European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2008:T047306.20080826 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 26 August 2008 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0473/06 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00104700.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60J 1/20 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Scheibenrollo-Vorrichtung für Fahrzeugscheiben | ||||||||
Name des Anmelders: | BOS GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausführbarkeit (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 22. Dezember 2005 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung das europäische Patent EP-B-1129871 wegen mangelnder Ausführbarkeit zu widerrufen.
Die Beschwerdeschrift wurde am 21. Februar 2006 eingereicht und die Beschwerdegebühr am selben Tag bezahlt. Die Beschwerdebegründung wurde am 02. Mai 2006 eingereicht.
II. Die Beschwerdeführerin beantragt :
1. die angefochtene Entscheidung aufzuheben,
2. das europäische Patent EP 1129 871 B1 in geändertem Umfang aufrecht zu erhalten gemäß folgenden Anträgen:
2a. Hauptantrag: auf Basis der Ansprüche 1 bis 15, eingereicht im Einspruchsverfahren mit Eingabe vom 28.10.2005 als Hauptantrag,
2b. Hilfsantrag 1: auf Basis der Ansprüche 1 bis 13, eingereicht im Einspruchsverfahren mit Eingabe vom 28.10.2005 als Hilfsantrag 1,
2c. Hilfsantrag 2: auf Basis der Ansprüche 1 bis 12, eingereicht im Einspruchsverfahren mit Eingabe vom 28.10.2005 als Hilfsantrag 2.
III. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
Scheibenrollo-Vorrichtung für Fahrzeugscheibeneinheiten mit mindestens einem aus- und einfahrbaren Scheibenrollo und mit einer Antriebseinrichtung für den Scheibenrollo, wobei zumindest zwei Scheibenrollos (5, 10) für eine Fahrzeugscheibeneinheit (2, 3) vorgesehen sind, die mittels der einen Antriebseinrichtung (21) ein- und ausfahrbar sind, und die Antriebseinrichtung (21) Kabel- oder Seilzüge (24, 25, 30) zum Betätigen der Scheibenrollos (5, 10) aufweist,
dadurch gekennzeichnet,
dass die beiden Scheibenrollos (5, 10) unterschiedliche Größen aufweisen und derart angeordnet sind, dass sie in unterschiedlichen Richtungen, insbesondere in senkrechter bzw. in horizontaler Richtung, ausfahrbar sind, und dass die Antriebseinrichtung (21) die Scheibenrollos (5, 10) mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ausfährt.
IV. Mit Schreiben vom 8. Mai 2007 gab die Beschwerdegegnerin bekannt, dass sie das Streitpatent erworben habe.
V. Mit Schreiben vom dem 26. Juni 2007 hat die ehemalige Beschwerdegegnerin und Einsprechende ihren Einspruch zurückgenommen.
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden :
Das in den Anmeldungsunterlagen beschriebene Ausführungsbeispiel zeige, dass mit einem einzigen Antrieb ein Hauptrollo für eine absenkbare Scheibe sowie ein Hilfsrollo für eine fest eingebaute Scheibe ein und ausgefahren werden könnten, wobei die Antriebseinrichtung Kabel- oder Seilzüge zum Betätigen der beiden Rollos enthalte. Das Bewegen der beiden Rollos mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, wie beansprucht, erlaube, dass bei unterschiedlichen Ausfahrtlängen die Rollos gleichzeitig vollständig geöffnet oder geschlossen sein könnten.
Um die Erfordernissen des Artikel 83 EPÜ zu erfüllen, müssten nicht alle Einzelheiten eines Ausführungsbeispiels beschrieben werden, sondern es sei von dem Fachmann zu erwarten, dass er sein allgemeines Fachwissen heranziehe. Es brauche daher in der Anmeldung nicht wiederholt zu werden, was zu dem fundamentalen und präsenten Wissen des Fachmanns gehöre, wie z.B. Wissen aus Standardfachbüchern oder aus gängigen Nachschlagwerken.
Dem Fachmann sei außerdem aus dem als nächstliegenden erachteten Stand der Technik auch schon bekannt gewesen, wie ein Rollo mittels zwei Antriebskabel, die von einem Antriebsrad einer Antriebeinrichtung antreibbar sind, ein und ausgefahren werden könne. Dies entspreche auch dem Ausführungsbeispiel der Erfindung, insofern als die Kabel 24 und 25 mittels des Antriebsrad des Antriebsmotors 22 verstellbar seien.
Das Patent lehre nun, dass zwei Rollos gleichzeitig mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausgefahren werden können.
Eine konstruktive Umsetzung dieser Lösung liege für den Fachmann auf der Hand. Er könne z.B. zusätzlich zu dem Zahnrad 23 ein zweites Zahnrad an der Antriebseinheit vorsehen, das mit dem Kabel 30 des Hilfsrollos in Antriebseingriff stehe, und so dieses mit einer anderen Geschwindigkeit bewege.
Eine solche Lösung basiere auf den dem Fachmann bekannten Grundlagen der Getriebetechnik, die z.B. auch von Fahrrädern bekannt sei, bei welchen am Hinterrad auf einer gemeinsamen Welle unterschiedlich große Zahnräder angebracht seien.
Dem Fachmann bereitete es somit keine Schwierigkeiten, die Erfindung auszuführen. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei daher nicht haltbar.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart wurde, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Es gäbe keine deutliche und vollständige Lehre darüber wie der Fachmann das Merkmal "dass die Antriebseinrichtung die Scheibenrollos mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ausfährt." ausführen könne.
Die Kammer kann diese Auffassung nicht teilen.
Die beanspruchte Erfindung betrifft eine Scheibenrollo-Vorrichtung für Fahrzeugscheibeneinheiten mit zumindest zwei aus- und einfahrbaren Scheibenrollos für eine Fahrzeugscheibeneinheit. Diese zwei Scheibenrollos sollen mittels einer Antriebseinrichtung ein- und ausfahrbar sein, und diese Antriebseinrichtung soll Kabel- oder Seilzüge zum Betätigen der Scheibenrollos aufweisen.
Eine solche Vorrichtung ist zweifelsohne in der Figur 4 des Streitpatents gezeigt, wobei der eine Rollo über die Kabel 24 und 25 angetrieben wird, und der zweite Rollo über das von Kabel 25 mitgeschleppte Kabel 30 angetrieben wird. Beide Kabel 24 und 25 werden von dem einen elektrischen Antriebsmotor 22 über das Antriebsrad 23 angetrieben.
Der Fachmann kann dementsprechend ohne Mühe die Vorrichtung gemäß dem Oberbegriff ausführen, was von der Einspruchsabteilung auch nicht bezweifelt wurde.
Auch das weitere Merkmal, dass die beiden Scheibenrollos unterschiedliche Größen aufweisen und derart angeordnet sind, dass sie in unterschiedliche Richtungen, insbesondere in senkrechter bzw. in horizontaler Richtung, ausfahrbar sind, ist ohne weiteres aufgrund der gleichen Offenbarung der Figur 4 und der entsprechenden Beschreibungsteile ausführbar.
Im Ausführungsbeispiel, das in den Figuren gezeigt wird, werden beide Rollos mit gleicher Geschwindigkeit angetrieben. Dies ergibt sich daraus, dass das Antriebsrad 23 beide Kabel 24 und 25, die beide direkt mit dem Antriebsrad 23 in Antriebseingriff sind, mit gleicher Geschwindigkeit antreibt.
Eine Zeichnung, die eine konkrete Lösung für das letzte Merkmal des Anspruchs 1, wonach die Antriebseinrichtung die Scheibenrollos mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ausfährt, zeigt, gibt es in der Patentschrift daher nicht.
Hinweise auf eine konkrete Lösung findet man jedoch in Absatz [0013] :
"Für ein bestimmtes Bewegungsverhalten kann vorgesehen sein, dass die Steuereinrichtung eine lineare oder eine gekrümmte Schiene aufweist, an der die Steuerelemente verschiebbar gelagert sind. Damit können die beiden Rollos mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten aus- und eingefahren werden.",
und in Absatz [0028]:
" Die Antriebseinrichtung kann eine Über- oder Untersetzungseinrichtung aufweisen, so dass die Bewegungsgeschwindigkeiten und/oder die Bewegungswege für das Auf- und Abwickeln der beiden Rollos unterschiedlich sein können. Eine derartige Über- oder Untersetzungseinrichtung kann z. B. durch eine kreisbahnförmige Steuerschiene gebildet sein."
Die Beschreibung zeigt dem Fachmann folglich schon zwei mögliche Wege an, wie er die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Rollos verwirklichen könnte, nämlich durch Einsetzen einer gekrümmten Schiene oder durch Einsetzen einer anderen Über- oder Untersetzungseinrichtung. Dass die Beschreibung nicht deutlicher eine konkrete Lösung angibt, stellt in Bezug auf die Ausführbarkeit keine Schwierigkeit dar, da der Fachmann ohne weiteres seine allgemeine Fachkenntnisse einsetzen kann bzw. einfache Tests machen kann, um zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen. Zu diesen allgemeinen Kenntnissen gehören ohne Zweifel einfache Maschinenelemente bzw. einfache Konstruktionen der Antriebs- und Getriebetechnik, wie z.B. zwei nebeneinander angeordnete Antriebsscheiben unterschiedlichen Durchmessers auf einer Antriebsachse.
Die Kammer hat somit keine Zweifel, dass ein Fachmann die Erfindung ausführen kann, ohne dabei erfinderisch tätig werden zu müssen, indem er zum Beispiel ein zweites kleineres oder größeres Antriebsrad neben dem Rad 23 vorsieht, das das Kabel 30 direkt antreibt. Da in einem solchen Fall die Antriebsachse der zwei Antriebsräder mit ein und derselben Drehgeschwindigkeit angetrieben wird, die Antriebsräder jedoch nicht den gleichen Durchmesser haben, werden zwei unterschiedliche Umfangsgeschwindigkeiten produziert, so dass die Kabel 24 und 30 mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegt werden, und entsprechend die zwei Rollos, die jeweils mit den Kabel 24 bzw. 30 verbunden sind, auch mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegt werden.
Eine solch einfache und auf dem Grundwissen des Fachmanns basierende Konkretisierung fällt ohne weiteres unter den Aufwand, der im Rahmen der Ausführung der Erfindung dem Fachmann zuzumuten ist, zumal in dem vorliegenden Fall durch die Angabe in der Beschreibung, dass die Antriebseinrichtung eine Über- oder Untersetzungseinrichtung aufweisen kann, eindeutig auf derartige Ausführungsformen hingewiesen wurde.
Die in Anspruch 1 beanspruchte Erfindung ist folglich so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, so dass die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfüllt sind.
Die Kammer sieht auch keine Schwierigkeiten hinsichtlich der Ausführbarkeit der Gegenstände der Unteransprüchen.
3. Da sich die Einspruchsabteilung mit der Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit noch nicht auseinandergesetzt hat, hat die Kammer, um das Recht der Patentinhaberin auf eine vollständige Prüfung in zwei Instanzen zu wahren, beschlossen, von der ihr nach Artikel 111 EPÜ übertragenen Befugnis Gebrauch zu machen und die Sache zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.