European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2008:T143905.20080819 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 19 August 2008 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1439/05 | ||||||||
Anmeldenummer: | 02738015.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01R 19/25 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Messgerät mit über ein Blockdiagramm ansteuerbaren Funktionseinheiten | ||||||||
Name des Anmelders: | Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.4.01 | ||||||||
Leitsatz: | 1. Nach Artikel 113(2) EPÜ 1973 hat sich das EPA an die von dem Anmelder vorgelegte oder gebilligte Fassung der Anmeldung zu halten ("Antragsprinzip"). Liegen mehrere Anträge in Form eines Hauptantrags und rangmäßig nachfolgender Hilfsanträge vor, so ist die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung an die Reihenfolge der gestellten Anträge gebunden. 2. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte die Prüfungsabteilung vor der Verkündung der Entscheidung am Ende der mündlichen Verhandlung die gültige Antragslage klären (Nr. 6.5). |
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Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 02738015.3 (Veröffentlichungsnummer 1390768; internationale Veröffentlichungsnummer WO 02/095426) wurde mit der am 18. Juli 2005 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.
Die Zurückweisung der Anmeldung war damit begründet, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem der Entscheidung zugrunde liegenden, einzigen Antrag nicht neu sei (Artikel 54(1),(2) EPÜ 1973).
II. Im Prüfungsverfahren wurden folgende Druckschriften berücksichtigt:
(D1) US-A-5,630,164;
(D2) DE-A-198 46 855;
(D3) US-A-5,155,836;
(D4) Lexikon der Eisenbahn, transpress VEB Verlag für Verkehrswesen, Berlin, 6. Auflage, 1981, Seiten 346 und 347, Tafel 56 und 57.
III. Am 1. August 2005 legte die Anmelderin (Beschwerdeführerin) gegen die Entscheidung Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung ging am 14. Oktober 2005 ein. Am 12. August 2005 wurde ein Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr eingereicht.
IV. Am 19. August 2008 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Ansprüche 1-10, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 19. August 2008;
Beschreibungsseiten 1, 1a, 1b, 2-12, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 19. August 2008;
Zeichnungsblätter 1/8-8/8, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 19. August 2008.
Ferner hielt die Beschwerdeführerin ihren Antrag aufrecht, die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten.
VI. Der Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Meßgerät (1) mit mehreren Funktionseinheiten (2a, 2b, 13a, 13b, ...), die miteinander variabel verschaltbar sind, einer Steuereinrichtung (28), die mit den Funktionseinheiten (2a, 2b, 13a, 13, ...) verbunden ist und die die Verschaltung und die Funktionen der Funktionseinheiten (2a, 2b, 13a, 13b, ...) festlegt, und einer optischen Darstellungseinrichtung (29),
wobei die Funktionseinheiten (2a, 2b, 13a, 13b, ...) symbolisierende Funktionsblöcke (102a, 102b, 113a, 113b, ...) auf der Darstellungseinrichtung (29) darstellbar sind und mit Verbindungselementen (140-147) graphisch verbindbar sind, und wobei die Steuereinrichtung (28) die Darstellungseinrichtung (29) so ansteuert, daß die Funktionsblöcke (102a, 102b, 113a, 113b, ...) entsprechend der aktuellen Verschaltung der Funktionseinheiten (2a, 2b, 13a, 13b, ...) über die Verbindungselemente (140-147) graphisch miteinander verbunden sind."
Die Ansprüche 2 bis 10 sind abhängige Ansprüche.
VII. Am 13. Dezember 2007 trat das EPÜ 2000 (im Folgenden als "EPÜ" bezeichnet) in Kraft. Gemäß dem Beschluss des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation vom 28. Juni 2001 (Sonderausgabe Nr. 1 ABl. EPA 2007, 197) über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7, Absatz 2, der Revisionsakte vom 29. November 2000 (Sonderausgabe Nr. 1 ABl. EPA 2007, 196) wird das EPÜ oder das EPÜ 1973 angewandt, je nachdem, welche Vorschrift in Betracht kommt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Artikel 123(2) EPÜ
2.1 Der vorliegende Anspruch 1 entspricht dem Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung mit folgenden Änderungen:
a) auf die zweiteilige Fassung wurde verzichtet;
b) der Ausdruck "insbesondere Signalgenerator" nach der Bezeichnung "Meßgerät" wurde gestrichen;
c) das Merkmal, dass die Steuereinrichtung mit den Funktionseinheiten verbunden ist, wurde hinzugefügt.
Die Änderungen a) und b) sind zulässig und bedürfen keiner Erörterung. Das Merkmal c) ist auf Seite 6, Zeilen 12-18 der ursprünglichen Beschreibung in Verbindung mit Figur 8 offenbart. Allerdings besagt diese Stelle, dass die Funktionseinheiten mit der Steuereinrichtung "über einen Steuerbus" verbunden sind.
Die Frage stellt sich, ob die durch die Weglassung des Ausdrucks "über einen Steuerbus" entstehende Verallgemeinerung zulässig ist. Grundsätzlich darf ein Anspruch so weit verallgemeinert werden, wie es die Offenbarung der Erfindung und der Stand der Technik zulässt. Dabei ist eine Verallgemeinerung eines konkret beschriebenen Beispiels möglich, wenn dies nicht dazu führt, dass der Fachmann dadurch Angaben erhält, die aus dem Offenbarungsgehalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung unter Berücksichtigung des Fachwissens nicht eindeutig hervorgehen.
Im vorliegenden Fall besteht die sich aus der Gesamtoffenbarung der ursprünglich eingereichten Anmeldung ergebende technische Lehre darin, dass das Messgerät eine mit mehreren Funktionseinheiten verbundene Steuereinrichtung aufweist, welche nicht nur die Verschaltung und die Funktion der Funktionseinheiten variabel festlegt, sondern auch eine Darstellungseinrichtung so ansteuert, dass ein graphisches Blockdiagramm die aktuelle Verschaltung wiedergibt. Damit ist die Festlegung der Verschaltung und der Funktion der Funktionseinheiten bedienungsfreundlich zu realisieren (ursprüngliche Beschreibung, Seite 1, Zeilen 34-39), denn anhand des graphischen Blockdiagramms können die aktuelle Konfiguration der Verschaltung der Funktionseinheiten, die eingestellten Funktionen der Funktionseinheiten und der interne Signalfluss unmittelbar abgelesen werden (ursprüngliche Beschreibung, Seite 7, Zeilen 24-33; Seite 11, Zeile 32 bis Seite 12, Zeile 2).
Gemäß Figur 8, die das einzige Ausführungsbeispiel des erfindungsgemäßen Messgeräts zeigt, erfolgt die Verbindung der Steuereinrichtung mit den Funktionseinheiten durch einen Steuerbus, wie oben bereits erwähnt. Zwei Überlegungen sind hier angebracht. Erstens handelt es sich hierbei um eine physikalische Verbindung, mit der Folge, dass die Funktionseinheiten physikalischer Natur sind. Virtuelle Funktionseinheiten sind damit also ausgeschlossen. Zweitens stellt die konkrete Angabe betreffend den Steuerbus lediglich ein Detail des Messgeräts gemäß dem Ausführungsbeispiel dar, von welchem die technische Lehre nicht abhängt. Diese bliebe nämlich unberührt, wenn andere dem Fachmann geläufige Mittel zur Übertragung von Steuersignalen anstelle des offenbarten Steuerbusses Anwendung finden würden. Die Angabe über den Steuerbus ist also im Rahmen der Offenbarung als nicht wesentlich anzusehen, was wiederum bedeutet, dass diese Angabe nicht unbedingt in den Anspruch 1 aufgenommen werden muss, zumal dies laut Beschwerdeführerin eine unangemessene Einschränkung des Schutzbereichs darstellen würde.
Somit ist die in Frage stehende Verallgemeinerung zulässig.
2.2 Die Änderungen in den vorliegenden, abhängigen Ansprüchen entsprechen im Wesentlichen den Vorschlägen der Prüfungsabteilung in der Mitteilung gemäß Regel 51(4) EPÜ 1973 vom 15. April 2005. Es bestehen keine Bedenken gegen diese Änderungen, die lediglich der Beseitigung sprachlicher Unklarheiten dienen.
2.3 Die Änderungen in der vorliegenden Beschreibung dienen dazu, offensichtliche Fehler zu berichtigen und den Stand der Technik anzugeben. Es bestehen keine Bedenken gegen diese Änderungen.
2.4 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zum Ergebnis, dass die Anmeldung nicht in der Weise geändert wurde, dass ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Artikel 123(2) EPÜ).
3. Artikel 84 EPÜ 1973
3.1 Laut Prüfungsabteilung schließe der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag vom 1. März 2005 nicht aus, dass die Funktionseinheiten virtueller Natur seien (angefochtene Entscheidung, Seite 4, letzte Zeile; Seite 5, Zeilen 1 und 2). Dieser Einwand, der ebenfalls für den Wortlaut des Anspruchs 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung gilt, wurde durch die vorgenommene Änderung behoben, wonach die Steuereinrichtung mit den Funktionseinheiten verbunden ist. Wie oben bereits dargestellt, bringt der geänderte Wortlaut des vorliegenden Anspruchs 1 sowohl die physikalische Natur der Funktionseinheiten des Messgeräts, als auch die direkte Ansteuerung der Funktionseinheiten klar, wenn auch auf indirekte Weise, zum Ausdruck.
3.2 Aus dem Wortlaut des vorliegenden Anspruchs 1, insbesondere aus dem Merkmal, dass die Steuereinrichtung die Verschaltung der Funktionseinheiten und die Darstellungseinrichtung ansteuert, ergibt sich ferner, dass die Steuerung der Verschaltung der Funktionseinheiten parallel zu der Steuerung der Darstellungseinrichtung erfolgt. Eine andere Auslegung sei nicht sinnvoll, wie die Beschwerdeführerin überzeugend vorbrachte, denn das dargestellte Blockdiagramm gebe anspruchsgemäß die aktuelle Verschaltung wieder.
3.3 Der vorliegende, geänderte Anspruch 1 ist zweifellos von der Beschreibung, insbesondere von dem auf Figur 8 dargestellten Ausführungsbeispiel des erfindungsgemäßen Messgeräts, gestützt.
3.4 Es bestehen keine Bedenken gegen die Klarheit der vorliegenden, abhängigen Ansprüche.
3.5 Aus diesen Gründen entsprechen die vorliegenden Ansprüche den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ 1973.
4. Neuheit (Artikel 54(1),(2) EPÜ 1973)
4.1 Die Druckschrift D1 offenbart einen Emulator eines wissenschaftlichen Geräts (Spalte 2, Zeilen 44-55). Der Emulator (Figur 1; Spalte 5, Zeilen 10-29) weist ein Computergehäuse 1 auf, in welchem ein Eingabe/Ausgabe-Modul 6, ein Speicher 3, eine Steuereinheit 2 und vier Schaltkarten 9 angeordnet sind. Diese Einheiten sind durch Datenbusse 4, 11 miteinander verbunden. Ferner ist eine der Schaltkarten 9 mit einer Darstellungseinrichtung 10 verbunden. Der Speicher 3 enthält mehrere als Bildzeichen graphisch dargestellte Funktionsblöcke, von denen jedem eine bestimmte Funktion zugeordnet ist (Figur 6). Mittels einer Maus kann ein Benutzer unterschiedliche Funktionsblöcke miteinander verbinden, so dass ein Blockdiagramm entsteht und dargestellt wird (Figur 7). Durch die Ausführung eines Compilerprogramms werden die dem Blockdiagramm entsprechenden Auswirkungen auf ein an einem Eingang 7 des Eingabe/Ausgabe-Moduls 6 angelegtes Signal ermittelt (Spalte 3, Zeilen 6-33; Spalte 7, Zeile 40 bis Spalte 8, Zeile 64).
D1 offenbart also - unter Verwendung der Terminologie des vorliegenden Anspruchs 1 - ein Messgerät mit mehreren Funktionseinheiten, einer Steuereinrichtung und einer Darstellungseinrichtung, mit welcher die Funktionseinheiten symbolisierende Funktionsblöcke und die Signalpfade symbolisierende Verbindungselemente als ein Blockdiagramm graphisch darstellbar sind. Die Steuereinrichtung ist zwar mit den Funktionseinheiten über einen Bus verbunden. Aber das graphische Blockdiagramm und die Verschaltung der Steuereinheiten werden nicht von der Steuereinrichtung im Sinne des vorliegenden Anspruchs 1 angesteuert, denn erst die Erstellung und die Ausführung eines Compilerprogramms ermöglicht die Ermittlung der Auswirkung einer dem dargestellten Blockdiagramm entsprechenden Verschaltung.
4.2 Die Druckschrift D3 offenbart einen auf einem Rechner implementierten Blockdiagrammeditor (Abstract). Figur 5 (Spalte 8, Zeile 41 bis Spalte 9, Zeile 15) zeigt ein Rechnersystem 50 mit einem Rechner 54, einer Darstellungseinrichtung 56, einer Tastatur 58 und einer Maus 60. Das Rechnersystem 50 ist über einen bidirektionalen Datenbus 62 mit einem Protokollkonverter 64 verbunden. Dieser ist wiederum über einen weiteren bidirektionalen Datenbus 66 mit einem Testsystem verbunden, das aus verschiedenen Funktionseinheiten besteht, insbesondere drei Signalgeneratoren 68, 70, 72 und einer Signalmesseinheit 74, die über Leitungen 69, 71, 73, 75 mit einer zu testenden Vorrichtung 76 verbunden sind. Mit dem Rechner werden unterschiedliche Blockdiagramme, die aus miteinander verbundenen Funktionsblöcken bestehen, softwaremäßig erzeugt und auf der Darstellungseinrichtung dargestellt (Figur 1). Durch die darauffolgende Ausführung eines solchen Blockdiagramms mit einem dafür vorgesehenen Programm findet ein Test mit Darstellung der aufbereiteten Signale statt (Spalte 3, Zeile 22 bis Spalte 5, Zeile 68; Spalte 10, Zeilen 60-66; Figur 2; Spalte 11, Zeilen 13-21). Figuren 6-11 zeigen Beispiele von Schritten zum Aufbau eines Blockdiagramms durch Verbindung verschiedener Funktionsblöcke, das dann vom Rechnersystem der Figur 5 ausgeführt wird. Figur 12 zeigt weitere Schritte zum Hinzufügen anderer Funktionsblöcke in das Diagramm gemäß Figur 11. Die Figuren 13 und 14 zeigen die Vorgänge zum Festlegen von Parametern bezüglich eines Funktionsblocks im Blockdiagramm der Figur 12.
Ähnlich wie D1 offenbart auch D3 - unter Verwendung der Terminologie des vorliegenden Anspruchs 1 - ein Messgerät mit mehreren Funktionseinheiten, einer Steuereinrichtung (Rechner) und einer Darstellungseinrichtung, mit welcher die Funktionseinheiten symbolisierende Funktionsblöcke und die Signalpfade symbolisierende Verbindungselemente als ein Blockdiagramm graphisch darstellbar sind. Die Steuereinrichtung ist zwar mit den Funktionseinheiten über Busse und einen Protokollkonverter verbunden. Aber das graphische Blockdiagramm und die Verschaltung der Steuereinheiten werden nicht von der Steuereinrichtung im Sinne des vorliegenden Anspruchs 1 angesteuert, denn erst die Erstellung und die Ausführung eines Programms ermöglicht die Ermittlung der Auswirkung einer dem dargestellten Blockdiagramm entsprechenden Verschaltung.
4.3 Die Druckschrift D2 offenbart ein Testsystem zum Durchführen eines Vorgangs, der eine "Testausrüstung" steuert, um eine zu testende Vorrichtung zu testen. Die Testausrüstung umfasst eine oder mehrere elektronische Testelemente, wie z.B. einen Signalgenerator, einen Modulator, eine Eingabe/Ausgabe-Vorrichtung, einen Mischer (Spalte 1, Zeilen 3-30). Figur 12 zeigt die Anordnung eines Testsystems gemäß einer Ausführungsform.
Gemäß Anspruch 1 von D2 umfasst das bekannte Testsystem (1) eine Testaufgabeneinrichtung zum Managen eines Testelements und eines Testziels, um die zu testende Vorrichtung zu testen, (2) eine Testklasseneinrichtung zum Auswählen eines Testparameters auf der Grundlage des Testziels, (3) eine "virtuelle Instrumenteneinrichtung" zum Durchführen eines Tests mit dem Testelement unter Verwendung des ausgewählten Testparameters, (4) eine Testdatenspeichereinrichtung zum Speichern der durch den durchgeführten Test erhaltenen Testdaten, (5) eine Testparameterspeichereinrichtung zum Speichern des von der Testklasseneinrichtung gesetzten Parameters, und (6) eine Darstellungsblatteinrichtung zum Anzeigen der vom Testelement aufgenommenen Daten. Der Offenbarung von D2 lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob die "Testausrüstung" und die "virtuelle Instrumenteneinrichtung" identisch sind.
Gemäß Anspruch 5 von D2 erfolgt der Test durch (1) Anzeigen eines ersten Graphiksymbols, das die zu testende Vorrichtung darstellt, in einem ersten Anzeigebereich eines Anzeigebildschirmes, (2) Anzeigen eines zweiten Graphiksymbols, das ein ausgewähltes Testelement darstellt, im ersten Anzeigebereich, (3) Verbinden und Anzeigen des ersten Graphiksymbols und des zweiten Graphiksymbols im ersten Anzeigebereich, (4) Erzeugen eines Testparameters für das ausgewählte Testelement, (5) Durchführen eines vorgegebenen Tests durch Setzen des Testparameters, der im vierten Schritt erzeugt worden ist, und Aufnehmen der Testdaten vom Testelement, und (6) Anzeigen der im fünften Schritt aufgenommen Testdaten im ersten Anzeigebereich.
D2 offenbart demnach nicht eindeutig - unter Verwendung der Terminologie des vorliegenden Anspruchs 1 - ein Messgerät, das eine mit mehreren physikalischen Funktionseinheiten verbundene Steuereinrichtung aufweist, welche nicht nur die Verschaltung und die Funktion der Funktionseinheiten variabel festlegt, sondern auch eine Darstellungseinrichtung so ansteuert, dass ein graphisches Blockdiagramm die aktuelle Verschaltung wiedergibt.
4.4 Die Druckschrift D4 offenbart einen Gleisbildstelltisch (Seite 346 und 347). Dieser ist nicht gattungsgemäß, d.h. er ist nicht als ein Messgerät im Sinne der vorliegenden Anmeldung anzusehen, selbst wenn eine breite Auslegung (ursprüngliche Beschreibung, Seite 6, Zeilen 7-10) zugrunde gelegt wird. Darüber hinaus weist der bekannte Gleisbildstelltisch keine Steuereinrichtung im Sinne des vorliegenden Anspruchs 1 auf.
4.5 Aus diesen Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu (Artikel 54(1),(2) EPÜ 1973).
5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)
5.1 Sowohl die Druckschrift D1 als auch D3 kann als der am nächsten liegende Stand der Technik angenommen werden, bei welchem ein versehentliches Versäumen der Kompilierung zu einem Abweichen der tatsächlichen Konfiguration und damit zu ungültigen Messwerten führt. Wie oben bereits dargestellt, besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Messgerät gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 und dem aus D1 oder D3 bekannten Gegenstand darin, dass die erfindungsgemäße Steuereinrichtung nicht nur die Verschaltung der Funktionseinheiten variabel festlegt, sondern auch die Darstellungseinrichtung so ansteuert, dass ein graphisches Blockdiagramm die aktuelle Verschaltung wiedergibt. Hiermit lässt sich die Festlegung der Verschaltung der Funktionseinheiten bedienungsfreundlich realisieren (ursprüngliche Beschreibung, Seite 1, Zeilen 34-39). Dadurch, dass stets die aktuelle Verschaltung angezeigt wird, ist ferner sichergestellt, dass eine Fehlbedienung oder ein Gerätefehler selbst von angelerntem Bedienpersonal erkannt wird (Schreiben von 18. Juli 2008, Seite 3, Nr. 3.1, erster Absatz).
Ausgehend von D1 oder D3 liegen dem Fachmann keine Hinweise auf die beanspruchte Lösung vor. Insbesondere erscheint das der Lehre dieses Stands der Technik zugrunde liegende Kompilierungskonzept mit der beanspruchten Lösung nicht kompatibel.
Die weiteren Druckschriften D2 und D4 kommen der beanspruchten Erfindung nicht näher. Diesem Stand der Technik kann der Fachmann keine Anregungen entnehmen, die eine Änderung des aus D1 oder D3 bekannten Messgeräts in Richtung der Erfindung nahelegen.
5.2 Aus diesen Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973).
6. Rückzahlung der Beschwerdegebühr (Regel 103(1)a) EPÜ)
6.1 Laut Niederschrift (Nr. 20 und 21) über die mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung, die am 1. März 2005 stattfand, antwortete die Prüfungsabteilung auf die Frage des Vertreters der Anmelderin, "welcher Hilfsantrag als gewährbar betrachtet werde", dass "der vierte (IV.) Hilfsantrag gewährbar wäre, wenn die im Hauptantrag durchgeführten Änderungen hinsichtlich Artikel 84 und 123(2) EPÜ übernommen würden". Als Reaktion darauf reichte der Vertreter einen Hilfsantrag VI ein (Niederschrift, Nr. 23). Nachdem dieser Hilfsantrag VI im Lauf der Verhandlung geändert worden war (Niederschrift, Nr. 25 und 26), verkündete der Vorsitzende der Prüfungsabteilung die Entscheidung, dass der Hauptantrag und die Hilfsanträge I, II, III und V nicht gewährbar seien und dass die Prüfungsabteilung beabsichtige, ein Patent "auf der Basis des geänderten Hilfsantrags VI" zu erteilen (Niederschrift, Nr. 27).
6.2 Die Mitteilung gemäß Regel 51(4) EPÜ 1973 vom 15. April 2005 erfolgte entsprechend der am Ende der mündlichen Verhandlung verkündeten Entscheidung. Die Prüfungsabteilung teilte zunächst mit, dass sie beabsichtige, ein Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten, geänderten Hilfsantrags VI zu erteilen. Sie teilte ferner die Gründe für die Nichtgewährbarkeit des Hauptantrags und der Hilfsanträge I, II, III und V mit (Anlage, Nr. 1-5). Als Zusatzbemerkung (Anlage, Nr. 6.c) stellte die Prüfungsabteilung aktenkundig zum ersten Mal fest, dass der von ihr "während der mündlichen Verhandlung als - nach entsprechender Klarstellung - gewährbar bezeichnete Hilfsantrag IV (...) als solcher vom Vertreter der Anmelderin nicht weiterverfolgt sondern in überarbeiteter Fassung als Hilfsantrag VI vorgelegt" worden sei. Daher sei es nicht erforderlich, weitere Ausführungen bezüglich Gewährbarkeit oder Nichtgewährbarkeit des "nicht weiterverfolgten Hilfsantrags IV" zu machen.
Auf die Mitteilung gemäß Regel 51(4) EPÜ 1973 versagte der Vertreter mit Schreiben vom 16. Juni 2005 seine Billigung der von der Prüfungsabteilung für die Erteilung eines Patents vorgeschlagenen Fassung der Ansprüche. Ferner beantragte er, ein Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung am 1. März 2005 eingereichten, geänderten Hauptantrags zu erteilen. Sollte eine Patenterteilung auf dieser Grundlage nicht möglich sein, wurde um eine beschwerdefähige Entscheidung gebeten.
6.3 Mit der Entscheidung vom 18. Juli 2005 (Nr. I.7.a.ii) stellte die Prüfungsabteilung zunächst fest, dass in der mündlichen Verhandlung am 1. März 2005 der Hilfsantrag IV vom 1. Februar 2005 durch einen auf ihm basierenden Hilfsantrag VI ersetzt worden sei. Ferner hielt die Prüfungsabteilung den geänderten Hauptantrag vom 1. März 2005 für nicht gewährbar und wies die Anmeldung zurück.
6.4 In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer bestritt der Vertreter der Beschwerdeführerin, je den Hilfsantrag IV zurückgenommen zu haben. Die Prüfungsabteilung habe somit versäumt, mit der Mitteilung gemäß Regel 51(4) EPÜ 1973 die Gründe für die Nichtgewährbarkeit dieses Antrags anzugeben, was einen wesentlichen Verfahrensfehler darstelle, der die Zurückerstattung der Beschwerdegebühr rechtfertige.
6.5 Nach Artikel 113(2) EPÜ 1973 hat sich das EPA an die von dem Anmelder vorgelegte oder gebilligte Fassung der Anmeldung zu halten ("Antragsprinzip"). Liegen mehrere Anträge in Form eines Hauptantrags und rangmäßig nachfolgender Hilfsanträge vor, so ist die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung an die Reihenfolge der gestellten Anträge gebunden (T 0169/96 (unveröffentlicht); T 0540/02 (unveröffentlicht)).
Im vorliegenden Fall verstoßen die Zusatzbemerkung der Prüfungsabteilung in der Anlage (Nr. 6.c) zu der Mitteilung gemäß Regel 51(4) EPÜ 1973 und die entsprechende Feststellung in der Entscheidung vom 18. Juli 2005 (Nr. I.7.a.ii) gegen den Grundsatz der Antragsbindung. Um Missverständnisse zu vermeiden, hätte die Prüfungsabteilung vor der Verkündung der Entscheidung am Ende der mündlichen Verhandlung am 1. März 2005 die gültige Antragslage klären müssen. Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ergibt sich jedoch kein Hinweis auf eine solche Klärung. Diese wäre umso notwendiger gewesen, als die Antragslage angesichts der zahlreichen, gestellten und geänderten Anträge unübersichtlich geworden war. Beim Fehlen einer Auflistung aller der Entscheidung zugrunde liegenden Anträge in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung scheint die Aussage der Beschwerdeführerin, sie habe den Hilfsantrag IV nicht zurückgenommen, angesichts der Antragsnummerierung glaubhaft zu sein. Hätte die Absicht bestanden, Hilfsantrag IV zu ersetzen, so wäre der entsprechende Antrag wohl kaum als zusätzlicher Hilfsantrag VI eingereicht worden.
6.6 Nach Regel 103(1)a) EPÜ wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet, wenn der Beschwerde durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.
6.7 Die Bindung des EPA an die von dem Anmelder vorgelegte oder gebilligte Fassung stellt einen Verfahrensgrundsatz dar, der von so grundlegender Bedeutung ist, dass jede - auch auf eine falsche Auslegung eines Antrags zurückzuführende - Verletzung dieses Grundsatzes prinzipiell als wesentlicher Verfahrensmangel zu werten ist (T 0647/93 (unveröffentlicht); J 0019/84 (unveröffentlicht)).
6.8 Da aus den erwähnten Gründen der vorliegenden Beschwerde stattgegeben wird und ferner ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt, entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit. Die Beschwerdegebühr wird deshalb zurückerstattet.
7. Artikel 11 VOBK
Gemäß Artikel 11 VOBK verweist eine Kammer die Angelegenheit an die erste Instanz zurück, wenn das Verfahren vor der ersten Instanz wesentliche Mängel aufweist, es sei denn, dass besondere Gründe gegen die Zurückverweisung sprechen.
Im vorliegenden Fall ist die Zurückverweisung zur weiteren Entscheidung (Artikel 111(2) EPÜ 1973) aus verfahrensökonomischen Gründen nicht angemessen, insbesondere angesichts des gewährbaren Schutzbegehrens gemäß dem vorliegenden, von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer gestellten Antrag.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Ansprüche 1-10, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 19. August 2008;
Beschreibungsseiten 1, 1a, 1b, 2-12, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 19. August 2008;
Zeichnungsblätter 1/8-8/8, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 19. August 2008.
3. Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird stattgegeben.