T 1219/05 (ADSL Präqualifikationsverfahren/SIEMENS) of 17.3.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T121905.20060317
Datum der Entscheidung: 17 März 2006
Aktenzeichen: T 1219/05
Anmeldenummer: 02776877.9
IPC-Klasse: H04L 25/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: ADSL Präqualifikationsverfahren mit Echo-Canceler-Optimierung auf maximale Trennschärfe
Name des Anmelders: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Klarheit der Ansprüche (verneint)
Verfahrensfehler (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, zur Post gegeben am 14. Juni 2005, die Patentanmeldung mit der Anmeldenummer 02776877.9 wegen mangelnder Klarheit (Artikel 84 EPÜ) der Ansprüche 1 und 20 und wegen unzureichender Offenbarung (Artikel 83 EPÜ) zurückzuweisen.

II. Die Anmeldung basiert auf einer internationalen, mit der Nummer WO 03/041323 A veröffentlichten Anmeldung, für die das Europäische Patentamt als internationale Recherchenbehörde und als mit der internationalen Prüfung beauftragte Behörde tätig war. Aus dem Recherchenbericht vom 2. Juni 2003 geht hervor, dass wegen mangelnder Klarheit (Artikel 6 PCT) der unabhängigen Ansprüche 1 und 20 und wegen unzureichender Offenbarung (Artikel 5 PCT) keine Recherche durchgeführt wurde. Aus dem gleichen Grund wurde keine internationale Prüfung durchgeführt. In der regionalen Phase der Anmeldung vor dem Europäischen Patentamt (EPA) wurden die Einwände mangelnder Klarheit (Art. 84 EPÜ) und unzureichender Offenbarung (Art. 83 EPÜ) in einem Bescheid vom 15. September 2004 wiederholt. Mit einer Eingabe vom 4. März 2005 reichte die Anmelderin "neue Ansprüche 1-20" zusammen mit erklärenden Ausführungen ein. Daraufhin erging die Zurückweisungsentscheidung der Prüfungsabteilung.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 8. August 2005 Beschwerde eingelegt und diese in demselben Schreiben begründet. Es wurde beantragt, den Zurückweisungsbeschluss aufzuheben und ein Patent auf der Basis der als Anlage zur Beschwerdebegründung eingereichten Ansprüche 1-20 zu erteilen. Ferner wurde eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt. Zur Stützung ihrer Argumentation führte die Beschwerdeführerin folgendes Dokument ein:

D1: J. Blieberger et al. "Informatik", Springer Verlag, ohne Datum, Seite 29.

IV. In einer Anlage zur Ladung für eine mündliche Verhandlung gemäß Artikel 11 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar.

V. In der am 17. März 2006 durchgeführten mündlichen Verhandlung bestätigte die Beschwerdeführerin ihren mit der Beschwerdebegründung gestellten Antrag. Am Ende der Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung.

VI. Die Prüfungsabteilung hat in ihrer Zurückweisungsentscheidung im Hinblick auf die mangelnde Klarheit festgestellt, dass der in den Ansprüchen 1 und 20 verwendete Begriff "euklidischer Abstand" in Verbindung mit Vektoren keinen Sinn mache, da Vektoren immer so gewählt werden könnten, dass sie einen beliebigen Abstand voneinander aufwiesen. Ferner sei der Begriff "möglichst groß" unbestimmt. Die unzureichende Offenbarung wurde damit begründet, dass zwar eine geeignete Verarbeitung des Echosignals durch eine Anpassung des Filters durch die Wahl der Höhe eines oder mehrer Filterkoeffizienten und/oder durch eine entsprechende Wahl der Filterstruktur offenbart sei, dass aber kein konkretes Beispiel für die tatsächliche Bestimmung von Filterkoeffizienten gegeben sei, so dass der Fachmann die Erfindung nicht ausführen könne.

VII. Dazu hat die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung ausgeführt, die in den Ansprüchen 1 und 20 definierten Mustervektoren seien so gewählt, dass sie einen möglichst großen entsprechend einer Hamming-Distanz bestimmbaren Abstand voneinander aufwiesen. Der Begriff "Hamming-Distanz" sei, wie aus D1 zu entnehmen, dem Fachmann bekannt. Folglich erfüllten die Ansprüche das Erfordernis der Klarheit. Zum Einwand der unzureichenden Offenbarung wurden keine Ausführungen gemacht.

Den Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr begründete die Beschwerdeführerin damit, dass in der Bescheidserwiderung vom 4. März 2005 explizit auf geänderte Ansprüche 1 und 20 verwiesen würde, wohingegen die tatsächlich eingereichten Ansprüche unverändert gewesen wären. Aufgrund des bestehenden besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen der Prüfungsabteilung und der Anmelderin hätte erstere dieses Versehen durch formlose Rücksprache beheben müssen.

VIII. Der unabhängige Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Vorrichtung (8, 11) zum Ermitteln einer oder mehrerer Eigenschaften einer mit der Vorrichtung (8, 11) direkt oder indirekt verbindbaren Leitung (4), wobei die Vorrichtung (8, 11) so ausgestaltet ist, dass diese die Ausgabe eines Testsignals auf der Leitung (4) veranlassen kann, und die Leitungseigenschaft oder die Leitungseigenschaften aus dem über die Leitung (4) empfangenen Echosignal ermittelt,

- wobei die Vorrichtung (8, 11) eine Signalverarbeitungseinrichtung (9) (sic) aufweist, welcher das untransformierte Echosignal oder ein hieraus gewonnenes, untransformiertes Signal zugeführt wird, und welche das Echosignals (sic) oder das hieraus gewonnene Signal verarbeitet,

- und wobei die Vorrichtung eines (sic) Signaltransformationeinrichtung (9) aufweist, welche das entsprechende von der Signalverarbeitungseinrichtung (8) verarbeitete Signal in den Frequenzbereich transformiert,

- wobei die Leitungseigenschaft oder die Leitungseigenschaften aus einem die Stärke einzelner Frequenzbereichs-Spektralanteile des entsprechenden verarbeiteten Signals repräsentierenden Vektor (v) ermittelt werden, indem der die einzelnen Frequenzbereichs-Spektralanteile repräsentierende Vektor (v) mit mehreren Muster-Vektoren ((VM1, VM2, VM3, ..., VMk) verglichen wird, und wobei die Signalverarbeitungseinrichtung (8) das Echosignal oder das hieraus gewonnene Signal so verarbeitet und die Muster-Vektoren (VM1, VM2, VM3, ..., VMk) entsprechend so gewählt sind, dass sie eine möglichst große Distanz, insbesondere euklidische Distanz zueinander aufweisen."

Der unabhängige Verfahrensanspruch 20 bezieht sich auf ein entsprechendes Verfahren, wobei insbesondere das letzte Merkmal identisch mit dem des Anspruchs 1 ist.

Entscheidungsgründe

1. Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

1.1 Gemäß Artikel 84 EPÜ müssen die Patentansprüche unter anderem den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird und deutlich sein.

Gemäß Anspruch 1 sind die in der dort beanspruchten Vorrichtung zur Bestimmung von Leitungseigenschaften verwendeten Mustervektoren so gewählt, "dass sie eine möglichste große Distanz, insbesondere euklidische Distanz zueinander aufweisen".

1.2 Das Merkmal "insbesondere euklidische Distanz" ist ein fakultatives Merkmal. Somit bleibt offen, wie die Distanz zwischen den Vektoren zu bestimmen ist. Für die Distanz zwischen Vektoren sind eine Mehrzahl von Definitionen denkbar, so insbesondere eine euklidische Distanz (siehe unten unter 1.3) oder auch eine Hamming-Distanz, auf die in der Beschreibung (Seite 15, Zeile 30) und in D1 hingewiesen wird.

Da der Begriff "Distanz" in Anspruch 1 somit mehrdeutig ist, gibt der Anspruch nicht eindeutig den Gegenstand an, für den Schutz begehrt wird, und erfüllt somit nicht das Erfordernis der Klarheit (Artikel 84 EPÜ).

1.3 Daran ändert sich nichts, wenn "euklidische Distanz" ein zwingendes Merkmal wäre, so wie in der der Prüfungsabteilung zuletzt vorliegenden Fassung des Anspruchs 1.

Die Kammer stimmt grundsätzlich der Feststellung der Prüfungsabteilung zu, dass Vektoren im Raum immer so gewählt werden können, dass sie einen beliebigen Abstand zueinander haben können. Jedoch hat die Kammer die Beschwerdeführerin so verstanden, dass unter "euklidischer Distanz" die Distanz zwischen Punkten im Raum, die einem Vektor zugeordnet werden können, gemeint sein sollten. Eine solche Interpretation ist jedoch nicht ohne weiteres zwingend. So wurde die Beschwerdeführerin im Laufe der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass man auch den Winkel zwischen den die Raumpunkte mit dem Koordinatenursprung verbindenden Ortsvektoren oder die Höhe zwischen solchen Ortsvektoren zur Distanzbestimmung heranziehen kann, wenn es auch sein mag, dass im gegebenen Zusammenhang das erstere Verständnis für den Fachmann das nächstliegende ist.

Letztlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben, da der weitere, in Anspruch 1 verwendete Begriff "möglichst groß" unbestimmt ist. Nach den Ausführungen der Beschwerdeführerin soll die Auswahl der Mustervektoren durch eine durch die Signalverarbeitungseinrichtung 8 durchgeführte Transformation von ursprünglichen, untransformierten Mustervektoren derart erfolgen, dass sie eine möglichst große Distanz zueinander aufweisen. Die Anmeldung selbst erwähnt zwar nicht explizit, dass die Mustervektoren durch eine solche Transformation erhalten werden. Dies ist jedoch unausweichlich, da die Mustervektoren für die Vergleichbarkeit mit dem die einzelnen Frequenzbereichs-Spektralanteile repräsentierenden Vektor derselben Transformation unterworfen sein müssen wie dieser Vektor. Abgesehen von der Bedingung, dass die resultierenden Mustervektoren eine möglichst große Distanz zueinander aufweisen, ist diese Transformation nicht näher bestimmt und kann somit ganz allgemeiner Natur sein. Transformationen von Vektoren können allgemein deren Richtung und deren Betrag verändern. Folglich lässt sich immer eine Transformation finden - zum Beispiel durch eine Multiplikation mit einem Skalar - die für die euklidische Distanz zwischen den resultierenden Vektoren, nämlich der Quadratwurzel aus dem Betragsquadrat ihrer Differenz, beliebige und auch beliebig große Werte ergibt. Somit ist das Merkmal "möglichst groß" als Einschränkung untauglich, womit der dadurch umschriebene Schutzumfang unbestimmt bleibt.

1.4 Von der Beschwerdeführerin wurde vorgebracht, dass die unter 1.3 erwähnte Transformation so durchgeführt werden solle, dass die resultierenden Vektoren normiert wären.

Die Kammer kann dazu nur auf die Tatsache hinweisen, dass nichts dergleichen in der Patentanmeldung erwähnt ist. Sie kann auch nicht erkennen, dass dergleichen überhaupt möglich wäre. Wenn einer der Mustervektoren normiert wird, können nicht gleichzeitig die anderen Mustervektoren, die derselben Transformation unterworfen werden, durch diese ebenfalls normiert werden.

1.5 Im schriftlichen Verfahren hatte die Beschwerdeführerin die unter 1.3 erwähnte Transformation unter Hinweis auf die sogenannte Hamming-Distanz, wie sie zum Beispiel in D1 erklärt ist, erläutert. Die Relevanz dieses Beispiels für den vorliegenden Fall ist nicht nachvollziehbar. Hamming-Distanzen werden, wie aus D1 deutlich hervorgeht, zur Bestimmung von Unterschieden zwischen binären Größen verwendet. Die in Anspruch 1 definierten Mustervektoren sollen jedoch mit den Spektralkomponenten von Echomessungen verglichen werden. Diese Komponenten sind allerdings keine binären Größen, und dergleichen ist auch nicht der Anmeldung zu entnehmen. Folglich ist mit dem Hinweis auf die Hamming-Distanz nichts für die Klarheit zu gewinnen.

1.6 Aus den obigen Überlegungen folgt, dass der Anspruch 1 nicht den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ entspricht.

1.7 Diese Überlegungen sind auch auf für den unabhängigen Verfahrensanspruch 20 übertragbar, da er dieselben zur mangelnden Klarheit führenden Merkmale aufweist.

2. Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr

Da der Beschwerde nicht stattgegeben wurde, fehlt es an einer gesetzlichen Vorraussetzung für die Rückerstattung der Beschwerdegebühr (Regel 69 EPÜ: "... wenn der Beschwerde ... stattgegeben wird ...").

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde und der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr werden zurückgewiesen.

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