T 0945/06 () of 10.10.2008

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2008:T094506.20081010
Datum der Entscheidung: 10 October 2008
Aktenzeichen: T 0945/06
Anmeldenummer: 98965683.0
IPC-Klasse: B60T 8/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Elektromechanisches Bremssystem
Name des Anmelders: Continental Teves AG & Co. oHG
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Haupt- und Hilfsantrag (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat am 26. April 2006 gegen die am 30. März 2006 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung mit der das Patent EP 1 032 518 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die schriftliche Begründung ist am 18. Juli 2006 eingegangen.

II. Der Einspruch war insbesondere auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ 1973 gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Basis der in der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2006 eingereichten Ansprüche gemäß Hilfsantrag I nicht entgegenstünden.

Sie hat insbesondere die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt, die auch von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung herangezogen wurden:

E1: WO-A-95/13946

E4: DE-A-40 29 334

III. Am 10. Oktober 2008 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Basis der Ansprüche des Hauptantrags bzw. des Hilfsantrags I jeweils eingereicht während der mündlichen Verhandlung.

IV. Die unabhängigen Ansprüche 1, 2 und 3 gemäß Hauptantrag lauten wie folgt:

"1. Elektromechanisches Bremssystem, insbesondere für Kraftfahrzeuge, mit

einem Pedalmodul (1) zum redundanten Erfassen einer Fahrerbetätigung eines Bremspedals (2) mittels einer geeigneten Sensorik (3),

einer Einrichtung zum Ermitteln eines Bremssollwerts basierend auf Ausgangssignalen der Sensorik (3),

zumindest einem Bremsmodul (7) zum Ansteuern von zumindest einer Radbremse (8, 9) basierend auf dem Bremssollwert,

wobei die Einrichtung zum Ermitteln eines Bremssollwerts in einer Steuereinheit für höhere Funktionen des Bremssystems wie bspw. ABS, ASR, Fahrdynamik-Regelungen, ICC, Bremsassistent, Hillholder vorgesehen ist, die als Zentralmodul (6) ausgebildet ist,

und mit einer Datenübertragungseinheit, die redundant ausgeführt ist und eine direkte Datenverbindung zwischen dem Pedalmodul (1) und der Einrichtung (6), dem Pedalmodul (1) und dem Bremsmodul (7) und dem Bremsmodul und der Einrichtung (6) herstellt, wobei

die Einrichtung (6) eine Fehlererkennungsschaltung aufweist, die einen Fehler bei der Ermittlung des Bremssollwerts erkennt."

"2. Elektromechanisches Bremssystem, insbesondere für Kraftfahrzeuge, mit

einem Pedalmodul (1) zum redundanten Erfassen einer Fahrerbetätigung eines Bremspedals (2) mittels einer geeigneten Sensorik (3),

einer Einrichtung zum Ermitteln eines Bremssollwerts basierend auf Ausgangssignalen der Sensorik (3),

zumindest einem Bremsmodul (7) zum Ansteuern von zumindest einer Radbremse (8, 9) basierend auf dem Bremssollwert,

wobei die Einrichtung zum Ermitteln eines Bremssollwerts in dem Bremsmodul (7) integriert ist,

und mit einer Datenübertragungseinheit, die redundant ausgeführt ist und eine direkte Datenverbindung zwischen dem Pedalmodul (1) und der Einrichtung (6), dem Pedalmodul (1) und einem anderen Bremsmodul (7) und dem anderen Bremsmodul und der Einrichtung herstellt, wobei

die Einrichtung (6) eine Fehlererkennungsschaltung aufweist, die einen Fehler bei der Ermittlung des Bremssollwerts erkennt."

"3. Elektromechanisches Bremssystem insbesondere für Kraftfahrzeuge, mit

einem Pedalmodul (1) zum redundanten Erfassen einer Fahrerbetätigung eines Bremspedals (2) mittels einer geeigneten Sensorik (3), das

eine Einrichtung zum Ermitteln eines Bremssollwerts basierend auf Ausgangssignalen der Sensorik (3) enthält,

zumindest einem Bremsmodul (7) zum Ansteuern von zumindest einer Radbremse (8, 9) basierend auf dem Bremssollwert, und

einer Datenübertragungseinheit, die redundant ausgeführt ist und eine redundante Datenverbindung zwischen dem Pedalmodul (1) und einem ersten Bremsmodul (7) sowie eine nicht redundante Datenverbindung zwischen dem Pedalmodul (1) und einem zweiten Bremsmodul herstellt, wobei die Einrichtung eine Fehlererkennungsschaltung aufweist, die einen Fehler bei der Ermittlung des Bremssollwerts erkennt."

In den unabhängigen Ansprüche 1 und 3 gemäß Hilfsantrag wurde gegenüber den Ansprüchen 1 und 3 gemäß Hauptantrag jeweils das folgende Merkmal hinzugefügt:

"wobei das Bremsmodul (7) eine Fehlererkennung basierend auf lokalen aktorspezifischen Signalen wie beispielsweise Aktorstrom, Aktorposition, Spannkraft durchführt und bei einer Fehlererkennung eine entsprechende Meldung an das Bremssystem ausgibt, sich abschaltet und/oder eine Bremssollwertanpassung durchführt."

In dem unabhängigen Anspruch 2 gemäß Hilfsantrag I wurde gegenüber dem Anspruch 2 gemäß Hauptantrag das folgende Merkmal hinzugefügt:

"wobei die Bremsmodule (7) eine Fehlererkennung basierend auf lokalen aktorspezifischen Signalen wie beispielsweise Aktorstrom, Aktorposition, Spannkraft durchführt und bei einer Fehlererkennung eine entsprechende Meldung an das Bremssystem ausgibt, sich abschaltet und/oder eine Bremssollwertanpassung durchführt."

V. Die Beschwerdeführerin brachte im Wesentlichen Folgendes vor:

a) Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 1 und 17, bzw. 2 und 18 gemäß Hauptantrag verlange, dass mit der redundanten Datenübertragungseinheit (Datenbus 5) eine direkte Datenverbindung zwischen der Einrichtung 6 und den verschiedenen Modulen (Pedalmodul 1, Bremsmodul 7 bzw. anderes Bremsmodul 7) hergestellt werden solle. Für dieses technische Merkmal sei jedoch in der ursprünglich eingereichten Anmeldung D0: WO-A-99/26822 keine eindeutige Offenbarung vorhanden. In den Ausführungsformen des Bremssystems nach den Figuren 1 und 2 von D0 müsse der Fachmann annehmen, dass die separate und unabhängige Einrichtung sich in dem jeweiligen Modul (Fig. 1: Zentralmodul 6; Fig. 2: Bremsmodul 7) befinde. Der Fachmann wisse jedoch nicht, ob innerhalb des jeweiligen Moduls eine direkte, redundante Datenverbindung zu der Einrichtung bestehe. Somit erfüllten die unabhängigen Ansprüche 1 und 17, bzw. 2 und 18 nicht die Anforderungen des Artikels 123 (2) EPÜ.

b) Es werde beantragt, das im Laufe des Einspruchsverfahrens zitierte, aber von der Einspruchsabteilung nicht zugelassene Dokument E20: "Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, Bosch", 22. Auflage, September 1995, Seiten 664, 665, 800, 801 im Beschwerdeverfahren zuzulassen, denn E20 sei in Hinblick auf das durch die Einspruchsabteilung zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit herangezogene Merkmal einer direkten Datenkommunikation der Funktionseinheiten prima facie hoch relevant.

c) Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1, 2, 17 und 18 gemäß Hauptantrag ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Zusammenschau der Dokumente E1, E4 und E20.

d) Auch der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 3 gemäß Hauptantrag beruhe in Anbetracht des in E1 offenbarten Standes der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

e) Das in den unabhängigen Ansprüchen gemäß Hilfsantrag aufgenommene Merkmal sei aus E1 im Wesentlichen bekannt und daher nicht geeignet, eine Erfindung zu begründen.

VI. Zu dem Vorbringen der Beschwerdeführerin lassen sich die Gegenargumente der Beschwerdegegnerin, insofern sie für die vorliegende Entscheidung von Relevanz sind, wie folgt zusammenfassen:

a) In der ursprünglich eingereichten Anmeldung D0 sei eine klare Grundlage für die Ansprüche gemäß Hauptantrag zu finden und diese verstießen nicht gegen die Bestimmungen der Artikel 123 (2) und 123 (3 EPÜ.

b) Wie bereits von der Einspruchsabteilung festgestellt, biete das Dokument E20 keine zusätzlichen, über den Inhalt der sich bereits im Verfahren befindlichen Dokumente hinausgehenden technischen Informationen, und sei deshalb prima facie nicht relevant. Im Einklang mit der Rechtsprechung sollte es daher nicht zugelassen werden.

c) Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 gemäß Hauptantrag werde durch die Dokumente E1, E4 und E20 nicht nahegelegt. Zuerst sei festzustellen, dass E1 kein Pedalmodul im Sinne der Erfindung offenbare, sondern lediglich einen Pedalsensor 5 und ein Pedal 7, das mit einem Hauptbremszylinder 6 verbunden sei. Bremspedal und Hauptbremszylinder stellten zusammen eine sicherheitskritische Komponente dieses elektrohydraulischen Bremssystems dar, denn sie bildeten eine hydraulische Rückfallebene (vgl. E1, Seite 3, Absatz 5). Ihre Anordnung neben dem Bremsmodul 2a sei von sicherheitsrelevanter Bedeutung: bei Ausfall des Bremsmoduls 2a oder bei Ausfall der Pedalsensoreinheit 5 werde der dem Modul 2a zugeordnete Bremskreis mit dem vom Bremspedal erzeugenden Druck verbunden (vgl. Ansprüche 4 und 11; Seite 7, zweiter Absatz und Seite 8, neun letzten Zeilen). Darüber hinaus sei der an das Bremsmodul 2a angehängte Pedalsensor 5 gemäß Figur 1 von E1 nicht redundant und dissimilar aufgebaut und somit nicht dazu geeignet, eine redundante Erfassung der Fahrerbetätigung vorzunehmen. Auch die von diesem Sensor erfassten Signale hp, pz würden weder direkt noch redundant an das Zentralmodul 1 übermittelt. Der Fachmann werde daher nicht veranlasst, das Bremspedal samt Sensorik als unabhängiges Pedalmodul zu gestalten und an den Datenbus direkt anzubinden.

d) Wie bereits von der Einspruchsabteilung festgestellt, werde auch der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 3 gemäß Hauptantrag durch E1 nicht nahegelegt, denn eine Aufteilung zwischen redundanten und nicht-redundanten Datenverbindungen werde in keiner der Entgegenhaltungen suggeriert. Durch die Verwendung eines einfachen Datenbusses für das zweite Bremsmodul, das z.B. die Bremskraft der Hinterachse des Fahrzeugs regele, könnten Kosteneinsparungen ohne wesentliche Sicherheitseinbußen erzielt werden.

e) Das in den unabhängigen Ansprüchen gemäß Hilfsantrag hinzugefügte Merkmal werde durch E1 nicht nahegelegt. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Textstelle (Seite 5, letzter Absatz) sei zu allgemein, um das spezifische Merkmal zu suggerieren. Die Gesamtheit der beanspruchten, bei einer Fehlererkennung des Bremsmoduls durchführbaren Hilfsmaßnahmen (Meldung an das Bremssystem, Abschaltung, Bremssollwertanpassung) ließen sich aus E1 nicht herleiten.

Entscheidungsgründe

2. Die Beschwerde ist zulässig.

3. Hauptantrag; Zulässigkeit der Änderungen

Um dem Einwand einer unzulässigen Änderung in der Fassung der unabhängigen Ansprüche 1 und 19 gemäß Zwischenentscheidung zu begegnen (Artikel 123 (2) EPÜ) und gleichzeitig die in der Entscheidung G 1/99 (ABl. EPA 8-9/2001, Seite 381) festgelegten Anwendungsregeln zum Verbot der Reformatio in pejus zu berücksichtigen, wurden im Hauptantrag die unabhängigen Ansprüche 1 und 19 gemäß Zwischenentscheidung jeweils in zwei unabhängige Ansprüche 1 und 2, bzw. 17 und 18 aufgeteilt, wobei die unabhängigen Ansprüche 1 und 17 sich auf die Ausführungsform nach der Figur 1 der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung (D0: WO-A-99/26822) und die unabhängigen Ansprüche 2 und 18 auf die Ausführungsform nach der Figur 2 von D0 stützen. Die Ausführungsformen nach den Figuren 3 und 4 sind nicht mehr Gegenstand der beanspruchten Erfindung.

In dem unabhängigen Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist präzisiert worden, dass die Einrichtung in einer Steuereinheit für höhere Funktionen vorgesehen ist, die als Zentralmodul ausgebildet ist. Diese Merkmale sind wortwörtlich aus den Ansprüchen 2 und 3 von D0 übernommen worden.

In dem unabhängigen Anspruch 2 gemäß Hauptantrag ist präzisiert worden, dass die Einrichtung in dem Bremsmodul integriert ist. Dieses Merkmal stammt ebenfalls aus dem Anspruch 3 der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung D0. Um klarzustellen, dass die "direkte Datenverbindung" sich nicht auf das die Einrichtung integrierende Bremsmodul und dasselbe Bremsmodul bezieht, ist im Anspruch ein "anderes Bremsmodul" definiert.

Die von der Beschwerdeführerin vertretene Ansicht, dass die unabhängigen Ansprüche 1 und 17, bzw. 2 und 18 gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ verstießen, ist nicht nachvollziehbar. In dem vorletzten Absatz der Seite 3 der ursprünglich eingereichten Anmeldung D0 heißt es, "durch das Vorsehen des Datenbusses, welcher die einzelnen Module direkt verbindet, [kann] die Wegstrecke der Übertragung von Analogsignalen minimiert werden". Somit wurde ursprünglich offenbart, dass es sich um eine direkte Datenverbindung zwischen den einzelnen Modulen handelt. Diese Textstelle stellt in Verbindung mit der Figur 1 und dem Merkmal der ursprünglich eingereichten Ansprüche 2 und 3, wonach die Einrichtung in einer Steuereinheit vorgesehen ist, die als Zentralmodul ausgebildet ist, eine klare Grundlage für den von der Beschwerdeführerin beanstandeten Wortlaut der Ansprüche 1 und 17, bzw. 2 und 18 dar.

Gleiches gilt für den Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 2 in Verbindung mit der Ausführungsform nach der Figur 2 von D0, denn im vorletzten Absatz der Seite 6 von D0 ist erwähnt, dass "die Fig. 2 enthält eine kostengünstige Variante des Bremssystems, bei der die Zentralmodulfunktion in einem Bremsmodul 7 vorgesehen ist".

4. Hauptantrag; erfinderische Tätigkeit

4.1 Stand der Technik; Zulassung des Dokuments E20

E20 ist ein Auszug aus einem kraftfahrzeugtechnischen Fachbuch mit nachgewiesenem Veröffentlichungsdatum. Das Dokument ist in Hinblick auf die Funktionssicherheit und den architektonischen Aufbau von modularen Funktionseinheiten in Kraftfahrzeugsystemen, sowie der Art der Datenkommunikation zwischen den verschiedenen modularen Funktionseinheiten, auch nicht zuletzt aufgrund der in den Ansprüchen gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag durchgeführten Änderungen, prima facie von besonderer Bedeutung.

Die Kammer hat daher in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 114 (2) EPÜ das Dokument E20 in das Beschwerdeverfahren eingeführt.

4.2 Der nächstkommende Stand der Technik ist unbestritten in E1 wiedergegeben.

Die El offenbart ein elektromechanisches Bremssystem mit einem Bremspedal 7 und eine Sensorik 5, zum Erfassen (Weg und Pedalkraftmessung) einer Fahrerbetätigung (vgl. Seite 3, zweiter Absatz und Fig. 1). Basierend auf den Ausgangssignalen der Sensorik 5 wird in einer Einrichtung (Zentralmodul 1) ein Bremssollwert (Solldruckwerte) ermittelt (vgl. Seite 3, letzter Absatz bis Seite 4, Zeile 3). Das bekannte Bremssystem beinhaltet auch Bremsmodule 2a, 2b zum Ansteuern von zumindest einer Radbremse basierend auf dem Bremssollwert (vgl. Seite 2, dritter Absatz, neun ersten Zeilen; Seite 4, erster Absatz, Zeilen 3-8). Die Einrichtung zum Ermitteln eines Bremssollwertes ist in einer Steuereinheit für höhere Funktionen des Bremssystems wie bspw. ABS, ASR Fahrdynamikregelungen vorgesehen (Seite 2, erster Absatz) und als Zentralmodul 1 ausgebildet. Mittels eines redundanten Datenbusses 3 (vgl. Seite 2, zweiter Absatz) ist eine direkte Datenverbindung zwischen dem Zentralmodul 1 und den Bremsmodulen 2a,2b und eine Datenverbindung zwischen dem Pedalsensor 5 und dem Zentralmodul 1 (vgl. Seite 3, vorletzte Zeile bis Seite 4, Zeile 1 und Fig. 1: hp,pz) hergestellt. Es besteht auch eine Datenverbindung zwischen dem Pedalsensor 5 und dem Bremsmodul 2a (Seite 4, letzter Absatz i.V.m. Seite 8, zweiter Absatz). Das Zentralmodul 1 verfügt über eine Fehlererkennungsschaltung, die einen Fehler bei der Ermittlung des Bremssollwertes erkennt (Seite 2, erster Absatz "zentrale Überwachung" i.V.m. Seite 4, zweiter Absatz).

4.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von diesem Stand der Technik dadurch, dass der Pedalsensor und das Bremspedal zu einem unabhängigen Modul zusammengefasst werden, das direkt an der Datenübertragungseinheit angebunden ist, wobei die vom Pedalsensor erfassten Daten redundant übertragen werden.

4.4 Ein durch diese unterscheidenden Merkmale bewirkter Effekt ist, dass die für die Fahrerbetätigung repräsentativen Signale auch bei einem Ausfall des Bremsmoduls weiterhin zur Berechnung des Bremssollwerts übermittelt werden können.

4.5 Aus dem sich ergebenden Unterschied des Anspruchsgegenstands gegenüber diesem Stand der Technik kann somit als objektive Aufgabe angesehen werden, das aus E1 bekannte Bremssystem so weiterzuentwickeln, dass es vollelektrisch arbeitet und eine ausfallsichere und installationsfreundliche Architektur besitzt (vgl. Absatz [0005] der Patentschrift).

4.6 E4 beschreibt eine Pedaleinheit in modularer Bauweise (Spalte 1, Zeile 25) mit einer Sensorik zur redundanten Erfassung einer Fahrerbetätigung (vgl. die zweifachen Potentiometer 9,10 und den Schwellwertschalter 11 in Fig. 1). Die Ausgangssignale der Sensorik dieses redundant aufgebauten Pedalmoduls (Spalte 1, Zeilen 32-52) werden an einen Datenbus 4 abgegeben (Spalte 2, Zeilen 50-56).

4.7 E20 zeigt, dass in der Fahrzeugtechnik das direkte Anschließen mehrerer gleichberechtigter Funktionseinheiten, wie bspw. das im E4 offenbarte Pedalmodul, nach dem "Multi-master"-Prinzip an einen linearen (CAN-)Datenbus eine fachübliche Maßnahme darstellt (vgl. E20, Seite 880, "Buskonfiguration").

4.8 In E1 wird schon angedeutet, dass das hierin offenbarte Bremssystem auch in einer rein elektrischen Bremsanlage Verwendung finden kann (Seite 10, letzter Absatz, letzter Satz). Angesicht der naheliegenden Feststellung, dass ein mehrkreisig vollelektrisches Bremssystem bei ausreichender Sicherheit keine hydromechanischen, pneumatischen oder hydraulischen Rückhaltekomponenten, wie z.B. Hauptzylinder 6, benötigt (vgl. E20, Seite 664, Absatz "Aufbau", Zeilen 6-10 dieses Absatzes), drängt sich der Gedanke auf, dass im Rahmen einer solchen vollelektrischen Ausführung des aus E1 bekannten Bremssystems das Bremspedal 7 und die dazugehörige Sensorik 5 nicht mehr neben dem entbehrlich gewordenen hydraulischen Hauptzylinder 6, d.h. neben dem Bremsmodul 2a, angeordnet werden brauchen. Es bedurfte daher nach Auffassung der Kammer keiner erfinderischen Tätigkeit, das Bremspedal 7 samt Pedalsensorik 5 zu einem unabhängigen installationsfreundlichen, redundant aufgebauten Pedalmodul zusammenzufassen, wie aus E4 an sich bekannt, und dieses Modul gemäß E20 direkt an den redundanten Datenbus 3 anzubinden. Dass bei einer solchen Anordnung die redundant erfassten Daten der Pedalsensorik redundant an das Zentralmodul übertragen werden, ist eine Selbstverständigkeit.

4.9 Daraus folgt, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruht und die Erfordernisse der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ 1973 nicht erfüllt.

4.10 Nachdem Anspruch 1 des Hauptantrags nicht gewährbar ist, kann das Patent auch nicht in Hinblick auf die übrigen unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags aufrechterhalten bleiben, da der Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents gemäß Hauptantrag als ein Ganzes zu betrachten ist und diesem nicht stattgegeben werden kann, wenn nur ein einziger unabhängiger Anspruch dieses Antrages die Erfordernisse des EPÜ nicht erfüllt.

Es erübrigt sich daher, detailliert auf die Gewährbarkeit der übrigen unabhängigen Ansprüche einzugehen. Der Vollständigkeit halber möchte jedoch die Kammer hinzufügen, dass sie keine erfinderische Tätigkeit im Gegenstand der anderen unabhängigen Ansprüche 2 und 3 erkennen kann. Der Anspruch 2 beruht auf einem ähnlichen konzeptionellen Gedanken wie Anspruch 1 und der Gegenstand des Anspruchs 3 unterscheidet sich vom Stand der Technik gemäß E1 durch eine Aufteilung der Datenübertragungseinheit in redundante und nicht redundante Verbindungsstrecken je nachdem, welches Bremsmodul verbunden werden soll. Wenn eine kostengünstigere Kommunikationsstruktur des Bremssystems geschaffen werden soll, erscheint es naheliegend, auf die Redundanz bestimmter nicht sicherheitskritischer Verbindungen zu verzichten, zumal E1 die Redundanz der Verbindungen ohnehin als Option offenbart hat.

5. Hilfsantrag

5.1 In den unabhängigen Ansprüchen 1, 2 und 3 gemäß Hilfsantrag wurde gegenüber den Ansprüchen 1, 2 und 3 gemäß Hauptantrag jeweils das Merkmal des ursprünglich eingereichten abhängigen Anspruchs 13 hinzugefügt. Die Beschwerdeführerin hatte gegen die Zulässigkeit dieser Ansprüche nichts einzuwenden.

5.2 Erfinderische Tätigkeit

In E1 ist bereits vorgesehen, dass die Bremsmodule redundant realisiert werden und dass die für die Bremsung der Räder erforderlichen Funktionen auf zwei Kanäle aufgeteilt und durch die redundant ausgeführten Mikrorechner des Bremsmoduls gegenseitig überwacht werden (Seite 3, dritter Absatz). Tritt ein Fehler oder Ausfall im Bremsmodul auf, so führt dies zu seiner Abschaltung (Seite 5, letzter Absatz).

Im Anbetracht dieser Lehre von E1 ist das in den unabhängigen Ansprüchen gemäß Hilfsantrag hinzugefügte Merkmal nicht geeignet, eine Erfindung zu begründen, zumal bei der Gesamtheit der beanspruchten Hilfsmaßnahmen (Meldung an das Bremssystem, Abschaltung, Bremssollwertanpassung) die Beschwerdegegnerin nicht klargestellt hat, ob sie kumulativ oder als Alternativen zu verstehen sind.

Daraus folgt, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruht und somit die Erfordernisse der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ 1973 nicht erfüllt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

- Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

- Das Patent wird widerrufen.

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