European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2008:T077106.20081016 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 16 October 2008 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0771/06 | ||||||||
Anmeldenummer: | 02792988.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | B61L 27/04 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Dezentrales System zur vollautomatischen Durchführung von Transportdienstleistungen | ||||||||
Name des Anmelders: | CargoCap GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Klarheit der Ansprüche (bejaht) Änderungen - Erweiterungen (verneint) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 02 792 988.4 zurückgewiesen worden ist.
II. Die Zurückweisung, die auf den Bescheid vom 19.07.2005 Bezug nahm, wurde wie folgt begründet:
- "Die mit Schreiben vom 18. Februar 2005 eingereichten Änderungen bringen Sachverhalte ein, die im Widerspruch zu Artikel 123(2) EPU über den Offenbarungsgehalt der Anmeldung im Anmeldezeitpunkt hinausgehen" (siehe Absatz 2);
- "Selbst bei Unterstellung der Gewährbarkeit der Ansprüche 1, 2 und 10 unter Artikel 123(2) EPU, wären diese Ansprüche unklar und folglich nicht gewährbar unter Artikel 84 EPU" (siehe Absatz 3);
- "Zwar sind die vorliegenden Ansprüche 1-13 so unklar, dass keine klare und abschliessende Bestimmung des gewünschten Schutzbereiches und damit zur Erörterung der Neuheit und erfindrischen Tätigkeit derzeit möglich ist, so scheint dennoch zumindest der Gegenstand der Ansprüche 1-10 durch die Druckschrift DE 34 34 268 (Referenz Dl) neuheitsschädlich vorweggenommen zu sein" (siehe Absatz 4).
III. Mit Schreiben vom 12. September 2008 reichte die Beschwerdeführerin vier Anspruchssätze ein, die als Hauptantrag und erste bis dritte Hilfsanträge betrachtet werden sollten. Weiterhin wurden neue Beschreibungsseiten 3, 3a und 6 eingereicht, die für alle Anträge gelten sollten.
IV. Während einer mündlichen Verhandlung vor der Kammer, die am 16. Oktober 2008 stattfand, wurden neue Ansprüche 1 bis 10 eingereicht.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 10, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 16. Oktober 2008, zu erteilen.
VI. Anspruch 1 lautet wie folgt, wobei die Bezugszeichen a) bis l) nicht dem Anspruch gehören, sonder zur vereinfachten Verweisung von der Beschwerdekammer hinzugefügt wurden:
a) "System zur Durchführung von Transportdienstleistungen zwischen einer Station (7) zur Güterversendung und mindestens einer weiteren Station (7) zum Güterempfang, bestehend aus einem Transportnetz (25),
b) das mindestens teilweise als Fahrrohrleitung ausgeführt ist,
c) Stationen (7,15) mit Mitteln zum Senden und Empfangen von Gütern, fahrerlosen Transportfahrzeugen, Informationsverarbeitungsmitteln zur Steuerung der Transportfahrzeuge und mindestens einem Depot (15) zur Aufnahme und Abgabe von Transportfahrzeugen,
d) wobei die Informationsverarbeitungsmittel verteilt sind auf Transportnetz (25), Transportfahrzeuge, Stationen (7,15) und Depot,
e) wobei die in den Transportfahrzeugen enthaltenen Informationsverarbeitungsmittel Mittel (29,30,32) aufweisen zur Steuerung des jeweiligen Fahrzeugs, zur Datenspeicherung und -verarbeitung und zur Kommunikation mit anderen Systemteilen und/oder einem Bediener,
f) wobei in dem Transportnetz (25), den Transportfahrzeugen, den Stationen (7,15) und dem mindestens einen Depot jeweils Informationsübertragungsmittel zur Datenkommunikation zwischen den Informationsverarbeitungsmitteln vorgesehen sind,
g) wobei die Transportfahrzeuge jeweils eine Vorrichtung zur Aufnahme von Gütern aufweisen sowie Sensoren (28,31), Antriebs- und Bremsaktoren (35,36) und Individual-Fortbewegungsmittel enthalten und
h) wobei jede Station Mittel (2,4,11,12) zum Senden und Empfangen von Gütern aufweist, so dass Gütertransport zwischen je zwei beliebigen Stationen (7) vorgesehen ist,
i) dadurch gekennzeichnet, dass die Transportfahrzeuge als eigenständige, sich selbst steuernde Subsysteme agieren,
j) derart, dass ihre Informationsverarbeitungsmittel die sensorisch erfassten, Umgebungs- und Zustandssignalen in Bezug auf das vorgegebene Fahrverhalten analysieren und zwischen den Alternativen einer Geschwindigkeits- oder Abstandsregelung entscheiden,
k) dass zur Bestimmung der aktuellen Verkehrssituation durch die Fahrzeuge selbst in den Transportfahrzeugen Mittel (32) zur eigenständigen fortlaufenden Positionsbestimmung enthalten sind und in den Transportfahrzeugen jeweils Mittel (29) enthalten sind zur Kommunikation mit weiteren Transportfahrzeugen,
l) wobei die in den Transportfahrzeugen enthaltenen Informationsverarbeitungsmittel Mittel (32) enthalten zur Anpassung der Geschwindigkeit der Transportfahrzeuge auf eine für alle Transportfahrzeuge gleiche, vorgegebene Sollgeschwindigkeit und/oder auf die Einhaltung eines Mindestabstandes zwischen jeweils zwei Transportfahrzeugen durch Einwirken auf die Antriebs- (35) oder Bremsaktoren (36)."
VII. Die Ansprüche 2 bis 10 sind von Anspruch 1 abhängig.
VIII. Im Wesentlichen gab die Beschwerdeführerin zu bedenken, dass die geänderten Ansprüche keinen Sachverhalt einbrächten, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausginge, dass sie klar seien und, dass ihr Gegenstand gegenüber Dokument D1 neu sei.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen, Artikel 123(2) EPÜ
2.1 Die Merkmale des geltenden Anspruchs 1 haben eine Basis in den folgenden Teilen der ursprünglich eingereichten Anmeldung (siehe Veröffentlichung WO 03/049985 A1):
- Merkmal a): Anspruch 1.
- Merkmal b): Anspruch 31.
- Merkmal c): Anspruch 1.
- Merkmal d): Anspruch 1.
- Merkmal e): Anspruch 2.
- Merkmal f): Anspruch 1.
- Merkmal g): Anspruch 1.
- Merkmal h): Anspruch 1.
- Merkmal i): Anspruch 2.
- Merkmal j): Seite 23, Zeilen 26 bis 31.
- Merkmal k): Seite 7, Zeilen 4 bis 14, sowie Ansprüche 4 und 6.
- Merkmal l): Anspruch 8.
2.2 Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 haben eine Basis jeweils in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 5, 9, 12, 13, 14, 23, 41, 42 und 26.
2.3 Die in der angefochtenen Entscheidung unter Artikel 123(2) EPÜ erhobenen Einwände (siehe Bescheid vom 19.07.2005) wurden durch die vorgenommenen Änderungen beseitigt.
2.4 Die Beschwerdekammer ist daher zur Auffassung gekommen, dass die geänderten Ansprüche keinen Sachverhalt einbringen, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
3. Klarheit, Artikel 84 EPÜ
3.1 Das System gemäß Anspruch 1 besteht laut Merkmalen a) und c) unter anderem aus "Stationen (7,15) mit Mitteln zum Senden und Empfangen von Gütern". Laut Merkmal a) ist der Zweck des Systems "zur Durchführung von Transportdienstleistungen zwischen einer Station (7) zur Güterversendung und mindestens einer weiteren Station (7) zum Güterempfang". Diese Zweckangabe definiert den Anfangspunkt und den Endpunkt einer bestimmten Transportdienstleitung und enthält keine Aussage über die Ausbildung der einzelnen Stationen (d.h. Sendestation oder Empfangsstation). Diese Zweckangabe steht daher nach Meinung der Kammer nicht im Widerspruch zu der Formulierung "Stationen (7,15) mit Mitteln zum Senden und Empfangen von Gütern".
3.2 In Merkmal b), wonach das System "aus einem Transportnetz (25), das mindestens teilweise als Fahrrohrleitung ausgeführt ist" besteht, wurde auf die Formulierung im ursprünglichen Anspruch 31 zurückgegriffen. Der Begriff "Fahrrohrleitung" mag vielleicht keine allgemein bekannte Definition haben. Aus der Anmeldung geht aber hervor (siehe Seite 13, Zeilen 27 bis 33 und Seite 14, Zeilen 13 bis 27), dass die sogenannte "Fahrrohrleitung" eine Rohrleitung ist, die von Transportfahrzeugen befahrbar ist. So wird der Begriff "Fahrrohrleitung" von der Kammer ausgelegt.
3.3 Die von der Prüfungsabteilung beanstandete Formulierung "Stationen (7,15) mit Mitteln zum Senden und Empfangen von Gütern und Depot" lautet gemäß Merkmal d) jetzt vollständig "wobei die Informationsverarbeitungsmittel verteilt sind auf Transportnetz (25), Transportfahrzeuge, Stationen (7,15) und Depot". Die Beschwerdekammer ist der Auffassung, dass diese Formulierung grammatikalisch richtig und klar ist.
3.4 Alle weiteren Klarheitseinwände der Prüfungsabteilung wurden durch Änderungen behoben.
3.5 Die Kammer sieht daher keinen Grund mehr, die Klarheit der Ansprüche zu bezweifeln.
4. Neuheit gegenüber Druckschrift D1, Artikel 54 EPÜ
4.1 Die Druckschrift D1 offenbart "ein Verfahren zur dezentralen Steuerung von streckengebundenen selbst-angetriebenen Fahrzeugen und auf den Fahrzeugen auszuführenden Funktionen" (siehe Seite 6, Zeilen 15 bis 19). Als "Anwendungsgebiete sind bevorzugt Einschienhängebahnen und fahrerlose Transportsysteme" angegeben (siehe Zusammenfassung).
4.2 In der Terminologie des Anspruchs 1 offenbart D1 (vgl. beanspruchtes Merkmal a)) ein System zur Durchführung von Transportdienstleistungen (siehe Seite 8, Zeilen 32 bis 36, und Zusammenfassung) zwischen einer Station (Zielstation ZST) zur Güterversendung und mindestens einer weiteren Station ZST zum Güterempfang (siehe Zusammenfassung und Seite 15, Zeilen 12 bis 17).
4.3 Das System gemäß D1 besteht (vgl. beanspruchte Merkmale a) und c)) aus:
- einem Transportnetz (Streckenabschnitte ST1, ST2, usw. und Weichen W1, W2, usw., siehe Seite 9, Zeilen 9 bis 18 und Figur),
- Stationen mit Mitteln zum Senden und Empfangen von Gütern (Zielstationen ZST),
- fahrerlosen Transportfahrzeugen Z,
- Informationsverarbeitungsmitteln ESE, ESP, WG, WGSP, ZTSG, FSE, FG, FGSP zur Steuerung der Transportfahrzeuge und
- ein Depot zur Aufnahme und Abgabe von Fahrzeugen (Eingabestelle EST, siehe Seite 9, Zeilen 20 bis 27 und Seite 11, Zeilen 28 bis 30).
4.4 Die Informationsverarbeitungsmittel sind verteilt auf (vgl. beanspruchtes Merkmal d)):
- das Transportnetz (Sende-/Empfangseinrichtung WES, Weichengerät WG und Speichereinrichtung WGSP des Weichenstellung dienendes Geräts WST-W1, siehe Seite 9, Zeilen 29 bis 34),
- die Transportfahrzeuge (Sende-/Empfangseinrichtung FSE, Fahrzeuggerät FG, überschreibbarer Speicher FGSP und Steuergerät FSTG, siehe Seite 10, Zeilen 7 bis 16),
- die Stationen mit Mitteln zum Senden und Empfangen von Gütern (Zielstationen ZST, Zielstationsgerät ZSTG, Sende-/Empfangseinrichtung STSE, Streckengerät SG, überschreibbarer Speicher SGSP und ortsfeste Steuerung SST, siehe Seite 9, Zeile 36 bis Seite 10, Zeile 5) und
- das Depot (Sende-/Empfangseinrichtung ESE, Eingabegerät EG und überschreibbarer Speichereinrichtung ESP, siehe Seite 9, Zeilen 25 bis 27).
4.5 Die in den Transportfahrzeugen enthaltenen Informationsverarbeitungsmittel weisen Mittel auf (vgl. beanspruchtes Merkmal e)):
- zur Steuerung des jeweiligen Fahrzeugs (Steuergerät FSTG),
- zur Datenspeicherung (überschreibbarer Speicher FGSP) und -Verarbeitung (Fahrzeuggerät FG) und
- zur Kommunikation (Sende-/Empfangseinrichtung FSE) mit anderen Systemteilen und/oder einem Bediener.
4.6 In dem Transportnetz ST1, ST2, usw., den Transportfahrzeugen Z, den Stationen ZST und dem Depot EST sind jeweils Informationsübertragungsmittel (WES, FSE, STSE, ESE) zur Datenkommunikation zwischen den Informationsverarbeitungsmitteln vorgesehen(vgl. beanspruchtes Merkmal f)).
4.7 Die Transportfahrzeuge enthalten (vgl. beanspruchtes Merkmal g)) jeweils eine Vorrichtung zur Aufnahme von Gütern (siehe Seite 14, Zeilen 20 bis 27 und Seite 15, Zeilen 12 bis 17) sowie Sensoren und Aktoren (implizit) und Individual-Fortbewegungsmittel (siehe Seite 12, Zeilen 6 bis 14 und Seite 13, Zeilen 22 bis 32).
4.8 Jede Station ZST weist (vgl. beanspruchtes Merkmal h)) Mittel zum Senden und Empfangen von Gütern auf, so dass Gütertransport zwischen je zwei beliebigen Stationen ZST vorgesehen ist (siehe Seite 15, Zeilen 12 bis 17).
4.9 D1 offenbart (Seite 12, Zeilen 6 bis 12), dass "das Fahrzeug von der Eingabestelle EST einen Fahrbefehl [erhält]. Dieser Fahrbefehl enthält auch eine Angabe über die zu fahrende Geschwindigkeit. Auf dem Fahrzeug wird dieser Fahrbefehl- dem Steuergerät FSTG zugeleitet, das veranlasst, dass der Antrieb eingeschaltet und ggf. auf einer bestimmten Geschwindigkeit gehalten wird". Somit ist in D1 offenbart, dass die Transportfahrzeuge eine Geschwindigkeitsregelung durchführen.
4.10 Anders als bei der vorliegenden Anspruch 1 (vgl. Merkmal b)) ist in D1 nicht explizit offenbart, dass das Transportnetz "mindestens teilweise als Fahrrohrleitung ausgeführt ist". Weiterhin wird bei D1 nicht, wie beansprucht, zwischen den Alternativen einer Geschwindigkeits- oder Abstandsregelung entschieden (vgl. Merkmal j)). Bei D1 wird das Auffahren eines Fahrzeugs auf ein voranfahrendes Fahrzeug nicht durch Abstandsregelung, sondern durch Blocksicherung verhindert (siehe Seite 11, Zeilen 12 bis 18). Weiterhin offenbart D1 nicht, dass, zur Bestimmung der aktuellen Verkehrssituation durch die Fahrzeuge selbst, in den Transportfahrzeugen Mittel zur eigenständigen fortlaufenden Positionsbestimmung und Mittel zur Kommunikation mit weiteren Transportfahrzeugen enthalten sind (vgl. Merkmal k)). Aus diesen Gründen ist die Beschwerdekammer zur Auffassung gekommen, dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 im Sinne von Artikel 54 EPÜ neu ist gegenüber Dokument D1.
5. Aus dem Bescheid der Prüfungsabteilung vom 19 Juli 2005 und folglich auch aus der angefochtenen Entscheidung geht klar hervor, dass die Prüfung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit nicht vollständig durchgeführt wurde. Deshalb hält es die Beschwerdekammer für zweckmäßig, die Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.