European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2008:T066306.20080201 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 01 Februar 2008 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0663/06 | ||||||||
Anmeldenummer: | 02016144.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | B66B 11/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Antrieb für einen Aufzug | ||||||||
Name des Anmelders: | INVENTIO AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | ORONA E.I.C S. Coop. | ||||||||
Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erweiterung des Schutzbereichs: (Haupt- und Hilfsantrag) - ja | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Teilanmeldung Nr. 02016144.4 aus der früheren Anmeldung Nr. 99112634.3 mit Priorität vom 13. Juli 1998 wurde das europäische Patent Nr. 1 249 424 mit 10 Ansprüchen erteilt. Der Anspruch 1 lautet:
"Aufzugsantriebseinheit mit einem Getriebe (2), bei dem in einem Getriebegehäuse (18) eine Eintriebswelle (19) und eine horizontale Abtriebswelle (35), die sich in einem rechten Winkel überkreuzen, gelagert sind, und einem Motor (1), der die Eintriebswelle (19) in Drehung versetzt, dessen Motorachse axial zur Eintriebswelle (19) ausgerichtet ist, einer Bremse (3, 4, 5), die zwischen dem Motor (1) und dem Getriebe (2) angeordnet ist und mit der Eintriebswelle (19) wirkverbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Motor (1) über sein Motorgehäuse (24) sowie die Bremse (3, 4, 5) mit dem Getriebegehäuse (28) verbunden ist."
II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikels 100 a) EPÜ, Einspruch eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt. Nach Ablauf der Einspruchsfrist wurde als weiterer Einspruchsgrund eine Verletzung des Artikels 76 (1) EPÜ gerügt.
III. Die Einspruchsabteilung ließ den verspätet vorgebrachten Einspruchsgrund zum Verfahren zu und hielt das Patent mit ihrer am 7. März 2006 zur Post gegebenen Entscheidung in geändertem Umfang aufrecht.
Sie kam zu dem Ergebnis, daß die Änderungen des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 zulässig waren und dessen Gegenstand die Erfordernisse der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf den entgegengehaltenen Stand der Technik erfüllte.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 28. April 2006 Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt und am 26. Juni 2006 die Beschwerdebegründung eingereicht, in der weiterer Stand der Technik zitiert war.
V. Die Beschwerdekammer hat in ihrem Bescheid vom 25. Oktober 2007 ihre vorläufige Einschätzung der Sachlage mitgeteilt, wonach über die Zulassung der neuen Entgegenhaltungen zum Verfahren in der mündlichen Verhandlung zu entscheiden sein werde. Die Zulässigkeit der Änderungen im unabhängigen Anspruch sei fraglich. Neuheit und erfinderische Tätigkeit würden nur bei Vorlage eines formal zulässigen Antrags zu diskutieren sein.
VI. Am 1. Februar 2008 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in der die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) je einen neuen Haupt- und Hilfsantrag einreichte.
Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 249 424.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf Basis des Hauptantrags oder des Hilfsantrags vom 1. Februar 2008.
Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Seilaufzug mit einer Aufzugsantriebseinheit mit einem Getriebe (2), bei dem in einem Getriebegehäuse (18) eine Eintriebswelle (19) und eine horizontale Abtriebswelle (35), die sich in einem rechten Winkel überkreuzen, gelagert sind, und einem Motor (1), der die Eintriebswelle (19) in Drehung versetzt, dessen Motorachse axial zur Eintriebswelle (19) ausgerichtet ist, einer Bremse, die zwischen dem Motor (1) und dem Getriebe (2) angeordnet ist und mit der Eintriebswelle (19) wirkverbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Motor (1) über sein Motorgehäuse (24) an das Getriebegehäuse (28) gekoppelt ist, wobei das Getriebegehäuse einen sich nach oben erstreckenden Flanschkragen (8) aufweist, welcher die Bremstrommel (5) enthält, wobei der Flanschkragen (8) mit einer Flanschplatte (38) abgeschlossen ist, auf welcher der Motor (1) angeschraubt ist, wobei der Motor einen Schrägstellungswinkel (beta) zur Vertikalen aufweist und wobei das Motorgehäuse und eine Motor/Schneckenwelle (19) am Getriebegehäuse abgestützt sind und wobei die Aufzugsantriebseinheit in einem Schacht angeordnet ist."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag stimmt bis zum Merkmal "wobei das Motorgehäuse und eine Motor/Schneckenwelle (19) am Getriebegehäuse abgestützt sind" mit dem nach Hauptantrag überein und lautet weiter:
"... wobei die Aufzugsantriebseinheit auf einer horizontalen Traverse (13) in einem Schacht angeordnet ist und wobei das Motorgehäuse ein Statorpaket (23) mit Statorwicklung umfasst, die in den Flanschkragen hineinragen."
VII. Die Beschwerdeführerin brachte u.a. vor, der jeweilige Anspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag sei durch die Aufnahme weiterer Merkmale so eingeschränkt worden, dass die weggelassenen Merkmale durch diese Beschränkung gedeckt seien.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) argumentierte, die vorgenommenen Änderungen seien nicht zulässig, da nun anderer Gegenstand beansprucht werde als der des erteilten oder im Einspruch aufrecht erhaltenen Anspruchs 1.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen (Artikel 123 (3) EPÜ
2.1 Nach Artikel 13 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.
Da die geänderten Anträge erst zum fast spätest denkbaren Zeitpunkt, nämlich im Lauf der Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgelegt wurden, übt die Kammer ihr Ermessen dahingehend aus, dass sie so späte Anträge nur zum Verfahren zulässt, wenn sie prima facie gewährbar erscheinen. Daraus folgt, dass sie zumindest zweifelsfrei die formalen Voraussetzungen erfüllen müssen.
2.2 Im jeweiligen Anspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag wurde das Merkmal des erteilten Anspruchs 1:
"dass der Motor (1) über sein Motorgehäuse (24) sowie die Bremse (3, 4, 5) mit dem Getriebegehäuse (28) verbunden ist"
ersetzt durch:
"dass der Motor (1) über sein Motorgehäuse (24) an das Getriebegehäuse (28) gekoppelt ist".
Jeweils im folgenden Merkmal heißt es:
"wobei das Getriebegehäuse einen sich nach oben erstreckenden Flanschkragen (8) aufweist, welcher die Bremstrommel (5) enthält".
2.3 Weitere Angaben, die die Verbindung des Motors über sein Motorgehäuse sowie die Bremse mit dem Getriebegehäuse spezifizieren könnten, sind im geänderten Anspruch nicht enthalten. Hierzu ist auch aus dem Oberbegriff des Anspruchs nichts herzuleiten, denn dort ist nur angegeben, dass die Bremse zwischen dem Motor und dem Getriebe angeordnet ist, ohne eine Wirkverbindung von Motor und Bremse zu implizieren, denn diese wurde ja im erteilten Anspruch im kennzeichnenden Teil spezifiziert.
Die fehlende Angabe ist auch dem Folgemerkmal im kennzeichnenden Teil nicht entnehmbar, denn dort wird lediglich die Aufnahme der Bremstrommel im Flanschkragen charakterisiert, ohne die Wirkverbindung im erteilten Anspruch zu beschreiben oder weiter einzuschränken "dass der Motor über ... die Bremse mit dem Getriebegehäuse verbunden ist". Somit ist ein wesentliches Merkmal weggelassen worden.
2.4 Das Ersetzen von "verbunden" durch "gekoppelt" mag aus fachmännischer Sicht als Verwendung eines Synonyms gelten und damit zulässig sein. Jedoch führt das Weglassen des einschränkenden Merkmals zu einer Erweiterung des Schutzbereichs, da nun ein Gegenstand beansprucht wird, bei dem der Motor über sein Motorgehäuse in irgendeiner Weise an das Getriebegehäuse gekoppelt ist, wobei offenbleibt, ob dies auch "über die Bremse" geschieht. Die Erweiterung des Schutzbereichs des jeweiligen Anspruchs 1 stellt einen Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ dar, woraus folgt, dass der neu vorgelegte Haupt- sowie der Hilfsantrag schon prima facie zumindest nicht dieses formale Erfordernis für die Zulassung zum Verfahren erfüllen.
3. Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die Änderungen im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius zulässig sind, oder der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs das Erfordernis des Artikels 76 (1) EPÜ erfüllt, was ebenfalls nicht zweifelsfrei feststeht. Jedenfalls liegt schon aus vorgenanntem Grund wegen Verstoßes gegen Artikel 123 (3) EPÜ kein zulässiger Antrag vor, so dass jede Basis für die Aufrechterhaltung des Patents fehlt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen