European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2008:T155205.20080123 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 Januar 2008 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1552/05 | ||||||||
Anmeldenummer: | 98114022.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01N 11/14 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Bestimmung der Immobilisierung kolloider Beschichtungsdispersionen | ||||||||
Name des Anmelders: | BASF Aktiengesellschaft | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Malvern Instruments Limited | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Spät eingereichte Dokumente - nicht zugelassen Erfinderische Tätigkeit (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin und Einsprechende hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 0 902 269 (Anmeldenummer 98 114 022.1) zurückzuweisen, Beschwerde eingelegt.
Mit dem Einspruch war das gesamte Patent unter Hinweis auf Artikel 100a) i.V.m. den Artikeln 52 bis 57, insbesondere 52(1), 54 und 56 EPÜ angegriffen worden.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Gegenstände der erteilten Ansprüche 1 und 9 die Erfordernisse der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit erfüllen. Sie hat die folgenden Dokumente berücksichtigt:
D1: NL-A-7713735 mit englischer Übersetzung
D2: ASLE Transactions, Society of Tribologists and Lubrication, US, Vol.25, No. 3, Pages 283-288, presented at the 36th Annual Meeting in Pittsburgh, May 11-14, 1981, Kalpakci B et al: A Porous Media Viscometer for the Detection of Anomalous Viscosity Effects Applicable to Elastohydrodynamic and Boundary Lubrication
D3: Society of Petroleum Engineers Journal, Dallas, Tx, US, October 1981, pages 613-622, Duda J L et al: Influence of Polymer-Molecule/Wall Interactions on Mobility Control
D4: Bohlin Reologi Drawing Number 332042 dated 881004
D5: Malvern Instruments Internet website, http://www.malvern.co.uk, extract from pages "Corporate History", "I want to Measure Particle Size" and "Mastersizers"
D6: RÖMPP CHEMIE LEXIKON, Herausgeber Falbe J et al, Band 1, Seite 400, 1989, Georg Thieme Verlag, Stuttgart
D7: US-A-5631409 (im vorliegenden Patent zitiert; nummeriert durch die Kammer)
II. Die Einsprechende hat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents beantragt. Sie hat noch die folgenden Dokumente genannt (Nummerierung durch die Kammer):
D8: "An introduction to Rheology" by Barnes, Hutton & Waiters, Elsevier, ISBN 0 444 87469, published 1989
D9: "Rheology in Practice", European Coatings Journal 10/92, pages 641-645 (published 1992).
D10: "Practical Applications of Rheology in the Paint Industry"; Beeferman & Bergman; 43rd Annual Meeting of the Federation for Societies for Paint Technology in Atlantic City N.J.; October 29 1965
D11: Rheologica Acta 29: 352-359 (1990) (entspricht D4 in der Nummerierung der Einsprechenden)
Ihre Ausführungen in der Beschwerdebegründung lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Im Sinne der in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia gegebenen Definition von "Colloid" und den für kolloidale Dispersionen beispielhaft genannten Farben, die eine Beschichtung darstellten, sowie dem als Beispiel einer Dispersion biologischer Kolloide genannten Blut betreffe das Dokument D1 Dispersionen der gleichen Art und Größe, wie sie in dem vorliegenden Anspruch 1 genannt seien. Die aus D1 hervorgehende Vorrichtung eigne sich daher bei entsprechend ausgewählten Kolloiden zur Immobilisierung der Dispersion und zur Messung der Viskosität. Es könne auch angenommen werden, dass in D1 ähnliche Prozesse an der porösen Oberfläche abliefen wie in dem vorliegenden Patent, dass nämlich bevorzugt die Phase niedriger Viskosität in die poröse Oberfläche eindringe und die übrige Phase höherer Viskosität zurückbleibe und schließlich immobilisiert werde im Sinne einer zeitlichen Änderung der Viskosität. Bezüglich des in D1 untersuchten Blutes werde wiederum auf die Angaben in der Wikipedia zur Teilchengrösse der kolloidalen Lipoproteine HDL und LDL hingewiesen. Es sei klar, dass die Bestimmung der zeitlichen Änderung der Viskosität Aufschluss über die Zusammensetzung des untersuchten Fluids ergebe.
Die Messung der Zeitabhängigkeit der Viskosität entspreche im Übrigen einer üblichen Vorgehensweise in der Rheometrie, wie aus D2 oder D3 hervorgehe. Dies werde auch durch den Hinweis in dem vorliegenden Patent auf das von der Patentinhaberin selbst benutzte Rheometer BohlinR CS gestützt. Es werde von Seiten der Einsprechenden versichert, dass dieses Rheometer vor dem Prioritätstag des vorliegenden Patents an Kunden geliefert wurde, und zwar mit einer Standardversion seiner Software, die es erlaubte, die Zeitabhängigkeit der Viskosität zu messen. In diesem Zusammenhang werde eine schriftliche oder mündliche Zeugenaussage angeboten, falls die Kammer dies für nötig halte.
Zur Bekräftigung, dass die Messung der Zeitabhängigkeit der Viskosität üblich war, werde auf D8 bis D10 hingewiesen. Weiter sei die in dem Patent verwendete Vorgehensweise in D11 weitgehend offenbart. Außerdem werde dort ein Bohlin-Rotations-Rheometer verwendet.
Als Schlussfolgerung ergebe sich, dass der Gegenstand des vorliegenden Patents gegenüber den Dokumenten D1, D2 und D3 sowie dem allgemeinen Fachwissen, wie es durch die Dokumente D8 bis D10 belegt sei, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dies gelte auch gegenüber D1 und D11 zusammen mit dem allgemeinen Fachwissen.
III. Die Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Ihre Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Dokument D1 betreffe ganz allgemein heterogene Fluide, die üblicherweise aus unterschiedlichen Fluidfraktionen mit insbesondere unterschiedlichen rheologischen Eigenschaften bestehen könnten, und offenbare im Besonderen biologische Fluide, darunter Blut. Durch einen Hinweis auf einen entsprechenden Auszug aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia, worin als Kolloide beispielhaft Farben und Blut aufgeführt seien, versuche die Einsprechende abzuleiten, dass in D1 kolloide Beschichtungsdispersionen offenbart seien.
Diese Schlussfolgerung widerspreche der Logik, weil ein spezielles offenbartes Kolloid (D1: Blut) nicht für ein anderes spezielles Kolloid, im vorliegenden Fall eine kolloide Beschichtungsdispersion, neuheitsschädlich sein könne.
Die Einsprechende führe eine Reihe von weiteren Dokumenten ein (D8 bis D10; Nummerierung durch die Kammer) zur Stützung ihrer Argumentation, dass die Messung der zeitabhängigen Änderung der Viskosität zum Prioritätstag des Streitpatents allgemein bekannt gewesen sei. Das vorliegende Verfahren beschränke sich jedoch nicht auf die Messung der zeitabhängigen Änderung der Viskosität einer Probe, sondern betreffe speziell die Bestimmung eines konkreten Zustands, und zwar der Immobilisierung einer kolloiden Beschichtungsdispersion, durch Messung der zeitlichen Änderung der Viskosität. Hierbei handele es sich um das spezielle Verhalten einer kolloiden Beschichtungsdispersion, das nicht daraus abgeleitet werden könne, dass das physikalische Verhalten aller kolloiden Dispersionen ähnlich sei.
Dokument D11 (neue Nummerierung durch die Kammer) sei auch kein für die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents hochrelevantes Dokument und daher als verspätetes Vorbringen nicht zu berücksichtigen. Zwar werde dort beschrieben, dass der Immobilisierungspunkt einer Beschichtungsfarbe durch Aufnahme einer bekannten Menge der Beschichtungsfarbe auf einer porösen Platte bestimmt werden könne, jedoch erfolge diese Bestimmung eindeutig nicht über die Messung der zeitlichen Änderung der Viskosität mittels eines Rheometers, sondern es werde der Feststoffgehalt der Farbe, wenn der Wasserspiegel auf der Oberfläche der Beschichtung verschwinde, als Maß für den Immobilisierungspunkt bestimmt.
IV. In einer Anlage zur Ladung zu der von der Einsprechenden hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung hat die Kammer eine vorläufige, sie nicht bindende Stellungnahme abgeben, in der sie u. a. darauf hingewiesen hat, dass die bezüglich des Rheometers BohlinR CS geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung voraussichtlich nicht mehr untersucht werden könne.
V. Nach Ablauf der von der Kammer in der Ladung gesetzten Frist für die Einreichung weiterer Stellungnahmen bzw. geänderter Unterlagen hat die Patentinhaberin noch Ansprüche gemäß einem Hilfsantrag und die Einsprechende Kopien einer beabsichtigten Power-Point-Präsentation sowie des ASTM-Standards D4473-95a eingereicht (Dokument D12).
VI. Eine mündliche Verhandlung hat am 23.01.2008 stattgefunden. In der mündlichen Verhandlung gab die Patentinhaberin ihre Zustimmung zu der beantragten Power-Point-Präsentation, die dann auf Geheiß der Kammer stattfand, wobei das Gezeigte teilweise von dem zuvor Eingereichten abwich.
VII. In der mündlichen Verhandlung hat die Einsprechende ihren Antrag bekräftigt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Ein zuvor gestellter Antrag auf Erstattung von Kosten wurde von der Einsprechenden fallen gelassen. Die Patentinhaberin hat Ansprüche 1 bis 8 eingereicht und gemäß einem einzigen Antrag beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und auf dieser Grundlage der Ansprüche 1 bis 8 das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten. Der Anspruch 1, der demzufolge dieser Entscheidung zugrunde liegt, lautet:
"1. Verfahren zur Bestimmung der Immobilisierung kolloider Beschichtungsdispersionen (9) beim Aufbringen auf ein poröses Substrat (5) durch Viskositätsmessung, wobei auf das poröse Substrat (5), das eine Begrenzungsfläche des Meßspalts eines Rheometers bildet, die kolloide Beschichtungsdispersion (9) aufgebracht und die zeitliche Änderung der Viskosität gemessen wird."
Die Ansprüche 2 bis 8 sind auf den Anspruch 1 zurückbezogene abhängige Ansprüche.
Entscheidungsgründe
1. Änderungen
Die gültigen Ansprüche 1 bis 8 sind im Wortlaut identisch mit den erteilten Ansprüchen 1 bis 8, die bis auf redaktionelle Änderungen mit den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 8 übereinstimmen. Mit anderen Worten, der neue Anspruchssatz ist durch Streichung der auf eine Vorrichtung gerichteten Ansprüche 9 und 10 hervorgegangen. Die Zulässigkeit des neuen Anspruchssatzes steht daher außer Frage.
2. Zu berücksichtigende Dokumente
2.1 Die Dokumente D1 bis D7 wurden von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung genannt. Von diesen Dokumenten hat die Einsprechende lediglich D1 bis D4 im Beschwerdeverfahren aufgegriffen und zuletzt nur bezüglich D1 und D2 argumentiert. In der vorliegenden Entscheidung werden von den Dokumenten D1 bis D7 daher nur die wichtigsten, d. h. D1 bis D2, berücksichtigt.
2.2 Die Dokumente D8 bis D11 wurden erstmals in der Beschwerdebegründung genannt. Die Einsprechende führte als Begründung dafür, dass diese Dokumente nicht schon im Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorgelegt worden waren, lediglich an, dass die Vorlage dieser Dokumente durch die Argumentation der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung bedingt worden sei. Allerdings hatte die Einspruchsabteilung diese Argumentation schon ausführlich in der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung dargelegt, so dass die Einsprechende mit einer für sie negativen Entscheidung rechnen musste und hierauf ggf. schon im erstinstanzlichen Verfahren mit der Vorlage weiterer Dokumente hätte reagieren müssen. Die Kammer hält jedoch die Dokumente D8, D10 und D11 für nicht relevant. D8 befasst sich mit nicht-linearen Materialeigenschaften, insbesondere mit zeitabhängigem "shear thinning" bei nicht-tropfender Farbe ohne konkrete Hinweise auf ein Messverfahren. D10 berichtet über zeitabhängige Viskositätsmessungen bei Farben zur Ermittelung des Verlaufens von Pinselstrichen und des Wasserverlustes an porösen Oberflächen. Aber eine Immobilisierung wird in D10 nicht angesprochen. D11 ist ebenfalls nicht relevant, wie in Punkt 4.6 unten ausgeführt ist. Die Kammer macht daher von ihrer Befugnis Gebrauch, D8, D10 und D11 nicht zuzulassen, siehe Artikel 12(4) VOBK (ABl. EPA 2007, 536). Was D9 anbelangt, so ist dieses Dokument nicht, wie von Artikel 12(2)a) VOBK verlangt, eingereicht worden, worauf die Kammer schon in der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung hingewiesen hat.
2.3 Offenkundige Vorbenutzung/Power-Point-Präsentation/ ASTM-Standard D4473-95a (D12)
Wenn geltend gemacht wird, dass eine offenkundige Vorbenutzung durch die Einsprechende selbst erfolgt ist, gilt regelmäßig, dass diese Vorbenutzung im erstinstanzlichen Verfahren hätte vorgebracht werden müssen, da sie als der Einsprechenden zu diesem Zeitpunkt bekannt vorausgesetzt werden kann, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 5. Auflage 2006, Kapitel VI.F.3.1.4. (Seite 457ff). Eine solche erst in der Beschwerdebegründung geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung kann daher im Beschwerdeverfahren von der Kammer in Ausübung ihres Ermessens nicht zugelassen werden, siehe Artikel 12(4) VOBK. Im vorliegenden Fall wurde nur ganz pauschal in der Beschwerdebegründung auf die Benutzung des Rheometers BohlinR CS durch Lieferung der Einsprechenden an Kunden mit einer Software, die eine Aufnahme der Zeitabhängigkeit der Viskosität erlaube, hingewiesen, während erst kurz vor der mündlichen Verhandlung Kopien einer Power-Point-Präsentation eingereicht worden sind, die nähere Angaben zu dieser Software enthalten. Danach dient sie zum Betrieb eines Rheometers, wie in dem gleichzeitig eingereichten AST-Standard einschließlich der Messung der Zeitabhängigkeit der Viskosität bei auf Substraten befindlichen Wärme-aushärtbaren Kunstharzen zur Ermittelung der Aushärtezeit offenbart ist. Abgesehen davon, dass eine genauere Untersuchung dieser Umstände wegen der in diesem Zusammenhang aufgeworfenen komplexen Fragen den Rahmen der mündlichen Verhandlung gesprengt hätte, war dieses späte Vorbringen prima facie auch nicht relevant, wie sich aus einer Diskussion in der mündlichen Verhandlung, siehe Punkte 4.7 und 4.8 unten, ergab. Die Kammer hat daher von dem ihr in den Artikeln 12(4) und 13(1) VOBK eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht, das späte Vorbringen nicht mehr zuzulassen.
3. Neuheit und erfinderische Tätigkeit
3.1 Gemäß der in dem vorliegenden Anspruch 1 verwendeten Terminologie offenbart D1, siehe Figuren 1 bis 3 und die englische Übersetzung, Seiten 1 bis 3, ein Verfahren zur Bestimmung von rheologischen Eigenschaften heterogener Fluide durch Aufbringen des Fluids auf ein poröses Substrat (28, 32) und durch Viskositätsmessung, wobei auf das poröse Substrat, das eine Begrenzungsfläche des Messspalts eines Rheometers bildet, das Fluid aufgebracht wird. Ein heterogenes Fluid in D1 besteht aus verschiedenen Anteilen unterschiedlich chemischer Zusammensetzung, verschiedenen Molekulargewichten und rheologischen Eigenschaften, also mit mindestens einer Komponente hoher Viskosität und mindestens einer Komponente niedrigerer Viskosität. Als Beispiele werden biologische Fluide genannt, u. a. Blut. Bei dem in D1 offenbarten Verfahren werden die Eigenschaften des Fluids erst dann ermittelt, wenn die Komponente niedriger Viskosität in das poröse Substrat absorbiert worden ist (vgl. auch Anspruch 9 von D1).
3.2 Demnach unterscheidet sich das vorliegende Verfahren von dem in D1 offenbarten dadurch, dass die heterogenen Fluide kolloidale Beschichtungsdispersionen sind, deren Immobilisierung durch eine zeitliche Änderung der Viskosität gemessen wird. Das vorliegende Verfahren ist daher gegenüber D1 neu. Da D2 und D3 andere Messmethoden verwenden, wie unten erläutert, ist die Neuheit auch gegenüber diesen Dokumenten gegeben, und D1 ist der nächstliegende Stand der Technik.
3.3 Mit den unterscheidenden Merkmalen wird die Aufgabe gelöst, für die Anwendung des Verfahrens einen anderen Materialtyp auszuwählen und einen anderen Viskositäts-abhängigen Parameter zu bestimmen, der sich zur Charakterisierung der technischen Eigenschaften des Materialtyps besonders eignet.
3.4 Was die Lösung mit den unterscheidenden Merkmalen anbelangt, so gibt D1 keinen Hinweis auf die Anwendung auf kolloidale Beschichtungsdispersionen, z. B. Papierstreichfarben, zumal bei dem in D1 verwendeten Fluiden die Immobilisierung kein entscheidender Parameter ist und diese dort auch nicht bestimmt wird.
3.5 Das in dem Dokument D2 beschriebenen Viskosimeter beruht auf der Messung der Zeitdauer des Flusses eines Fluids aus einem Gefäß ("flux bulb"), woraus die Viskosität bestimmt wird. In D2 wird mit dieser Methode die Viskosität beim Durchtritt des Fluids (Schmierstoffe, z. B. Mineral-Öl) durch ein poröses Medium (Polycabonat-Filter) gemessen. Abgesehen davon, dass D2 wiederum keine kolloidalen Beschichtungsdispersionen betrifft, wird in D2 weder, wie in dem vorliegenden Anspruch, die Immobilisierung eines Fluids bestimmt, noch wird die zeitliche Änderung der Viskosität gemessen. Die in D2 gemessene Zeit dient zur Bestimmung eines Viskositätswertes, der sich mit der Zeit nicht ändert. D2 vermag daher dem Fachmann keinen Hinweis auf das in dem vorliegenden Anspruch 1 definierte Verfahren zu geben.
3.6 Das Dokument D3, das zuletzt in der Diskussion keine Rolle mehr gespielt hat, verwendet das gleiche Verfahren wie D2 und ist daher für die Messung einer zeitlichen Änderung der Viskosität eines Fluids völlig ungeeignet. Bei den in D3 untersuchten Materialien handelt es sich um gelöste Polymere und nicht um kolloidale Beschichtungsdispersionen. Durch D3 wird somit das Verfahren gemäß dem vorliegenden Anspruch ebenfalls nicht nahegelegt.
4. Argumente der Einsprechenden
4.1 Die Einsprechende hat eingewandt, dass D1 ebenso wie das Verfahren gemäß dem vorliegenden Anspruch Kolloide betreffe, nachdem in der von Wikipedia gegebenen Definition als Beispiele sowohl Blut wie in D1 als auch Farben wie in dem vorliegenden Patent genannt seien. Außerdem fielen die Beispiele des vorliegenden Patents unter die in D1 gegebene Definition, wonach das Fluid mindestens eine Komponente hoher Viskostät und mindestens eine Komponente niedrigerer Viskosität enthalte.
4.2 Dies kann die Kammer nicht überzeugen, da es sich bei den Kolloiden in dem vorliegenden Anspruch um "Beschichtungsdispersionen" handelt, also solche Kolloide, die für Beschichtungen bestimmt sind, wofür sich in D1 keine Beispiele finden. Eine allgemeine Definition (in D1: "heterogene Fluide") nimmt aber im Sinne der Neuheit eine spezielle Definition (Streitpatent: "kolloidale Beschichtungsdispersionen") nicht vorweg. Wie oben gezeigt wurde, gab es in D1 auch keinen Hinweis, der es nahegelegt hätte, das dort offenbarte Verfahren auf solche kolloidalen Beschichtungsdispersionen anzuwenden.
4.3 Nach einem weiteren Argument der Einsprechenden enthalte der vorliegende Anspruch auch keine Merkmale, wie die Immobilisierung durch Messung der zeitabhängigen Viskostät festgestellt werde. Da in D1 und D2 die Fluide ebenfalls auf poröse Oberflächen aufgebracht würden, ergebe sich dort im Laufe der Zeit zwangsläufig eine Immobilisierung, weil die Komponente geringerer Viskosität bevorzugt in die poröse Oberfläche eindringe.
4.4 Nach Auffassung der Kammer geht es in D1 jedoch darum, die rheologischen Eigenschaften der Komponenten höherer Viskosität zu bestimmen, weswegen die Komponenten niedrigerer Viskosität durch Kapillarkräfte von der porösen Oberfläche der Ringe 28 und 32 des Rheometers absorbiert werden, siehe D1, die englische Übersetzung, Seite 2, erster Satz, sowie Figur 3 mit der Beschreibung, S. 3, die letzten drei Zeilen. In dem vorliegenden Patent wird im Unterschied dazu die Immobilisierung der an dem porösen Substrat haftenden kolloidalen Beschichtungsdispersion durch Messung der Zeitabhängigkeit der Viskosität bestimmt. Diese Angaben in dem vorliegenden Anspruch sind für einen Fachmann ausreichend, um die Erfindung auszuführen. Es handelt sich um die übliche Verallgemeinerung, wie sie in Patentansprüchen zur Anwendung kommt. In jedem Fall ist in der Beschreibung des Patents, insbesondere der Figur 3, deutlich beschrieben, wie vorzugehen ist. Auch wenn nach der Lehre des Patents ebenfalls der Gehalt an Lösungsmittel, z. B. Wasser, abnimmt, so bezieht sich die Immobilisierung immer noch auf ein gelöstes Beschichtungsmaterial (siehe vorliegendes Patent, Seite 4, Zeilen 14 bis 17) im Unterschied zu D1, wo nur die Viskosität der hochviskosen Komponenten interessiert. Was D2 anbelangt, so wird das Verhalten eines Fluids, z. B. Schmierstoffes, beim Durchgang durch ein poröses Material bestimmt im Sinne einer anormalen Viskosität, die höher ist als die normale Viskosität ("bulk viscosity"). Eine Bestimmung der Immobilisierung noch dazu über eine Messung der Zeitabhängigkeit der Viskosität ist in D2 nicht vorgesehen und mit dem dort beschriebenen Gerät auch nicht möglich.
4.5 Die Einsprechende hat noch darauf hingewiesen, dass es zum allgemeinen Fachwissen gehöre, für die Untersuchung der Viskosität von Streichfarben poröse Substrate zu verwenden und hierzu auf die nicht zugelassene Druckschrift D11 hingewiesen.
4.6 Hinsichtlich der Relevanz der Druckschrift D11 ist jedoch zu bemerken, dass in D11, siehe Seite 354, linke Spalte, erster Absatz, zwar über mit einem Viskosimeter der schwedischen Firma Bohlin Reologi AB durchgeführte Viskositätsmessungen an auf poröse Substrate aufgebrachten Streichfarben berichtet wird. Aber als Maß für den Immobilisierungspunkt einer solchen Farbe dient der Zeitpunkt, zu dem der Wasserspiegel auf der Oberfläche der auf das poröse Substrat aufgebrachten Farbe verschwindet, siehe Seite 354, linke Spalte, zweiter Absatz. D11 gibt daher keine Anregung für die in dem vorliegenden Anspruch definierte Bestimmung der Immobilisierung mit Hilfe zeitabhängiger Viskositätsmessungen und ist daher nicht relevant.
4.7 Die Einsprechende hat im Zusammenhang mit ihrer Power-Point-Präsentation insbesondere auf die Vielseitigkeit des Rheometers BohlinR CS hingewiesen, das als in den meisten Gebieten der Technik zur Viskositätsmessung verwendbar angeboten worden sei. In diesem Zusammenhang sei schon auf Viskositätsmessungen von Farben als Funktion der Zeit hingewiesen worden. Mit dem Gerät sei eine Software zum Messen des Aushärtungsvorgangs von thermoplastischen Harzen angeboten worden, mit der gemäß dem Standard ASTM D-4473 (D12) die Viskosität u. a. von mit Harzen beschichteten Substraten als Funktion der Zeit aufgenommen und daraus einen Beginn der Gelierung feststellt werden könne, der einer Immmobilisierung entspreche.
4.8 Da es aus den Unterlagen nicht klar war, ob alle gezeigten Anwendungen und Ergebnisse auch vor dem Prioritätstag des vorliegenden Patents erfolgt sind bzw. erhalten wurden, und auch unklar blieb, von wem und unter welchen Umständen sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, hat die Kammer zu diesem späten Zeitpunkt die Offenbarung gemäß der Power-Point-Präsentation weder im Sinne einer offenkundigen Vorbenutzung noch als druckschriftlich belegter Stand der Technik berücksichtigen können. Die Kammer stimmt jedoch mit der Patentinhaberin darin überein, dass diese Offenbarung prima facie nicht relevant ist, da das Gebiet der wärmeaushärtbaren Kunststoffe, auf das sich die Offenbarung gemäß der Power-Point-Präsentation im Wesentlichen bezieht, von dem Gebiet der kolloiden Beschichtungsdispersionen des vorliegenden Patents verschieden ist. Daher gab es keine zwingende Veranlassung für den Fachmann, die für das Gebiet der wärmeaushärtbaren Kunststoffe beschriebene Ermittelung des Gelierungspunktes auf dem Gebiet der kolloiden Beschichtungsdispersionen anzuwenden.
4.9 Auch unter Berücksichtigung aller wesentlichen Argumente der Einsprechenden kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass das Verfahren gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 sowohl neu ist als auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
5. Die abhängigen Ansprüche betreffen besondere Ausführungsarten des Verfahrens gemäß Anspruch 1 bzw. eine besondere Verwendung dieses Verfahrens. Diese Ansprüche erfüllen daher ebenfalls die Erfordernisse des EPÜ. Dies gilt auch für die Beschreibung, die an das geänderte Patentbegehren angepasst wurde. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen, so dass in dieser Hinsicht die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Patents in dem geänderten Umfang gegeben ist, siehe Artikel 101(3)a) EPÜ.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Beschreibung:
Seite: 2 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2008.
Seiten: 3-6 der Patentschrift.
Ansprüche:
Nr.: 1-8 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2008.
Zeichnungen: der Patentschrift.