European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2008:T038406.20080313 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 13 März 2008 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0384/06 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00117205.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08K 3/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Stabilisatorkombinationen für chlorhaltige Polymere | ||||||||
Name des Anmelders: | Chemtura Vinyl Additives GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Baerlocher GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Geänderter Anspruchsatz (zugelassen) Klärende Änderung Erfinderische Tätigkeit (bejaht) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Erteilung des europäischen Patentes Nr. 1 046 668 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 00117205.5 der Crompton Vinyl Additives GmbH (jetzt Chemtura Vinyl Additives GmbH), angemeldet am 4. Oktober 1996 als Teilanmeldung der früheren europäischen Patentanmeldung Nr. 96810664.1 unter Beanspruchung der Prioritäten der schweizer Voranmeldungen CH 291295 (13. Oktober 1995) und CH 315195 (7. November 1995), wurde am 2. Januar 2004 bekannt gemacht (Patentblatt 2004/01).
Das erteilte Patent enthielt 12 Ansprüche, wobei Anspruch 1 wie folgt lautete:
"Stabilisatorkombination enthalten
A) mindestens eine Verbindung der Formel I
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
worin R*1 und R*2 unabhängig voneinander für C1-C12-Alkyl, C3-C6-Alkenyl, unsubstituiertes oder mit 1 bis 3 C1-C4-Alkyl-, C1-C4-Alkoxy-, C5-C8-Cycloalkyl- oder mit Hydroxygruppen oder Cl-Atomen substituiertes C5-C8-Cycloalkyl, unsubstituiertes oder am Phenylring mit 1 bis 3 C1-C4-Alkyl-, C1-C4-Alkoxy-, C5-C8-Cycloalkyl-oder mit Hydroxygruppen oder Cl-Atomen substituiertes C7-C9-Phenylalkyl darstellen,
und R*1 oder R*2 zusätzlich für Wasserstoff und C1-C12-Alkyl stehen können, sowie
Y S oder O ist, und
B) mindestens eine Verbindung aus der Gruppe der Hydrotalcite."
Die abhängigen Ansprüche 2-9 betrafen bevorzugte Ausführungsformen der Stabilisatorkombination gemäß Anspruch 1. Anspruch 10 betraf eine Zusammensetzung enthaltend ein chlorhaltiges Polymer und die Stabilisatorkombination gemäß Anspruch 1-9, Anspruch 11 eine bevorzugte Ausführungsform gemäß Anspruch 10 und Anspruch 12 ein Verfahren zur Stabilisierung chlor-haltiger Polymere, wobei die Stabilisatorkombination gemäß Anspruch 1-9 in die chlorhaltigen Polymere eingearbeitet wird.
II. Gegen das Patent wurde am 30. September 2004, gestützt auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit), von der Firma Baerlocher GmbH Einspruch erhoben. Der Einsprechende zitierte die folgenden zwei Dokumente:
D1: EP 0 065 934 A1; und
D2: DE 690 16 112 T2.
Der Patentinhaber reichte das folgende Dokument ein:
D4: Datenblatt der Firma Kyowa Chemical Industry Co., Ltd., zur chemischen Zusammensetzung von Alcamizer 1 bis 4 und Entwässerungsplot (TGA) für Alcamizer 1, datiert 20. Oktober 1988.
III. Mit der am 17. Januar 2006 mündlich verkündeten und am 25. Januar 2006 schriftlich begründeten Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück.
Ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik sah die Einspruchsabteilung die technische Aufgabe in der Bereitstellung einer zu den Ausführungsformen des Standes der Technik alternativen Stabilisatorkombination für chlorhaltige Polymere. Die beanspruchte Kombination aus Aminouracil und Hydrotalcit sei im Lichte des Standes der Technik nicht naheliegend. So offenbare D1 mit Aminouracilen stabilisierte chlorhaltige Thermoplaste. Die Verwendung von Hydrotalciten als Stabilisatoren werde in D1 nicht erwähnt. D2 offenbare eine Stabilisatorzusammensetzungen aus weitgehend entwässerten Hydrotalciten sowie einem zwingend mit diesen einzusetzenden Schmiermittel für halogenhaltige Kunststoffe. Einen Hinweis auf Aminouracile enthalte D2 nicht. Um ausgehend von D1 zu einer Stabilisatorkombination gemäß Streitpatent zu gelangen, hätte der Fachmann eine die erfinderische Tätigkeit begründende zweifache Auswahl aus D2 treffen müssen. Danach hätte der Fachmann erstens von den speziellen, vorbehandelten Hydrotalciten der D2 auf die patentgemäßen unbehandelten Hydrotalcite übergehen und zweitens die zwingend erforderliche Schmiermittelkomponente der D2 durch die Aminouracile der D1 ersetzen müssen. Vielmehr beruhe eine Kombination von D1 mit D2 auf einer ex post facto Betrachtung, welche die Kenntnis der Lehre des Streitpatents voraussetze.
Der Patentinhaber hatte offensichtlich auch argumentiert, dass Beispiele aus der Stammanmeldung einen unerwarteten technischen Effekt durch die Verwendung von Aminouracil und Hydrotalcit belegen würden. Diese Beispiele seien bei der Einreichung der Teilanmeldung aufgrund eines redaktionellen Versehens aber nicht verwendet worden. Unter dem Hinweis, dass der Inhalt der Stammanmeldung weder Gegenstand des Einspruchsverfahrens sei noch als Reservoir zur Berichtigung, Ergänzung oder Auslegung des Inhalts des angegriffenen Patents herangezogen werden könne, verfolgte die Einspruchsabteilung diese Argumentationslinie des Patentinhabers nicht weiter (Punkt 4.10 der Entscheidung). Sie wies aber darauf hin, dass die vom Patentinhaber mit Schriftsatz vom 1. März 2005 vorgelegten Vergleichsversuche für eine synergistische Wirkung der beanspruchten Stabilisatorkombination zu sprechen scheinen.
IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legte der Beschwerdeführer (Einsprechender) am 15. März 2006 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 22. Mai 2006 eingereicht. Die Argumentation des Beschwerdeführers kann wie folgt zusammengefasst werden:
Alles nächstliegender Stand der Technik sei eine Stabilisatorkombination entsprechend der Lehre der D1 anzusehen. Die Lehre der D1 beschränke sich jedoch nicht auf die Offenbarung der allgemeinen Eignung von Aminouracil zur Stabilisierung von chlorhaltigen Thermoplasten. Vielmehr lehre D1 dem Fachmann auch, dass eine besonders gute Stabilisatorwirkung erhalten werden könne, wenn zu den Aminouracilen noch mindestens eine weitere Verbindung zugesetzt werde. So werde nach Seite 7, zweiter Absatz der D1 eine ganz besonders gute Stabilisierung erhalten, wenn neben dem Aminouracil ein Cadmiumcarboxylat eingesetzt werde. Da die subjektive Aufgabe des Streitpatents in der Bereitstellung von Stabilisatorkombinationen bestehe, welche keines der Schwermetalle Blei, Barium und Cadmium enthalte, sei genau diese in D1 erwähnte Stabilisatorkombination, die ein Aminouracil und ein Cadmiumcarboxylat enthalte, das erfolgversprechendste Sprungbrett für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, d. h. der nächstliegende Stand der Technik.
Der Beschwerdeführer vertrat die bereits im Einspruchsverfahren vorgetragene Auffassung, dass ein Beleg für eine unerwartete technische Wirkung der beanspruchten Stabilisatorkombination nicht vorliege. Somit bestehe, ausgehend von der im Streitpatent explizit genannten subjektiven Aufgabe, die objektive Aufgabe lediglich in der Bereitstellung von weiteren Stabilisatorkombinationen, welche frei von Schwermetallen wie Blei, Barium und Cadmium seien.
Wendet sich der Fachmann bei seinen Bemühungen, den im Rahmen der D1 offenbarten nächstliegenden Stand der Technik weiter zu entwickeln, so stelle er fest, dass ihm die D2 ausdrücklich die Eignung von Hydrotalciten als Ersatzstoffe für Schwermetallverbindungen offenbare. So lehre die D2 auf Seite 9, zweiter Absatz, dass in Stabilisatorzusammensetzungen auf der Basis von Hydrotalciten die bisher verwendeten Schwermetalladditive nicht benötigt würden. Folglich sei die Merkmalskombination gemäß Streitpatent das zwangsläufige Ergebnis der im Stand der Technik offenbarten Lehre. Infolge dieser Einbahnstraßen-Situation könne selbst eine zusätzliche unvorhergesehene Wirkungen die erfinderische Tätigkeit nicht begründen.
V. In seiner Erwiderung vom 4. September 2006 widersprach der Beschwerdegegner (Patentinhaber) den Ausführungen des Beschwerdeführers. Der Vortrag kann wie folgt zusammengefasst werden:
Die Einspruchsabteilung sei bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von einer weniger ambitionierten Aufgabenstellung ausgegangen (Bereitstellung alternativer Ausführungsformen zum Stand der Technik), ohne dass dabei die Vergleichsversuche, die der Patentinhaber im Einspruchsverfahren vorgelegt hatte, berücksichtigt worden seien. Nach Auffassung des Beschwerdegegners zeigen diese Versuche, dass durch die erfindungsgemäße Kombination von Aminouracil und Hydrotalcit eine signifikante Verbesserung hinsichtlich der Anfangsfarbe, der Farbhaltung und Langzeitstabilität bei chlorhaltigen Polymeren erhalten werde. Gegenüber dem Stand der Technik seien diese Ergebnisse überraschend.
Abgesehen davon würde der Fachmann bei einer Kombination der Dokumente D1 und D2 nicht den erfindungsgemäßen Gegenstand erhalten, da die anspruchsgemäßen Hydrotalcite in der D2 gar nicht angesprochen würden. Die anspruchsgemäßen Hydrotalcite seien nicht mit den Hydrotalcit-Derivaten der D2 gleichzusetzen. Es fehle daher an einer zweifelsfreien und eindeutigen Offenbarung des Merkmals (b) im zitierten Stand der Technik. Selbst wenn man aber wie die Einspruchsabteilung von einer weniger ambitionierten Aufgabenstellung ausginge, beruhe der Gegenstand der Streitpatents gegenüber dem zitierten Stand der Technik, d. h. D1 und D2, auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VI. Mit Schreiben vom 7. März 2008 teilte der Beschwerdeführer mit, dass er an der für den 13. März 2008 anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
VII. Am 13. März 2008 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Wie angekündigt, ist der Beschwerdeführer nicht erschienen. Da er aber ordnungsgemäß geladen war, wurde die Verhandlung gemäß Regel 115(2) EPÜ ohne ihn fortgesetzt.
Die Kammer griff den im schriftlichen Verfahren vorgetragenen Einwand des Beschwerdeführers auf, dass die im Dokument D2 offenbarten Hydrotalcit-Derivate von der Komponente B) des erteilten Anspruchs 1 umfasst würden. Im Gegensatz zur Einspruchsabteilung würde sie die Auffassung des Beschwerdeführers diesbezüglich teilen. Folglich sei auch die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu überdenken. Um sich von den Hydrotalcit-Derivaten der D2 abzugrenzen, reichte der Beschwerdegegner einen neuen Anspruchssatz (Ansprüche 1 bis 12) ein. Der neue Anspruchssatz unterschied sich von den erteilten Ansprüchen 1 bis 12 lediglich dadurch, dass in Anspruch 1 die Komponente B) folgendermaßen eingeschränkt wurde:
"B) mindestens ein Hydrotalcit, ausgewählt aus
Al2O3 6MgO CO2 12H2O,
Mg4,5Al2(OH)13 CO3 3,5H2O,
4MgO Al2O3 CO2 9H2O,
4MgO Al2O3 CO2 6H2O,
ZnO 3MgO Al2O3 CO2 8-9H2O, und
ZnO 3MgO Al2O3 CO2 5-6H2O".
Hinsichtlich der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit verwies der Beschwerdegegner im Wesentlichen auf sein schriftsätzliches Vorbringen, das auch auf den Gegenstandes des geänderten Anspruchs 1 zutreffe. Insbesondere verwies er auf seine bereits im Einspruchsverfahren eingereichten Vergleichsversuche.
VIII. Der Beschwerdeführer beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Der Beschwerdegegner beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben, und das Patent auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Patentansprüche 1 bis 12 aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 EPÜ und der Regel 99(1) EPÜ und ist daher zulässig.
2. Zulässigkeit des neuen Anspruchssatzes
In der mündlichen Verhandlung reichte der Beschwerdegegner einen neuen Anspruchssatz ein, da die Kammer die Auffassung des Beschwerdeführers teilte, dass die allgemeine Definition "Verbindung aus der Gruppe der Hydrotalcite" im erteilten Anspruch 1 die im Dokument D2 offenbarten Hydrotalcit-Derivate umfasse und die erfinderische Tätigkeit daher neu zu beurteilen wäre. In Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens ließ die Kammer diesen Antrag aus folgenden Gründen zu: Der neue Anspruchssatz ist die Reaktion auf einen Einwand, dessen Tragweite sich erst in der mündlichen Verhandlung ergab. Durch den neuen Anspruchssatz ändert sich das bisherige Vorbringen des Beschwerdegegners nicht, der von Anfang an die Auffassung vertreten hat, dass sich die Hydrotalcit-Derivate der D2 von der Komponente B) des erteilten Anspruchs 1 unterscheiden. Die im neuen Anspruchssatz vorgenommenen Änderungen sind eindeutig gewährbar. Und schließlich ist der neue Anspruchssatz die letzte Möglichkeit für den Beschwerdegegner, das Streitpatent zumindest in eingeschränktem Umfang zu retten.
Letztendlich ändert auch die Abwesenheit des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung an der Zulässigkeit des neuen Anspruchssatzes nichts. Ein einsprechender Beschwerdeführer, der, wie im vorliegenden Fall, die mündliche Verhandlung hilfsweise beantragt hat und erst kurz vor der anberaumten mündlichen Verhandlung mitteilt, dass er an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde, muss damit rechnen, dass das Streitpatent in dieser mündlichen Verhandlung auch in eingeschränktem Umfang weiterverfolgt wird.
3. Änderungen
Die Ansprüche 1-12 unterscheiden sich von den erteilten Ansprüchen 1-12 (Punkt I, oben) lediglich dadurch, dass die Komponente B) in Anspruch 1 folgendermaßen eingeschränkt worden ist:
"B) mindestens ein Hydrotalcit, ausgewählt aus:
Al2O3 6MgO CO2 12H2O,
Mg4,5Al2(OH)13 CO3 3,5H2O,
4MgO Al2O3 CO2 9H2O,
4MgO Al2O3 CO2 6H2O,
ZnO 3MgO Al2O3 CO2 8-9H2O, und
ZnO 3MgO Al2O3 CO2 5-6H2O.
Die Änderung an sich ist klar und basiert auf den auf Seite 36, erster Absatz der ursprünglichen Anmeldung genannten Hydrotalciten. Eine identische Auflistung findet sich auf Seite 36, erster Absatz der Stammanmeldung. Somit erfüllt die Änderung die Erfordernisse der Artikel 84, 123(2) und 76(1) EPÜ. Die Änderung stellt außerdem eine Einschränkung des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1 dar, so dass auch die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ erfüllt sind.
4. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass fehlende erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf D1 und D2 als einziger Einspruchsgrund geltend gemacht wurde.
5. Aufgabe-Lösung
5.1 Der Gegenstand des Streitpatents betrifft die Stabilisierung von chlorhaltigen Polymeren, besonders PVC (Absatz [0001] der Patentschrift). Die Stabilisatorkombination ist dabei auch ohne Zusätze von Blei, Barium und Cadmium wirksam (Absatz [0002]).Gemäß dem geänderten Anspruch 1 wird diese Stabilisierung durch eine Stabilisatorkombination erreicht, die mindestens ein Aminouracil der Formel I und mindestens ein Hydrotalcit aus der in Anspruch 1 aufgelisteten Gruppe enthält.
5.2 In der Regel erfolgt die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nach dem sogenannte "Aufgabe-Lösungs-Ansatz" (problem and solution approach), um eine objektive und nachvollziehbare Beurteilung zu gewährleisten (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 5. Auflage, 2006. I.D.2). Dabei ist zunächst der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln.
5.2.1 D1 beschreibt in Anspruch 1 thermoplastische Formmassen auf der Grundlage von Vinylchloridpolymeren, die als Stabilisator ein Aminouracil der Formel I enthalten. Dieses Aminouracil fällt unter die im vorliegenden Anspruch 1 genannte Formel. D1 lehrt weiterhin, dass eine verbesserte stabilisierende Wirkung mit dem zusätzlichen Einsatz herkömmliche PVC-Stabilisatoren und/oder Zusätze erzielt werden kann und listet in diesem Zusammenhang eine Reihe von Verbindungen bzw. Verbindungsklassen auf (Seite 4, dritter Absatz, Seiten 5 und 6). Hydrotalcite werden nicht genannt. Gemäß Seite 7, zweiter Absatz erhält man eine ganz besonders gute Stabilisierung, "wenn die chlorhaltigen Thermoplasten mit einem Gemisch aus mindestens einem Aminouracil der Formel I, mindestens einer Epoxyverbindung und/oder einem Metallcarboxylat oder -phenolat eines Metalls der zweiten Hauptgruppe des Periodensystems, mindestens einem Zink- oder Cadmiumcarboxylat oder einer Organozinnverbindung und mindestens einem der oben definierten Phosphite stabilisiert werden." Auch hier wird Hydrotalcit als möglicher Zusatzstoff nicht erwähnt. Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber D1 eindeutig neu.
Außerdem fällt auf, dass die in den Beispielen der D1 verwendeten Stabilisatorzusammensetzungen frei von Blei, Barium und Cadmium sind.
5.2.2 D2 betrifft eine Stabilisatormischung für die Verwendung in halogenhaltigen Harzen, die als aktiven Bestandteil eine Schmelzmischung aus einem entwässerten Hydrotalcit und einem Schmierstoff enthält (Anspruch 1). Den entwässerten Hydrotalcit erhält man durch Erhitzen eines harten, pulverigen Hydrotalcits in Luft oder in einer Atmosphäre von N2, He, O2 oder CO oder im Vakuum bei einer Temperatur von 150 bis 300ºC während einiger 10 Minuten bis einiger Tage, wodurch Kristallwasser entfernt wird (Seite 3, letzter Absatz). Die Verwendung der Stabilisatormischung verhindert die Korrosion und Rostbildung in Metallteilen einer Formmaschine und einer Form zur Zeit des Formens genauso wie den Abbau von Formteilen wegen Wärme oder ultravioletten Strahlen. Insbesondere verhindert die Stabilisatormischung die Blasenbildung in Formteilen (Seite 1, erster Absatz). Als besonderer Vorteil wird die Vermeidung von Additiven aus der Gruppe der Schwermetalle genannt (Seite 9, zweiter Absatz). D2 beschreibt auch die Möglichkeit neben der Schmelzmischung weitere übliche Additive einzusetzen (Seite 7-8). Aminouracile werden aber als Additive nicht erwähnt. Somit unterscheidet sich der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 in zweifacher Hinsicht von D2: Erstens entsprechen die in D2 beschriebenen Hydrotalcit-Produkte aufgrund des geringeren Kristallwassergehalts nicht den Hydrotalciten der Komponente B) des vorliegenden Anspruchs 1, und zweitens wird die Komponente A) in D2 nicht offenbart.
5.2.3 Wie die obige Analyse von D1 und D2 zeigt, gehören sowohl D1 als auch D2 zum gleichen technischen Gebiet wie das Streitpatent, nämlich der Stabilisierung von chlorhaltigen Polymeren, wobei auf den Einsatz von Blei, Barium und Cadmium verzichtet werden kann. Im Gegensatz zu D2 weist D1 aber eine größere strukturelle Übereinstimmung mit dem beanspruchten Gegenstand auf, da, wie oben gezeigt, D2 die Komponente A) des vorliegenden Anspruchs 1 nicht offenbart und sich außerdem die in der D2 beschriebenen Hydrotalcit-Produkte von der Komponente B) des vorliegenden Anspruchs 1 unterscheiden. Daher stellt nach Ansicht der Kammer D1 den nächstliegenden Stand der Technik dar. Da gemäß D1 Aminouracil auch ohne zusätzliche Schwermetalladditive eingesetzt werden kann (siehe Beispiele 1a und 1b), kommt diese allgemeine Eignung von Aminouracil dem Gegenstand des Anspruchs 1 am nächsten und stellt daher den besten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar.
5.3 Bei der Ermittlung der objektiven technischen Aufgabe ist zu berücksichtigen, was durch den beanspruchten Gegenstand gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik erreicht wird.
5.3.1 Wie der Beschwerdeführer richtig bemerkt hat, enthält keine der in den Beispielen des Streitpatents verwendeten Stabilisatorkonzentrationen (Tabelle I) Hydrotalcit und entspricht somit keiner Stabilisatorkombination gemäß Streitpatent bzw. geändertem Anspruch 1. Im Gegensatz dazu enthält aber die ursprünglich eingereichte Anmeldung Beispiele, die die beanspruchte Kombination aus Aminouracil und Hydrotalcit verwenden. In Tabelle III auf Seite 60 der ursprünglichen Anmeldung werden Stabilisatormischungen, die sowohl Aminouracil als auch Hydrotalcit enthalten (III4 bis III9), mit Stabilisatormischungen verglichen, die nur Aminouracil enthalten (III1 bis III3). Nach Änderung der Ansprüche im Prüfungsverfahren (Beschränkung auf die Kombination Aminouracil und Hydrotalcit) wurde die ursprüngliche Tabelle III aber nicht in die angepasste Beschreibung aufgenommen, sondern fälschlicherweise die ursprüngliche Tabelle V, die die Verwendung von Zeolithen zeigt. Dieser Fehler wurde weder vom Anmelder noch von der Prüfungsabteilung bemerkt und findet sich daher in der Patentschrift wieder. Somit ist die falsche Tabelle I des Streitpatents nicht, wie unter Punkt 4.9 der Entscheidung der Einspruchsabteilung aufgeführt, die Folge eines redaktionellen Versehens, das sich bei der Einreichung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Teilanmeldung ereignete. Tabelle III war eindeutig Teil der ursprünglichen Anmeldung und somit Teil der ursprünglichen Gesamtoffenbarung. Ursprünglich offenbarte Beispiele können natürlich zur Ermittlung der objektiven technischen Aufgabe herangezogen werden. Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung um eine Teilanmeldung handelt, muss aber geprüft werden, ob die Beispiele der Tabelle III auch die Erfordernisse des Artikel 76(1) EPÜ erfüllen. Da die Stammanmeldung eine identische Tabelle III enthält, ergeben sich diesbezüglich keine Einwände.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der in der ursprünglichen Tabelle III dargestellte Vergleich zwischen Stabilisatormischungen mit Aminouracil und Hydrotalcit und entsprechenden Stabilisatormischungen nur mit Aminouracil zur Bestimmung der objektiven technischen Aufgabe verwendet werden kann. Dabei zeigt die ursprüngliche Tabelle III eindeutig, dass die Stabilisatorkombinationen mit Aminouracil und Hydrotalcit im statischen Hitzetest eine verbesserte Stabilisatorwirkung ergeben, insbesondere eine bessere Farbhaltung (ersichtlich an dem niedrigeren Yellowness Index (YI)). Somit sprechen schon die Beispiele der ursprünglichen Tabelle III für eine verbesserte Stabilisatorwirkung der Kombination Aminouracil/Hydrotalcit. Diese Beispiele gelten auch für den geänderten Anspruch 1, da es sich bei den in diesen Beispielen verwendeten "Alcamizer I" um einen Hydrotalcit handelt, der unter den geänderten Anspruch 1 fällt, wie aus dem Datenblatt D4 ersichtlich ist.
5.3.2 Außerdem hat der Patentinhaber (jetzt Beschwerdegegner) im Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 1. März 2005 zusätzliche Versuche (1) bis (6) vorgelegt, die die in der ursprünglichen Anmeldung angesprochene verbesserte Stabilisatorwirkung weiter belegen. Auch in diesen Versuchen wurde "Alkamizer I" als Hydrotalcit verwendet.
So zeigt der Versuch (5), dass Aminouracil allein schon eine gute Anfangsfarbe und auch eine recht lange Farbhaltung aufweist (niedrige YI-Werte), wobei dieser Versuch den nächstliegenden Stand der Technik darstellt. Die Abbruchzeit (burning time) beträgt bei Versuch (5) 48 Minuten. Der anspruchsgemäße Versuch (6) zeigt im Vergleich dazu nicht nur eine leichte Verbesserung in der Anfangsfarbe, sondern zusätzlich auch noch eine wesentliche Verlängerung der Abbruchzeit (61 Minuten). Bei dem Versuch (4) - nur Hydrotalcit ist anwesend - ist die Probe von Beginn an stark gefärbt, was zeigt, dass die alleinige Stabilisierung mit Hydrotalcit nicht ausreichend ist.
Bei den Versuchen (1) bis (3) ist zusätzlich ein standardmäßiges Ca/Zn-Stabilisatorsystem anwesend, das den Effekt der Kombination Aminouracil/Hydrotalcit überlagert, so dass diese Versuchsreihe weniger aussagekräftig ist. Aber selbst hier zeigt die hälftige Kombination von Aminouracil und Hydrotalcit (Versuch (3)) noch eine geringfügig verbesserte Anfangsfarbe und Farbhaltung (bis 15 Minuten) in Bezug auf die YI-Werte gegenüber dem Versuch (2) - nur Aminouracil ist anwesend - und dem Versuch (1) - nur Hydrotalcit ist anwesend.
Somit bestätigen die zusätzlichen Versuche die bereits in der ursprünglichen Anmeldung geltend gemachte verbesserte Stabilisatorwirkung einer Kombination aus Aminouracil und Hydrotalcit.
5.3.3 Die Einspruchsabteilung sah die Aufgabe gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik lediglich in der Bereitstellung alternativer Ausführungsformen. Unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Daten der ursprünglichen Anmeldung (Tabelle 3) und der zusätzlichen Versuche kommt die Kammer aber zu dem Schluss, dass die objektive technische Aufgabe gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik in der Bereitstellung einer Stabilisatorkombination mit verbesserter Wirkung zu sehen ist, insbesondere im Hinblick auf Anfangsfarbe, Farbhaltung und Langzeitstabilität.
5.3.4 Die Tabelle III der ursprünglichen Anmeldung und die zusätzlichen Versuche zeigen glaubhaft, dass diese objektive technische Aufgabe durch die in Anspruch 1 definierte Stabilisatorkombination auch gelöst wird.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1 D1 enthält lediglich den Hinweis, dass eine Reihe üblicher Zusatzstoffe die Stabilisatorwirkung von Aminouracil erhöhen können. Dieser Hinweis führt aber zu den besonders bevorzugten Stabilisatorkombinationen auf Seite 7 der D1 (Punkt 5.2.1, oben). Einen allgemeinen Hinweis auf Hydrotalcite oder einen Hinweis darauf, dass Hydrotalcite die Stabilisatorwirkung von Aminouracil verbessern können, enthält D1 nicht. Somit bietet D1 auch keinen Hinweis auf die nun beanspruchte Stabilisatorkombination.
6.2 Die beanspruchte Lösung, d. h. die Verwendung von Aminouracil und Hydrotalcit, ergibt sich auch nicht in naheliegender Weise durch eine Kombination von D1 mit D2. Aus dem Dokument D2 geht nur die stabilisierende Wirkung spezieller Hydrotalcit-Derivate auf halogenhaltige Harze hervor. Diese Literaturstelle beschäftigt sich ausführlich mit den Nachteilen üblicher Hydrotalcit Stabilisatoren nach dem damaligen Stand der Technik (vgl. insbesondere Seite 2, letzter Absatz). Die in Anspruch 1 aufgelisteten Verbindungen der Komponente B) sind nicht entwässert und fallen unter den Begriff "übliche" Hydrotalcite. Um zu der Stabilisatorkombination gemäß Anspruch 1 zu gelangen, müsste der Fachmann die Lehre der D2 modifizieren und die vorbehandelten, "entwässerten" Hydrotalcite durch unbehandelte Hydrotalcite ersetzen. Dazu bestand im Hinblick auf die in D2 angesprochenen Nachteile von "üblichem" Hydrotalcit überhaupt kein Anlass. Außerdem enthält D2 keinen Hinweis auf die Kombination von Hydrotalcit (entwässert oder "üblich") mit Aminouracilen. Der Fachmann kann diesem Dokument daher grundsätzlich keine Anregung entnehmen, dass die Kombination von Hydrotalcit mit Aminouracil von Vorteil wäre. Eine Kombination von D1 mit D2 kann daher nicht als naheliegend angesehen werden, sondern beruht eher auf einer rückschauenden ("ex-post") Betrachtungsweise, welche in Kenntnis der patentgemäßen Lehre erfolgt.
6.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1, und damit auch der Gegenstand der Ansprüche 2 bis 12, beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Patentansprüche 1 bis 12 und einer noch daran anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.