European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2007:T094005.20070402 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 02 April 2007 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0940/05 | ||||||||
Anmeldenummer: | 99116864.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01L 5/24 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Messvorrichtung zur Bestimmung des Gesamtanzugsmoments, des Kopfreibungsmoments und der Vorspannkraft einer angezogenen Schraubverbindung | ||||||||
Name des Anmelders: | Test GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 25. Februar 2005, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 99116864.2 (Veröffentlichungsnummer 0987532) zurückgewiesen worden ist. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand der Ansprüche 1, 12, 21, 22, 26 und 28 bis 30 im Sinne von Artikel 52 (1) und 54 EPÜ nicht neu war aufgrund der Offenbarungen der folgenden Druckschriften:
D1: DE-B-2 352 749
D2: US-A-5 339 696
D3: DE-B-2 521 428
Zudem wurden Einwände unter den Artikeln 56, 82 und 84 EPÜ erhoben.
II. Am 22. April 2005 legte die Anmelderin bei gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 23. Juni 2005 eingereicht. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erteilung eines Patents auf Basis ihres Hauptantrags oder mit den Ansprüchen gemäß einem der Hilfsanträge 1 oder 2. Außerdem beantragte sie hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
III. In einer telephonischen Rücksprache am 20. November 2006 erhob der Berichterstatter Einwände gegen die Ansprüche 1, 2, 12, 22 und 25 gemäß Hauptantrag und bemerkte ebenfalls, dass die Beschreibung noch anzupassen sei.
IV. Mit Schreiben vom 23. Januar 2007 reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Anspruchssatz und angepasste Beschreibungsseiten ein und beantragte, die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage dieser Unterlagen zu erteilen.
V. Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Meßvorrichtung zur Bestimmung des Gesamtanzugsmoments MA , des Kopfreibungsmoments MK und der Vorspannkraft FV einer angezogenen und in einem Kraft/Moment-Aufnehmer (1) gehalterten Schraubverbindung (2, 3) durch Messung resultierender Spannungen, insbesondere:
- einer vom Gesamtanzugsmoment MA abhängigen Biegespannung über wenigstens eine Meßstelle (4);
- einer vom Kopfreibungsmoment MK abhängigen Torsionsspannung bzw. Biegespannung über wenigstens eine Meßstelle (5) bzw. (5a); sowie
- einer von der axialen Vorspannkraft FV abhängigen Druckspannung über wenigstens eine Meßstelle (6);
mittels Dehnungsmeßstreifen (40, 50, 50a, 60), die am Kraft/Moment-Aufnehmer (1) so angeordnet sind, daß sie zumindest jeweils eine der Meßstellen (4, 5, 5a, 6) zur Bestimmung der von MA , MK oder FV abhängigen Spannungen bilden, wobei die Messvorrichtung eine torsions- und druckelastische Einspannhülse aufweist,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Meßstelle (5, 5a) für die vom Kopfreibungsmoment MK abhängige Torsionsspannung bzw. Biegespannung durch mechanische Mittel von einem Einfluß der von der axialen Vorspannkraft FV abhängigen Druckspannung entkoppelt ist".
Die Ansprüche 2 bis 30 sind abhängige Ansprüche.
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Zurückweisungsbeschluss basiert auf der Sichtweise der Prüfungsabteilung, dass Anspruch 1 keine im Wesentlichen vollständige Entkopplung der Messstellen für die Torsionsspannung bzw. Biegespannung von der Druckspannung vorsehe, da er "nur die Entkopplung von einem Einfluss" vorsehe, "was auch eine geringfügige, teilweise Entkopplung umfasse". Der Ausdruck im kennzeichnenden Teil des Anspruchs "Messstellen ...ist ...von einem Einfluss der Druckspannung entkoppelt" wird jedoch vom Fachmann so verstanden, dass die Bezeichnung "Entkopplung" im Gegensatz zu einer "Reduzierung der Kopplung" eine im Wesentlichen verschwindende Kopplung impliziert. Dies ist im technischen Sprachgebrauch auch üblich, wo der Begriff "Entkopplung" zweier Messgrößen eine im Wesentlichen vollständige Trennung der Größen impliziert, derart, dass ein Einfluss der einen Größe auf die andere Größe oder ein Übersprechen tatsächlich ausgeschlossen ist. Der unbestimmte Artikel vor dem Wort "Einfluss" soll gerade ausdrücken, das ein Einfluss der Druckspannung auf die Messstelle - egal ob groß oder klein - ausgeschlossen sein soll. Dies ist auch der ursprünglich eingereichten Beschreibung an mehreren Stellen zu entnehmen, z.B. Seite 6, Zeilen 25 bis 28, weshalb diese Interpretation für den Fachmann eindeutig ist. Auch kann dem Klarheitseinwand, dass der technische Sinn des Begriffs "dass die Messstellen entkoppelt sind" unverständlich wäre und damit versucht würde, den Gegenstand des Schutzbegehrens durch das zu erreichende Ergebnis zu definieren, nicht gefolgt werden: der Anspruch gibt klar an, wie die Messgenauigkeit der Teildrehmomente verbessert werden kann, nämlich indem "die Messstelle für die ... Torsionsspannung ...durch mechanische Mittel von dem Einfluss von der ...Druckspannung entkoppelt ist".
Die Druckschriften D1, D2 und D3 offenbaren torsions- und druckelastische Einspannhülsen aufweisende Messvorrichtungen, welche auch die übrigen Merkmale aus dem Oberbegriff des Anspruchs 1 aufweisen. Dabei werden laut D1 in der in dieser Druckschrift offenbarten Messvorrichtung der Gewindeanteil und der Kopfanteil des Gesamtanzugsmoments getrennt gemessen. Aus der Figur ist ersichtlich, dass die Torsionsmesszelle 3 sowohl die Druckspannung als auch die Torsionsspannung aufnimmt, welche mittels jeweils gekreuzten Paaren von Dehnungsmessstreifen (im Folgenden: DMS) gemessen werden. In Spalte 3, Zeilen 33 und 34 ist offenbart, dass die äußere Torsionsmesszelle zum Messen des Anziehdrehmoments, i.e. Gesamtanzugsmoments MA dient. In den folgenden Zeilen wird offenbart, dass die innere Torsionsmesszelle sowohl durch die Vorspannkraft FV der Schraube als auch durch deren Gewindedrehmoment MG beansprucht wird. Schließlich wird das Kopfreibungsmoment MK aus eine Subtraktion der gemessenen Größen MA und MG errechnet (siehe Spalte 4, Zeile 51). Es gibt in dieser Vorrichtung also keine Messstelle für die vom Kopfreibungsmoment MK abhängige Torsionsspannung. Auch zeigt die Vorrichtung aus der D1 nicht das Merkmal, dass die Messstelle (DMS) für die Größe MG durch mechanische Mittel von einem Einfluss der von der axialen Vorspannkraft FV abhängigen Druckspannung entkoppelt ist: zwar ist die Messstelle (DMS) für die Größe MG räumlich von der Messstelle (DMS) für die Größe FV getrennt, aber diese DMS befinden sich auf der gleichen Torsionsmesszelle (siehe Spalte 4, Zeilen 24 - 42), weshalb sie nicht entkoppelt sind.
In der Vorrichtung gemäß Druckschrift D2 nimmt das Sensorelement 36 (Figuren 1, 3) sowohl eine durch die Schraube 50 aufgebrachte Druckspannung als auch eine durch das Gewindereibungsmoment der Schraube erzeugte Torsionsspannung auf, welche durch auf dem Element 36 befestigte DMS 100, 102, 104 (s. Fig. 7, 8) gemessen werden. Auch hier sind keine mechanischen Mittel offenbart, mit denen die Torsionsspannung von der Druckspannung entkoppelt werden kann, so dass diese DMS einem Übersprechen unterzogen sind und eine Änderung der Druckspannung bei konstanter tatsächlicher Torsionsspannung zu einem geänderten Messergebnis für die Torsionsspannung führt.
Schließlich übernimmt gemäß Druckschrift D3 die Torsionszelle 25 sowohl eine Druck- als auch eine Torsionsspannung, welche beide von den DMS 26 gemessen werden (Spalte 4, Zeilen 42-45). Auch hier sind keine mechanischen Mittel offenbart, mit denen die Torsionsspannung von der Druckspannung entkoppelt werden kann, so dass diese Vorrichtung mit dem Nachteil des Übersprechens behaftet ist, weshalb auch hier eine Änderung der Druckspannung bei konstanter tatsächlicher Torsionsspannung zu einem geändertem Messergebnis für die Torsionsspannung führt. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist deshalb neu gegenüber sämtlichen aus dem Stand der Technik bekannten Druckschriften.
Der Anspruchsgegenstand ist auch erfinderisch, da im Stand der Technik die Bedeutung des separaten Erfassens auch des Teil-Drehmomentes MK nicht erkannt wurde. Beim Verschrauben einer Schraubverbindung kann nur das Gesamtanzugmoment MA gemessen werden, welche die Summe der Kopf- und Gewindereibungsmomente bildet. Mittels der aus dem Stand der Technik (Druckschriften D1 - D3) bekannten Vorrichtungen kann zwar das Gesamtanzugmoment MA und eines der Teil-Drehmomente gemessen werden, diese Vorrichtungen weisen jedoch folgenden Nachteil auf.
Eine Schraube ist in der Regel hinsichtlich ihres Durchmessers so ausgelegt, dass ihr Werkstoff bezüglich der Vorspannkraft und des im Schaft vorhandenen Gewinde reibmomentes optimal ausgenutzt ist. Alle beschriebenen Messwertaufnehmer umfas sen die Schraube koaxial; ihr Querschnitt kann so ausgelegt werden, dass die Vor spannkraft in der Hülse eine für Dehnungsmessstreifen optimale Spannung von etwa 330 MPa hervorruft. Die Tatsache, dass der Radius der Hülse zwangsläufig erheblich gro ßer als derjenige der Schraube sein muss, führt dazu, dass die in der Hülse her vorgerufene Torsionsspannung wesentlich kleiner als der optimale Wert ist, z.B. nur 80 MPa. Wenn also eine Vorspannkraft FV und ein Gewindereibungsmoment MG gleich zeitig in der Messhülse vorhanden sind und gemessen werden müssen, sind die Ver hältnisse äußerst ungünstig: die Messstelle für das (kleine) Gewindereibungsmoment MG erfasst leider auch Anteile der (großen) Vorspannkraft FV. Aus den oben genannten Zahlen ergibt sich z.B. folgende Abschätzung, die durchaus praxisnahe Ergebnisse liefert: gibt es ein "Übersprechen" der beiden Messgrößen von z.B. 5% in die Mess stelle der jeweils anderen Größe, dann führt dies zu Spannungen von 16,5 MPa (= 5% von 330 MPa) für die Messstelle des Gewindereibungsmomentes, also mehr als 20% des Voll ausschlages von 80 MPa. Umgekehrt, für das Übersprechen des Gewindemomentes in die Vorspannkraft sind die Verhältnisse wesentlich günstiger. 4 MPa (= 5% von 80 MPa) sind nur etwas mehr als 1% von 330 MPa. Dies ist der Grund, warum in der vorliegenden Anmeldung die Messstelle des Kopfreibungsmomentes von der Vorspannkraft entlastet wird, nicht aber umgekehrt.
Ein wichtiger Aspekt der Erfindung ist daher die Erkenntnis, dass die Messung der relevanten Messgrößen bei torsions- und druckbelasteten Messhülsen (bei denen das beschriebene Übersprechen systembedingt in einem besonderen Maße auftritt) sehr viel genauer durchgeführt werden kann, wenn mechanische Entkopplungsmittel wie z.B. Entlastungsschlitze an der Messhülse oder eine spielfrei mit der zentralen Messhülse gekoppelte äußere Hülse vorgesehen werden. Diese Erkenntnis ist dem Stand der Technik nicht zu entnehmen, und die im Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung, das Vorsehen eines mechanischen Entkopplungsmittels, ebenso wenig. Diese Maßnahmen, z.B. das Einbringen eines Entlastungsschlitzes in die Messhülse mag im Nachhinein einfach erscheinen, ihre Wirkung ist jedoch erheblich und war, wie die umfangreichen Bemühungen der Fachwelt zeigen, für den Fachmann zum Prioritätstag nicht naheliegend. Die Gegenstände der Ansprüche 1 bis 30 erfüllen damit das Erfordernis des Artikel 56 EPÜ.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit
Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
Während des Prüfungsverfahrens wurde in den Anspruch 1 das Merkmal aufgenommen "wobei die Messvorrichtung eine torsions- und druckelastische Einspannhülse aufweist". Die Anmelderin hatte zur Offenbarung dieses Merkmals auf die Figur 1 und deren Beschreibung verwiesen. Tatsächlich findet sich dieser Ausdruck im Beschreibungsteil der ursprünglichen Anmeldung (siehe z.B. Seite 14, Zeilen 4-9, und die weitere Beschreibung) und die Kammer hat deshalb keine Bedenken in Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ. Dies gilt ebenso für die Korrekturen in den Ansprüchen 1, 2, 12, 22 und 25 und die Anpassung der Beschreibung.
3. Artikel 84 EPÜ.
3.1 Die Prüfungsabteilung hatte bemängelt, dass in Anspruch 1 der Gegenstand des Schutzbegehrens nicht deutlich definiert sei, da durch den Ausdruck "dass die Messstelle ... entkoppelt ist" versucht werde, den Gegenstand des Anspruchs durch das zu erreichende Ergebnis zu definieren. Außerdem sei der technische Sinn der Ausdrücke, "Mittel zur (mechanischen) Entkopplung", "mechanische Mittel" und "mechanische Entkopplung" unverständlich. Daher gehe aus dem Anspruchswortlaut weder die technische Aufgabe der vorliegenden Erfindung noch der technische Zusammenhang zwischen diesem Merkmal und den weiteren Merkmalen des Anspruchs hervor.
3.2 Zur Argumentation der Anmelderin wurde angemerkt, dass Anspruch 1 keinesfalls definiere, dass alle Teildrehmomente unabhängig oder vollständig entkoppelt voneinander gemessen werden. Der Anspruch definiere lediglich, dass "die Messstelle für die (...) Torsionsspannung bzw. Biegespannung (...) von einem Einfluss der von der axialen Vorspannkraft FV abhängigen Druckspannung entkoppelt ist". Nach Auffassung der Prüfungsabteilung würde die Entkopplung "von einem Einfluss" auch eine geringfügige, teilweise Entkopplung umfassen.
3.3 Schließlich vertrat die Prüfungsabteilung die Auffassung, dass auch das Gesamtanzugsmoment MA eine "vom Kopfreibungsmoment MK abhängige Torsionsspannung" darstelle, so dass der Schutzbereich des Anspruchs 1 auch Vorrichtungen einschließe, bei denen das Gesamtanzugsmoment MA entkoppelt von der axialen Vorspannkraft FV gemessen wird, wie zum Beispiel bei den Dokumenten D1, D2 und D3.
3.4 Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. In der beanspruchten Messvorrichtung werden, wie in sämtlichen Vorrichtungen aus den im Europäischen Recherchenbericht aufgeführten Druckschriften, Änderungen an der Messvorrichtung (Stauchungen oder Längenänderungen) mittels DMS gemessen. Nach dem Verständnis der Kammer ist der Begriff "Entkopplung" in der Physik und Messtechnik dem Fachmann wohl bekannt. So umschreibt, z.B. das Lexikon "Brockhaus Naturwissenschaften und Technik" (zweiter Band, Auflage 1983) diesen Begriff als
"Entkopplung, schaltungstechnische und/oder konstruktive Maßnahme zur Vermeidung von Beeinflussungen zw. verschiedenen elektr. Nachrichtenkanälen, Baugruppen oder Einrichtungen, um i.d.R. Störungen oder sonstige funktionelle Beeinträchtigungen zu vermeiden oder zu verringern".
3.5 Im vorliegenden Fall werden konstruktive Maßnahmen (nämlich: "durch mechanische Mittel") vorgesehen um Störungen (nämlich: Übersprechen) zu vermeiden oder zu verringern. Der Anspruch definiert also nicht ein zu erreichendes Ergebnis, was überdies unverständlich wäre, vielmehr ist nach Verständnis der Kammer für den Fachmann auf dem Gebiet der Messtechnik der technische Zusammenhang zwischen Messvorrichtung/ Messaufnehmer (DMS) und beabsichtigtem Effekt (Vermeidung von Übersprechen durch Entkopplung der Messstelle durch mechanische Mittel) klar.
3.6 Damit ist Anspruch 1 unter Artikel 84 EPÜ nicht zu beanstanden. Auch gegen die geänderten weiteren Ansprüche bestehen keine Bedenken in dieser Hinsicht.
3.7 Des weiteren kann sich die Kammer ebenso wenig die Interpretation zu eigen machen, dass der Wortlaut des Anspruchs 1 auch dahingegen interpretiert werden könnte, dass in der Messvorrichtung das Gesamtanzugsmoment entkoppelt von der axialen Vorspannkraft gemessen wird. Vielmehr wird im Anspruch eindeutig verlangt, dass die Messstelle für die vom Kopfreibungsmoment MK abhängige Torsionsspannung bzw. Biegespannung durch mechanische Mittel von einem Einfluss der von der axialen Vorspannkraft FV abhängigen Druckspannung entkoppelt ist. Natürlich wird auch das Gesamtanzugsmoment MA gemessen, unabhängig von der Vorspannkraft FV, und Anspruch 1 schließt eine solche Messung in seinem Schutzbereich mit ein, nur entspricht diese Messung nicht der Bedingung aus dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1.
4. Neuheit
4.1 Die Druckschrift D1 offenbart eine Messvorrichtung zur Bestimmung des Gesamtanzugsmoments MA , des Kopfreibungsmoments MK und der Vorspannkraft FV einer angezogenen und in einem Kraft/Moment-Aufnehmer (siehe Figur) gehalterten Schraubverbindung (11, 22). Die Messvorrichtung weist eine torsions- und druckelastische Einspannhülse (18, 22) auf. Auf der äußeren Torsionsmesszelle (2) befindet sich eine Messstelle mit vier (in der Figur nicht dargestellten, siehe Spalte 4, Zeile 24) DMS zur Messung des Gesamtanzugsmoments MA; die innere Torsionsmesszelle (3) wird sowohl durch die Vorspannkraft FV der Schraube als auch durch deren Gewindedrehmoment MG beansprucht (Spalte 3, Zeilen 33-39). Deshalb befinden sich am äußeren Umfang der Torsionsmesszelle 2 vier DMS zur Messung des Gewindedrehmoments MG und am inneren Umfang dieser Zelle vier DMS zur Messung der Vorspannkraft (Spalte 4, Zeilen 24-42). In der Vorrichtung nach D1 wird das Kopfreibungsmoment nicht gemessen, sondern es wird durch Subtrahieren der gemessenen Größen MA und MG berechnet (Spalte 4, Zeile 51). Die Vorrichtung nach der Druckschrift D1 enthält daher keine Messstelle für die vom Kopfreibungsmoment abhängige Torsionsspannung. Weiter ist festzustellen, dass, da sich die DMS für die Messung des Gewindedrehmoments MG und die DMS für die Messung der Vorspannkraft FV auf der gleichen Torsionsmesszelle 2 befinden, auch die Messungen dieser Größen nicht durch mechanische Mittel entkoppelt sind.
4.2 Die Druckschrift D2 offenbart ebenfalls eine Messvorrichtung mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1. Die in dieser Druckschrift gezeigte Vorrichtung enthält ebenfalls zwei Messzellen. Laut Spalte 1, Zeilen 56-59 misst die innere Messzelle das Gewindedrehmoment MG und die Vorspannkraft FV, die äußere Messzelle misst das Gesamtanzugsmoment MA. Siehe auch Spalte 4, Zeilen 10-15 (äußere Messzelle 22) und Zeilen 16-31 der gleichen Spalte (innere Messzelle 36). Auch diese Druckschrift offenbart nicht die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1.
4.3 Schließlich offenbart auch die Druckschrift D3 eine Messvorrichtung mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1. Laut Spalte 4, Zeilen 39-45 werden am als Torsionszelle 25 ausgebildeten Bereich der Einspannhülse 8 mittels außen angebrachter DMS 26 die vom Schraubenkopf-Reibmoment MK und die axiale Vorspannkraft FV der Schraube gemessen. Auch diese Druckschrift offenbart keine Mittel zur Entkopplung dieser Messstellen.
4.4 Die im Europäischen Recherchenbericht aufgeführte Druckschrift DE-A-3408310 (D4) offenbart eine Messvorrichtung, bei der eine Hülse durch Verwendung von Lagern von einer Torsion befreit ist. Da diese Vorrichtung keine wie im Anspruch 1 definierte torsions- und druckelastische Einspannhülse aufweist, stellt die Vorrichtung aus D4 einen grundverschiedenen Vorrichtungstypus dar.
4.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu (Artikel 52 (1) und 54 EPÜ). In diesem Zusammenhang wird bemerkt, dass der von der Prüfungsabteilung geäußerte Einwand fehlender Neuheit in Hinblick auf die Offenbarungen in den Druckschriften D1, D2 und D3 maßgeblich auf eine Interpretation des Anspruchs beruhte, die die Kammer nicht teilt (siehe Punkt 3.7 supra).
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 Nächstliegender Stand der Technik
Wie oben erläutert, offenbaren die Druckschriften D1, D2 und D3 jeweils gattungsgemäße Vorrichtungen mit den Merkmalen aus dem Oberbegriff des Anspruchs 1. Deshalb sind diese Druckschriften als nächstliegender Stand der Technik anzusehen.
5.2 Die Vorrichtung aus Anspruch 1 unterscheidet sich vom Messsystem gemäß diesen Druckschriften durch die im Kennzeichen des Anspruchs definierten Merkmale der Entkopplung der Messstelle für die vom Kopfreibungsmoment abhängige Spannung durch mechanische Mittel von einem Einfluss der von der axialen Vorspannkraft abhängigen Druckspannung. Wie von der Patentanmelderin ausgeführt, ermöglicht diese Entkopplung das Verhindern des Übersprechens insbesondere des großen Signals für die Vorspannkraft FV in das Messsignal für das (kleine) Gewindereibungsmoment MG.
5.3 Dieses Problem wird in den vorliegenden Druckschriften aus dem Stand der Technik weder erwähnt noch gelöst. Vielmehr sind in sämtlichen Vorrichtungen die Messstellen in den inneren Einspannhülsen für die Vorspannkraft und Gewindedrehmoment (D1: erste Hülse 18; D2: inneres Element 36) bzw. Kopfdrehmoment (D3: Torsionsmesszelle 25) nebeneinander angeordnet und mit keinerlei Maßnahmen versehen, um ein Übersprechen der jeweiligen Signale zu vermeiden.
5.4 Deshalb stellt die Kammer fest, dass die in Anspruch 1 definierte Lösung durch keine der Druckschriften D1 bis D3 offenbart oder nahegelegt wird, so dass dieser Gegenstand neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 54 und 56 EPÜ).
5.5 Die weiteren Ansprüche 2 bis 30 sind abhängige Ansprüche und deren Gegenstände erfüllen somit ebenfalls die Bedingungen des EPÜ.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 bis 30, eingegangen am 23. Januar 2007
mit Schreiben vom 23. Januar 2007;
Beschreibung: Seiten 1 bis 4 und 7 bis 28 der ursprünglich eingereichten Anmeldung;
Seite 5, eingegangen am 27. August 2004 mit Schreiben vom 20. August 2004;
Seite 6, eingegangen am 23. Januar 2007 mit Schreiben vom 23. Januar 2007;
Zeichnung: Blatt 1/5 und 3/5 bis 5/5 der ursprünglichen Anmeldung;
Blatt 2/5 (Figuren 3 bis 5), eingegangen am 23. Januar 2007 mit Schreiben vom 23. Januar 2007.