European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2009:T099905.20090402 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 02 April 2009 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0999/05 | ||||||||
Anmeldenummer: | 99945983.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08J 5/18 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Optisch isotrope Polycarbonat-Folien sowie Verfahren zu deren Herstellung | ||||||||
Name des Anmelders: | Evonik Röhm GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | SABIC Innovative Plastics Holding B.V. | ||||||||
Kammer: | 3.3.09 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (nein) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Erteilung des Europäischen Patents Nr. 1 117 731 auf die Europäische Patentanmeldung Nr.99945983.7, angemeldet am 16. August 1999 als Internationale Anmeldung PCT/EP99/05996 im Namen der Firma Röhm GmbH & Co. KG (jetzt in Evonik Röhm GmbH umbenannt), wurde am 26. Februar 2003 im Patentblatt 2003/09 bekannt gemacht.
Das Patent mit dem Titel "Optisch isotrope Polycarbonat-Folien sowie Verfahren zu deren Herstellung" wurde mit sieben Ansprüchen erteilt. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 4 bis 7 lauteten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung einer optisch nahezu isotropen Kunststoff-Folie aus linearem oder verzweigten Polycarbonat, dadurch gekennzeichnet, daß man eine Polycarbonat-Schmelze mit einem mittleren Molekulargewicht Mw von 10.000 bis 40.000 im Chill-Roll-Prozess schmelzegießt."
"4. Polycarbonat-Folie mit einer Dicke von weniger als 200 µm, erhältlich nach einem Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 3."
"5. Verwendung von Polycarbonat-Folien nach Anspruch 4 als Verkratzschutzfolien für optischen Datenträger."
"6. Verwendung von Polycarbonat-Folien nach Anspruch 4 als Trägermaterialien für optischen Datenträger."
"7. Verwendung von Polycarbonat-Folien nach Anspruch 4 als Basismaterialien für die Herstellung von Overlayfolien für Displays und Bildschirme."
II. Gegen das Patent legte die Firma General Electric Plastics B.V. (jetzt in SABIC Innovative Plastics Holding B.V. umbenannt) Einspruch ein und beantragte den vollständigen Widerruf des Patents. Der Einspruch wurde darauf gestützt, dass der beanspruchte Gegenstand bekannt oder zumindest nahegelegt sei (Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ).
III. Zur Stütze ihrer Argumentation zitierten die Einspre chende während des Einspruchsverfahrens unter anderem folgende Dokumente:
D4 : Abstract von JP-A-04-275129 erteilt unter der
Nummer JP-B-2932731
D4a: Englische Maschinenübersetzung der JP-B-2932731
D4b: Englische Übersetzung der JP-A-04-275129
D4c: Internetseite vom 17. November 2003
"https://www.delphion.com/details?pn=JP04275129A2"
D4d: Korrigierte Übersetzung der Seite 155 von D4b
D4e: "Written opinion" des JPTO zur Anmeldung D4
D9 : Englische Übersetzung der JP-A-S61-255830
Mit ihrer Erwiderung vom 30. April 2004 widersprach die Patentinhaberin den Einwänden der Einsprechenden. Sie reichte auch neue Anspruchsätze (Haupt- und Hilfsantrag) ein, welche später von mit Schreiben vom 15. April 2005 eingereichten Anspruchsätzen (Haupt- und zwei Hilfsanträge) ersetzt wurden.
IV. Mit ihrer am 12. Mai 2005 mündlich verkündeten und am 3. Juni 2005 schriftlich begründeten Zwischenentschei dung hielt die Einspruchsabteilung das Patent in geändertem Umfang aufrecht gemäß dem Hauptantrag, welcher dem mit Schreiben vom 15. April 2005 eingereichten Hilfsantrag 2 entsprach.
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 lauteten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung einer optisch nahezu isotropen Kunststoff-Folie aus linearem oder verzweigten Polycarbonat, mit einem mittleren Molekulargewicht Mw von 10.000 bis 40.000, dadurch gekennzeichnet, daß man eine Extrusionsdüse einsetzt, die eine innere Oberfläche der Extrusionsdüse in Extrusionsdüsenlippenbereich mit einer Rauhtiefe nach DIN 4768 RA von 0,025 bis 0,002 aufweist, und man die Polycarbonat-Schmelze im Chill-Roll-Prozess schmelzegießt."
"3. Polycarbonat-Folie mit einer Dicke von weniger als 200 µm, erhältlich nach einem Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die Folie in keinem Bereich der Oberfläche eine Ablenkung linear polarisierten Lichts von größer als 2 Winkelminuten aufweist."
Die unabhängigen Ansprüche 4 bis 6 entsprachen den erteilten Ansprüchen 5 bis 7.
Zur Begründung führte die Einspruchsabteilung aus, dass der beanspruchte Gegenstand des geänderten Hauptantrags neu und erfinderisch sei. Zur Frage der Neuheit war sie der Meinung, dass keines der vorgelegten Dokumente eine Extrusionsdüse mit der beanspruchten Rauhtiefe der inneren Oberfläche der Extrusionsdüse offenbare. Bezüglich der Frage der erfinderischen Tätigkeit betrachtete sie D4 als nächstliegenden Stand der Technik, von dem sich die Erfindung durch die genannte Rauhtiefe der Extrusionsdüse und durch die Herstellung der Folie nach dem Chill-Roll-Verfahren unterscheide. Durch diese gegenüber dem Stand der Technik D4 nicht naheliegenden Maßnahmen sei es gelungen, die demgegenüber bestehende Aufgabe zu lösen, nämlich optisch nahezu isotrope Polycarbonat-Folien ohne Extrusionsstreifen bereitzustellen. Zum Einwand der mangelnder Klarheit des in den Anspruch 3 eingefügten Merkmals zur Charakterisierung der Oberflächengüte stellte die angefochtene Entscheidung fest, dass der Fachmann in der Lage sei, den Durchmesser des Laser-Messstrahls entsprechend der zu messenden Störstelle zu wählen.
V. Am 3. August 2005 legte die Einsprechende (Beschwer deführerin) Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein und entrichtete die Beschwerdegebühr am gleichen Tag. Sie beantragte die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung und den Widerruf des Patents in vollem Unfang. Die entsprechende Beschwerdebegründung ist am 30. September 2005 eingegangen.
Folgende zusätzlichen Dokumente wurden im Laufe des Beschwerdeverfahrens eingereicht:
D15 : G. Kress, "Streifenbildung bei Schlauchfolien -
Einfluß von Fließkanaloberflächen", Kunststoffe,
Band 65, 1975, Seiten 456-459
D16 : Declaration von Herrn Stephan Van Dun vom 23
September 2005 und Anlagen D16-3 bis D16-7
D16a: Anhang zu D16
D17 : EP-A-0 351 886 (EP-Äquivalent zu D7)
D18 : Internet Seite vom 3. März 2009
"http://www.google.de/search?hl=de&q=%22laser
+deflektion%22&btnG=Google-Suche..."
Die Beschwerdeführerin hielt ihre Einwände der fehlenden Klarheit und erfinderischen Tätigkeit aufrecht. Zur fehlenden Klarheit argumentierte sie, dass die Methode des Laser-Deflektion nirgendwo offenbart sei, und die entsprechende Stelle der Patentschrift nicht ausreichend informativ sei. Zur erfinderischen Tätigkeit argumentierte sie einerseits, dass D4 - im Gegensatz zur Auffassung der Einspruchsabteilung - doch ein Chill-Roll Verfahren offenbare und anderseits, dass die beanspruchte Glätte der Extrusionsdüse für den Fachmann, der eine hohe Oberflächengüte des Films anstrebe, naheliegend sei. Dies nicht nur aufgrund seiner normalen Fachkenntnisse, sondern auch im Hinblick auf die neu eingereichten Dokumente D15 und D16. Zur Frage der Patentfähigkeit der in Anspruch 3 spezifizierten Folie ergänzte die Beschwerdeführerin ihren Vortrag mit Schreiben von 24. März 2009 dahingehend, dass allem Anschein nach auch das im Streitpatent unzureichend gewürdigte D17 (Seite 2, Absatz [006]) zu Folien vergleichbarer Oberflächengüte führen müsse und wies auch darauf hin, dass in den Beispielen des Streitpatents diesbezügliche Angaben fehlten.
VI. Mit dem am 6. Februar 2006 eingegangenen Schreiben verteidigte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) im wesentlichen die Entscheidung und die Argumentation der Einspruchsabteilung.
VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 2. April 2009 vor der Beschwerdekammer statt.
VIII. Die für diese Entscheidung wichtigen, schriftlich eingereichten und mündlich vorgetragenen Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammen fassen:
Zur Zulassung der spät eingereichten Beweismittel
- Die Dokumente D15 und D16 wurden eingereicht um die Position der Beschwerdeführerin in der Frage der erfinderischen Tätigkeit zu stützen.
- Sie sollten das Naheliegen der beanspruchten Rauhtiefe RA nach DIN 4768 im Extrusionsdüsenlippenbereich belegen, was von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung nicht anerkannt worden war.
- Die Relevanz der Erklärung von Herrn Van Dun (D16) liege insbesondere darin, dass seine Firma Extrusionsapparaturen angeboten und verkauft habe, die Extrusionsdüsenlippen aufwiesen, deren Rauhtiefe RA nach DIN 4768 im Bereich von 0,02 bis 0,04 gelegen habe.
Zur Klarheit
- Der Gegenstand des im Einspruchsverfahren vor der Einspruchsabteilung geänderten Anspruchs 3 erfülle nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ wegen des aus der Beschreibung eingeführten Merkmals, dass "die Folie in keinem Bereich der Oberfläche eine Ablenkung linear polarisierten Lichts von größer als 2 Winkelminuten aufweist".
- Zwar sei die entsprechende Messmethode mit Hilfe der Laser-Deflektion in der Beschreibung angegeben, ihre genaue Durchführung sei aber nicht offenbart, und eine solche Methode gehöre auch nicht zu dem dem Fachmann bekannten Stand der Technik; eine Google- Suche (deutsche Version) habe zu keinem Ergebnis geführt (D18).
- Die Einspruchsabteilung irre, wenn sie sage, dass die Wahl des Laserstrahldurchmessers unproblematisch sei.
- Auch sei nicht klar, wieso gemäß der Patentschrift (Absatz [0024]) für die Auswertung nur die y-Komponente relevant ist; zu einer unterschiedlichen Relevanz der y- und x-Komponenten finde sich dort kein Kommentar.
Zur erfinderischen Tätigkeit
- Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auf keiner erfinderischen Tätigkeit, weil er für den Fachmann naheliege.
- D4 sei als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten.
- Es offenbare ein Chill-Roll-Verfahren. Würde es ein Glättwerk betreffen, wäre dieses in D4 beschrieben.
- Die Offenbarung von D4 lasse keinen Raum für dort nicht beschriebene Vorrichtungselemente. D4, wie D9, offenbare zwischen der Extrusionsdüse und der Walze eine Luftstrecke von 40mm; für die Walzenanordnung eines Glättwerks sei somit gar kein Platz. Auch offenbare D4 bessere Doppelbrechungswerte als gemäß dem Patent, was - wie im Vergleichsbeispiel 1 des angefochtenen Patents gezeigt - bei einem Glättwerkverfahren nicht zu erwarten sei.
- Das Argument, dass D4 sich auf ein Glättprozess beziehe, weil es eine Extrusionsformgebung ("extrusion molding") beinhalte, sei nicht richtig. Auch gemäß D9, welches unstreitig ein Chill-Roll Verfahren offenbare, werde eine "extrusion molding machine" verwendet (Seite 140 linke Spalte, Zeilen 1-4).
- Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich folglich von der Offenbarung von D4 nur durch die Oberflächenqualität der Extrusionsdüse.
- Die gegenüber D4 zu lösende technische Aufgabe sei die Herstellung von Polycarbonat-Folien, die möglichst keine Extrusionsstreifen aufweisen.
- Die Lösung dieser Aufgabe sei nach Anspruch 1 die Verwendung einer Extrusionsdüse, deren Lippen so glatt sind, dass wenige, im optimalen Fall gar keine Extrusionsstreifen entstehen. Bei einer beanspruchten Rauhtiefe RA von 0,025 bis 0,002 nach DIN 4768 weist die Filmoberfläche dann in keinem Bereich eine Ablenkung linear polarisierten Lichts von größer als 2 Winkelminuten auf, d.h. die Folie erfüllt diesbezüglich die Bedingung des Anspruchs 3.
- Es sei für den Fachmann, der Extrusionsstreifen vermeiden will, naheliegend die Extrusionsdüse mit der beanspruchten geglätteten Oberfläche auszustatten, weil ihm klar sei, dass die Streifenbildung der extrudierten Folie mit der Oberflächenqualität des Extrusionsdüsenlippenbereichs zusammenhänge, wobei bei geringerer Rauhtiefe des Lippenbereichs auch entsprechend weniger Extrusionsstreifen gebildet würden. Das genaue Ausmaß der Rauhtiefe könne der Fachmann routinemäßig bestimmen und führe zu keinem unerwarteten Effekt.
- Folglich sei der Gegenstand von Anspruch 1 für den Fachmann angesichts der Offenbarung von D4, in Kombination mit seinem Fachwissen, naheliegend.
- Dieselbe Schlussfolgerung treffe auch auf den Gegenstand des Anspruchs 3 zu, weil er nur das unmittelbare Ergebnis des naheliegenden Verfahrens beschreibe.
- Nach der Patentschrift (Absätze [0022] und [0023]) steht die Ablenkung linear polarisierten Lichts in Zusammenhang mit den gebildeten Extrusionslinien. Dieses Merkmal sei nur der Ausdruck der erzielten Oberflächenqualität des hergestellten Films, welche wiederum von der Rauhtiefe der Extrusionsdüse abhängig sei.
- Die Beispiele des angegriffenen Patents enthielten keine Information über die Ablenkungswinkel der "patentgemäßen" Folien. Folglich fehle sogar der Beweis der erfolgreichen Herstellung der beanspruchten Folien.
- Es sei möglich, dass sich die Folien gemäß Vergleichsbeispiel 2 und jene gemäß Beispiel 1 bezüglich der mittels Laser-Deflektion gemessenen Extrusionsstreifen gar nicht unterschieden.
IX. Die für diese Entscheidung wichtigen, von der Beschwerdegegnerin schriftlich eingereichten und mündlich vorgetragenen Argumente können wie folgt zusammengefasst werden:
Zur Zulassung der spät eingereichten Beweismittel
- Die Dokumente D15 - D17 sollten wegen des von der Beschwerdeführerin verschuldeten, verspäteten Vorbringens und ihrer geringen Relevanz nicht zum Verfahren zugelassen werden.
- Die Anlagen D16-3 bis D16-6 seien Unterlagen, welche angeblich im Hause der Beschwerdeführerin selbst seit 1995 vorlägen. Es gebe somit keinen Entschuldigungsgrund für ihr verspätetes Vorbringen.
- Dazu seien D16-3 bis D16-7 zum Zeitpunkt der Priorität des angegriffenen Patents als vertraulicher Schriftwechsel einzustufen und sie gehörten nicht zum Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ.
- D15 sei von geringer Relevanz. Es offenbare die Streifenbildung bei Schlauchfolien anhand der Kunststoffe Polyamid 6 und LDPE. Polycarbonat sei ebenso wenig erwähnt wie das Chill-Roll-Verfahren. Da diese Schlauchfolien unterschiedliche Anwendungen und optische Anforderungen im Vergleich zu den beanspruchten Folien hätten, würden sie vom Fachmann nicht zur Lösung von Polycarbonat-spezifischen Aufgabenstellungen in Betracht gezogen.
Zur Klarheit
- Artikel 84 EPÜ stelle keinen zulässigen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ dar.
- Der Abschnitt [0024] der Patentschrift enthalte eine ausführliche, für den Fachmann in jedem Fall ausreichende Anleitung zur Ausführung der angegebenen Messmethode.
- Der Abschnitt [0017] charakterisiere mögliche Fehlstellen, Düsenlinien und Extrusionsstreifen, die der Fachmann als solche kenne, so dass er die Auswahl der Messgerätschaften daran ausrichten könne.
Zur erfinderischen Tätigkeit
- Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 3 beruhe auf erfinderischer Tätigkeit. Als nächstliegender Stand der Technik sei Dokument D4 zu betrachten, welches jedoch kein Chill-Roll, sondern ein Glättwerk-Verfahren offenbare.
- Dies folge daraus, dass D4 einerseits den Begriff Chill-Roll-Verfahren nicht verwende und anderseits von einer Extrusionsformgebung ("extrusion molding") spreche, ein Begriff, der das Vorhandensein von Formwänden impliziere, wie sie beim Chill-Roll-Verfahren nicht vorliegen.
X. Die Beschwerdeführerin/Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 117 731.
XI. Die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Dokumente D15 und D16
Die Dokumente D15 und D16 sind mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden, um die Argumentation der Beschwerdeführerin bezüglich der behaupteten mangelnden erfinderischen Tätigkeit zu untermauern. Ob diese rechtzeitig eingereicht wurden kann dahinstehen, weil sie keinen Beitrag zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit leisten können, der über den Inhalt der im Verfahren befindlichen Dokumente hinausgeht.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Nächstliegender Stand der Technik
3.1.1 Im Einklang mit den Auffassungen der Parteien betrachtet die Kammer D4 als nächstliegenden Stand der Technik. In dieser Entscheidung wird auf die englische Übersetzung D4b Bezug genommen.
3.1.2 D4b (siehe Beispiele; Tabellen 1 und 2) offenbart ein Verfahren zur Herstellung von Polycarbonat-Folien mit einer Dicke von 100 µm einem Molekulargewicht von 20.000 und einer sehr geringen optischen Doppelbrechung (d.h. mit guten optischen Eigenschaften), das alle Merkmale eines Chill-Roll-Verfahrens aufweist.
Nach Auffassung der Kammer kann das in D4b offenbarte Verfahren (siehe Abstract, Absätze [0010] und [0011]) nichts anderes als ein Chill-Roll-Verfahren sein, weil das Polycarbonat über eine Anlage mit einem Extruder und einer Düse zu einer dünnen Folie extrudiert wird und die extrudierte Folie über einen Luftspalt einer Kühlrolle zugeführt wird. Dieser Verlauf entspricht einem üblichen Chill-Roll-Verfahren, wie es auch in D9 offenbart ist (siehe Seite 137, rechte Spalte, Zeilen 9-14; Seite 138, linke Spalte, Zeilen 22-31; Seite 140, linke Spalte, Zeilen 1-13).
3.1.3 Die Beschwerdegegnerin hat argumentiert, dass nach D4b (Seite 154, linke Spalte, Anspruch 1) das Extrudat einer Formgebung unterworfen wird ("extrusion molding"), wie sie beim Glättwerkextrusionsverfahren stattfindet aber nicht beim Chill-Roll-Verfahren.
Die Kammer hält dieses Argument aber aufgrund der Offenbarung von D9 (Seite 140, linke Spalte, Zeilen 1-4), welches zweifellos und unbestritten ein Chill-Roll-Verfahren betrifft, für nicht überzeugend, denn auch gemäß D9 wird das schmelzegegossene Material, wie Polycarbonat (Seite 137, rechte Spalte, Zeilen, 5-8), über eine Formgebungsmaschine ("extrusion molding machine") extrudiert und auf diese Weise einer Formgebung unterworfen. Daraus folgt, dass der Fachmann den Begriff "extrusion molding" auch für das Chill-Roll-Verfahren verwendet. Die Behauptung der Patentinhaberin, wonach der Begriff "molding" die Verwendung einer (zusätzlichen) Glättwalze impliziere, entspricht somit nicht dem Sprachgebrauch in diesem technischen Gebiet.
Für diese Interpretation spricht auch, dass gemäß der korrigierten Übersetzung D4d des Absatzes [0018] davon die Rede ist, dass die Formgebungsvorrichtung ("molding equipment") aus dem Extruder und der Aufnahme-Kühlrolle ("take-up cooling roll") besteht ("consisting of") und eine Zusatzeinrichtung daher nicht mit der sprachlichen Struktur von D4d vereinbar ist.
3.1.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Offenbarung von D4b somit nur dadurch, dass die Extrusionsdüse eine innere Oberfläche aufweist, welche im Extrusionsdüsenlippenbereich eine Rauhtiefe nach DIN 4768 RA von 0,025 bis 0,002 hat.
3.1.5 Der Gegenstand des Anspruchs 3 unterscheidet sich von der Offenbarung von D4b dadurch, dass als Folge des unterschiedlichen Herstellungsverfahrens die Folie in keinem Bereich der Oberfläche eine Ablenkung linear polarisierten Lichts von größer als 2 Winkelminuten aufweist.
3.2 Die zu lösende technische Aufgabe
Das angefochtene Patent stellt sich als zu lösende Aufgabe die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung von Polycarbonat-Folien mit hoher Oberflächenqualität (Seite 2, Absatz [0010]), insbesondere unter Vermeidung von Düsenlinien bzw. Extrusionsstreifen auf der extrudierten Folie (Seite 3, Absatz [0017]).
Diese Aufgabe wird durch die hohe Glätte/geringe Rauhigkeit der inneren Extrusionsdüsenoberfläche, insbesondere des Düsenlippenbereichs, gelöst.
Die Rauhtiefe RA nach DIN 4768 des Düsenlippenbereichs soll dabei 0,025 bis 0,002 betragen (Seite 3, Absatz [0017]). Dennoch gebildete Extrusionsstreifen bzw. Düsenlinien sind messbar durch die Ablenkung linear polarisierten Lichts (Seite 3, Absatz [0022]), die patentgemäß in keinem Bereich der Oberfläche größer als 2 Winkelminuten sein soll (Seite 3, Absatz [0023]).
Die Kammer stellt fest, dass das angefochtene Patent (siehe Beispiel 1 und Tabelle auf Seite 6) illustriert, dass die gestellte technische Aufgabe durch die beanspruchten Merkmale des Anspruchs 1 tatsächlich gelöst wird. Inwieweit dies auch für die in Anspruch 3 beanspruchten Merkmale zutrifft, ist experimentell nicht belegt.
3.3 Naheliegen
3.3.1 Dem Fachmann, der von dem Verfahren zur Herstellung von Polycarbonat-Folien gemäß D4b ausgeht und ein Verfahren sucht, welches die oben genannte technische Aufgabe lösen kann, ist klar, dass die Düsenlinien bzw. Extrusionsstreifen auf der extrudierten Folie durch Unregelmäßigkeiten der inneren Oberfläche der Extrusionsdüse insbesondere im Extrusionsdüsen-lippenbereich verursacht werden. Daraus folgt unmittelbar, dass eine Verminderung der diese Streifen verursachenden Unebenheiten, also eine Glättung des Werkzeugs im Bereich der oberflächengestaltenden Düsenlippen, sich zur Bekämpfung dieses unerwünschten Effekts anbietet. Diese per se naheliegende Maßnahme wird nicht dadurch erfinderisch, dass das Maß der Rest-Rauhigkeit patentgemäß quantitativ festgelegt ist, weil dies nur das Ergebnis einer routinemäßigen Optimierung darstellt, die sich nach den technischen Anforderungen der Verwendung der Folie richtet. Folglich liegt die beanspruchte Lösung für den Fachmann ausgehend von D4b nahe und der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.3.2 Da das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 3, der maximale Wert der Ablenkung linear polarisierten Lichts, eine unmittelbare Folge der Reduzierung der Streifenbildung an der Folienoberfläche ist, kann dieses Merkmal keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit der so gekennzeichneten Folien liefern, da es in gleicher Weise durch die naheliegende Maßnahme der Rauhigkeitsverminderung der Düsenlippen bestimmt wird (siehe angefochtene Patent: Seite 3, Absätze [0022] und [0023]). Auch Anspruch 3 erfüllt daher nicht die Vorraussetzungen des Artikels 56 EPÜ.
4. Da der Gegenstand der Ansprüche 1 und 3 auf Grund mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig ist, erübrigt sich eine Diskussion des von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Vorwurfs mangelnder Klarheit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent wird widerrufen.