkissenträger sei an den vorderen Füßen 3 angelenkt, wobei das Sitzkissen 1 beim Übergang von der Sitzstellung in die Packagestellung mit einer Schwenkbewegung hochklappe, während die vorderen Füße 3 unbewegt blieben. Eine Rückenlehne 2 vollführe nach dem Lösen der in ihrem Bereich vorhandenen hinteren Füße 4 beim Übergang von der Sitzstellung in die Packagestellung eine Versatzbewegung, wobei die Rückenlehne 2 in der Packagestellung hinter dem hochgeklappten Sitzkissen 1 angeordnet sei (vgl. Figur 2). Eine erste Koppel 6, die am hinteren Fuß 4 und am vorderen Fuß 3 angelenkt sei, koppele die Bewegungen der Rückenlehne 2 und des Sitzkissens 1 beim Übergang zwischen Sitzstellung und Packagestellung und diene dabei als Schwenkarm des hinteren Fußes 4. Eine zweite Koppel (Lasche 15 verbunden mit Bauteil 8) wirke zwischen Sitzkissen 1 und Rückenlehne 2. Damit wäre der Gegenstand des Anspruchs durch den Fahrzeugsitz gemäß D7 vorweggenommen.

Sollte die Kammer das Fehlen der zweiten Koppel in D7 als einen Unterschied zum beanspruchten Gegenstand betrachten, dann werde der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die Kombination D7/D2 nahegelegt. D2 zeige nämlich in der Figur 2 eine Koppel 40 zwischen der Lehne 2 und dem Sitz 1. Die Übertragung dieser kinematischen Maßnahme in den aus D7 bekannten Fahrzeugsitz, z.B. zur Vermeidung einer Berührung der Rückenlehne, bzw. der dazugehörigen Kopfstütze, mit dem Fahrzeughimmel bei deren Versatzbewegung, sei eine naheliegende Maßnahme.

Auch ausgehend von der Druckschrift D2 und unter Berücksichtigung des Standes der Technik gemäß D8, oder D4, oder D6 ergebe sich der Gegenstand des Anspruchs 1 in naheliegender Weise. Die in dem erteilten Anspruch 1 durchgeführten Hinzufügungen (vgl. Merkmalesgruppe f) und Merkmalsgruppe g)) änderten nichts an der bereits von der Einspruchsabteilung festgestellten Schlussfolgerung, dass die Zusammenschau der D2 mit der D8 oder mit der D4 oder der D6, zum Gegenstand des Anspruchs führe. Die Merkmale f) seien nämlich aus der Druckschrift D2 bekannt (vgl. zweite Koppel 40) und die Druckschriften D8 oder D6 oder D4 zeigten alle einen Sitzkissenträger, der in seinem vorderen Bereich an einem unbewegten vorderen Fuß angelenkt sei. Zur Funktion der Schwenkbewegung des Sitzkissens sei es unerheblich, wo die Anlenkstelle liege, so dass eine Verlegung der Anlenkung im vorderen Bereich des Sitzes keine erfinderische Leistung darstelle. Sollte die Kammer den in der Figur 2 von D2 dargestellten "front foot 14" nicht als vorderen Fuß in Sinne des Anspruchs betrachten, dann sei die erste Koppel 10 und der Sitzkissenträger 24 ohnehin indirekt an dem unbewegten vorderen Fuß (fork 18) angelenkt, so dass die erwähnten Kombinationen auf jeden Fall zum Gegenstand des Anspruchs führten.

Schließlich könne der Fachmann auch auf die Kombination der Entgegenhaltungen D1/D2 oder D1/D4 zurückgreifen, um in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen. Die Figuren 1 bis 5 von D1 zeigten nämlich einen Fahrzeugsitz, der zwischen wenigstens einer Sitzstellung (Figur 1) und einer Packagestellung (Figur 5) einstellbar sei, mit lösbar an der Fahrzeugstruktur zu befestigenden vorderen Füßen 3 und hinteren Füßen 5 und mit einem Sitzkissen 1 und einem Sitzkissenträger 7, der in seinem vorderen Endbereich an den vorderen Füßen 3 angelenkt sei. Das Sitzkissen klappe beim Übergang von der Sitzstellung in die Packagestellung mit einer Schwenkbewegung hoch, während die vorderen Füße 3 unbewegt blieben. Die Rückenlehne 30 führe beim Übergang von der Sitzstellung in die Packagestellung eine Versatzbewegung aus, wobei die Bewegungen der Rückenlehne und des Sitzkissens zwischen der Sitzstellung und der Packagestellung durch eine erste Koppel 9 gekoppelt seien. Die erste Koppel 9 sei einerseits am hinteren Fuß 5 und andererseits am vorderen Fuß 3 angelenkt, wobei bei der Versatzbewegung der Rückenlehne 2 in Richtung des Sitzkissens 1 die erste Koppel 6 als Schwenkarm des hinteren Fußes 4 diene. Eine zweite Koppel 31 wirke zwischen Sitzkissen 1 und Rückenlehne 30. Der einzige Unterschied zum Gegenstand des Anspruchs 1 liege darin, dass die Rückenlehne 2 in der Packagestellung vor dem hochgeklappten Sitzkissen 1 statt hinter diesem angeordnet sei. Zusammenklappbare Fahrzeugsitze, bei denen die Rückenlehne in die Packagestellung hinter dem hochgeklappten Sitzkissen versetzt werde, seien zum Beispiel aus den Druckschriften D2 (vgl. Figur 3) oder D4 (vgl. Figur 1) bekannt. Es sei naheliegend, eine solche konstruktive Abwandlung bei dem aus D1 bekannten Fahrzeugsitz zu verwirklichen. Dabei seien im Wesentlichen nur die Länge der Koppeln 9,31 und ihre Anlenkstellen anzupassen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit der geänderten Ansprüche

2.1 Die durchgeführten Änderungen

Der geänderte Anspruch 1 besteht aus der Kombination sämtlicher Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 mit den Merkmalen f) und g).

Die Merkmale f) waren schon zum Teil in dem erteilten abhängigen Patentanspruch 3 enthalten. Durch die Aufnahme dieser Merkmale in den Anspruch 1 wird nunmehr angegeben, welche der zueinander beweglichen mechanischen Teile des Fahrzeugsitzes durch die zweite Koppel verbunden sind. Es handelt sich nämlich um den Sitzkissenträger und den hinteren Fuß einerseits oder das Sitzkissen und die Rückenlehne andererseits. Beide Varianten sind in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen offenbart (vgl. für die erste Variante: Figuren 1-4, 5A-5D, 6A-6E i.V.m. Seite 6, Zeilen 24-25 von D0; für die zweite Variante: Figuren 7A-7B i.V.m. Seite 11, Zeilen 7-8 von D0). Bezüglich der Einführung dieser Merkmale war die Beschwerdegegnerin der Auffassung, dass das Teilmerkmal des erteilten abhängigen Patentanspruchs 3, dass die zweite Koppel bei der Versatzbewegung der Rückenlehne den hinteren Fuß nach vorne zieht, auch hätte übernommen werden müssen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin sieht die Kammer in dem Weglassen dieses Teilmerkmals keinen Verstoß gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ. Das Mitziehen des hinteren Fußes war in D0 in Verbindung mit einer Gasfeder 41 offenbart, welche die Schwenkbewegung des Sitzkissens unterstützt (vgl. Seite 7, zweiter Absatz). Den ursprünglichen Unterlagen ist jedoch zu entnehmen, dass die Gasfeder und somit das Mitziehen lediglich eine Option darstellt (vgl. D0: Seite 3, Zeilen 9-10). Der Fachmann erkennt aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen, dass die wesentliche Funktion der zweiten Koppel sich bereits in der Kopplung der Bewegungen der Rückenlehne und des Sitzkissens beim Übergang zwischen der Sitzstellung und der Packagestellung erschöpft (vgl. Seite 2, Zeilen 21-23 von D0) und dass sie nicht näher präzisiert werden braucht.

Das Merkmal g), wonach der Sitzkissenträger in seinem vorderen Endbereich an den vorderen Füßen angelenkt ist (vgl. D0: Seite 5, letzte Zeile bis Seite 6, erste Zeile; Seite 11, Zeilen 10-13), wurde in den Anspruch übernommen, um einen Einwand der Beschwerdegegnerin in Hinblick auf eine Verallgemeinerung durch Weglassen von wesentlichen Merkmalen zu begegnen.

Die abhängigen Ansprüche 1-4 und die Beschreibung sind den in dem unabhängigen Anspruch 1 durchgeführten Änderungen angepasst worden. Im Anspruch 4 wurde präzisiert, dass das Drücken des Sitzkissens nach unten über die zweite Koppel nur für die zweite Variante gemäß den Figuren 7A-7B gilt.

2.2 Die Kammer kann die Ausführungen der Beschwerdegegnerin nicht nachvollziehen, wenn sie behauptet, dass die in den Figuren 7A und 7B der Streitpatentschrift offenbarten Ausführungsbeispiele des Fahrzeugsitzes nicht unter Anspruch 1 fielen und aus dem Streitpatent zu streichen wären, weil sie keine Anlenkung des Sitzkissenträgers an den vorderen Füßen im Sinne des Anspruchs 1 und kein Übergang des Sitzkissens von der Sitzstellung in die Packagestellung zeigten.

In den ursprünglich eingereicht Unterlagen ist folgendes erwähnt (vgl. WO-A-02/22391: Seite 10, letzter Absatz und Seite 11, zweiter Absatz): "Das dritte Ausführungsbeispiel [gemäß Figuren 7A und 7B] stimmt wiederum weitgehend mit dem ersten Ausführungsbeispiel überein, insbesondere hinsichtlich der Funktionsweise beim Übergang in die Packagestellung und der Anbindung an die Fahrzeugstruktur, sofern es nicht nachfolgend abweichend beschrieben ist.....Zusätzlich zu den zuvor beschriebenen Ausführungen ist zwischen dem vorderen Ende des Sitzkissenträgers 209 und dem vorderen Fuß 211 zum einen eine tragende Lastkoppel 251 und zum anderen dazu nach oben versetzt eine Steuerkoppel 253 angelenkt, d. h. der Sitzkissenträger 209 ist mittels eines Viergelenks angelenkt. Hinsichtlich der Packagestellung wirken die Bauteile im wesentlichen wie im ersten Ausführungsbeispiel zusammen. Zusätzlich kann der Fahrzeugsitz 201 in eine Bodenstellung (Flat-Floor-Position) abgesenkt werden."

Die Kammer sieht in dem in dieser Textstelle erwähnten Viergelenk lediglich eine besondere Form einer Anlenkung des vorderen Fußes im vorderen Endbereich des Sitzkissenträgers. Der Fachmann für Getriebetechnik weiß, dass ein solches, den Sitzkissenträger mit dem vorderen Fuß verbindendes Viergelenk an Freiheitsgrad der Bewegung nur eine Schwenkbewegung zulässt. Von einer "indirekten Anlenkung", wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, kann keine Rede sein. Abgesehen von der viergelenkigen Anlenkung des Sitzkissenträger 209 am vorderen Fuß 211, entsprechen die Ausführungsbeispiele gemäß den Figuren 7A und 7B der Patentschrift jeweils den Ausführungsformen gemäß den Figuren 1 und 6B der Patentschrift mit dem Unterschied, dass die zweite Koppel 231 bzw. 231' zwischen Sitzkissen 203 und Rückenlehne 205 statt zwischen Sitzkissenträger und hinteren Fuß wirkt.

In diesem Zusammenhang hält die Kammer die von der Beschwerdegegnerin als zu abstrakt beanstandete Formulierung der Funktion der zweiten Koppel ("oder zwischen Sitzkissen und Rückenlehne wirkt") für deutlich genug. Die Wirkung der zweiten Koppel für die dritte Ausführungsform des erfindungsgemäßen Fahrzeugsitzes ist der ursprünglich eingereichten D0 (Seite 11) klar zu entnehmen. Auch in Verbindung mit den übrigen Merkmalen des Anspruchs 1 ist diese Wirkung klar. Wie bereits in Verbindung mit den vorangegangenen Ausführungsbespielen erwähnt, soll die zweite Koppel bei der Versatzbewegung der Rückenlehne deren Bewegung mit der des Sitzkissens koppeln.

2.3 Bei der Übernahme von Merkmalen aus der ursprünglichen Beschreibung in die geänderten Ansprüche sah die Beschwerdegegnerin in dem Weglassen bestimmter konstruktiven Teilmerkmale (Anlenkung an beiden Seiten des im Wesentlichen symmetrischen Fahrzeugsitzes, bzw. Anlenkung auf die Innenseite des hinteren Fußes und auf die Außenseite des vorderen Fußes, ...) einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ.

Bei der Kombination der Merkmale eines ursprünglich eingereichten Anspruchs mit einem Merkmal aus der ursprünglichen Beschreibung, wobei das aus der Beschreibung entnommene Merkmal zusammen mit weiteren Teilmerkmalen offenbart wurde, brauchen nicht alle diese Merkmale in den neuen Anspruch aufgenommen werden, wenn der Fachmann aus der ursprünglichen Offenbarung erkennen kann, dass die weiteren Teilmerkmale keinen engen funktionellen oder strukturellen Zusammenhang mit dem besagten Merkmal haben. Im vorliegenden Fall war aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen für den Fachmann offensichtlich, dass die oben genannten Teilmerkmale in Bezug auf die Anlenkung der erwähnten Teile keine wesentliche Rolle spielen und dass der Fachmann im Rahmen der offenbarten Lehre auch alternative konstruktive Abwandlungen ohne weiteres mitliest.

2.4 Die Patentansprüche wurden somit nicht in der Weise geändert, dass ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Artikel 123 (2) EPÜ). Das Patent wurde durch die Änderungen lediglich weiter eingeschränkt, so daß es die Anforderungen des Artikel 123 (3) EPÜ ebenfalls erfüllt.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 In Hinblick auf die von der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Argumentationslinie zur D7 kann die Kammer keine zweite Koppel im Sinne des Anspruchs 1 in der Lasche 15 erkennen, welche an dem die Rückenlehne stützenden und mit dem hinteren Fuß 4 fest verbunden Arm 8 des Fahrzeugsitzes befestigt ist (vgl. D7: Figuren 1-2). Die Lasche 15 ist somit bereits Bestandteil der ersten Koppel 6, die den hinteren Fuß 4 mit dem vorderen Fuß 3 über den Arm 8 verbindet (vgl. Übersetzung der D7, Seite 4, fünfter Absatz). Eine zweite Koppel ist in D7 nicht erkennbar.

3.2 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist das Anbringen einer zweiten Koppel zwischen Sitzkissen/Sitzkissenträger 1 und dem Arm 8 der Rückenlehne 2 des Fahrzeugsitzes gemäß D7, um nach Vorbild der D2 eine Berührung der Rückenlehne mit dem Fahrzeughimmel bei ihrer Versatzbewegung zu vermeiden, nicht naheliegend, weil dies mit dem Grundkonzept des Fahrzeugsitzes gemäß D7, nämlich dass die Koppel 6 mit dem Sitzkissen/Sitzkissenträger fest verbunden ist, nicht vereinbar ist.

3.3 Ausgehend von dem aus der Figur 2 von D2 bekannten Fahrzeugsitz betrachtet die Beschwerdegegnerin in einer ersten Argumentationslinie zur erfinderischen Tätigkeit den "front foot 14" als vorderen Fuß im Sinne des Anspruchs und kommt so zum Ergebnis, dass ein unterscheidendes Merkmal darin besteht, dass dieser vordere Fuß unbewegt bleibt. Sie greift dann auf die D8 zurück, die einen unbewegten Fuß 1 zeigt, um zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen. In Hinblick auf diese erste Argumentationslinie teilt die Kammer die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass das Bauteil 14 nicht als vorderer Fuß im Sinne des Anspruchs betrachtet werden kann. Dieses Bauteil 14 hat nämlich in der D2 neben seiner Stützfunktion beim normalen Sitzgebrauch noch die Aufgabe zu erfüllen, einen weiteren Freiheitsgrad für die Schwenkbewegung des Sitzkissens 1 zu bieten. Die frei schwenkbare Anlenkung des Bauteils 14 an der Verankerung 18 ist ein wesentlicher Aspekt der dort offenbarten Erfindung, denn gerade diese Schwenkmöglichkeit erlaubt es, einerseits das Sitzkissen 1 bei gleichzeitiger Versatzbewegung der Rückenlehne 2 hochzuklappen (vgl. Figur 3) und andererseits eine Liegeposition des Sitzkissens 1 und der Rückenlehne 2 anzubieten (vgl. Fig. 4). Da jede dieser beiden Sitzpositionen mit einer Schwenkbewegung des Bauteils 14 erreicht wird, hat der Fachmann keine Veranlassung, auf die Schwenkbarkeit dieses Teils 14 zu verzichten.

Die zweite Argumentationslinie der Beschwerdegegnerin konnte die Kammer auch nicht überzeugen, denn die Stange 10, die von der Beschwerdeführerin als erste Koppel betrachtet wird, ist zwar einerseits am hinteren Fuß 4 andererseits jedoch nicht am vorderen Fuß 18 angelenkt, so dass diese Argumentation nicht zum beanspruchten Gegenstand führen kann. Für den Fachmann besteht auch keine Veranlassung die D2 mit der D8, D6 oder D4 zu kombinieren, denn die Klappmechanismen gemäß D8, D6 oder D4 weisen kein Bauteil auf, das auf Anhieb mit der aus D2 bekannten Stange 10 zu vergleichen wäre.

3.4 Nach Auffassung der Kammer ergibt sich die Gesamtkinematik des beanspruchten Fahrzeugssitzes auch nicht durch eine Kombination der D1 mit der D2 oder mit der D4. Der Sitzmechanismus gemäß D1, der die Rückenlehne beim Übergang in die Packagestellung vor dem hochgeklappten Sitzkissen versetzt, unterscheidet sich grundsätzlich, sowohl von der Kinematik als auch von der Funktionsweise, von den Sitzmechanismen gemäß D2 oder D4, wo die Rückenlehne hinter dem hochgeklappten Sitzkissen beim Übergang in die Packagestellung angeordnet wird. Für den Fachmann ist nicht ersichtlich, wie diese Entgegenhaltungen kombiniert werden könnten. Bei derartig zusammenklappbaren Mechanismen mit zahlreichen Bauteilen und komplexen, unterschiedlichen kinematischen Bewegungsabläufen kann ein funktionelles Merkmal nicht willkürlich aus einer Entgegenhaltung herausgegriffen und auf den Gegenstand einer anderen Entgegenhaltung übertragen werden. Die von der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Argumentation bezüglich der Austauschbarkeit der Anordnung der Rückenlehne gegenüber dem hochgeklappten Sitzkissen hält einer sachlichen an den technischen Gegebenheiten bezogenen Überprüfung nicht stand und ist von einer rückschauenden Betrachtungsweise geprägt.

3.5 Aus den vorstehenden Überlegungen kommt die Kammer zum Ergebnis, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

4. Die abhängigen Ansprüche betreffen zweckmäßige Ausgestaltungen des Gegenstands des Anspruchs 1 und haben in Zusammenhang mit diesem Bestand.

5. Die Beschreibung wurde an die neuen Ansprüche angepasst. Die Anpassung führte zu keinen Beanstandungen seitens der Beschwerdegegnerin.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 10 gemäß Hauptantrag eingereicht in der mündlichen Verhandlung,

- geänderte Beschreibungsseiten 2 bis 6 ebenfalls eingereicht in der mündlichen Verhandlung,

- Figuren wie in der erteilten Patentschrift.

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