European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2007:T139305.20070308 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 08 März 2007 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1393/05 | ||||||||
Anmeldenummer: | 98965703.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | C07H 19/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung von Fludarabin-phosphat-Lithium-, Natrium-, Kalium-, Calcium-, und Magnesium-Salzen, Reinigungsverfahren zur Herstellung von Fludarabin-phosphat und Fludarabin-phosphat mit mindestens 99,5%iger Reinheit | ||||||||
Name des Anmelders: | Schering Aktiengesellschaft | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Mayne Pharma PTY Ltd. CURTIS, Philip Anthony SICOR Inc. |
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Kammer: | 3.3.08 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Hauptantrag, erster und zweiter Hilfsantrag - Neuheit - nein | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent EP-A-1 047 704 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Herstellung von Fludarabinphosphat-Lithium-, Natrium-, Kalium-, Calcium- und Magnesiumsalzen und Reinigungsverfahren zur Herstellung von Fludarabin-phosphat und Fludarabinphosphat mit einer Reinheit von mindestens 99,5 %" wurde auf der Grundlage der europäischen Patentanmeldung Nr. 98 965 703.6 mit 10 Patentansprüchen erteilt.
Die erteilten Ansprüche 1 und 5 lauteten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung von Fludarabinphosphat-Lithium-, Natrium-, Kalium-, Calcium- und Magnesiumsalzen, wobei Fludarabinphosphat in Wasser [sic] gelöst, zu dieser Lösung unter Rühren und bei Temperaturen von unterhalb 30 ºC eine Alkali- oder [sic] Erdalkalibasenlösung gegeben und diese Lösung langsam in 45 - 55 ºC warmes Aceton eingefällt, gekühlt und der ausgefallene Niederschlag gegebenenfalls filtriert und gegebenenfalls getrocknet wird.
5. Fludarabinphosphat mit einer Reinheit von mindestens 99,5 %."
Die Ansprüche 2 bis 4 waren auf weitere Merkmale des Verfahrens nach Anspruch 1 gerichtet. Die Ansprüche 6 bis 10 bezogen sich auf Fludarabinphosphat mit einer Reinheit von größer 99,55 %, 99,6 %, 99,7 %, 99,8 % bzw. 99,85 %.
II. Gegen das Patent wurden drei Einsprüche gemäß Artikel 100 a) und b) EPÜ wegen mangelnder Neuheit der Ansprüche 5 bis 10, mangelnder erfinderischer Tätigkeit aller Ansprüche und unzureichender Offenbarung eingelegt.
III. Die Einspruchsabteilung befand, dass die Erzeugnisansprüche 5 bis 10 des Hauptantrags (in der erteilten Fassung) nicht neu waren, und erhielt das Patent auf der Grundlage des damaligen ersten Hilfsantrags aufrecht, wobei die betreffenden Ansprüche in Verfahrensansprüche umgewandelt wurden.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte Beschwerde ein, entrichtete die Beschwerdegebühr, reichte eine Beschwerdebegründung ein und beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung.
V. Die Beschwerdegegnerinnen I und III (Einsprechende 1 und 3) reichten Erwiderungen auf die Beschwerdebegründung ein. Der Beschwerdegegner II (Einsprechender 2) beteiligte sich nicht am Verfahren.
VI. Die Kammer erließ eine Mitteilung nach Artikel 11 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, in der sie ihre vorläufige, unverbindliche Auffassung darlegte.
VII. Auf diese Mitteilung hin reichte die Beschwerdeführerin eine weitere Stellungnahme ein, der zwei Hilfsanträge und fünf neue Unterlagen beigefügt waren.
Anspruch 5 des Hilfsantrags 1 lautete wie folgt:
"5. Fludarabinphosphat mit einer Reinheit von mindestens 99,5 % als Wirkstoff für eine pharmazeutische Anwendung."
Anspruch 5 des Hilfsantrags 2 lautete wie folgt:
"5. Fludarabinphosphat mit einer Reinheit von mindestens 99,5 %, welches in einer Menge von über einem Kilogramm vorliegt."
Die Ansprüche 6 bis 10 der beiden Hilfsanträge waren jeweils entsprechend abgefasst.
VIII. Die Beschwerdegegnerin III beantragte, dass die neu eingereichten Unterlagen außer Acht gelassen werden sollten, weil sie zu spät vorgelegt worden seien.
IX. Bezüglich der Zulässigkeit dieser Unterlagen reichten die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin III eine weitere Stellungnahme ein.
X. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente eingegangen:
(OD1): DE-A-195 43 052
(OD3): US-A-4 357 324
(OD5): WO-A-91/08215
(OD16): Erwiderung der Patentinhaberin vom 19. Dezember 2001 (mit Versuchsdaten) auf den Prüfungsbescheid vom 24. August 2001
(OD23): US-A-5 296 589
(OD26): US-A-3 703 507
(OD29): Erklärung von Dr. A. M. Knill vom 6. April 2005
(OD31): Tabelle 1 mit Versuchsdaten der Beschwerdeführerin
(OD35): Anlage B zur Erklärung von E. Bigatti vom 12. Juni 2006
XI. Die schriftlich und in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, wie folgt zusammenfassen:
Artikel 54 EPÜ - Neuheit
Hauptantrag - Ansprüche 5 bis 10
Die Ansprüche 5 bis 10 des Hauptantrags seien auf die kleine organische Verbindung Fludarabinphosphat gerichtet, die durch ihren Reinheitsgrad von mindestens 99,5 % gekennzeichnet sei. Fludarabinphosphat sei bereits aus dem Stand der Technik bekannt (vgl. Dokumente (OD1), (OD3) und (OD5) - die dem US-Patent 5 296 589, das als (OD23) in der Akte ist, entsprechende Euro-PCT-Anmeldung), aber nicht mit einem solchen Reinheitsgrad.
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (T 990/96, ABl. EPA 1998, 489) mache ein Dokument, das eine niedermolekulare chemische Verbindung und ihre Herstellung offenbare, diese Verbindung in der Regel in allen gewünschten Reinheitsgraden der Öffentlichkeit zugänglich, sofern es keinen Ausnahmefall gebe, der einen anderen Schluss zulasse. In T 728/98 (ABl. EPA 2001, 319) sei dieser Grundsatz bestätigt und befunden worden, dass kein solcher Ausnahmefall vorliege, wenn sich der beanspruchte Reinheitsgrad durch die Behandlung mit einem herkömmlichen Reinigungsverfahren erfolgreich erzielen lasse. Diese Rechtsprechung finde im vorliegenden Fall aber keine Anwendung, weil sich die Eigenschaften von Fludarabinphosphat ganz erheblich von den Eigenschaften der kleinen organischen Verbindungen in den Sachen T 990/96 und T 728/98 (s. o.) unterschieden.
Auch bei Berücksichtigung der Grundsätze, die in den beiden oben angeführten Entscheidungen aufgestellt worden seien, handle es sich bei der vorliegenden Sache um einen der dort vorgesehenen Ausnahmefälle:
- Die Versuchsdaten der Beschwerdeführerin zur Nacharbeitung des in den Beispielen 2 bis 7 des Dokuments (OD1) beschriebenen Reinigungsverfahrens - nämlich die Dokumente (OD16) und (OD31) - zeigten, dass der erzielbare Reinheitsgrad nie 99,5 % betrage. Gewiss werde in dem in (OD16) verwendeten Protokoll ein anderer Säulentyp eingesetzt als in (OD1); die Säule aus (OD1) sei für die Reinigung aber noch besser geeignet. Die als Dokument (OD31) vorgelegte Ergebnistabelle müsse vor dem Hintergrund der dazugehörigen Stellungnahme vom 30. November 2005 gesehen werden, wonach die dafür verwendeten Protokolle genau identisch mit den Protokollen aus den Beispielen 2 bis 7 des Dokuments (OD1) seien.
- Im Dokument (OD3) sei der Reinheitsgrad des nach dem dort beschriebenen Verfahren hergestellten Fludarabinphosphats nicht angegeben. Wie das im Dokument (OD5) verwendete Verfahren umfasse auch dieses Verfahren eine Ionenaustauschsäule, und im Dokument (OD5), Seite 16, heiße es eindeutig, dass das Endprodukt des Reinigungsverfahrens Verunreinigungen enthalte. Daher sei es sehr unwahrscheinlich, dass die im Dokument (OD5), aber auch die im Dokument (OD3) beschriebenen Fludarabinphosphate zu mindestens 99,5 % rein seien.
- Die Versuchsdaten der Beschwerdegegnerinnen (vgl. Dokumente (OD35) und (OD29)), die angeblich nachwiesen, dass Fludarabinphosphate mit dem nunmehr beanspruchten Reinheitsgrad mittels herkömmlicher, im Stand der Technik beschriebener Verfahren für die Reinigung von Fludarabinphosphat hergestellt werden könnten, seien für diesen Zweck nicht geeignet.
- Das Dokument (OD35) zeige, dass eine Wiederholung des im Dokument (OD3) beschriebenen Protokolls zu keiner über 88,7 % hinausgehenden Reinheit führe. Um eine Reinheit von 99,88 % zu erzielen, müsse die Beschwerdegegnerin weitere Reinigungsstufen hinzufügen, wie sie offenbar aus dem im Dokument (OD26) beschriebenen Protokoll für die Reinigung einer weiteren Verbindung stammten, das kein Fluoratom enthalte. Der Fachmann hätte keinen Anlass gehabt, die Lehren der beiden Dokumente zu kombinieren. Außerdem seien die im Dokument (OD26) angewandten Versuchsbedingungen nicht streng eingehalten, sondern vielmehr aufgrund nachträglicher Erkenntnisse aus der vorliegenden Erfindung geändert worden.
- Das Dokument (OD29) beschreibe ein komplexes Reinigungsverfahren, das dem Stand der Technik zum Fludarabinphosphat überhaupt nicht zu entnehmen sei.
Die Beschwerdeführerin habe ihre Beweispflicht, dass der beanspruchte Reinheitsgrad mittels herkömmlicher Reinigungsverfahren nicht zu erzielen sei, eindeutig erfüllt. Somit liege ein Ausnahmefall vor, wie er in der Entscheidung T 990/96 (s. o.) vorgesehen sei. Daher könne dem Gegenstand der Ansprüche 5 bis 10 Neuheit zuerkannt werden.
Erster und zweiter Hilfsantrag - Ansprüche 5 bis 10
- Die Ansprüche 5 bis 10 des ersten Hilfsantrags seien auf Fludarabinphosphat mit einem Reinheitsgrad von mindestens 99,5 % gerichtet, das für pharmazeutische Zwecke verwendet werden solle. Das vorbeschriebene Fludarabinphosphat sei aufgrund seines niedrigeren Reinheitsgrads und seiner Toxizität für eine pharmazeutische Anwendung nicht geeignet. Daher könne es nicht neuheitsschädlich sein.
- Frühere Reinigungsverfahren seien nur zur Herstellung eher geringer Mengen von Fludarabinphosphat geeignet. So sei eine Menge von einem Kilogramm der Verbindung noch nicht beschrieben worden. Die Ansprüche 5 bis 10 des zweiten Hilfsantrags, die auf eine solche Menge gerichtet seien, seien daher neu.
XII. Die schriftlich und in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente der Beschwerdegegnerinnen lassen sich, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, wie folgt zusammenfassen:
Artikel 54 EPÜ - Neuheit
Hauptantrag - Anspruch 5
In den Entscheidungen T 990/96 und T 728/98 (s. o.) seien die Bedingungen festgelegt, unter denen kleinen organischen Verbindungen Neuheit zuerkannt werden könne. Das Argument der Beschwerdeführerin, diese Rechtsprechung finde auf den vorliegenden Fall keine Anwendung, weil Fludarabinphosphat weniger stabil als die damals beanspruchten Verbindungen sei, sei nicht stichhaltig.
Laut diesen Entscheidungen sei die Offenbarung einer solchen Verbindung mit einem beliebigen Reinheitsgrad im Stand der Technik neuheitsschädlich für diese Verbindung mit jedem anderen Reinheitsgrad, sofern nicht ein Ausnahmefall vorliege, also beispielsweise nachgewiesen werde, dass sich der beanspruchte Reinheitsgrad mittels herkömmlicher Verfahren nicht erzielen lasse.
Die Beschwerdegegnerinnen hätten zur Genüge nachgewiesen, dass Fludarabin-phosphat mit einem Reinheitsgrad von mindestens 99,5 % mittels herkömmlicher Verfahren hergestellt werden könne.
- Das Dokument (OD29) zeige, dass Fludarabinphosphat mit einem Reinheitsgrad von 99,88 % mittels eines Verfahrens, das zwei "klassische" HPLC-Schritte umfasse, aus 98,7 % reinem Fludarabinphosphat gewonnen werden könne.
- Das Dokument (OD35) zeige, dass sich bei Kombination des im Dokument (OD3) beschriebenen Verfahrens mit dem im Dokument (OD26) beschriebenen Verfahren für die Reinigung einer verwandten Verbindung ein Reinheitsgrad von 99,88 % erzielen lasse. An die geringfügigen Änderungen, die an diesen Verfahren vorgenommen worden seien, würde der Fachmann aus Gründen der Zweckmäßigkeit und/oder wegen der bekannten Eigenschaften von Fludarabinphosphat sofort denken.
Vor allem aber habe die Beschwerdeführerin ihre Beweispflicht nicht erfüllt, dass Fludarabinphosphat mit dem gewünschten Reinheitsgrad nicht mittels herkömmlicher Verfahren hergestellt werden könne.
- Die Dokumente (OD16) und (OD31) seien angeblich Nacharbeitungen des im Dokument (OD1) beschriebenen Reinigungsverfahrens. Im Dokument (OD16) sei aber ein anderes Protokoll verwendet worden als im Dokument (OD1), weil beispielsweise mit einer Ionenaustauschsäule eines anderen Typs gearbeitet worden sei. Außerdem sei nicht belegt, dass der Reinheitsgrad des Ausgangsmaterials im Dokument (OD1) mit dem Reinheitsgrad des Ausgangsmaterials im Dokument (OD16) identisch sei. Das Dokument (OD31) wiederum enthalte eine Ergebnistabelle, nicht aber das zur Erzielung dieser Ergebnisse verwendete Protokoll.
- Die Beschwerdeführerin habe keine Versuchsdaten dazu vorgelegt, dass sich durch Nacharbeitung des in den Dokumenten (OD5) oder (OD23) beschriebenen Reinigungsverfahrens nicht ein Fludarabinphosphat mit einem Reinheitsgrad von "mindestens 99,5 %" herstellen lasse.
Aus diesen Gründen könne nur geschlossen werden, dass der in T 990/96 und T 728/98 (s. o.) vorgesehene Ausnahmefall in der vorliegenden Sache nicht gegeben sei. Damit liege keine Neuheit vor.
Erster und zweiter Hilfsantrag - Ansprüche 5 bis 10
Da sich die Neuheit von Fludarabinphosphat nicht aus dessen Reinheitsgrad herleiten lasse, sei das einzige andere Merkmal in den Ansprüchen 5 bis 10 des ersten Hilfsantrags, das zur Beurteilung der Neuheit heranzuziehen sei, die Tatsache, dass die Verbindung zur pharmazeutischen Anwendung beansprucht werde. Eine solche Anwendung sei aber schon im Stand der Technik offenbart, so z. B. im Dokument (OD3), Spalte 1, Zeilen 10 bis 15, wo die Verwendung der Verbindung bei der Behandlung von Leukämie genannt sei. Daher könne dieses Merkmal keine Neuheit verleihen.
Nachdem Fludarabinphosphat bereits aus dem Stand der Technik bekannt sei, sei die Tatsache, dass es in größeren Mengen als vorbeschrieben vorliegen könnte, kein Merkmal, das Neuheit verleihen könne (Ansprüche 5 bis 10 des zweiten Hilfsantrags).
Weder der erste noch der zweite Hilfsantrag genüge den Erfordernissen des Artikels 54 EPÜ.
XIII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1 047 704 in der erteilten Fassung bzw. auf der Grundlage des ersten oder des zweiten Hilfsantrags, die beide am 8. Februar 2007 eingereicht wurden.
Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Umfang der Beschwerde
1. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent auf der Grundlage des ersten Hilfsantrags in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde, nachdem der Hauptantrag (Ansprüche in der erteilten Fassung) wegen mangelnder Neuheit der Erzeugnisansprüche 5 bis 10 zurückgewiesen worden war (vgl. Nummer III, s. o.). Die Verfahrensansprüche 1 bis 4 des ersten Hilfsantrags sind mit den Verfahrensansprüchen 1 bis 4 in der erteilten Fassung identisch, die aus dem vorliegenden Hauptantrag stammen (Ansprüche in der erteilten Fassung).
2. Da die erstinstanzliche Entscheidung von den Beschwerdegegnerinnen nicht angefochten wurde, kann die Patentierbarkeit des Gegenstands der Ansprüche 1 bis 4 entsprechend der Entscheidung G 9/92 der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 1994, 875) nicht in Frage gestellt werden. Somit erstreckt sich die Beschwerde nur auf die Erzeugnisansprüche 5 bis 10.
Hauptantrag - Ansprüche 5 bis 10
Artikel 54 EPÜ - Neuheit
3. Die Ansprüche 5 bis 10 sind auf eine niedermolekulare organische Verbindung -Fludarabinphosphat - gerichtet, die durch ihren Reinheitsgrad (mindestens 99,5 %) gekennzeichnet ist. Fludarabinphosphat ist bereits aus dem Stand der Technik bekannt, und der Reinheitsgrad ist das einzige "weitere" kennzeichnende Merkmal der beanspruchten Erzeugnisse.
Einschlägige Rechtsprechung
4. Zur Beurteilung der Neuheit kleiner organischer Verbindungen auf der Grundlage ihrer Reinheit liegt bereits eine ständige Rechtsprechung vor; die beiden für den vorliegenden Fall relevantesten Entscheidungen sind T 990/96 und T 728/98 (s. o.). In der Sache T 990/96 war die Erfindung auf Ester der "erythro-Säure" gerichtet, wobei das Verhältnis zwischen erythro- und threo-Isomeren 99,5:0.5 oder höher war. Der Stand der Technik offenbarte die Herstellung des (racemischen) Methylesters der erythro-Säure, enthielt aber keine Angaben zu seiner Reinheit. Das einzige Merkmal des beanspruchten Gegenstands, das im Stand der Technik nicht offenbart war, war also das oben angeführte Verhältnis. Die damalige Kammer entschied, dass die beanspruchte Erfindung gegenüber der aus dem Stand der Technik bekannten Erfindung nicht neu war. Dies wurde insbesondere unter den Nummern 7 und 8 der Entscheidung begründet:
"7. ... Herkömmliche Verfahren zur Reinigung niedermolekularer organischer Reaktionsprodukte wie Umkristallisation, Destillation oder Chromatographie gehören zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns. Daraus folgt, dass ein Dokument, das eine niedermolekulare chemische Verbindung und ihre Herstellung offenbart, diese Verbindung in der Regel in allen vom Fachmann gewünschten Reinheitsgraden im Sinne von Artikel 54 EPÜ der Öffentlichkeit zugänglich macht.
8. ... es Ausnahmefälle geben könnte, die einen anderen Schluss zulassen. Eine solche Ausnahme könnte ... gegeben sein, wenn nachgewiesen wurde, dass aller Wahrscheinlichkeit nach alle früheren Versuche, mittels herkömmlicher Reinigungsverfahren einen bestimmten Reinheitsgrad zu erzielen, fehlgeschlagen sind. Die Beweislast für den Nachweis, dass ein solcher Ausnahmefall vorliegt, trägt aber der Beteiligte, der dies behauptet." (Hervorhebungen wie im Original)
5. Die Entscheidung T 728/98 (s. o.) betraf die Patentierbarkeit eines Anspruchs, der auf ein para-Regioisomer einer bestimmten Piperidinverbindung gerichtet war, die durch ein spezielles mehrstufiges Herstellungsverfahren in einem Reinheitsgrad von mindestens 98 % erhältlich war. Der Reinheitsgrad war das einzige Unterscheidungsmerkmal gegenüber der im Stand der Technik beschriebenen "gleichen" Verbindung. Im Laufe des Verfahrens waren Versuchsdaten zum Nachweis dafür vorgelegt worden, dass die aus dem Stand der Technik bekannte Verbindung mit dem beanspruchten Reinheitsgrad hergestellt werden könnte, wenn die im Stand der Technik beschriebenen Reinigungsstufen um einen zusätzlichen HPLC-Schritt - ein herkömmliches Reinigungsverfahren, das zum allgemeinen Fachwissen gehört - ergänzt würden. Unter Berufung auf die in T 990/96 (s. o.) aufgestellten Grundsätze befand die damalige Kammer, dass der in der früheren Entscheidung angeführte Ausnahmefall nicht gegeben war und somit keine Neuheit vorlag.
6. Demnach könnte gemäß der Rechtsprechung der Reinheitsgrad Grundlage Neuheit sein, wenn nachgewiesen wird, dass bereits bekannte Verfahren für die Reinigung der beanspruchten Verbindung, gegebenenfalls in Kombination mit herkömmlichen Verfahren, am Prioritätstag nicht zur Verbindung mit dem beanspruchten Reinigungsgrad geführt hätten.
7. In beiden Entscheidungen waren die als relevant angesehen Beweismittel für das Vorliegen eines Ausnahmefalls Versuchsdaten. So ließ die Kammer in T 728/98, Nummer 6.4.2, Behauptungen nicht gelten, dass sich ein bestimmter Reinheitsgrad nicht erzielen lasse, "da zusätzliche Beweise fehlten". Ebenso wenig akzeptierte die Kammer in T 990/96, Nummer 11, die Tatsache, dass der Stand der Technik keinen bestimmten Reinheitsgrad offenbarte, als Nachweis dafür, dass dieser nicht erzielbar sei, weil es "in der Akte keine Beweise" dafür gab.
Der vorliegende Fall
8. Im vorliegenden Fall wird nicht bestritten, dass Fludarabinphosphat zur Kategorie der "niedermolekularen organischen Verbindungen" gehört und dass die Dokumente des Stands der Technik - (OD1), (OD3) und (OD5), die Entsprechung zu (OD23) - Reinigungsverfahren für Fludarabinphosphat und das durch solche Verfahren hergestellte Fludarabinphosphat offenbaren. Dennoch argumentierte die Beschwerdeführerin, dass die vorgenannte Rechtsprechung aufgrund struktureller Unterschiede zwischen Fludarabinphosphat und den Verbindungen, um die es in den früheren Entscheidungen T 990/96 und T 728/98 (s.o.) gegangen sei, auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Dieses Argument hat die Kammer nicht überzeugt, weil die in diesen Entscheidungen aufgestellten Grundsätze ein Auslegungsmittel für das rechtliche Erfordernis der Neuheit darstellen, das nicht von der Beurteilung der technischen Merkmale des beanspruchten Erzeugnisses abhängig ist und auch keine solche Beurteilung umfasst.
9. Keines der Dokumente (OD1), (OD3) oder (OD5) offenbart, dass mit den dort beschriebenen Verfahren ein konkreter Reinheitsgrad von mindestens 99,5 % angestrebt worden war. Selbst wenn nun nachgewiesen wird, dass dieser Reinheitsgrad nicht erreicht wird, können sie nicht als Beispiel für frühere fehlgeschlagene Versuche herangezogen werden. Zudem sind im Stand der Technik keine weiteren Versuche bekannt, Fludarabinphosphat zu reinigen. Daher ist auch die Wiederholung von Verfahren aus dem Stand der Technik kein angemessenes Mittel, um nachzuweisen, dass es sich beim vorliegenden Fall um einen Ausnahmefall handelt. In Ermangelung solcher Nachweise ist in Anwendung der Entscheidung T 990/96 (s.o.) zu folgern, dass das im Stand der Technik offenbarte Fludarabinphosphat neuheitsschädlich für das Fludarabinphosphat mit dem nun beanspruchten Reinheitsgrad ist.
10. Dennoch legte die Beschwerdeführerin zur Erfüllung ihrer Beweislast, dass es sich beim vorliegenden Fall um einen Ausnahmefall in dem in T 990/96 (s. o.) beschriebenen Sinne handle, umfangreiche Argumente und Versuchsdaten als Nachweis dafür vor, dass die bekannten Verfahren nicht zu einem Fludarabinphosphat mit einem Reinheitsgrad von mindestens 99,5 % geführt hätten.
11. Die Dokumente (OD16) und (OD31) wurden als Nachweis dafür eingereicht, dass das im Dokument (OD1) beschriebene Verfahren nur zu einem Fludarabinphosphat mit einem Reinheitsgrad von 99,19 % oder 98,91 % führen würde. Bezüglich des im Dokument (OD16) verwendeten Protokolls wird darauf hingewiesen, dass das Ausgangsmaterial (handelsübliches Fludarabinphosphat) nicht denselben Reinheitsgrad haben musste wie das im Dokument (OD1) verwendete Material - was natürlich Auswirkungen auf das Endergebnis hat. Außerdem wird in der Beschwerdebegründung angeführt, dass eine andere Ionenaustauschsäule (Amberlite IR 120) verwendet worden sei als im Dokument (OD1). Es wird angemerkt, dass bei dieser Säule mit besseren Ergebnissen zu rechnen sei als bei den im Dokument genannten Säulen. Allerdings wird mit ihrer Verwendung von der Lehre des Dokuments (OD1) abgegangen. Das Dokument (OD31) enthält keine anderen Informationen als eine reine Ergebnistabelle ohne jeglichen Verweis auf ein Versuchsprotokoll und ohne Angaben dazu, wann und von wem die betreffenden Versuche durchgeführt wurden. In dieser Form kann dieser Nachweis nicht berücksichtigt werden.
12. Die Beschwerdeführerin erklärte, dass diese Tabelle vor dem Hintergrund folgender Erklärung in der Stellungnahme vom 30. November 2005 gesehen werden sollte:
"Die Patentinhaberin hat alle Herstellungsbeispiele (Beispiele 2 - 7) aus OD1 exakt unter Verwendung der dort beschriebenen unterschiedlichen sauren Ionenaustauscher nachgearbeitet. ... Daraus ist zu entnehmen, dass mit allen in OD1 offenbarten Ionenaustauschern ein maximaler Reinheitsgrad von 98,91 % (Beispiel 3) erreicht werden kann."
Dies löst aber nicht das grundlegende Problem mangelnder Versuchsangaben. Eine bloße Erklärung, dass die in einem Dokument beschriebenen Beispiele nachgearbeitet wurden, reicht noch nicht für die Schlussfolgerung aus, dass in eine Tabelle aufgenommene Ergebnisse auch diesen Beispielen entsprechen.
13. Nach Auffassung der Kammer lässt sich weder mit (OD16) noch mit (OD31) hinreichend nachweisen, dass die im Dokument (OD1) beschriebenen vorbekannten Versuche nicht geeignet sind, einen Reinheitsgrad von mindestens 99,5 % zu erzielen, weil die in diesen Dokumenten verwendeten Protokolle entweder nicht mit denen aus dem Dokument (OD1) identisch sind oder nicht beschrieben werden.
14. Die im Dokument (OD5) und im entsprechenden Dokument (OD23) verwendeten Protokolle wurden nicht nachgearbeitet. Stattdessen argumentiert die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung wie folgt:
"Es wird ausdrücklich festgestellt, dass ... die Umkristallisation nicht zu einer Erhöhung des Reinheitsgrades führt. ... Daraus ergibt sich unmittelbar und eindeutig, dass kein Fludarabinphosphat mit den Merkmalen des Streitpatents erhalten werden kann."
Diese Anmerkung wird jedoch so ausgelegt, dass ein weiterer Kristallisierungsschritt den Reinheitsgrad des durch das dort beschriebene Verfahren hergestellten Fludarabinphosphats nicht erhöht. Allerdings sind ihr keine Angaben zum Reinheitsgrad als solchem zu entnehmen. Diesbezüglich werden keine Versuchsergebnisse vorgelegt, wie sie gemäß der Rechtsprechung (s. o., Nr. 7) erforderlich sind.
15. Der Reinheitsgrad des Fludarabinphosphats, das gemäß dem im Dokument (OD3) beschriebenen Verfahren hergestellt wurde, lag laut den Nachweisen der Beschwerdegegnerin III unter 99,5 % (88,7 %, Dokument (OD35), Versuchsreihe BE 2690), sodass sich die Parteien darüber einig zu sein scheinen, dass dieses Verfahren zumindest nicht den nun beanspruchten Reinheitsgrad erzielen würde.
16. Angesichts der Feststellungen unter den Nummern 11 bis 13 gelangt die Kammer zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen hat, dass bei der Nacharbeitung der in allen früheren Versuchen zur Reinigung von Fludarabin-phosphat angewandten Verfahren keine Verbindung mit einem Reinheitsgrad von 99,5 % hätte erzielt werden können. Selbst wenn also davon ausgegangen würde, dass Wiederholungen der vorbekannten Verfahren zum Nachweis beitragen könnten, dass es sich im vorliegenden Fall um einen Ausnahmefall handelte, so ist dieser Nachweis im Sinne der Entscheidung T 990/96 nicht erbracht worden.
17. Die Beschwerdegegnerinnen legten Versuchsdaten zum Nachweis dafür vor, dass man am Prioritätstag mittels einer Kombination aus den herkömmlichen, aus dem Stand der Technik zu Fludarabinphosphaten bekannten Reinigungsverfahren und weiteren herkömmlichen Verfahren ein Fludarabinphosphat mit dem nun beanspruchten Reinheitsgrad erhalten hätte. So wird im Dokument (OD 35) das im Dokument (OD3) beschriebene Reinigungsverfahren mit weiteren Verfahren kombiniert, die aus den im Dokument (OD 26) für die Reinigung einer eng verwandten Verbindung beschriebenen Verfahren entwickelt wurden, um ein Fludarabinphosphat mit einem Reinheitsgrad von 99,88 % zu erhalten (Versuchsreihe BE-2692). Laut Dokument (OD29) führt die Anwendung einer bislang nicht offenbarten Kombination herkömmlicher Verfahrensschritte auf ein anscheinend handelsübliches Fludarabinphosphat zur Isolierung einer Verbindung mit einem Reinheitsgrad von 99,88 %. In Anbetracht der unter Nummer 15 gezogenen Schlussfolgerung besteht für die Kammer indessen keine Notwendigkeit, die Richtigkeit dieser Daten zu überprüfen.
18. Bezüglich der vorstehenden Fragen schließt sich die Kammer der früheren Entscheidung T 803/01 vom 9. September 2003 an, wo insbesondere geprüft wurde, ob der Reinheitsgrad einer Polymerverbindung ein neues Element für die Beurteilung der Neuheit darstellen könnte. Unter der Nummer 4.5.3 befand die damalige Kammer, dass die Definition eines Ausnahmefalls in T 990/96 "ein zu strenges Kriterium sein könnte". Wie bereits in T 803/01 (s. o.) angeführt, kommt das Erfordernis, dass der Patentinhaber/Anmelder nachweisen muss, dass frühere Versuche mittels herkömmlicher Verfahren nicht zum beanspruchten Reinheitsgrad führen würden, einer Umkehr der Beweislast gleich und verlangt zudem eine negative Beweisführung. Ohne Begrenzung des Umfangs, in dem Untersuchungen angestellt werden sollen, um nachzuweisen, dass bislang nicht offenbarte Kombinationen herkömmlicher Verfahrensschritte nicht den beanspruchten Reinheitsgrad erzielen würden, könnte sich dieser Ansatz als eine unerfüllbare Aufgabe erweisen. Diese Aussage steht zwar in direktem Zusammenhang mit der Auslegung des Patentierbarkeitserfordernisses der Neuheit kleiner organischer Verbindungen, hat im vorliegenden Fall aber keine Auswirkungen auf die Feststellung mangelnder Neuheit, weil diese auf einer anderen Grundlage erfolgte (fehlende einschlägige Nachweise, Nr. 14).
19. Der Hauptantrag wird zurückgewiesen, weil er den Erfordernissen des Artikels 54 EPÜ nicht genügt.
Erster und zweiter Hilfsantrag
20. Die Ansprüche 5 bis 10 des ersten Hilfsantrags sind auf die erste medizinische Verwendung von Fludarabinphosphat gerichtet, das durch seinen Reinheitsgrad charakterisiert ist. Gemäß der Feststellung in Bezug auf die Ansprüche 5 bis 10 des Hauptantrags ist der Reinheitsgrad kein Merkmal, das Neuheit verleiht. Das Dokument (OD3) (Spalte 1, Zeilen 10 bis 15) lehrt die Verwendung von Fludarabin-phosphat bei der Behandlung von Leukämie. Damit wird Fludarabinphosphat nicht zum ersten Mal für die Anwendung zu pharmazeutischen Zwecken offenbart, sodass keine Neuheit vorliegt.
21. Die Ansprüche 5 bis 10 des zweiten Hilfsantrags sind auf Fludarabinphosphat gerichtet, das durch seinen Reinheitsgrad charakterisiert wird, wobei als einziges anderes Merkmal in den Ansprüchen genannt wird, dass das Fludarabinphosphat in einer Menge von über einem Kilogramm vorliegt. Die Feststellung, die in Bezug auf den Hauptantrag entwickelt wurde und zur Schlussfolgerung führte, dass die Verbindung nicht neu ist, ist nicht von der Menge abhängig, in der diese Verbindung vorliegen kann, wobei die Menge ohnehin kein Merkmal des Erzeugnisses selbst ist. Die Feststellung mangelnder Neuheit wird somit in Bezug auf die vorliegenden Ansprüche aufrechterhalten.
22. Der erste und der zweite Hilfsantrag genügen nicht den Erfordernissen des Artikels 54 EPÜ.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesem Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.