European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2008:T129405.20080422 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 22 April 2008 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1294/05 | ||||||||
Anmeldenummer: | 01951481.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | G06K 9/46 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren und System zur Generierung eines Schlüsseldatensatzes | ||||||||
Name des Anmelders: | Giesecke & Devrient GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.4.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 01951481.9 (Veröffentlichungsnummer 1 282 882) wurde mit der am 17. Mai 2005 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.
Die Zurückweisungsentscheidung (Nr. 10 und 28) war damit begründet, daß die Anmeldung den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ 1973 nicht genüge und die Ansprüche von der Beschreibung nicht gestützt seien (Artikel 84 EPÜ 1973). Die Prüfungsabteilung berücksichtigte folgendes Dokument inter alia:
(D6) D. Maio et al., "A Structural Approach to Fingerprint Classification", Proceedings of the 13th International Conference on Pattern Recognition, Band 3, 1996, Seiten 578-585, XP8037125.
II. Am 24. Mai 2005 legte die Anmelderin (Beschwerdeführerin) gegen die Entscheidung Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung ging am 19. September 2005 ein.
III. Am 22. April 2008 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 bis 20.
IV. Die Ansprüche 1, 16, 18 und 20 lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur Generierung eines Schlüsseldatensatzes für einen Verifikationsprozeß aus biometrischen Daten einer Person, umfassend die Schritte:
- sensorisches Erfassen eines biometrischen Merkmals der Person zur Erzeugung von biometrischen Rohdaten, und
- Gewinnen von lediglich besonders charakteristischen Daten aus den biometrischen Rohdaten, um aus diesen charakteristischen Daten einen Schlüsseldatensatz zu generieren, der stets eindeutig reproduzierbar ist, wobei mittels des Schlüsseldatensatzes ein mehrstelliger PIN-Code generiert wird, wobei das biometrische Merkmal ein Fingerabdruck ist."
"16. Verfahren zur Authentisierung einer Person anhand eines biometrischen Merkmals der Person, umfassend die Schritte:
- Generieren eines Verifikationsschlüsseldatensatzes oder PIN-Codes gemäß einem der Ansprüche 1 bis 15,
- Vergleichen des Verifikationsschlüsseldatensatzes mit einem Referenzdatensatz, der ebenfalls nach einem der Ansprüche 1 bis 15 generiert ist, und
- Authentisieren der Person, wenn der Verifikationsschlüsseldatensatz bzw. PIN-Code mit dem Referenzdatensatz identisch übereinstimmt."
"18. System zum Generieren eines Schlüsseldatensatzes für einen Verifikationsprozeß aus biometrischen Daten einer Person, umfassend:
- Sensoren zum Erfassen biometrischer Rohdaten anhand eines biometrischen Merkmals der Person,
- eine Einrichtung zum Gewinnen von lediglich besonders charakteristischen Daten aus den biometrischen Rohdaten, und
- eine Einrichtung zum Generieren eines Schlüsseldatensatzes aus den charakteristischen Daten, der stets eindeutig reproduzierbar ist, wobei mittels des Schlüsseldatensatzes ein mehrstelliger PIN-Code generiert wird, wobei das biometrische Merkmal ein Fingerabdruck ist."
"20. System zum Authentisieren einer Person anhand von biometrischen Daten, umfassend:
- ein System nach Anspruch 18,
- eine Vergleichseinrichtung zum Vergleichen eines Schlüsseldatensatzes mit einem Referenzdatensatz, und
- eine Ausgabeeinrichtung, über die eine Authentisierung der Person erfolgt, wenn mittels der Vergleichseinrichtung eine vollständige Übereinstimmung zwischen Schlüsseldatensatz und Referenzdatensatz festgestellt wird."
Die Ansprüche 2 bis 15, 17 und 19 sind abhängige Ansprüche.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Europäisches Patentübereinkommen
Am 13. Dezember 2007 trat das EPÜ 2000 (im folgenden als "EPÜ" bezeichnet) in Kraft. Gemäß dem Beschluß des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation vom 28. Juni 2001 (Sonderausgabe Nr. 1 ABl. EPA 2007, 197) über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7, Absatz 2, der Revisionsakte vom 29. November 2000 (Sonderausgabe Nr. 1 ABl. EPA 2007, 196) wird das EPÜ oder das EPÜ 1973 angewandt, je nachdem, welche Vorschrift in Betracht kommt.
3. Artikel 83 EPÜ 1973
3.1 Nach Artikel 83 EPÜ 1973 ist die Erfindung in der Anmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, daß ein Fachmann sie ausführen kann.
3.2 Die unabhängigen Ansprüche 1 und 18 enthalten das Merkmal, daß das biometrische Merkmal ein Fingerabdruck ist. Ähnliches gilt implizit für die weiteren Ansprüche 16 und 20, die auf die Ansprüche 1 und 18 rückbezogen sind. Somit bezieht sich die Erfindung, die nunmehr unter Schutz gestellt werden soll, nicht auf den gesamten Bereich der Biometrie (angefochtene Entscheidung, Nr. 13), sondern auf das begrenzte Gebiet der Verifikation bzw. Authentisierung einer Person anhand eines Fingerabdruckes, für welches die Figur der Anmeldung einen Weg zur Ausführung der offenbarten Erfindung zeigt (Regel 27, Absatz 1, Buchstabe e, EPÜ 1973).
3.3 In der angefochtenen Entscheidung (Nr. 14 und 16) argumentiert die Prüfungsabteilung, es sei Fachwissen, daß ein stets eindeutig reproduzierbarer Schlüsseldatensatz nicht erzeugt werden könne, wenn die selben Merkmale der selben Person erneut erfaßt würden. Als Beleg hierfür wird insbesondere Seite 2, zweiter Absatz, der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung angegeben.
Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, denn es geht bei der zitierten Stelle nicht um die Erzeugung eines stets reproduzierbaren Schlüsseldatensatzes, wie sie erfindungsgemäß auf Seite 3, letzter Absatz, erklärt wird. Die Prüfungsabteilung scheint den tatsächlichen Offenbarungsgehalt der erwähnten Stelle zu verkennen, die lediglich besagt, daß es sich bei dem individuellen Vergleich zwischen gespeicherten biometrischen Daten und jeweils präsentierten, sensorisch erfaßten biometrischen Daten um einen Ähnlichkeitsvergleich handelt, bei dem nur eine Aussage darüber getroffen werden kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit die zu vergleichenden Daten übereinstimmen. Die Erklärung für diesen Sachverhalt ist darin zu sehen, daß die derzeit verfügbaren Sensorsysteme nicht geeignet sind, aus einem präsentierten biometrischen Merkmal stets dieselben biometrischen Daten mit vollkommen exakter Reproduzierbarkeit abzuleiten.
Dieser technische Sachverhalt ergibt sich übrigens aus der von der Prüfungsabteilung zitierten Literatur (angefochtenen Entscheidung, Nr. 14).
3.4 In der angefochtenen Entscheidung (Nr. 15) argumentiert die Prüfungsabteilung weiter, daß der Fachmann nicht in der Lage sei, die Lehre der Erfindung anhand der Angaben der ursprünglichen Anmeldung durch Anwendung routinemäßiger Experimentier- oder Analyseverfahren auf den gesamten beanspruchten Bereich auszudehnen.
Dieses Argument ist aber deshalb gegenstandlos geworden, weil der nunmehr beanspruchte Bereich durch die Bezugnahme auf einen Fingerabdruck als biometrisches Merkmal eindeutig eingegrenzt ist (siehe auch Nr. 3.2).
3.5 Was das beanspruchte Gewinnen eines stets eindeutig reproduzierbaren Schlüsseldatensatzes angeht, so ist anzumerken, daß das der Figur der vorliegenden Anmeldung zugrunde liegende Verfahren (siehe auch Seite 5, Zeile 19 bis Seite 6, Zeile 8) im wesentlichen dem aus D6 (Figur 3) bekannten Verfahren entspricht. Führt das bekannte Verfahren zur Identifikation bestimmter Klassen von Fingerabdrücken, von denen anzunehmen ist, daß sie stets reproduzierbar sind (sonst läge kein brauchbares Klassifikationsverfahren vor), so ist analog davon auszugehen, daß auch der erfindungsgemäß gewonnene Schlüsseldatensatz stets mit der für die praktische Anwendung ausreichenden Eindeutigkeit reproduzierbar ist. Die Prüfungsabteilung hat keine nachvollziehbaren Gründe angegeben, weshalb dies entgegen den Aussagen in Dokument D6 nicht zutreffen sollte.
3.6 Aus diesen Gründen erfüllt die vorliegende Anmeldung die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ 1973.
4. Artikel 84 EPÜ 1973
4.1 Die Prüfungsabteilung hat ferner den Einwand erhoben, daß die der angefochtenen Entscheidung (Nr. 12 und 13) zugrunde liegenden Ansprüche 1 und 20 von der Beschreibung nicht gestützt seien, weil der Gegenstand dieser Ansprüche nicht auf die Ausführungsbeispiele der Anmeldung beschränkt sei, sondern sich auf den gesamten Bereich der Biometrie ausdehne.
Abgesehen davon, daß ein gewisser, jeweils im Einzelfall zu beurteilender Verallgemeinerungsgrad bei der Formulierung von Ansprüchen zulässig ist, ist der Einwand der Prüfungsabteilung nicht mehr haltbar, nachdem die Ansprüche gemäß dem vorliegenden Antrag der Beschwerdeführerin eindeutig auf den mittels eines Ausführungsbeispiels erläuterten Fall begrenzt worden sind, daß das biometrische Merkmal ein Finderabdruck ist.
4.2 Gegen die Klarheit der vorliegenden Ansprüche bestehen keine Bedenken. Die Beschwerdeführerin machte geltend, daß die Bezeichnung "besonders charakteristische Daten" zum Ausdruck bringe, daß lediglich die in jedem einzelnen Fall als bestens erkennbar oder ausgeprägt anzusehenden Merkmale berücksichtigt würden. Nach Auffassung der Kammer sind jedoch unter der Bezeichnung "besonders charakteristische Daten" (Ansprüche 1 und 18) diejenigen Daten zu verstehen, die ausgehend von den einen Fingerabdruck darstellenden biometrischen Rohdaten unter Berücksichtigung mindestens eines der sich ergebenden, im Stand der Technik bekannten Merkmale, wie z.B. Orientierung der Papillarleisten, Minutien oder Dichte der Schweißporen, gewonnen werden. Unterstützung für diese Auslegung ergibt sich aus der Beschreibung der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung (Seite 5, Zeile 19 bis Seite 6, Zeile 8; Figur).
4.3 Aus diesen Gründen erfüllen die vorliegenden Ansprüche die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ 1973.
5. Artikel 123, Absatz 2, EPÜ
5.1 Die Ansprüche 1, 16, 18 und 20 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 1, 19, 21 und 26, wobei sich die vorgenommen Änderungen aus der Beschreibung in der ursprünglichen Fassung (Seite 3, Zeilen 18-31) ergeben.
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 15, 17 und 19 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 4 bis 17, 20 und 22.
5.2 Somit bestehen keine Bedenken unter Artikel 123, Absatz 2, EPÜ.
6. Zurückverweisung
6.1 In der angefochtenen Entscheidung hat die Prüfungsabteilung die Fragen der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes der ihr vorliegenden, unabhängigen Ansprüche 1 und 20 nicht behandelt. Tatsächlich besteht der Grund für die Zurückweisung der vorliegenden Anmeldung ausschließlich in der Verletzung der Artikel 83 und 84 EPÜ 1973 (Nr. 10 und 28 der angefochtenen Entscheidung).
6.2 Unter diesen Umständen, angesichts des Antrags der Beschwerdeführerin auf Zurückverweisung und in Ausübung der Befugnisse gemäß Artikel 111, Absatz 1, EPÜ 1973, verweist die Kammer die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurück.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.