T 0452/06 () of 19.6.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T045206.20060619
Datum der Entscheidung: 19 Juni 2006
Aktenzeichen: T 0452/06
Anmeldenummer: 98120394.6
IPC-Klasse: F16F 15/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Dichtung für Torsionsschwingungsdämpfer
Name des Anmelders: Rohs-Voigt Patentverwertungsgesellschaft mbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Rückerstattung der Beschwerdegebühr (ja) - wesentlicher Verfahrensmangel
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 98 120 394.6 wurde mit der am 20. Oktober 2005 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen wurde von der Anmelderin am 1. Dezember 2005 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 21. Februar 2006 eingereicht.

II. Die Prüfungsabteilung hat entschieden, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag in Anbetracht des Dokuments DE-C-196 12 352 (D2) nicht neu sei (Artikel 54 EPÜ) und der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße.

Der Anspruch 1 nach Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:

"Torsionsschwingungsdämpfer mit zwei gegeneinander drehbeweglich angeordneten Baugruppen (1,2) sowie mit einer Federkammer (7), in welcher eine Federanordnung (70) vorgesehen ist, welche zwischen den beiden Baugruppen (1,2) tangential wirksam ist, dadurch gekennzeichnet, dass die erste Baugruppe (1) eine erste Leitfläche (30) aufweist und die Federkammern (7) radial außen abdichtet, wobei die erste Leitfläche von der zweiten Baugruppe (2) durch einen Spalt (31) beabstandet und im wesentlichen radial angeordnet ist und wobei eine im wesentlichen radial angeordnete zweite Leitfläche (50) vorgesehen ist, die den Spalt (31) derart federkammerseitig überdeckt, dass die Federkammer (7) zumindest bei geringen bzw. bei nicht vorhandenen Verdrehwinkeln zwischen den beiden Baugruppen (1,2) und bei einer Rotation des Torsionsschwingungsdämpfers berührungslos abgedichtet ist".

Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag unterscheidet sich vom obigen Wortlaut dadurch, daß das die Federkammer betreffende Merkmal, wonach diese "bei einer Rotation des Torsionsschwingungsdämpfers berührungslos abgedichtet ist", nunmehr ersetzt wird durch das Merkmal, wonach diese "bei einer Rotation des Torsionsschwingungsdämpfers berührungslos und ohne Dichtmedium abgedichtet ist."

III. Die Beschwerdeführerin stellte in der Reihenfolge folgende Anträge: die angegriffene Entscheidung aufzuheben, die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten und hilfsweise dem Patentbegehren nach dem Hilfsantrag stattzugeben.

In der Beschwerdebegründung führte die Beschwerdeführerin aus, ihr rechtliches Gehör im Sinne von Artikel 113 (1) EPÜ sei verletzt worden. In der angefochtenen Entscheidung sei die Prüfungsabteilung richtigerweise der in der mündlichen Verhandlung geäußerten und in der Niederschrift festgehaltenen Ansicht der Beschwerdeführerin gefolgt, insofern als das mit dem Bezugszeichen 29 bezeichnete Bauteil (D2, Figur 1,2), entgegen den Ausführungen im Prüfungsbescheid vom 19. Juli 2004, gerade nicht als "erste Baugruppe" im Sinne von Anspruch 1 angesehen werde. Weiter sei aber auch in der angegriffenen Entscheidung das Bauteil 40 (D2, Figur 2), welches die rechte Begrenzung des Ringkanals 42 ist, als "erste Leitfläche" im Sinne des Anspruchs 1 angesehen worden, wogegen im genannten Prüfungsbescheid das Bauteil 33 (D2, Figur 2) als "erste Leitfläche" bezeichnet worden sei. Diese Auffassung der Prüfungsabteilung sei erst in der schriftlich zugestellten Entscheidung zum Ausdruck gebracht worden und sei nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Zudem sei diese Auffassung auch technisch unzutreffend, da das Bauteil 40 in Figur 2 aus D2 nicht als Leitfläche im Sinne des Anspruchs 1 angesehen werden könne. Der Begriff "Leitfläche" lege deutlich dar, daß es sich um eine Fläche handeln solle, die leitend und somit transportierend wirke. Entsprechend sei in der veröffentlichten Anmeldung ausgeführt (Spalte 1, Zeilen 31-41), daß das Fett in der abzudichtenden Federkammer eine radiale Beschleunigung erfahre, wenn es auf die entsprechende Leitfläche treffe. Gerade diese Funktion könne das Bauteil 40 in D2 aber nicht erfüllen, weil diese rechte Begrenzung des Kanals 42 gar nicht erst in Kontakt mit dem Fett aus der Federkammer komme; das hochviskose Medium 43 im Ringkanal 42 sei nämlich laut Offenbarung von D2 gerade dafür vorgesehen, einen Durchtritt von Fett auf die rechte Begrenzung des Ringkanals zu verhindern.

Weiterhin könne auch in D2, wegen der Anwesenheit des zur Abdichtung verwendeten hochviskosen Mediums, von einer berührungslosen Dichtung keine Rede sein. Aus diesem Grunde sei insbesondere auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag gegenüber D2 neu. Die darin vorgenommene ausdrückliche Ausschließung eines Dichtmediums sei als Disclaimer anzusehen und entsprechend den Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 zulässig.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 EPÜ in Verbindung mit den Regeln 1 (1) sowie 64 EPÜ und ist somit zulässig.

2. Zum Anspruch 1 gemäß Hauptantrag wird zunächst festgestellt, daß die gegenüber dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen, wonach die zweite Leitfläche (50) den Spalt (31) derart federkammerseitig überdeckt, "daß die Federkammer (7) zumindest bei geringen bzw. bei nicht vorhandenen Verdrehwinkeln zwischen den beiden Baugruppen (1,2) und bei einer Rotation des Torsionsschwingungsdämpfers berührungslos abgedichtet ist", ursprünglich offenbart wurden und aus Spalte 3, Zeilen 42-50, Spalte 4, Zeile 50-Spalte 5, Zeile 5 sowie Spalte 1, Zeile 56-Spalte 2, Zeile 4 der veröffentlichten Anmeldung hervorgehen. Die weitere Änderung, durch welche spezifiziert wurde, daß in der Federkammer "eine Federanordnung (70) vorgesehen ist", ist der Spalte 7, Zeilen 45-47 der veröffentlichten Anmeldung zu entnehmen.

3. Die Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 113 (1) EPÜ setzt voraus, daß vor der Verkündung einer Entscheidung mit der eine Anmeldung nach Artikel 97 (1) EPÜ zurückgewiesen wird, dem Anmelder die Gründe für die Zurückweisung mitgeteilt wurden und entsprechend auch Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde. Es ist folglich zu erwarten, daß während des Ablaufs des Verfahrens vor der Prüfungsabteilung, wie dieser durch den Inhalt der Prüfungsakte wiedergegeben wird, dem Anmelder wesentliche Mängel der Anmeldung mitgeteilt wurden und dieser entsprechend zur Stellungnahme aufgefordert wurde.

4. Im Falle eines Einwandes wegen mangelnder Neuheit verlangt somit Artikel 113 (1) EPÜ zumindest, daß dem Anmelder erläutert wird, wie sich nach Auffassung der Prüfungsabteilung die wesentlichen Aspekte des betrachteten Anspruchsgegenstandes aus der jeweiligen Entgegenhaltung ergeben, wobei auf selbstverständliche Merkmale, die der Fachmann implizit mitlesen würde, nicht im Detail eingegangen zu werden braucht. Offensichtlich handelt es sich bei dem in Rede stehenden Merkmal um ein wesentliches Merkmal der Erfindung, da gerade durch die Leitflächen die Abdichtung der Federkammer und die Lösung der gestellten Aufgabe erzielt wird. Nun ist weder aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung, noch aus dem weiteren Inhalt der Prüfungsakte ersichtlich, daß die Beschwerdeführerin vor der Entscheidung in Kenntnis der Ansicht der Prüfungsabteilung gesetzt wurde, wonach das Bauteil 40 in Figur 2 aus D2, d.h. die rechte Begrenzung des Ringkanals 42, als "erste Leitfläche" im Sinne des Anspruchs 1 nach Hauptantrag zu deuten ist.

5. Es ist nicht ausreichend, wenn in der mündlichen Verhandlung zur Sprache gekommen ist (siehe Niederschrift, Seite 3, vierter Absatz; Entscheidung, Seite 3, dritter Absatz), daß die im Bescheid vom 19. Juli 2004 erfolgte Deutung des Bauteils 29 in Fig. 2 aus D2 als "erste Baugruppe" sachlich nicht zutreffend ist. Daraus ergibt sich nämlich nicht, daß als unmittelbare Folge einer Richtigstellung nunmehr das Bauteil 40 als "erste Leitfläche" anzusehen wäre. Tatsächlich wurden im genannten Prüfungsbescheid die Bauteile 29 und 1 als "erste" bzw. "zweite Baugruppe" bezeichnet, während die Bauteile 33 und 39 als "erste" bzw. "zweite Leitfläche" bezeichnet wurden. Die nachträgliche Richtigstellung in der schriftlichen Entscheidung (Seite 2) der genannten unzutreffenden Bezeichnung des Bauteils 29 (D2, Fig. 2), womit das Bauteil 1 nunmehr als "erste Baugruppe" und das Bauteil 29 als "zweite Baugruppe" zu deuten ist, impliziert ersichtlich nicht als offensichtliche und selbstverständliche Berichtigung des genannten Prüfbescheides, daß nunmehr das Bauteil 40 als "erste Leitfläche" und das Bauteil 33 als "zweite Leitfläche" zu gelten hat (siehe Entscheidung, Seite 2). Im Gegenteil erst nach der nochmaligen, eingehenden Betrachtung der Figuren 1 und 2 in D2 war es möglich zu beurteilen, ob in D2 überhaupt ein solches Bauteil offenbart ist, welches nach der geänderten Lesart von D2 durch die Prüfungsabteilung der "ersten Leitfläche" des Anspruchs 1 nach Hauptantrag möglicherweise gleichzusetzen ist.

6. Im Ergebnis ist also festzustellen, daß die in der Entscheidung nachträglich vorgenommene Änderung der Argumentation zur Neuheitsschädlichkeit des Dokuments D2 einen wesentlichen Aspekt des Anspruchsgegenstands betrifft und somit die Entscheidungsgründe davon unmittelbar betroffen sind, und daß diese Änderung weder vor der Verkündung der Entscheidung der Anmelderin mitgeteilt wurde, noch als selbstverständliche Berichtigung eines offensichtlichen Fehlers gelten kann. Aus diesen Gründen ist ein wesentlicher Verfahrensmangel festzustellen, der die Rückerstattung der Beschwerdegebühr rechtfertigt (Regel 67 EPÜ).

7. Die Frage, ob die Auffassung der Prüfungsabteilung bezüglich der Deutung des Bauteils 40 in Figur 2 aus D2 als "erste Leitfläche" technisch zutreffend ist, hängt einerseits von der Bedeutung dieses Ausdruckes im Kontext des Anspruchs und falls notwendig und zulässig auch im Lichte der Anmeldungsbeschreibung, und andererseits von der technischen Funktion des Bauteils 40 gemäß der Offenbarung von D2 ab. Nun ist aus dem Anspruch 1 nach Hauptantrag explizit zu entnehmen, daß durch die besondere Anordnung der "ersten" und "zweiten Leitfläche" die Abdichtung der Federkammer erzielt wird. Somit ist für die Deutung des Bauteils 40 in Figur 2 aus D2 als "erste Leitfläche" notwendig und erforderlich, daß dieses Bauteil im Zusammenspiel mit dem weiter als "zweite Leitfläche" angesehenen Bauteil 33 die Abdichtung der Federkammer 9 bewirkt. Dies ist aber laut Offenbarung von D2 ersichtlich nicht der Fall, denn die Abdichtung der Federkammer 9 in D2 erfolgt durch das im Ringkanal 42 vorhandene hochviskose Medium 43, welches das Fett daran hindert, die Federkammer durch den Ringkanal zu verlassen (D2, Spalte 4, Zeilen 37-41) derart, daß das Fett die rechte Begrenzung des Ringkanals 42, d.h. das Bauteil 40, gar nicht erst erreichen kann. Insofern ist auch die Bezeichnung "erste Leitfläche" für das Bauteil 40 technisch unzutreffend, weil der technische Zusammenhang des Anspruchs 1 eben erfordert, daß zur Abdichtung der Federkammer durch die beiden "Leitflächen" das Fett entlang der "Leitflächen" radial nach außen geführt und wieder zurück in die Federkammer geleitet wird. Dies wird selbstverständlich auch in der Beschreibung (veröffentlichte Anmeldung, Spalte 1, Zeilen 31-55) noch weiter im einzelnen ausgeführt.

Somit kann aber auch die Offenbarung von D2 für den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht neuheitsschädlich sein (Artikel 54 EPÜ).

8. Da die Prüfungsabteilung die Erfordernisse der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem restlichen, sehr umfangreichen Stand der Technik noch nicht geprüft hat, macht die Kammer von ihrem Ermessen nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch, die Sache zur weiteren Prüfung an die erste Instanz zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens an die erste Instanz zurückverwiesen.

3. Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird stattgegeben.

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