T 1609/06 (Schnell zerfallende Pellets/Roche Diagnostics GmbH) of 22.9.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T160906.20090922
Datum der Entscheidung: 22 September 2009
Aktenzeichen: T 1609/06
Anmeldenummer: 97943848.8
IPC-Klasse: A61K 9/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schnellzerfallende Pellets
Name des Anmelders: Roche Diagnostics GmbH
Name des Einsprechenden: Grünenthal GmbH
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Hauptantrag, Hilfsantrag 1 - Neuheit (nein): Die durch funktionelle Merkmale gekennzeichneten Pellets sind im Stand der Technik offenbart.
Hilfsanträge 2 und 3 - erfinderische Tätigkeit (nein): nahe liegende Alternative
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des auf der Grundlage der europäischen Patentanmeldung Nr. 97 943 848.8 erteilten europäischen Patents Nr. 0 925 060. Das Patent in der erteilten Form enthielt 30 Ansprüche.

Die unabhängigen Ansprüche lauten wie folgt:

"1. Pharmazeutische Darreichungsformen in Form von Pellets, enthaltend einen oder mehrere Wirkstoffe und mindestens ein als Retardierungs- oder Zerfallsverzögerungsmittel wirkendes, zur Herstellung von Extrusionspellets erforderliches Rundungsmittel, ein Tablettensprengmittel und mindestens einen Hilfsstoff ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Tensiden und Bindemitteln oder Kombinationen dieser Hilfsstoffe.

20. Verfahren zur Herstellung von pharmazeutischen Darreichungsformen nach einem der Anspruche 1-19, dadurch gekennzeichnet, daß man die Wirkstoffe mit den Hilfsstoffen mischt, anschließend granuliert, extrudiert und zu Pellets rundet und danach gegebenenfalls als Tabletten, Kapseln oder Sachets zur Verfügung stellt und/oder gegebenenfalls die Pellets oder die Tabletten mit geeigneten Überzügen (Filmbildnern) versieht.

29. Pharmazeutische Darreichungsform in Form von Kernpellets enthaltend einen Wirkstoff und ein Rundungsmittel, wobei die implizit vorhandene retardierende Wirkung des Rundungsmittels aufgehoben ist, erhältlich durch Extrusion einer pharmazeutischen Mischung enthaltend ein Rundungsmittel, ein Tablettensprengmittel und mindestens einen Hilfsstoff ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Tensiden und Bindemitteln oder Kombinationen dieser Hilfsstoffe.

30. Verwendung eines oder mehrerer Tablettensprengmittel in Kombination mit einem oder mehreren Tensiden und/oder einem Bindemittel zur Herstellung von pharmazeutischen Darreichungsformen nach einem der Ansprüche 1-19 oder 29."

II. Gegen die Erteilung des Patents wurde ein Einspruch eingelegt. Die Einspruchsgründe waren gestützt auf Artikel 100 (a), (b) und (c) EPÜ mit der Begründung, dass der Gegenstand des Patents nach Artikel 52(1) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ im gesamten Umfang wegen fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischen Tätigkeit nicht patentfähig sei, dass das europäische Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne und dass der Gegenstand des europäischen Patents über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe.

III. Die nachfolgenden Entgegenhaltungen wurden inter alia im Laufe des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens zitiert:

(3) Farm. vestn., 46 (1995), 211-212

(5) Acta Pharm. Suec., 18 (1981), 108-109

(7) Eur. J. Pharm. Biopharm., 41(6) (1995), 382-387

(12) Pharm. Sciences, (1995), 415-418

(13) Int. J. Pharmaceutics, 96 (1993), 119-128

(14) Drug. Dev. Ind. Phar., 19(8) (1993), 915-927

IV. In ihrer am 06. Juli 2006 verkündeten Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1-3 zwar die Erfordernisse der Artikel 123(2) und 83 EPÜ erfülle, aber nicht neu sei.

Bezüglich der Neuheit wurde in der Entscheidung der Einspruchsabteilung darauf hingewiesen, dass der Anspruch 1 vier funktionelle Merkmale beinhalte, nämlich dass in der darin beanspruchten pharmazeutischen Darreichungsform ein Wirkstoff, ein Rundungsmittel, ein Sprengmittel sowie ein Bindemittel oder Tensid vorhanden sein müsse. Da es jedoch Substanzen mit Doppel- oder Mehrfachfunktionalitäten gäbe, können auch Zusammensetzungen mit weniger als vier Bestandteilen neuheitsschädlich sein, sofern alle vier Funktionen abgedeckt seien. Dies sei z.B. bei den in Serie 3, Experiment 13 der Entgegenhaltung (12) hergestellten Pellets der Fall, die 30% Propyphenazon, 60% mikrokristalline Cellulose und 10% L-HPC enthielten, da mikrokristalline Cellulose sowohl die Funktion eines Rundungsmittels als auch eines Bindemittels erfülle und L-HPC sowohl Bindemittel- als auch Sprengmitteleigen-schaften aufwiese.

Bezüglich des Hilfsantrags 4 entschied die Einspruchsabteilung, dass der darin beanspruchte Gegenstand die Erfordernisse des EPÜs erfülle.

V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt.

VI. Zusammen mit der Beschwerdebegründung vom 06. Februar 2007 wurden die Hilfsanträge 1-3 eingereicht, wobei der Hilfsantrag 1 identisch ist mit dem Hilfsantrag 1 der angefochtenen Entscheidung. Die unabhängigen Ansprüche lauten wie folgt:

a) Hilfsantrag 1:

"1. Pharmazeutische Darreichungsformen in Form von Pellets, enthaltend einen oder mehrere Wirkstoffe, und 5-70 Gew.-% mikrokristalline Cellulose als Retardierungs- oder Zerfallsverzögerungsmittel wirkendes, zur Herstellung von Extrusionspellets erforderliches Rundungsmittel, 5-50 Gew.-% eines Tablettensprengmittels und mindestens einen Hilfsstoff ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus 0,1-20 Gew.-% Tensiden und 1-10 Gew.-% Bindemitteln oder Kombinationen dieser Hilfsstoffe.

19. Verfahren zur Herstellung von pharmazeutischen Darreichungsformen nach einem der Anspruche 1 bis 18, dadurch gekennzeichnet, dass man die Wirkstoffe mit den Hilfsstoffen mischt, anschließend granuliert, extrudiert und zu Pellets rundet und danach gegebenenfalls als Tabletten, Kapseln oder Sachets zur Verfügung stellt und/oder gegebenenfalls die Pellets oder die Tabletten mit geeigneten Überzügen (Filmbildnern) versieht.

28. Verwendung eines oder mehrerer Tablettensprengmittel in Kombination mit einem oder mehreren Tensiden und/oder einem Bindemittel zur Herstellung von pharmazeutischen Darreichungsformen nach einem der Ansprüche 1 bis 18."

b) Hilfsantrag 2:

" 1. Pharmazeutische Darreichungsformen in Form von Pellets, enthaltend einen oder mehrere Wirkstoffe, und mindestens ein als Retardierungs- oder Zerfallsverzögerungsmittel wirkendes, zur Herstellung von Extrusionspellets erforderliches Rundungsmittel, nämlich mikrokristalline Cellulose, ein Tabletten-sprengmittel, nämlich Natrium-Carboxymethylcellulose, modifizierte Maisstärke oder Natrium-Carboxymethylstärke und mindestens einen Hilfsstoff ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Tensiden und Bindemitteln oder Kombinationen dieser Hilfsstoffe, wobei die Bindemittel ausgewählt sind aus Gelatine, L-HPC, Stärke, Hydroxypropylmethylcellulose-Derivaten und Polyvinyl-pyrrolidon (PVP)-Derivaten, Polyvinylpyrrolidon."

Die unabhängigen Ansprüche 19 und 28 sind identisch mit den Ansprüchen 19 und 28 des Hilfsantrags 1.

c) Hilfsantrag 3:

" 1. Pharmazeutische Darreichungsformen in Form von Pellets, enthaltend einen oder mehrere Wirkstoffe und mindestens ein als Retardierungs- oder Zerfallsverzögerungsmittel wirkendes, zur Herstellung von Extrusionspellets erforderliches Rundungsmittel, ein Tablettensprengmittel und mindestens einen Hilfsstoff ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Tensiden und Bindemitteln oder Kombinationen dieser Hilfsstoffe, dadurch gekennzeichnet, dass als Wirkstoffe Carvedilol, Bezafibrat, Glibenclamid oder Torasemid enthalten sind.

19. Verfahren zur Herstellung von pharmazeutischen Darreichungsformen nach einem der Ansprüche 1 bis 18, dadurch gekennzeichnet, dass man die Wirkstoffe mit den Hilfsstoffen mischt, anschließend granuliert, extrudiert und zu Pellets rundet und danach gegebenenfalls als Tabletten, Kapsein oder Sachets zur Verfügung stellt und/oder gegebenenfalls die Pellets oder die Tabletten mit geeigneten Überzügen (Filmbildnern) versieht.

28. Pharmazeutische Darreichungsform in Form von Kernpellets enthaltend einen Wirkstoff und ein Rundungsmittel, wobei die implizit vorhandene retardierende Wirkung des Rundungsmittels aufgehoben ist, erhältlich durch Extrusion einer pharmazeutischen Mischung enthaltend ein Rundungsmittel, ein Tablettensprengmittel und mindestens einen Hilfsstoff ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Tensiden und Bindemitteln oder Kombinationen dieser Hilfsstoffe, dadurch gekennzeichnet, dass als Wirkstoffe Carvedilol, Bezafibrat, Glibenclamid oder Torasemid enthalten sind.

29. Verwendung eines oder mehrerer Tablettensprengmittel in Kombination mit einem oder mehreren Tensiden und/oder einem Bindemittel zur Herstellung von pharmazeutischen Darreichungsformen nach einem der Ansprüche 1 bis 18 oder 28."

VII. Mit Schreiben vom 14. September 2009 hat die Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass sie an der für den 22. September 2009 anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde. Zudem hat sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen.

VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 22. September 2009 statt.

IX. Die relevanten Argumente der Beschwerdeführerin bezüglich Neuheit und erfinderischen Tätigkeit lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei neu, da keine der zitierten Entgegenhaltungen Pellets mit vier verschiedenen Bestandteilen offenbare. Zwar sei es zutreffend, dass manche pharmazeutische Hilfsstoffe Doppelfunktionen erfüllen können wie z. B. L-HPC, die sowohl Eigenschaften eines Bindemittels als auch eines Sprengmittels aufweisen, jedoch müsse das Streitpatent korrekterweise so interpretiert werden, dass Anspruch 1 auf Darreichungsformen gerichtet sei, die neben dem/den Wirkstoff(en) mindestens drei weitere Einzelsubstanzen, nämlich ein Rundungsmittel, ein Tablettensprengmittel und ein Tensid und/oder Bindemittel enthalten.

Diese Argumentation treffe auch auf Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 zu. Zusätzlich sei bezüglich der Offenbarung von Dokument (14) zu berücksichtigen, dass selbst für den Fall, dass Chitosan, das im Dokument (14) zu 20% vorhanden sei, als Bindemittel angesehen werde, Neuheit vorläge, da der Bindemittelanteil im Anspruch 1 nunmehr auf einen Bereich von 1-10 Gew.-% beschränkt sei.

Im Hilfsantrag 2 seien sowohl das Rundungsmittel als auch das Bindemittel sowie Tablettensprengmittel eindeutig definiert, so dass keine Überlappungen aufgrund möglicher Doppelfunktionen von pharmazeutischen Hilfsstoffen auftreten können.

Im Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 seien besonders bevorzugte Wirkstoffe aufgenommen worden, die in keinem der angezogenen Dokumente offenbart seien.

Was die erfinderische Tätigkeit betreffe, so stelle die Entgegenhaltung (12), die dasselbe technische Problem wie das Streitpatent betreffe, nämlich die schlechte Auflösung von durch Extrusion oder Spheronisation hergestellte Pellets, den nächstliegenden Stand der Technik dar. Aufgrund der Tatsache, dass in der Entgegenhaltung (12) eine völlig andere Lösung, nämlich die Verwendung eines Gemisches aus 2-Propanol und Wasser als Granulationsflüssigkeit vorgeschlagen werde, sei der im Streitpatent beanspruchte Gegenstand, bei dem zur Lösung des Problems eine besondere Kombination an Hilfsstoffen verwendet werde, nicht naheliegend.

Zu Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 wurde als zusätzliches Argument ausgeführt, dass dem zur Verfügung stehenden Stand der Technik nicht auf naheliegende Weise entnommen werden könne, dass die dort verwendeten Wirkstoffe ohne Einfluss auf die Eigenschaften der Pellets durch einen der nunmehr definierten, besonders schwer zu formulierenden Wirkstoffe ersetzt werden können.

X. Die Beschwerdegegnerin bestritt die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente. Bezüglich der Neuheit betonte sie, dass aufgrund der Doppelfunktionalitäten mancher Hilfsstoffe auch Pellets enthaltend einen Wirkstoff und weniger als drei weitere Hilfsstoffe neuheitsschädlich sein können, sofern alle beanspruchten Funktionalitäten abgedeckt seien. Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit sei zu berücksichtigen, dass, wie aus Beispiel 23 des Streitpatents hervorgehe, auch retardierte Pellets mit beansprucht seien.

XI. Die Beschwerdeführerin beantragte schriftlich, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in unveränderter Fassung aufrechtzuerhalten; hilfsweise, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage einer der Hilfsanträge 1 - 3, eingereicht mit Schreiben vom 06. Februar 2007, aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag:

2.1 Neuheit des Anspruchs 1:

Anspruch 1 betrifft Pellets enthaltend einen Wirkstoff, ein Rundungsmittel, ein Tablettensprengmittel und einen weiteren Hilfsstoff, ausgewählt aus der Gruppe der Tenside oder der Bindemittel oder deren Kombination.

Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung korrekterweise darauf hingewiesen, dass manche Hilfsstoffe Mehrfachfunktionen ausüben können. So sei bekannt, dass mikrokristalline Cellulose sowohl als Rundungsmittel als auch als Bindemittel eingesetzt werden könne, während L-HPC sowohl die Funktion eines Bindemittels als auch eines Sprengmittels ausüben könne. Aufgrund dieser Mehrfachfunktionen können auch Pellets mit weniger als drei Hilfsstoffen neuheitsschädlich sein, sofern alle vier Funktionen (Wirkstoff, Rundungsmittel, Sprengmittel, Bindemittel oder Tensid) vorhanden seien (siehe Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe).

Die Kammer sieht keine Veranlassung, von dieser Argumentation abzuweichen. Als Folge davon nehmen die in der Tabelle 1 der Entgegenhaltung (3) als "K-L20", "K-L21" und "K-L31" bezeichneten Pellets, die 50% Ketoprofen (Wirkstoff), 20% Avicel (mikrokristalline Cellulose = Rundungsmittel plus Bindemittel) sowie 10% L-HPC (Bindemittel plus Sprengmittel) enthalten, den Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorweg. Die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ sind somit nicht erfüllt.

Aus den gleichen Gründen sind die in der Tabelle 1 der Entgegenhaltung (12) (siehe Serie 3, Nummer 13) offenbarten Pellets, die 30% Propyphenazon (Wirkstoff), 60% mikrokristalline Cellulose (Rundungsmittel plus Bindemittel) sowie 10% L-HPC (Bindemittel plus Sprengmittel) enthalten, neuheitsschädlich für den Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1. Die Tatsache, dass L-HPC in der Entgegenhaltung (12) nur als Sprengmittel eingesetzt wird, ist für die Neuheit des beanspruchten Produktes unerheblich, da es dem allgemeinen Fachwissen zuzuordnen ist, dass L-HPC, deren Eigenschaften als Bindemittel bekannt sind (siehe z.B. Entgegenhaltung (7), letzter Absatz der rechten Spalte auf Seite 384), bei der Herstellung der Pellets unweigerlich die Funktion eines Bindemittels ausübt.

2.2 Aufgrund dieses Ergebnisses ist eine Diskussion der weiteren Entgegenhaltungen nicht erforderlich.

3. Hilfsantrag 1:

3.1 Neuheit:

Aufgrund des Umstandes, dass Fachmann die Doppelfunktion der mikrokristallinen Cellulose als Rundungsmittel und Bindemittel zwangsweise mitliest, kann der Wortlaut des vorliegenden Anspruchs 1 nur so sinnvoll verstanden werden, dass zu den 5-70 Gew.-% an mikrokristalliner Cellulose als eine der weitern Alternativen noch zusätzlich weiteres Bindemittel mit einem Anteil von 1-10 Gew.-% vorhanden ist. Dieses weitere Bindemittel kann jedoch gemäß Seite 3, Zeilen 45-46 der Patentschrift mikrokristalline Cellulose sein, so dass sich für den Fall, dass neben der mikrokristallinen Cellulose kein weiteres Bindemittel eingesetzt wird, der Prozentanteil der mikrokristallinen Cellulose auf maximal 80 Gew.-% erhöht (= Summe der Anteile Rundungsmittel plus Bindemittel).

Infolgedessen sind die weiter oben im Abschnitt 2.1 aufgeführten Pellets "K-L20", "K-L21" und "K-L31" gemäß Tabelle 1 der Entgegenhaltung (3) neuheitsschädlich für den Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1, da sie neben dem Wirkstoff und 20% mikrokristalliner Cellulose noch 10% an zusätzlichem Bindemittel (L-HPC) sowie 10% Sprengmittel (L-HPC) enthalten.

Aus den gleichen Gründen sind die in der Tabelle 1 der Entgegenhaltung (12) (siehe Serie 3, Nummer 13) offenbarten Pellets neuheitsschädlich für den Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1. Die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ sind somit nicht erfüllt.

3.2 Aufgrund dieses Ergebnisses ist eine Diskussion der weiteren Entgegenhaltungen nicht erforderlich.

4. Hilfsantrag 2:

4.1 Neuheit:

Im vorliegenden Anspruch 1 sind nunmehr sowohl das Rundungsmittel als auch das Sprengmittel sowie das Bindemittel durch spezifische Substanzen definiert. Keine der zur Verfügung stehenden Entgegenhaltungen offenbart Pellets, die sämtliche Merkmale der nunmehr definierten Pellets enthalten. Infolgedessen ist der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 sowie der weiteren unabhängigen Ansprüche 19 und 28, die die Herstellung der Pellets gemäß Anspruch 1 betreffen, neu. Die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ sind somit erfüllt.

4.2 Erfinderische Tätigkeit:

Die vorliegende Erfindung betrifft wirkstoffhaltige Pellets. Als nächstliegender Stand der Technik sind die Pellets gemäß der Entgegenhaltung (12) (siehe Tablelle 1, Serie 3, Nummer 13) anzusehen, die die weiter oben im Abschnitt 2.1 beschriebene Zusammensetzung aufweisen.

Gemäß Abschnitt [0001] des Streitpatents betrifft die vorliegende Erfindung die Bereitstellung von schnell zerfallenden Extrusionspellets, enthaltend ein Rundungsmittel mit einer Freisetzungsrate von mindestens 90% innerhalb einer Zeitspanne von 30 Minuten. Diese Aufgabenstellung kann jedoch bei der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit aus folgenden Gründen nicht berücksichtigt werden: im Beispiel 23 des Streitpatents, das eine erfindungsgemäße Zusammensetzung beschreibt, wurde festgestellt, dass Pellets mit nur einem Sprengmittel ohne Tensidzusatz nicht zerfallen. Diese Feststellung deckt sich mit der im Abschnitt [0019] vermittelten Lehre, die besagt, dass PVP-Derivate besonders bevorzugte Bindemittel darstellen, da diese den Zerfall der Pellets trotz hervorragender Bindeeigenschaften nicht beeinträchtigen, sondern begünstigen, so dass erfindungsgemäss beim Einsatz von PVP in Kombination mit einem Intensivsprengmittel sogar auf das Tensid verzichtet werden kann. Dies bedeutet, dass gemäß der technischen Lehre des Streitpatents bei Einsatz von Gelatine, L-HPC, Stärke und Hydroxymethylcellulose-Derivaten als Bindemittel der Zusatz eines Tensids, das gemäß dem Wortlaut des vorliegenden Anspruchs 1 nicht zwingend erforderlich ist, für den beabsichtigten schnellen Zerfall notwendig ist. Infolgedessen kann die der vorliegenden Erfindung zugrundeliegenden Aufgabe lediglich in der Bereitstellung weiterer wirkstoffhaltiger Pellets gesehen werden. Diese Aufgabe wurde auch glaubhaft gelöst, indem zusätzlich zur L-HPC ein weiteres Sprengmittel in Form von Natrium-Carboxymethylcellulose, modifizierter Maisstärke oder Natrium-Carboxymethylstärke hinzugefügt wurde. In Abwesenheit eines für den Fachmann nicht offensichtlichen Effekts ist diese Maßnahme als naheliegend zu betrachten, da die Eignung dieser drei Substanzen als Sprengmittel im Stand der Technik bekannt ist (siehe z.B. die Tabelle auf Seite 109 der Entgegenhaltung (5), in der Natrium-Carboxymethylstärke in Form von Explotab®, das gemäß Abschnitt [0020] des Streitpatents ein bevorzugtes Produkt der Natrium-Carboxymethylstärke darstellt, als Sprengmittel beschrieben ist). Somit sind die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ nicht erfüllt.

5. Hilfsantrag 3:

Der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags, indem nunmehr die beanspruchten Pellets Carvedilol, Bezafibrat, Glibenclamid oder Torasemid zwingend enthalten sind. All diese Wirkstoffe haben die gemeinsame Eigenschaft, schwer wasserlöslich und somit schwer formulierbar zu sein. (siehe Abschnitt [0023] des Streitpatents und Punkt 5.5 der Beschwerdebegründung vom 06. Februar 2007). Daraus ergibt sich, dass nunmehr die Entgegenhaltung (13) als nächster Stand der Technik anzusehen ist, die in der Tabelle 2 eine Pelletzusammensetzung, enthaltend das im Wasser nur sehr mäßig lösliche Acetaminophen, L-HPC, Avicel PH 101 (= mikrokristalline Cellulose) und Aerosil offenbart. Diese Zusammensetzung unterscheidet sich vom Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 lediglich durch die Wahl des Wirkstoffs (was die Doppelfunktion von mikrokristalliner Cellulose und L-HPC betrifft, siehe oben Punkt 2.1). Der bloße Ersatz eines sehr mäßig löslichen Wirkstoffes durch einen anderen schwerlöslichen Wirkstoff kann in Abwesenheit jeglicher Effekte nur die Aufgabe begründen, weitere wirkstoffhaltige Pellets bereitzustellen. Diese Aufgabe ist ebenfalls glaubhaft gelöst worden, jedoch ist auch die Lösung dieser Aufgabe den Routineaufgaben des Fachmanns zuzuordnen und kann somit keine erfinderische Tätigkeit begründen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die unter Punkt 4.2 im Zusammenhang mit Beispiel 23 getroffenen Feststellungen bezüglich des Pelletzerfalls in identischer Weise auf Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 zutreffen, da der im besagten Beispiel 23 verwendete Wirkstoff Carvedilol zu den im vorliegenden Anspruch 1 aufgelisteten Wirkstoffen gehört. Die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ sind somit nicht erfüllt.

6. Aufgrund dieses Ergebnisses ist eine Diskussion der weiteren Einspruchsgründe nicht erforderlich.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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