T 0590/06 () of 2.7.2008

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2008:T059006.20080702
Datum der Entscheidung: 02 Juli 2008
Aktenzeichen: T 0590/06
Anmeldenummer: 00962371.1
IPC-Klasse: B60K 35/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur aktiven Hilfestellung eines Kraftfahrzeugführers in einem Kraftfahrzeug
Name des Anmelders: Volkswagen Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: DaimlerChrysler AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der von der Beschwerdegegnerin (Einsprechende) gegen das europäische Patent Nr. 1 214 216 eingereichte Einspruch führte zum Widerruf des Patents mangels erfinderischer Tätigkeit seines Gegenstandes durch die am 2. März 2006 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung.

Dabei berief sich die Einspruchsabteilung u.a. auf den folgenden Stand der Technik

D1: WO-A-99/28145

D3: US-A-5 239 700

D7: DE-A-197 07 188.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 13. April 2006 Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr gleichzeitig entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 8. Juni 2006 eingereicht.

III. Am 2. Juli 2008 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 7 eingereicht während der mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerdegegnerin hatte mit Schreiben vom 19. Juni 2008 erklärt, dass sie nicht beabsichtigte, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

IV. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 gemäß Antrag der Beschwerdeführerin haben folgenden Wortlaut:

1. Verfahren zur aktiven Hilfestellung eines Kraftfahrzeugführers in einem Kraftfahrzeug, mittels mindestens eines Steuergerätes und einer Eingabe- und Anzeigeeinheit (5), wobei das Steuergerät auf die Daten von fahrzeugzustandsrelevanten Sensoren und Steuergeräten zugreifen und den Steuergeräten bzw. Einrichtungen zur externen Kommunikation Steuerbefehle übermitteln kann, umfassend folgende Verfahrensschritte:

a) Erfassen eines kritischen Fahrzeugzustandes durch das Steuergerät durch Auswertung der Daten der fahrzeugzustandsrelevanten Sensoren und Steuergeräte,

b) Erstellen einer Liste von möglichen Handlungen des Kraftfahrzeugführers auf den erfassten kritischen Fahrzeugzustand,

c) Darstellen des erfassten kritischen Fahrzeugzustandes und der Liste von möglichen Handlungen des Kraftfahrzeugführers auf der Anzeigeeinheit (5) und

d) Durchführung der durch den Kraftfahrzeugführer ausgewählten Handlung durch das Steuergerät,

wobei als kritischer Fahrzeugzustand die Motoröltemperatur erfasst wird, wobei die Liste von möglichen Handlungen "Motor abstellen", "Werkstatt anrufen" und "Ignorieren" umfasst, wobei bei Auswahl der Handlung "Motor abstellen" das Steuergerät zur Durchführung der ausgewählten Handlung einen Steuerbefehl abgibt, so dass der Motor selbsttätig ausgeschaltet wird und bei der Auswahl der Handlung "Werkstatt anrufen" das Steuergerät zur Durchführung der ausgewählten Handlung einen Steuerbefehl an die Einrichtungen zur externen Kommunikation übermittelt, um automatisch die nächste Werkstatt anzurufen."

3. Vorrichtung zur aktiven Hilfestellung eines Kraftfahrzeugführers in einem Kraftfahrzeug, umfassend mindestens ein Steuergerät und eine Eingabe- und Anzeigeeinheit (5), wobei das Steuergerät auf die Daten von fahrzeugzustandsrelevanten Sensoren und Steuergeräten zugreifen und den Steuergeräten bzw. Einrichtungen zur externen Kommunikation Steuerbefehle übermitteln kann, über das Steuergerät fahrzeugkritische Zustände erfassbar und auf der Anzeigeeinheit (5) darstellbar sind, wobei mittels des Steuergerätes die erfassten fahrzeugkritischen Zustände auswertbar sind, eine Liste von möglichen Handlungen des Kraftfahrzeugführers auf den erfassten kritischen Fahrzeugzustand erstellbar und auf der Anzeigeeinheit (5) als Eingabeoption zusammen mit dem kritischen Fahrzeugzustand darstellbar sind, wobei eine ausgewählte Eingabeoption durch das Steuergerät ausführbar ist, wobei als kritischer Fahrzeugzustand die Motoröltemperatur erfasst wird, wobei die Liste von möglichen Handlungen "Motor abstellen", "Werkstatt anrufen" und "Ignorieren" umfasst, wobei bei Auswahl der Handlung "Motor abstellen" das Steuergerät zur Durchführung der ausgewählten Handlung einen Steuerbefehl abgibt, so dass der Motor selbsttätig ausgeschaltet wird und bei der Auswahl der Handlung "Werkstatt anrufen" das Steuergerät zur Durchführung der ausgewählten Handlung einen Steuerbefehl an die Einrichtungen zur externen Kommunikation übermittelt, um automatisch die nächste Werkstatt anzurufen."

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin kann wie folgt zusammengefasst werden:

Auch wenn die D7 als nächstkommender Stand der Technik angesehen und die Lehre der D1 berücksichtigt werde, könne eine Zusammenschau dieser Druckschriften nicht in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand führen, so dass dieser auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Das der Erfindung zugrunde liegende Konzept erschöpfe sich nicht in dem Gedanken, den kritischen Fahrzeugzustand und die Liste der möglichen Handlungsempfehlungen gleichzeitig in ein und derselben Ebene der Anzeigeeinheit darzustellen, sondern gemäß dem beanspruchten Verfahren werde zusätzlich die automatische Durchführung sämtlicher vorgeschlagener Handlungen nach deren Auswahl durch den Kraftfahrzeugführer ermöglicht, indem ein entsprechender Steuerbefehl an das für die Durchführung der ausgewählten Handlung zuständige Steuergerät bzw. Einrichtung zur externen Kommunikation übermittelt werde. Dieses Konzept einer aktiven Hilfestellung werde durch eine Zusammenschau der zitierten Entgegenhaltungen nicht nahegelegt. Der durch eine Fehlermeldung überraschte und gestresste Fahrer bekomme dadurch eine umfassendere Hilfe bei hoher Benutzungsfreundlichkeit zur Verfügung gestellt.

Die in D7 beschriebene Informationsvorrichtung biete zwar das Herstellen einer Telefonverbindung mit der nächsten Werkstatt nach einer Fehlermeldung an, dieses Angebot erfolge jedoch nicht auf ein und derselben Ebene mit der Darstellung des fahrkritischen Fahrzeugszustandes, sondern erst nach mehreren Schritten, wenn sich herausgestellt habe, dass Eigenhilfe nicht möglich sei.

Auch die Einrichtung gemäß D1 könne nicht zum erfindungsgemäßen Konzept führen. Sie stelle dem Kraftfahrzeugführer nur eine passive Hilfe zu Verfügung, indem sie lediglich Handlungsempfehlungen vorschlage. Diese Einrichtung sei nicht in der Lage, solche Handlungsempfehlungen umzusetzen, weil sie den Steuergeräten und Einrichtungen zur externen Kommunikation keine Steuerbefehle übermitteln könne.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit der in den Ansprüchen durchgeführten Änderungen

Bezüglich der in den Ansprüchen 1 und 3 von der Beschwerdeführerin durchgeführten Änderungen bestehen seitens der Kammer keine Bedenken in Hinblick auf die Erfüllung der Anforderungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

Die Beschwerdegegnerin hat keine Beschwerdeerwiderung innerhalb von vier Monaten nach Zustellung der Beschwerdebegründung eingereicht. In eine vom 19. Juni 2008 datierte Stellungnahme zu den mit Brief vom 7. Mai 2008 abgeänderten Ansprüchen 1 und 3 hat sie die Auffassung vertreten, dass durch die Formulierung "wobei bei Auswahl der Handlung 'Motor abstellen' das Steuergerät zur Durchführung der ausgewählten Handlung einen Steuerbefehl an ein Steuergerät übermittelt, so dass der Motor selbsttätig ausgeschaltet wird" Art. 123 (3) EPÜ verletzt sei, weil die erwähnte Handlung durch die Übermittlung eines Steuerbefehls an ein zweites Steuergerät erfolge und von diesem zweiten Steuergerät durchgeführt werden solle. Ein solches zweites Steuergerät sei jedoch in den ursprünglich erteilten Ansprüchen 1 und 3 nicht enthalten gewesen.

Dieser Einwand ist nach Auffassung der Kammer durch die im Laufe der mündlichen Verhandlung geänderte Formulierung "wobei bei Auswahl der Handlung 'Motor abstellen' das Steuergerät zur Durchführung der ausgewählten Handlung einen Steuerbefehl abgibt, so dass der Motor selbsttätig ausgeschaltet wird" ausgeräumt worden.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 Die D7 beschreibt eine Vorrichtung zur aktiven Hilfestellung eines Kraftfahrzeugführers in einem Kraftfahrzeug, umfassend mindestens ein Steuergerät 1 und eine Eingabe- 2 und Anzeigeeinheit 9 , wobei das Steuergerät 1 auf die Daten von fahrzeugzustandsrelevanten Sensoren und Steuergeräten zugreifen kann (Spalte 3, Zeilen 40-47). Wie bereits von der Einspruchsabteilung ausgeführt, zeigt D7 auch, dass über das Steuergerät fahrzeugkritische Zustände (Fehlermeldung) erfassbar und auf der Anzeigeeinheit darstellbar sind, wobei mittels des Steuergerätes die erfassten fahrzeugkritischen Zustände auswertbar sind, mögliche Handlungsalternativen für den Kraftfahrzeugführer in Hinblick auf den erfassten kritischen Fahrzeugzustand erstellbar und auf der Anzeigeeinheit als Eingabeoption darstellbar sind, wobei eine ausgewählte Eingabeoption durch das Steuergerät ausführbar ist.

So zeigt D7, dass bei einem Defekt, der über Sensoren und/oder Steuergeräte erkannt wird, die Diagnose-Hilfsvorrichtung automatisch auf den Modus "Betriebsanleitung" umschaltet und über die Anzeigeeinheit nähere Informationen zur Schadensbehebung bereithält (vgl. Spalte 3, Zeilen 1-11). Die Vorrichtung kann auch die Telefonverbindung zur nächsten zuständigen Werkstatt automatisch anbieten (Spalte 2, Zeilen 46-51; Spalte 4, Zeilen 38-52). Wie bereits von der Einspruchsabteilung vorgetragen, kann die praktische Realisierung eines solchen Angebots dem Erstellen und Darstellen einer Liste bestehend aus zwei auszuwählenden Optionen (z.B. "Verbindung Annehmen" oder "Ablehnen", vgl. D3: Spalte 16, Figur 10)) gleichgesetzt werden.

3.2 Die Beschwerdeführerin hat in Frage gestellt, ob die Vorrichtung gemäß D7 Steuerbefehle an Steuergeräte übermitteln kann. Die Kammer stellt jedoch fest, dass die aus D7 bekannte Vorrichtung Steuerbefehle z.B. an das Radio 7 (vgl. Spalte 4, Zeilen 2-5 i.V.m. der Figur) sowie an eine Einrichtung zur externen Kommunikation (Telefon 6) übermitteln kann.

3.3 Im Vergleich zum Gegenstand der Ansprüche 1 und 3 zeigt D7 nicht, dass die Liste der möglichen Handlungen zusammen mit dem erfassten kritischen Fahrzeugzustand auf der Anzeigeeinheit dargestellt wird.

D1 beschreibt eine Vorrichtung zur aktiven Hilfestellung eines Kraftfahrzeugführers mit einem Steuergerät 17 und einer Eingabe- 20 und Anzeigeeinheit 19, wobei das Steuergerät auf die Daten von fahrzeugzustandsrelevanten Sensoren 16a-16g und Steuergeräten zugreifen kann. Über das Steuergerät sind fahrzeugkritische Zustände (Fehlermeldung) erfassbar und auf der Anzeigeeinheit darstellbar, wobei mittels des Steuergerätes die erfassten fahrzeugkritischen Zustände auswertbar sind, mögliche Handlungsalternativen für den Kraftfahrzeugführer in Hinblick auf den erfassten kritischen Fahrzeugzustand erstellbar und auf der Anzeigeeinheit als Eingabeoption darstellbar sind, wobei die ausgewählte Eingabeoption durch das Steuergerät ausführbar ist (vgl. Abstract und Figur 1).

In der D1 wird auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der kritische Fahrzeugzustand gleichzeitig mit der oder den möglichen, zu diesem fahrzeugkritischen Zustand angepassten Handlungsempfehlungen angezeigt werden kann (vgl. Seite 5, Zeilen 21-23). Angesichts dieser Lehre kann nach Auffassung der Kammer das Darstellen des kritischen Fahrzeugzustandes zusammen mit der Liste der möglichen Handlungen nicht erfinderisch sein.

3.4 In dem letzten Teil der Ansprüche 1 und 3, der als Reaktion auf die vorläufige Auffassung der Kammer hinzugefügt wurde, sind drei spezifischen Handlungen aufgelistet, die im Falle einer erhöhten Motoröltemperatur vorgeschlagen werden, sowie die Möglichkeit zu deren Durchführung durch das Steuergerät angegeben.

Die Anzeige solch eines spezifischen kritischen Fahrzeugzustands kombiniert mit den im Anspruch definierten Handlungen sind aus den Entgegenhaltungen D1 und D7 nicht zu entnehmen. Dem Fachmann ist jedoch bekannt, dass die Motoröltemperatur eine der wichtigen Größen ist, die von derartigen Diagnose und Hilfsvorrichtungen überwacht werden sollte (D7, Spalte 2, Zeilen 2-6). Es ist offensichtlich, dass die einzelnen, auf den fahrkritischen Fahrzeugszustand angepassten, dem Fahrer empfohlenen, möglichen Handlungen von der jeweiligen kritischen Situation abhängig sind. Bei der Auswahl dieser möglichen Handlungen verfügt der Fachmann über einen gewissen Gestaltungsfreiraum (vgl. z.B. die in der Seite 5, Zeilen 25 ff. von D1 erwähnten möglichen Hilfsmaßnahmen). Deshalb ist es nach Auffassung der Kammer naheliegend, im Falle einer kritischen Motoröltemperatur mögliche Handlungen vorzuschlagen und darzustellen, die an sich für diese Fehlermeldung einzeln aus den Entgegenhaltungen D7, D1 oder aus Betriebanleitungen von Fahrzeugen allgemein bekannt sind. Der Fachmann weiß aus den Betriebanleitungen von Fahrzeugen, dass bei überhöhter Motoröltemperatur das Abstellen des Motors eine Maßnahme darstellt, die den Motor vor möglichen weiteren Schäden bewahrt. Eine solche Maßnahme ist auch dem in D7 erwähnten "Fahrzeugstop" (vgl. Spalte 4, Zeilen 44) gleichzusetzen. Dafür zu sorgen, dass das Steuergerät das Abstellen des Motors bewerkstelligt, scheint nach Auffassung der Kammer den Rahmen des fachüblichen Schaffens nicht zu sprengen, zumal die Vorrichtung gemäß D7 auch schon Steuerbefehle an ein anderes Steuergerät zur Durchführung einer ausgewählten Handlung übermittelt.

Darüber hinaus ist es in Hinblick auf die Benutzerfreundlichkeit und auf eine umfassende Hilfestellung zur Vermeidung einer Stresssituation für den Fahrer fraglich, ob die gleichzeitige Darstellung der drei hier vorgeschlagen Handlungen "Motor abstellen", "Werkstatt anrufen" oder "Ignorieren" wirklich sinnvoll erscheint und für einen gestressten Fahrer tatsächlich vertrauensbildend ist.

4. Die Kammer kommt somit zum Ergebnis, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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