European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2009:T108306.20090310 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 10 März 2009 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1083/06 | ||||||||
Anmeldenummer: | 98904084.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | A23L 1/09 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Kohlenhydratmischung | ||||||||
Name des Anmelders: | N.V. Nutricia | ||||||||
Name des Einsprechenden: | NESTEC S.A. Friesland Brands B.V. |
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Kammer: | 3.3.09 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (nein) Hilfsantrag 4: Zulassung zum Verfahren (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Erteilung des Europäischen Patents Nr. 0 957 692 auf die Europäische Patentanmeldung Nr. 98 904 084.5, die am 16. Januar 1998 als Internationale Anmeldung PCT/EP98/00234 im Namen der Firma N.V. Nutricia angemeldet und am 23. Juli 1998 als WO-A 98/031241 veröffentlicht wurde, wurde am 6. August 2003 im Patentblatt 2003/32 bekanntgemacht.
Das Patent mit dem Titel "Kohlenhydratmischung" wurde mit elf Ansprüchen erteilt, von denen der Anspruch 1 wie folgt lautet:
"1. Kohlenhydratmischung für diätetische, enterale und parenterale Nahrungen sowie Pharmazeutika,
dadurch gekennzeichnet,
dass sie aus a = Monosaccharid(en), b = Oligo saccharid(en) und c = Polysaccharid(en) mit einem Mischungsverhältnis von a : b : c von, bezogen auf das Gewicht,:
a = 1
b = 40 bis 1000 und
c = 1 bis 50,
aufgebaut ist und
mindestens 1 Gew.-% Fucose in freier und/oder in an ein Oligosaccharid und/oder ein Polysaccharid gebundener Form enthält.".
Die Ansprüche 2 bis 10 sind, direkt oder indirekt, vom Anspruch 1 abhängig.
Anspruch 11 lautet wie folgt:
"11. Verwendung einer Kohlenhydratmischung nach einem der Ansprüche 1 bis 9 zur Herstellung einer diätetischen, enteralen oder parenteralen Nahrung oder eines Pharmazeutikums zur Prophylaxe und/oder Behandlung von Symptomen und Erkrankungen, die im Zusammenhang mit der Assoziation bzw. Adhäsion von pathogenen Substanzen und/oder Organismen an Epithelien oder andere körper eigene Zellen stehen, insbesondere bei Säuglingen."
II. Gegen das Patent wurde von den Firmen
I Nestec S.A. am 6. Mai 2004 und
II Friesland Brands B.V. am 6. Mai 2004
Einspruch eingelegt und der vollständige Widerruf des Patents beantragt.
Die Einsprüche wurden darauf gestützt, dass der beanspruchte Gegenstand nicht neu und erfinderisch sei (Artikel 100 a) EPÜ), die Erfindung unzureichend offenbart sei (Artikel 100 b) EPÜ) und der Patent gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Artikel 100 c) EPÜ).
Die Einwände der mangelnden Neuheit und mangelnden erfinderischen Tätigkeit wurden unter anderem auf die folgenden Dokumente gestützt:
D7 C. Kunz et al.: "Strukturelle und funktionelle Aspekte von Oligosacchariden in Frauenmilch" in Zeitschrift für Ernährungswissenschaften, 35 (1996), 22-31;
D9 D. Viverge et al.: "Discriminant Carbohydrate Components of Human Milk According to Donor Secretor Types" in Journal of Pediatric Gastroenterology and Nutrition 11 (1990), 365-370;
D10 Ch. M. van Beusekom: "Lipids, Carbohydrates and Micronutrients in the Perinatal Period": Auszug aus der Dissertation an der Rijksuniversiteit Groningen, 23. Juni 1995, Seiten 10, 11 und 16-19;
D22 Gh. Y. Wiederschain et al.: "Human milk fucosyltransferase and alpha-L-fucosidase activities change during the course of lactation" in J. Nutr. Biochem., vol. 6 (1995), 582-587.
III. Mit ihrer am 15. März 2005 mündlich verkündeten und am 9. Mai 2006 schriftlich begründeten Entscheidung hielt die Einspruchsabteilung das Patent in geändertem Umfang auf Basis des in der mündlichen Verhandlung von der Patentinhaberin eingereichten Hilfsantrags 1 aufrecht.
Die Zurückweisung des Hauptantrags, das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten, wurde entsprechend dem Einspruchgrund Artikel 100 c) EPÜ damit begründet, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11, entgegen den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ, unzulässig geändert worden sei.
So stelle die Streichung der Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 1, dass die Oligosaccharide b bis zum Hexasaccharid reichen und die Polysaccharide c ab dem Heptasaccharid beginnen, eine Erweiterung dar.
Auch das Merkmal "insbesondere bei Säuglingen" im Anspruch 11 sei eine unzulässige Erweiterung, da im ursprünglichen Anspruch 10 die Verwendung der Kohlenhydratmischung bei Säuglingen nur verknüpft mit einer Dosisangabe von mindestens 100 mg/kg Körpergewicht/Tag offenbart sei.
Diese Mängel seien in den Ansprüchen 1 und 11 gemäß Hilfsantrag 1 durch Aufnahme der Merkmale "b = Oligo saccharid(en) mit bis zu 6 Monosaccharid-Einheiten und c = Polysaccharid(en) mit 7 oder mehr Mono saccharid-Einheiten" in den Anspruch 1 und Streichung der Passage "insbesondere bei Säuglingen" im Anspruch 11 beseitigt worden.
Die Einspruchsabteilung bezweifelte nicht die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung, da in der Patentschrift genügend nacharbeitbare Beispiele vorlägen, die unter den Wortlaut der unabhängigen Ansprüche fallen. Zudem gebe es Informationen in der Patentschrift, worauf sich die anspruchsgemäße Gewichtsangabe der Fucose beziehe.
Die Einwände der Einsprechenden unter Artikel 83 EPÜ würden daher allenfalls Fragen der Klarheit unter Artikel 84 EPÜ aufwerfen. Klarheit sei jedoch kein Einspruchsgrund.
Der Gegenstand des Hilfsantrags 1 sei auch neu, da kein Dokument explizit eine Kohlenhydratmischung enthaltend die Komponenten a, b und c in den beanspruchten Gewichtsverhältnissen sowie mindestens 1 Gew.-% Fucose beschreibe. Insbesondere sei der Hinweis der Einsprechenden II, dass die gemäß D9 in der Muttermilch enthaltenen "heavy oligosaccharides" Polysaccharide im Sinne der anspruchsgemäßen Komponente (c) seien, spekulativ.
Die Einspruchsabteilung sah das Dokument D10 als nächstliegenden Stand der Technik für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit an, da darin Kohlenhydratzusammensetzungen, die in der Muttermilch vorhanden sind, beschrieben würden, die sich von den beanspruchen Mischungen nur dadurch unterschieden, dass der Anteil an Polysacchariden c und der Gehalt an Fucose nicht genannt sei. Es sei jedoch keinem der weiteren zitierten Dokumente - die zudem Muttermilch verschiedener Herkunft und Zusammensetzung untersuchten und von verschiedenen Autoren verfasst worden seien - der Hinweis zu entnehmen, eine Kohlenhydratmischung gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 bereitzustellen.
IV. Gegen die Entscheidung legten
die Einsprechende II am 6. Juli 2006 und
die Patentinhaberin am 19. Juli 2006
Beschwerde ein.
Die Beschwerdebegründungen beider Parteien wurden am 19. September 2006 eingereicht.
Die Beschwerdeführerin/Einsprechende II hielt die Einwände der mangelnden Ausführbarkeit, mangelnden Neuheit sowie erfinderischen Tätigkeit aufrecht.
Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin verteidigte in erster Linie das Patent in der erteilten Fassung (Hauptantrag) und reichte mit der Beschwerdebegründung drei Anspruchssätze als Basis für die Hilfsanträge 1 bis 3 ein. In der mündlichen Verhandlung am 10. März 2009 wurde ein weiterer Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag 4 eingereicht.
Die Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1 entsprechen den erteilten Ansprüchen mit der Änderung im Anspruch 1, dass die Komponente b als Oligosaccharid "mit bis zu 6 Monosaccharid-Einheiten" und die Komponente c) als Polysaccharid "mit 7 oder mehr Monosaccharid-Einheiten" definiert wurden.
Im Anspruch 11 gemäß Hilfsantrag 2 wurde zusätzlich das Merkmal "insbesondere bei Säuglingen" durch die Dosierungsangabe "in einer Menge von 100 mg/kg Körpergewicht/Tag" ergänzt.
Im Anspruch 11 gemäß Hilfsantrag 3 wurde gegenüber dem erteilten Anspruch 11 der Zusatz "insbesondere bei Säuglingen" gestrichen.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 besteht aus einer Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 5 und gibt an, dass die Kohlenhydratmischung neben der Fucose noch "mindestens 1 Gew.-% Sialinsäure(n) in freier und/oder in an ein Oligosaccharid und/oder ein Polysaccharid gebundener Form enthält".
V. Die Argumente der Einsprechenden II zur erfinderischen Tätigkeit können wie folgt zusammengefasst werden:
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit müsse von Muttermilch als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen werden, deren Reservoir aus Kohlenhydraten - wie aus D10 bekannt - aus einer Mischung aus Laktose als Hauptbestandteil, 20% Oligosacchariden und kleineren Mengen an Monosacchariden, insbesondere Glucose und Fucose bestehe.
Als nächstliegender Stand der Technik könne D7 betrach tet werden, das sich mit Kohlenhydratmischungen in Muttermilch und ihrer Auswirkung auf die Konstitution von Säuglingen befasse.
So werde in der linken und mittleren Spalte der Seite 22 von D7 beschrieben, dass Muttermilch mehr als 130 Oligo saccharide enthalte, die teilweise fucosyliert und/oder sialyliert sind, und die als potentielle Inhibitoren der Anhaftung von Bakterien und Viren an Epithelzellen der Infektabwehr bei gestillten Säuglingen dienen.
Die beanspruchte Kohlenhydratmischung unterscheide sich davon im wesentlichen lediglich dadurch, dass der Gehalt an Fucose nicht definiert sei. Da jedoch kein Effekt nachgewiesen worden sei, der durch den beanspruchten Gehalt von mindestens 1 Gew.-% Fucose in freier und/oder gebundener Form bewirkt werde, bestehe das der beanspruchten Erfindung zugrundeliegende Problem in der Bereitstellung einer alternativen Kohlenhydrat mischung.
Es sei jedoch angesichts der in D7 beschriebenen vor teilhaften Wirkung von fucosylierten Oligosacchariden naheliegend, den Fucoseanteil in der Kohlenhydrat mischung zu optimieren.
VI. Die Patentinhaberin argumentierte wie folgt:
Muttermilch sei als "goldener Standard" ein einzig artiges Naturprodukt, das in seiner Zusammensetzung und Wirksamkeit ein Optimum darstelle und daher nicht verbessert werden könne. Ein solches Produkt sei nicht Ergebnis eines technischen Handelns. Demgegenüber handle es sich bei der beanspruchten Kohlenhydratmischung - wie generell bei Produkten, die Gegenstand eines Patents sind - um ein auf technischem Wege erhaltenes Produkt. Es stelle sich daher die Frage, ob der Fachmann bei der Herstellung eines technischen Produktes von einem Naturprodukt, das in seiner Wirkung nicht mehr verbessert werden könne, ausgehen würde. Vielmehr werde der Fachmann ein synthetisches Produkt als Ausgangspunkt wählen.
Es sei daher zweifelhaft, dass Muttermilch den nächst liegenden Stand der Technik darstelle.
Dessen ungeachtet beruhe die Erfindung auf der Erkenntnis, dass der Gehalt an Fucose einer Kohlenhydratmischung, die muttermilch-ähnlich ist, auf mindestens 1 Gew.-% (in gebundener und/oder monomerer Form) angehoben werden müsse, um eine verbesserte physiologische und pharmazeutische Wirksamkeit - wie im Absatz [0010] der Patentschrift angegeben - zu erzielen.
Keines der zitierten und überwiegend Muttermilch betreffenden Dokumente enthalte einen Hinweis, den Fucosegehalt auf mindestens 1 Gew.-% anzuheben.
VII. Die Einsprechende I äußerte sich zur Sache nicht.
VIII. Die Beschwerdeführerin/Einsprechende II beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
IX. Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis der erteilten Unterlagen, hilfsweise auf Basis eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3, oder auf Basis des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 4.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Einspruchsgründe gemäß den Artikeln 100 b) und 100 c)
Angesichts des Ausgangs dieses Beschwerdeverfahrens, demzufolge alle Anträge der beschwerdeführenden Patentinhaberin am Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit scheitern, erübrigt sich eine Entscheidung zu den diese beiden Einspruchsgründe betreffenden Einwänden.
Die Berechtigung des Einwands der Einsprechenden II unter Artikel 83 EPÜ, wonach die beanspruchten Mengen an Monosaccharid (a), Oligosaccharid (b) und Polysaccharid (c) sowie Fucose wegen fehlender Definition des Bezugs punkts für die Mengenangabe an Fucose in der Patent schrift nicht zuverlässig bestimmbar seien, kann daher ebenso dahingestellt bleiben, wie die Frage, ob die im erteilten Anspruch 1 gestrichene Definition der Zahl der Monosaccharideinheiten im Oligosaccharid (b) und Poly saccharid (c) eine unzulässige Erweiterung, entgegen Artikel 123(2), darstellt.
3. Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ
3.1 Neuheit
Aus den in Punkt 2, Absatz 1 genannten Gründen erübrigt sich auch eine ausführliche Begründung darüber, dass nach Überzeugung der Kammer die beanspruchte Kohlen hydratmischung gegenüber dem zitierten Stand der Technik neu ist und das Argument der Einsprechenden II, dass D9 auf Seite 367, Textstelle linke Spalte und Figur 1, sowie Seite 368 Tabelle 1 eine implizit neuheitsschäd liche Offenbarung enthalte, nicht stichhaltig ist.
3.2 Erfinderische Tätigkeit
3.2.1 Der Patentgegenstand
Die beanspruchte Erfindung betrifft Kohlenhydratmischun gen, die sich als Beimischung zu enteralen und parenteralen Nahrungsmitteln sowie als Bestandteil von Pharmazeutika eignen und die neben einem nutritiven auch ein gesundheitsförderndes biologisches Wirkungsspektrum zeigen (Absätze [0001] und [0008] der Patentschrift). In den Absätzen [0005] und [0010] werden erwünschte biologische Wirkungen, unter anderem auch die Verhin derung der Adhäsion von Mikroorganismen/pathogenen Substanzen an Epithelien, aufgezählt. Ferner wird im Absatz [0010] betont, dass eine Mischung von Mono- Oligo- und Polysacchariden in ihrer biologischen Wirkung potenter ist als die jeweiligen Einzelkomponenten.
Als bevorzugter Anwendungsbereich der beanspruchten Kohlenhydratmischung wird im Absatz [0029] insbesondere die Ernährung von Säuglingen angegeben.
Anspruchsgemäß wird eine Kohlenhydratmischung aus den Mono-, Oligo- und Polysaccharidkomponenten a, b und c bereitgestellt, die zwingend 1 Gew.-% Fucose in freier (monomerer) Form - als Bestandteil der Komponente (a) - und/oder in Form eines fucosylierten Oligo- und/oder Polysaccharids - als Bestandteil der Komponente b und/oder c - enthält.
3.2.2 Der nächstliegende Stand der Technik
Die Kammer kann der Auffassung der Patentinhaberin, dass Muttermilch als Naturprodukt nicht der nächstliegende Stand der Technik für ein gemäß der Lehre des Patents technisch hergestelltes Produkt sein kann, nicht beitreten.
Obwohl Muttermilch kein technisches Produkt ist und damit keinen "Stand der Technik" im eigentlichen Wortsinn darstellt, so ist Muttermilch unbestreitbar ein literaturbekanntes Naturprodukt.
Dass in der Fachwelt Interesse besteht, Naturprodukte mit optimalen Eigenschaften durch künstlich (technisch) hergestellte Produkte in ihrer Wirkungsweise und Zusammensetzung nachzuahmen und gegebenenfalls punktuell zu modifizieren, entspricht einem durchaus realistischen und aktuellen Szenario. Die Erwartung des Fachmanns ist dabei, dass sich ein "technisches" Produkt in einer angestrebten Wirkung verbessern lässt, wenn es sich an einem Naturprodukt orientiert.
Somit wird sich der Fachmann, dem - wie im vorliegenden Fall - daran gelegen ist, ein insbesondere für Säuglinge geeignetes Nahrungsmittel mit gesundheitsfördernder Wirkung auf Basis von Kohlenhydraten bereitzu stellen, durchaus an Literatur orientieren, die sich mit Muttermilch als nach Auffassung der Fachwelt optimale Nahrungs- und Gesundheitsquelle für Säuglinge befasst.
Es ist bekannt, und von den Parteien auch nicht bestritten worden, dass die Kohlenhydratquelle in Muttermilch aus einer komplexen Mischung von Kohlen hydraten besteht, die als Hauptbestandteil Lactose - die unter die anspruchsgemäße Komponente (b) fällt - sowie weitere Mono-, Oligo- und Polysaccharide in unterge ordneten Mengenanteilen enthält. So wird in D10 auf den Seiten 10/11 beschrieben, dass Lactose mit 80% den hauptsächlichen Kohlenhydratbestandteil der Muttermilch ausmacht, während der Rest aus 20% Oligosacchariden und < 1% Monosacchariden - im wesentlichen Glucose und Fucose - besteht.
Die Angaben in D10 werden im wesentlichen durch D7 bestätigt, wobei dort der Oligosaccharidanteil von Frauenmilch (FM, ie Muttermilch) näher präzisiert wird (Seite 23 rechte Spalte unten "Grundstrukturen von FM-Oligosacchariden" bis Seite 24, rechte Spalte Mitte). Demnach basiert die Oligosaccharid-Grundstruktur auf den Monosaccharideinheiten Glucose, Galactose, N-Acetylglucosamin, N-Acetylgalactosamin, Fucose und
N-Acetylneuraminsäure. Die Kettenlänge variiert von Hexaosen über Octaosen bis zu Dodecaosen. Damit werden auch Polysaccharide ab 7 Monosaccharideinheiten im Sinne der anspruchsgemäßen Komponente c als Inhalts stoffe der Muttermilch umfasst.
Es kann daher als bekanntes Fachwissen vorausgesetzt werden, dass der Kohlenhydratanteil der Muttermilch aus den anspruchsgemäßen Komponenten a, b und c besteht, wobei sich deren Mischungsverhältnisse im beanspruchten Rahmen bewegen, das heißt, der Oligosaccharidanteil b - aufgrund des hohen Lactoseanteils - gegenüber a und c deutlich überwiegt.
Die Kammer sieht D7, das sich mit den strukturellen und funktionellen Aspekten von Oligosacchariden in Muttermilch befasst, als nächstliegenden Stand der Technik an. Darin wird vor allem der gesundheitliche Aspekt der Oligosaccharide im Hinblick auf die Infektabwehr bei gestillten Säuglingen infolge ihrer Wirkung als Inhibitoren der Anhaftung von Bakterien und Viren an Epithelzellen beleuchtet (Seite 22, mittlere Spalte "Zusammenfassung" und Seite 23, linke Spalte). Insbesondere ergibt sich auch aus D7, dass bei der Bildung der Oligosaccharide die Anlagerung von Fucose und/oder Sialinsäure an die Oligosaccharid-Grund strukturen eine wichtige Rolle spielt (Seite 22, linke Spalte, letzter Satz, Seite 24, rechte Spalte, 2. Satz). Daraus kann der Fachmann den Schluss ziehen, dass Fucose und/oder Sialinsäure im Oligosaccharidanteil der Muttermilch die Infektabwehr bei Säuglingen unterstützen, was durch die Aussagen auf Seite 29, linke Spalte, erster Absatz bezüglich E. coli noch unterstrichen wird. Diese Schlussfolgerung wird bezüglich Fucose auch durch die Aussage in D22, Seite 582, linke Spalte unter "Introduction" bestätigt, wonach einige Fucosyloligosaccharide als potente Inhibi toren der bakteriellen Anlagerung an Epithel-Oberflächen wirksam sind.
3.2.3 Hauptantrag, Hilfsanträge 1 bis 3 - Aufgabe und Lösung
Da die Ansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3 substantiell identisch sind und sich vom erteilten Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nur formal durch die wiederaufgenommene Definition der Anzahl der Monosaccharid-Einheiten in den Komponen ten b und c unterscheiden, kann die Betrachtung der erfinderischen Tätigkeit ihres Gegenstandes gemeinsam erfolgen.
In Anbetracht des oben dargelegten Fachwissens kann der Unterschied der beanspruchten Kohlenhydratmischung gegenüber der in D7 beschriebenen Kohlenhydratquelle der Muttermilch nur in der Gewichtsangabe der Fucose von mindestens 1 Gew.-% in freier und/oder gebundener Form gesehen werden.
Dem Argument der Patentinhaberin (Punkt VI), dass die erfindungsgemäße Erkenntnis, den Fucoseanteil zur Erzielung einer besonderen Wirkung mit mindestens 1% zu bestimmen, nicht nahegelegen habe, kann die Kammer nicht folgen. Zum einen lässt sich die positive gesundheitliche Wirkung von Fucose, wie oben dargelegt, bereits aus D7 und D22 ableiten und zum anderen hat die Patentinhaberin weder durch überzeugende Argumente noch durch Vergleichsversuche dargelegt, dass die Bestimmung des Fucosegehalts auf 1 Gew.-% oder mehr in der Kohlenhydratmischung eine Wirkung entfaltet, die über die vom Fachmann ohnehin schon zu erwartende epithelienschützende Wirkung der Fucose hinausgeht.
Daher kann das zu lösende Problem lediglich in der Bereitstellung einer zur Kohlenhydratquelle der Muttermilch, die Fucose in geringerer Menge enthält, weiteren Kohlenhydratmischung gesehen werden.
Die Erhöhung des Gehalts an Fucose, einer der bekannten Schlüsselkomponenten für die Infektabwehr, zur Erzielung einer diesbezüglich optimierten Wirkung muss angesichts des Standes der Technik jedoch als routinemäßiges Handeln des Fachmanns angesehen werden.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag sowie der Hilfsanträge 1 bis 3 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Anträge sind somit nicht gewährbar.
4. Zulassung des Hilfsantrags 4 zum Verfahren
Der verspätet in der mündlichen Verhandlung eingereichte Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag 4 enthält gegenüber dem Hilfsantrag 3 das weitere Erfordernis im Anspruch 1, dass mindestens 1 Gew.-% Sialinsäure in freier und/oder gebundener Form in der Kohlenhydratmischung vorhanden sind.
Nach Auffassung der Kammer kann durch diese Änderung der Einwand des Naheliegens der beanspruchten Erfindung nicht ausgeräumt werden, weil gemäß D7 auch sialylierte Oligosaccharide Bestandteil der Muttermilch sind und aus diesem Dokument (siehe Seite 29, linke Spalte, erster Absatz) bekannt war, dass sie ebenso wie Fucose eine schützende Wirkung gegen pathogene Keime ausüben (siehe obiger Punkt 4.2). Diese Änderung kann somit aufgrund der bekannten Sachlage zur erfinderischen Tätigkeit nichts beitragen.
Der Hilfsantrag 4 wird daher im Hinblick auf Artikel 13(1) VOBk (Abl. 11/2007, 536-547) nicht zum Verfahren zugelassen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.