European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2009:T091805.20090211 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 11 Februar 2009 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0918/05 | ||||||||
Anmeldenummer: | 99941588.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | A23L 1/09 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
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Bezeichnung der Anmeldung: | Kohlenhydratmischungen | ||||||||
Name des Anmelders: | N.V. Nutricia | ||||||||
Name des Einsprechenden: | NESTEC S.A. Tiense Suikerraffinaderij N.V. Friesland Brands B.V. Cerestar Holding B.V. Kruidvat Retail B.V. |
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Kammer: | 3.3.09 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Beitritt im Beschwerdeverfahren - zulässig Erfinderische Tätigkeit: kein synergistischer Effekt - Hauptantrag, Hilfsanträge 1, 2 (nein) Hilfsantrag 4: synergistischer Effekt(ja); Erfinderische Tätigkeit (ja) Hilfsantrag 3: nicht zugelassen - Artikel 13 (1) VOBK |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Erteilung des Europäischen Patents EP-B 1 105 002 auf die Europäische Patentanmeldung 99 941 588.8, die am 11. August 1999 als Internationale Anmeldung PCT/EP9905878 im Namen der Firma N.V. Nutricia eingereicht und am 24. Februar 2000 als WO-A 00/08948 veröffentlicht wurde, wurde am 17. Juli 2002 im Patentblatt 2002/29 bekanntgemacht.
Das Patent mit dem Titel "Kohlenhydratmischungen" wurde mit elf Ansprüchen erteilt, von denen der Anspruch 1 wie folgt lautete:
"1. Kohlenhydratmischungen für diätetische Nahrungen und Pharmazeutika, wobei die Kohlenhydratmischungen zwei unterschiedliche, im wesentlichen lösliche Kohlen hydratkomponenten A und B, die im Magen-Darm-Trakt unverdaut bleiben und nicht resorbiert bis zum Dickdarm gelangen, enthalten oder daraus bestehen,
die Kohlenhydratkomponente A aus mindestens einem Monosaccharid oder aus mindestens einem Oligosaccharid mit 2 bis 6 Monosaccharideinheiten oder aus einer Mischung aus zweien oder mehreren dieser Saccharide aufgebaut ist,
die Kohlenhydratkomponente B aus einem Polysaccharid mit 7 oder mehr Monosaccharideinheiten oder aus einer Mischung aus zwei oder mehreren Polysacchariden aufgebaut ist,
die Kohlenhydratkomponente A = 5 bis 95 Gew.-% und die Kohlenhydratkomponente B = 5 bis 95 Gew.-% der Summe der Kohlenhydratkomponente A + B (= 100 Gew.-%) ausmachen,
mindestens 80 Gew.-% der Kohlenhydrate/Saccharide der Kohlenhydratkomponente A und B präbiotisch wirken,
die Kohlenhydrate/Saccharide, welche die Kohlenhydrat komponente A ausmachen, eine andere Struktur besitzen als die Kohlenhydrate/Saccharide, welche die Kohlen hydratkomponente B ausmachen, und
die Kohlenhydrate/Saccharide der Kohlenhydratkomponente B aus maximal bis zu 100 Monosaccharideinheiten aufgebaut sind.".
Die Ansprüche 2 bis 9 waren direkt oder indirekt vom Anspruch 1 abhängig. Anspruch 10 war auf ein diätetisches oder pharmazeutisches Mittel, enthaltend die Kohlenhydratmischungen nach einem der Ansprüche 1 bis 9, und Anspruch 11 auf die Verwendung der Kohlenhydratmischungen nach Anspruch 1 bis 9 zur Herstellung von Babynahrung gerichtet.
II. Gegen das Patent legten die Firmen:
I Nestec S.A. am 16. April 2003,
II Tiense Suikerraffinaderij N.V. am 17. April 2003,
III Friesland Brands B.V. am 17. April 2003 und
IV Cerestar Holding B.V. am 17. April 2003
Einspruch ein und beantragten, gestützt auf die Einspruchsgründe gemäß den Artikeln 100 a) EPÜ (alle Einsprechenden) und 100 b) EPÜ (Einsprechende I, II und IV) den vollständigen Widerruf des Patents.
Im Rahmen von Artikel 100 a) EPÜ brachten die Ein sprechenden vor, dass der beanspruchte Gegenstand nicht neu und erfinderisch sei. Die Einsprechende I erhob zudem den Einwand der mangelnden gewerblichen Anwendbarkeit, entgegen den Erfordernissen des Artikels 57 EPÜ.
Zur Stütze ihrer Einwände gegen die Neuheit und erfinderische Tätigkeit nannten die Einsprechenden zahlreiche Dokumente. Unter anderem wurde auf die folgenden Druckschriften Bezug genommen:
D1 EP-A 0 307 523
D7 Masaki et al. "Influence of Galacto-oligosaccharides on the Human Fecal Microflora", J Nutr. Sci. Vitaminol., 39 (1983) 635-640
D11 Gibson G.R. and Roberfroid M., "Dietary Modulation of the Human Colonic Microbiota" in American Institute of Nutrition (1995), 1401-1412;
D12 Gibson G.R. and Wang X. "Bifidogenic properties of different types of fructo-oligosaccharides", Food Microbiology 11, (1994), 491-498
D14 Raftilose®P35, Product Sheet, Release 05/95
D18 ORAFTI-Leaflet: Innovate with Raftiline®
D20 Raftimix®10, Product sheet, Release date 05/95
D23 Analysis of Raftimix®10, Raftimix®ST und Raftilose®95P
D25 EP-A 0 756 828
D27 K.A. Van Hoeij et al. "In vitro short chain fatty acid and gas production of individual non-digestible oligo- and polysaccharides and a mixture of both, typical of a normal diet", Proceedings of the International Symposium, Wageningen, the Netherlands, 4-5 December 1997
D28 EP-A 0 958 825
D29 Think Raftiline®, Raftilose®, Inuline and Oligofructose
D32 EP-A 0 705 539
D33 Fibruline® Instant: Certificate of analysis
D39 Bouhnik Y. et al. "Administration of Transgalacto-Oligosaccharides ..." Am. J. of Nutrition, 27(3) (1997), 444-448
D44 Crittenden et al. "Production, properties and applications of food-grade oligosaccharides", Trends in Food Science and Technology, vol. 7 (1996), 353-361
D55 Figdor et al. "Caloric Utilization and Disposition of [**(14)C] Polydextrose in the Rat", J. Am. Chem. Soc. (1981), 1181-1189
D63a WO-A 98/731241
D74 GB-A 1 305 071
S8 Dombo M. et al. "Production, Health Benefits and Applications of Galacto-Oligosaccharides", New Technologies for Healthy Foods & Nutraceuticals, ATL Press 1997, 143-156
Mit Schreiben vom 5. März 2005 reichte die Einsprechende I einen Versuchsbericht ein, der mit Schreiben vom 9. März 2005 nochmals ergänzt wurde.
III. Die Patentinhaberin verteidigte das Patent in der erteilten Fassung und reichte mit Schreiben vom 9. März 2005 zweiundvierzig Anspruchssätze als Basis für die Hilfsanträge 1-42 ein. Ein Versuchsbericht der Patentinhaberin ging mit Schriftsatz vom 10. März 2005 ein.
IV. Mit ihrer am 10. Mai 2005 mündlich verkündeten und am 14. Juli 2005 schriftlich begründeten Entscheidung wies die Einspruchsabteilung die Einsprüche zurück. Nach ihrer Auffassung stand keiner der von den Einsprechenden genannten Einspruchsgründe unter Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ der unveränderten Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
Im Hinblick auf Artikel 100 b) EPÜ argumentierte die Einspruchsabteilung, dass in der Beschreibung des Patents deutlich offenbart sei, was unter dem Anspruchsmerkmal "andere Struktur" zu verstehen sei. Es sei außerdem ohne weiteres möglich, Kohlenhydratmischun gen des Anspruchs 1 herzustellen oder zu überprüfen, ob eine Kohlenhydratmischung unter die Lehre des Anspruchs fällt. Die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ seien erfüllt.
Die Einspruchsabteilung sah auch keinen Anlass, an der gewerblichen Anwendbarkeit der beanspruchten Kohlenhydratmischung zu zweifeln.
Hinsichtlich der Neuheit nahm die Einspruchsabteilung insbesondere auf die Dokumente D1, D18, D23, D25, D28, D29 und D32 Bezug und führte im Einzelnen aus, warum keines der Dokumente den beanspruchten Gegenstand explizit beschreibe.
Die Einspruchsabteilung sah auch die erfinderische Tätigkeit als gegeben an und legte dar, warum die von den Einsprechenden als nächstliegender Stand der Technik genannten Dokumente D7, D14 und D25 in Kombination mit anderen Dokumenten den Gegenstand der erteilten Ansprüche nicht nahelegen könnten.
Sie selbst sah D7 als nächstliegenden Stand der Technik an und definierte das zu lösende Problem als die Bereit stellung einer Kohlenhydratmischung mit einer verbesser ten Stimulierung der gesundheitsfördernden Mikroorga nismen im Dickdarm. In diesem Zusammenhang hielt die Einspruchsabeilung den von der Patentinhaberin in ihrem Versuchsbericht vom 10. März 2005 präsentierten synergistischen Effekt der anspruchsgemäßen Mischung der Kohlenhydratkomponenten A und B bei der Förderung des Wachstums der Milchsäurebakterien für zweifelsfrei erwiesen. Es sei, ausgehend von D7, aus dem Stand der Technik nicht nahegelegt, dass sich dieser Effekt beim Mischen dieser Komponenten einstelle.
V. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legten alle Einsprechenden Beschwerde ein. Die Beschwerde schriftsätze / Beschwerdebegründungen wurden wie folgt eingereicht:
Einsprechende I: 12. September 2005 / 14. November 2005;
Einsprechende II: 13. September 2005 / 24. November 2005;
Einsprechende III: 11. Mai 2005 / 24. November 2005;
Einsprechende IV: 1. September 2005 / 22. November 2005.
Die Einsprechenden/Beschwerdeführer hielten die Einwände der mangelnden Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ), der mangelnden Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) aufrecht und nannten weitere Dokumente.
Der Einwand der mangelnden gewerblichen Anwendbarkeit (Artikel 57 EPÜ) wurde nicht mehr erhoben.
Die Einsprechende I reichte mit ihrer Beschwerde begründung und die Einsprechende III mit Schreiben vom 19. Januar 2006 einen Versuchsbericht ein.
VI. Mit Schreiben vom 4. Mai 2006 trat die Firma
Kruidvat Retail B.V. - im Folgenden Einsprechende V -
dem Einspruchs-Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 105 (1) a) EPÜ und G 1/94 als vermeintlicher Patentverletzer bei und stützte ihren Einspruch auf die Gründe gemäß Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ. Der Einwand der mangelnden Neuheit und erfinderischen Tätigkeit wurde zum Teil auf neue, zum Teil aber auch auf bereits durch die anderen Einsprechenden ins Verfahren eingeführte Dokumente gestützt.
Unter anderem wurden das Dokument
D91 US-A 5 840 361
neu genannt. Dieses Dokument, das nach dem Datum der maßgeblichen Priorität vom 11. August 1998 veröffent licht wurde, wurde mit Schreiben vom 23. Januar 2009 unter dem Hinweis eingereicht, dass der Prioritätsan spruch nicht gültig sei, und das Dokument daher einen vorveröffentlichten Stand der Technik darstelle.
VII. Die Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin verteidigte zunächst das Patent in der erteilten Fassung (Hauptantrag). Mit Schreiben vom 16. Oktober 2008 wurden acht Anspruchssätze als Basis für Hilfsanträge 1 bis 8 eingereicht.
Mit Schreiben vom 30. Januar 2009 wurden die Anträge wie folgt geändert:
- Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1, 2, 5, 6, und 8 werden gestrichen;
- der Hilfsantrag 3 wird zum neuen Hauptantrag;
- der Hilfsantrag 4 wird zum neuen Hilfsantrag 1;
- der Hilfsantrag 7 wird zum neuen Hilfsantrag 2;
- als neuer Hilfsantrag 3 wird beantragt, das Patent auf Basis der erteilten Ansprüche aufrechtzuerhalten für den Fall, dass die Kammer entscheiden sollte, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
In der mündlichen Verhandlung am 11. Februar 2009 wurden noch zwei Anspruchssätze als Basis für zusätzliche Hilfsanträge 3 und 4 eingereicht. Der oben genannte "neue Hilfsantrag 3" wurde in den letzten Rang verschoben.
Ferner wurden von der Patentinhaberin mit Schreiben vom 10. Oktober 2007 sowie vom 3. Dezember 2008 weitere Vergleichsversuche als Anlagen B und C sowie D und E vorgelegt. Der Versuchs bericht gemäß Anlage E wurde mittels eines in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Korrekturblattes revidiert.
Der Anspruch 1 gemäß dem neuen Hauptantrag lautet wie folgt (die schräggedruckten Merkmale kennzeichnen die Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1):
"1. Kohlenhydratmischungen für diätetische Nahrungen und Pharmazeutika, wobei die Kohlenhydratmischungen zwei unterschiedliche, im wesentlichen lösliche Kohlen hydratkomponenten A und B, die im Magen-Darm-Trakt unverdaut bleiben und nicht resorbiert bis zum Dickdarm gelangen, enthalten oder daraus bestehen,
die Kohlenhydratkomponente A aus mindestens einem Monosaccharid oder aus mindestens einem Oligosaccharid mit 2 bis 6 Monosaccharideinheiten oder aus einer Mischung aus zweien oder mehreren dieser Saccharide aufgebaut ist,
die Kohlenhydratkomponente B aus einem Polysaccharid mit 7 oder mehr Monosaccharideinheiten oder aus einer Mischung aus zwei oder mehreren Polysacchariden aufgebaut ist,
die Kohlenhydratkomponente A = 5 bis 95 Gew.-% und die Kohlenhydratkomponente B = 5 bis 95 Gew.-% der Summe der Kohlenhydratkomponente A + B (=100 Gew.-%) ausmachen,
mindestens 80 Gew.-% der Kohlenhydrate/Saccharide der Kohlenhydratkomponente A und B präbiotisch wirken,
die Kohlenhydrate/Saccharide, welche die Kohlenhydrat komponente A ausmachen, eine andere Struktur besitzen als die Kohlenhydrate/Saccharide, welche die Kohlen hydratkomponente B ausmachen, wobei mindestens 60 Gew.-% der Kohlenhydrate/Saccharide der Kohlenhydratkomponente A zur Gruppe der Galactooligosaccharide und mindestens 60 Gew.-% der Kohlenhydrate/Saccharide der Kohlenhydrat komponente B zur Gruppe der Fructopolysaccharide gehören und
die Kohlenhydrate/Saccharide der Kohlenhydratkomponente B aus maximal bis zu 100 Monosaccharideinheiten aufgebaut sind.".
Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wurde gegenüber dem Hauptantrag die Menge der Komponente A von 5 bis 95 Gew.-% in 95 bis 60 Gew.-% und die Menge der Komponente B von 5 bis 95 Gew.-% in 5 bis 40 Gew.-% geändert.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 betrifft die Verwendung der Kohlenhydratmischungen - wie im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag definiert - zur Herstellung von Babynahrung.
Anspruch 1 gemäß dem letztgültigen Hilfsantrag 3 enthält gegenüber dem Hilfsantrag 1 eine weitere Einschränkung der Mengen bereiche der Komponenten A und B. Demnach macht die Komponente A 95 bis 80 Gew.-% und die Komponente B 5 bis 20 Gew.-% der Summe von A + B aus.
Gegen diese Änderung wurden von den Einsprechenden Ein wände im Rahmen von Artikel 123 (2) erhoben.
Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 wurden die prozentualen Anteile von A und B, bezogen auf A + B,
auf Einzelwerte beschränkt (90 Gew.-% für A und 10 Gew.-% für B). Ferner wurde der Anteil der Galactooligo saccharide an der Komponente A und der Anteil der Fructopolysaccharide an der Komponente B auf jeweils 80-100 Gew.-% festgelegt.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4, der - wie gezeigt werden wird - gewährbar ist, lautet wie folgt:
"1. Kohlenhydratmischungen für diätetische Nahrungen und Pharmazeutika, wobei die Kohlenhydratmischungen zwei unterschiedliche, im wesentlichen lösliche Kohlen hydratkomponenten A und B, die im Magen-Darm-Trakt unverdaut bleiben und nicht resorbiert bis zum Dickdarm gelangen, enthalten oder daraus bestehen,
die Kohlenhydratkomponente A aus mindestens einem Monosaccharid oder aus mindestens einem Oligosaccharid mit 2 bis 6 Monosaccharideinheiten oder aus einer Mischung aus zweien oder mehreren dieser Saccharide aufgebaut ist,
die Kohlenhydratkomponente B aus einem Polysaccharid mit 7 oder mehr Monosaccharideinheiten oder aus einer Mischung aus zwei oder mehreren Polysacchariden aufgebaut ist,
die Kohlenhydratkomponente A = 90 Gew.-% und die Kohlenhydratkomponente B = 10 Gew.-% der Summe der Kohlenhydratkomponente A + B (=100 Gew.-%) ausmachen,
mindestens 80 Gew.-% der Kohlenhydrate/Saccharide der Kohlenhydratkomponente A und B präbiotisch wirken,
die Kohlenhydrate/Saccharide, welche die Kohlenhydrat komponente A ausmachen, eine andere Struktur besitzen als die Kohlenhydrate/Saccharide, welche die Kohlen hydratkomponente B ausmachen, wobei 80-100 Gew.-% der Kohlenhydrate/Saccharide der Kohlenhydratkomponente A zur Gruppe der Galactooligosaccharide und 80-100 Gew.-% der Kohlenhydrate/Saccharide der Kohlenhydrat komponente B zur Gruppe der Fructopolysaccharide gehören, und
die Kohlenhydrate/Saccharide der Kohlenhydratkomponente B aus maximal bis zu 100 Monosaccharideinheiten aufgebaut sind.".
VIII. Die Argumente der Beschwerdeführer - Einsprechende I bis IV - und der Einsprechenden V im Hinblick auf die geänderten Anspruchssätze lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Ausreichende Offenbarung - Artikel 83 EPÜ
Gemäß Anspruch 1 umfasse die Kohlenhydratkomponente A auch Monosaccharide, die bekannterweise im Magen-Darm-Trakt enzymatisch verdaubar seien. Im Patent finde sich keine Information, welche Monosaccharide das Kriterium "präbiotisch" erfüllen.
Auch finde sich im Patent keine ausreichende Anleitung, wie das anspruchsgemäße Erfordernis, dass mindestens 80% der Kohlenhydratkomponenten A und B präbiotisch sind, zu erfüllen sei.
b) Neuheit - Artikel 54 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag sei gegenüber Beispiel 1 von D32 nicht neu. Dieses Beispiel beschreibe ein Trockenprodukt, das unter anderem 49% geschäumte Milch auf Trockenbasis und 7,5% Fibrulin® als lösliche Fasern enthalte. Ein wesentlicher Bestandteil von Milch sei bekannterweise Lactose, das als Disaccharid aus Galactose und Glucose bestehe und damit zu den Galactooligo sacchariden zu zählen sei. Lactose sei auch als präbiotisch anzusehen, da es von einem großen Teil der Menschheit enzymatisch nicht verdaut werden könne und damit unverdaut in den Dickdarm gelange. Lactose falle daher unter die anspruchsgemäße Definition der Komponente A.
Fibrulin® sei ausweislich D33 ein Inulin mit einem Polymerisationsgrad von 9 (8 Fructoseeinheiten und 1 Glucoseeinheit) und entspreche daher als präbioti sches Fructopolysaccharid der anspruchsgemäßen Defi nition der Komponente B.
Aus der Tabelle I von D32 gehe außerdem hervor, dass Lactose und Fibrulin® im anspruchsgemäßen Gewichts verhältnis vorliegen.
Ebenso müsse Beispiel 6 von D63a als neuheitsschäd lich angesehen werden, das eine Zusammensetzung beschreibe, die 20,5 Gew.-% Galactooligosaccharid und 5 Gew.-% Inulin enthält. Diese Bestandteile entsprächen den anspruchsgemäßen Komponenten A und B.
c) Erfinderische Tätigkeit
Von den Einsprechenden wurde in erster Linie be zweifelt, dass durch die vom Patentinhaber vorge legten Vergleichsversuche ein synergistischer Effekt für die anspruchsgemäße Mischung aus Galacto oligosaccharid A und Fructopolysaccharid B gegenüber den Einzelkomponenten über den gesamten beanspruchten Bereich für das Mischungsverhältnis von A:B nachgewiesen wurde.
Nach Auffassung der Einsprechenden zeige der Vergleichsversuch der Patentinhaberin vom 10. März 2005 in der Anlage I eine verbesserte Lactatproduktion in einem in vitro-Versuch für die Mischung Galacto oligosaccharid (GOS)/Fructopolysaccharid = FPS (Inulin) gegenüber GOS lediglich für das Mischungs verhältnis GOS/Inulin von 90:10. Dasselbe gelte auch für den in vivo-Versuch an Mäusen gemäß Anlage II.
Analog zeige auch Anlage E des in vitro Vergleichsversuchs vom 3. Dezember 2008, dass eine Mischung GOS:FPS nur bei einem Mischungsverhältnis von 90:10 für eine geringfügig verbesserte Lactatproduktion gegenüber GOS (100) sorge. Alle anderen Mischungsverhältnisse GOS:FPS = 80:20, oder 50:50 erzielten schlechtere Ergebnisse gegenüber GOS.
Das gegenüber dem Stand der Technik zu lösende Problem sei daher lediglich in der Bereitstellung einer alternativen Kohlenhydratmischung zu sehen.
Bei der Betrachtung der erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf den zitierten Stand der Technik gingen die Einsprechenden von mehreren Ausgangspunkten aus. Unter anderem wurden die Einwände auf folgende Dokumentkombinationen gestützt:
D1 beschreibe eine Kohlenhydratmischung aus Polydextrose mit einem Polymerisationsgrad von >7 und einem Oligosacccharid, das gemäß Beispiel 2 und Anspruch 4 (ii) vorteilhaft ein Galactooligosaccharid (GOS) sei. Polydextrose sei präbiotisch, was beispielsweise aus D55 hervorgehe. Auf Seite 6, Zeilen 3 bis 5 von D1 sei zudem beschrieben, dass ein synergistischer Effekt bei der Behandlung einer Verstopfung auftrete, wenn Polydextrose in Mischung mit Oligosacchariden verwendet werde. Dies gebe dem Fachmann den Hinweis, ein Polysaccharid mit einem Oligosaccharid zu mischen, um einen synergistischen Effekt bei der Wirkung von Kohlehydraten auf die Darmtätigkeit zu erzielen.
Es sei jedoch für den Fachmann naheliegend, zur Bereitstellung einer alternativen Kohlenhydrat mischung Polydextrose durch ein Fructopolysaccharid, beispielsweise das in D18 beschriebene Inulin Raftiline® zu ersetzen.
Ein weiterer Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei das in D20 beschriebene Produkt Raftimix®10, das eine Mischung aus Chicory-Fructooligo- und -Fructopolysacchariden darstelle, wobei letztere der anspruchsgemäßen präbiotischen Komponente B entsprächen. Das Produkt werde als Nahrungsmittelzusatz verwendet.
Die beanspruchte Mischung unterscheide sich davon lediglich dadurch, dass das Fructooligosaccharid, zumindest partiell, durch ein Galactooligosaccharid ersetzt sei. Es sei jedoch im Hinblick auf S8 naheliegend, Galactooligosaccharide zuzumischen, da dort (S. 154) ihre vorteilhafte Wirkung auf die Stimulierung von Bifidobakterien beschrieben sei.
Gehe man von der Kohlenhydratmischung gemäß Beispiel 6 von D63a - die als Fructooligosaccharid Inulin enthält - als nächstliegendem Stand der Technik aus, so unterscheide sich die beanspruchte Kohlenhydrat mischung lediglich dadurch, dass das Inulin ein Fructopolysaccharid mit einem Polymerisationsgrad von größer 6 sei. Es sei jedoch im Hinblick auf D27 naheliegend, ein Inulin mit einem höheren Polymeri sationsgrad in einer Mischung mit anderen nicht verdaubaren Oligosacchariden einzusetzen, da diese Mischung gemäß der Tabelle auf Seite 130 eine höhere und länger andauernde Produktion von kurzkettigen Fettsäuren im Darm als die Einzelkomponenten bewirke.
Zu einem ähnlichen Ergebnis gelange man, wenn man D63a mit D74 kombiniere, da letzteres Dokument auf die präbiotische und pharmazeutische Wirksamkeit von Polyfructosanen hinweise.
IX. Die Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin trug folgende Gegenargumente vor:
a) Artikel 83 EPÜ
Der Einwand der Einsprechenden, dass Monosaccharide in der Regel nicht präbiotisch seien, sei nicht stichhaltig, da die präbiotische Eigenschaft für Monosaccharide gar nicht gefordert sei. Anspruch 1 verlange lediglich, dass mindestens 80% der Summe der Komponente A, die eine Mischung aus Mono- und Oligosacchariden sein könne, und der Komponente B präbiotisch sein müsse (Unterstreichung durch die Kammer).
Zudem wisse der Fachmann aus den Absätzen [0022], [0023] der Patentschrift, welche Untersuchungen er durchführen müsse, um die präbiotischen Eigenschaften der Kohlenhydratkomponenten im Sinne der Erfindung zu testen.
Die Erfindung sei daher für den Fachmann ausführbar.
b) Neuheit
Die in den Kohlenhydratmischungen gemäß Beispiel 1 von D32 eingesetzte Lactose gehöre nicht zu der Gruppe der Galactooligosaccharide und sei daher kein Bestandteil der anspruchsgemäßen Komponente A. Dies werde insbesondere aus Absatz [0049] der Patent schrift deutlich, wonach die beanspruchten Kohlen hydratmischungen andere Komponenten, zum Beispiel Lactose ersetzen können.
Lactose sei auch ein im Sinne der Lehre des Patents verdaubares Oligosaccharid, da gemäß Absatz [0023] der Patentschrift die Verdaubarkeit von Oligo sacchariden durch einen in-vitro Versuch mittels extern zugesetzter humaner Enzyme, die Lactose verdauten, ermittelt werde. Die Tatsache, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen Lactose nicht verdauen können, sei daher nicht entscheidend.
Auch D63a könne nicht neuheitsschädlich sein, da die dort in den Beispielen eingesetzten Inuline zur Gruppe der Fructooligosaccharide zu zählen seien. Würde man die Inuline den Fructopolysacchariden zurechnen, lägen die Mengenverhältnisse der Komponenten a, b und c außerhalb des im Anspruch 1 von D63a geforderten Bereichs.
c) Erfinderische Tätigkeit
Die von den Einsprechenden vorgelegten Vergleichs versuche seien nicht miteinander vergleichbar, da sie unter verschiedenen experimentellen Bedingungen durchgeführt wurden.
So betreffe die von der Einsprechenden I mit Schreiben vom 5. März 2005 eingereichte Versuchsreihe die Untersuchung des Wachstums von verschiedenen, voneinander isolierten Bakterienstämmen aus der Gruppe der Bifido- und Lactobakterien in Abhängigkeit des Mischungsverhältnisses GOS/FPS. Dies entspreche jedoch nicht den Bedingungen wie sie im Darm herrschen, worin die verschiedenen Bakterienstämme nebeneinander vorlägen. Das Vorliegen eines synergistischen Effekts könne damit nicht widerlegt werden.
Demgegenüber zeige gerade der in-vitro Vergleichs versuch der Einsprechenden III vom 19. Januar 2006, dass die beanspruchte Mischung aus GOS und FOS in synergistischer Weise gegenüber den Einzelkomponenten die Lactatproduktion im Darm stimuliere.
Diese synergistische Wirkung werde durch die eigenen Vergleichsversuche bestätigt. So zeige der Anhang E der Vergleichsversuche vom 3. Dezember 2008 im Lichte der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Korrektur, die das Vorhandensein der verdaubaren Saccharide Lactose, Glucose und Galactose in den in Mischung eingesetzten Handelsprodukten Vivinal GOS und Raftilin®HP**(TM) berücksichtige, dass die Mischung TOS/FPS einen synergistischen Effekt von 20% bei einem Mischungsverhältnis von 90:10 und von 4,5% bei einem Mischungsverhältnis von 80:20 zeige [Anmerkung der Kammer: TOS entspricht GOS].
In keinem der von den Einsprechenden herangezogenen Dokumente - weder allein noch in Kombination - werde nahegelegt, dass sich durch das erfindungsgemäße Mischen der präbiotischen Kohlenhydrate GOS und FPS ein synergistischer Effekt bei der Stimulierung der Darmflora einstelle.
So liege der Lehre in D1 ein ganz anderes Problem, nämlich die Bereitstellung einer flüssigen Nahrung zur Verhinderung von Verstopfung, zugrunde. Zwischen einer Verstopfung und dem präbiotischen Effekt der Kohlenhydrate im Dickdarm bestehe jedoch kein unmittelbarer Zusammenhang. Der Fachmann werde daher durch D1 nicht veranlasst, Polydextrose als Polysaccharid gemäß D1 durch ein präbiotisches Fructopolysaccharid zur Lösung des erfindungsgemäßen Problems zur ersetzen. Dies umso mehr, als es je nach Art der Polymerisation von Glucose/Maltose in Gegenwart von organischen Säuren oder Sorbitol mehrere Arten von Polydextrose gibt und in D1 nichts über die präbiotischen Eigenschaften der verschiedenen Polydextrosearten ausgesagt ist.
Auch D20 befasse sich nicht mit dem erfindungsgemäßen Problem sondern beschreibe lediglich eine Mischung aus Fructooligo- und -polysacchariden mit dem Hauptbestandteil Chicory-Inulin als FPS. Es gebe keinen Hinweis, der den Fachmann veranlassen würde, dem Gemisch gemäß D20 ein GOS zuzusetzen um eine synergistische Wirkung zu erzielen.
In ähnlicher Weise bestehe für den Fachmann kein Anlass, das Inulin des Beispiels 6 von D63a, das dort zur Gruppe der Fructooligosaccharide zu zählen ist, im Hinblick auf D27 durch ein Inulin mit einem höheren Polymerisationsgrad zu ersetzen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Inulin und einer Stimulierung der Darmflora werde in D27 nicht hergestellt.
Vielmehr werde der Fachmann bei Kenntnis von D12 dazu angeleitet, die Fructopolysaccharide zu vermeiden und an ihrer Stelle die Fructooligosaccharide zur Stimulierung der Darmflora einzusetzen, da im Abstract von D12 betont werde, dass Oligofructose einen höheren bifidogenen Effekt als Kohlenhydrate mit höherem Molekulargewicht bewirkten.
X. Die Beschwerdeführer/Einsprechenden I bis IV sowie die Einsprechende V beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Ferner wurde beantragt, den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 3 nicht mehr zum Verfahren zuzulassen.
Die Einsprechende V beantragte zudem mehr Vorbereitungs zeit zur Reaktion auf den Hilfsantrag 4.
XI. Der Beschwerdegegner/Patentinhaber beantragte die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des dritten, vierten oder siebten Hilfsantrags, eingereicht mit Schreiben vom 16. Oktober 2008, neu bezeichnet mit Schreiben vom 30. Januar 2009 als Hauptantrag, beziehungsweise erster und zweiter Hilfsantrag, oder auf der Grundlage der Hilfsanträge 3 oder 4, die in der mündlichen Verhandlung eingereicht wurden. Für den Fall der Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz wurde beantragt, das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden der Einsprechenden I bis IV sind zulässig.
Ebenso ist der Beitritt der Einsprechenden V im Beschwerdeverfahren zulässig. Er entspricht Artikel 105 (1) a) EPÜ in Verbindung mit der Entscheidung G 1/94.
2. Zulässigkeit der Anträge des Patentinhabers
2.1 Hauptantrag, Hilfsanträge 1, 2 und 4
Die vom Patentinhaber mit Schreiben vom 30. Januar 2009 als Hauptantrag, sowie Hilfsantrag 1 und 2 bezeichneten Anträge entsprechen den Hilfsanträgen 3, 4 und 7, die mit Schreiben vom 16. Oktober 2008 eingereicht wurden. Obwohl die Änderung der Reihenfolge der Anträge spät, nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung, erfolgte, führen sie zu einer erheblichen Vereinfachung des Sachverhalts gegenüber der Antragslage vom 16. Oktober 2008 und werfen keine neuen Fragen auf, deren Behandlung in der mündlichen Verhandlung den Einsprechenden nicht zumutbar wäre. Sie werden daher im Rahmen von Artikel 13 (1) und (3) der Verfahrens ordnung der Beschwerdekammern (ABl EPA 11/2007, 536-547) zum Verfahren zugelassen.
Ebenso wird der in der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2009 neu eingereichte Hilfsantrag 4 zum Verfahren zugelassen, da er lediglich eine weitere, formal zulässige Einschränkung des Gegenstands des Hilfsantrags 1 darstellt, ohne an der grundsätzlichen Sachlage etwas zu ändern.
Dem Antrag der Einsprechenden V, mehr Zeit zur Reaktion auf den Hilfsantrag 4 zur Verfügung zu stellen, da Unklarheiten hinsichtlich des Begriffs "präbiotisch" sowie der restlichen 20% der Komponenten A und B bestünden, wird nicht stattgegeben, da sich, wie die Einsprechende V auch bestätigte, die Sachlage in diesen Punkten durch die Änderung gegenüber den vorrangigen Anträgen nicht geändert hat.
2.2 Hilfsantrag 3
Gegen die Änderungen in Anspruch 1 des in der mündlichen Verhandlung neu eingereichten Hilfsantrags 3 wurden von der Beschwerdeführerin/Einsprechenden I Einwände im Rahmen von Artikel 123 (2) EPÜ erhoben. Da die Kammer sowie alle anderen Beteiligten mit diesen Änderungen erstmals in der mündlichen Verhandlung konfrontiert wurden und die Untersuchung ihrer Relevanz zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens geführt hätte, lässt die Kammer diesen Hilfsantrag 3 gemäß Artikel 13 (1) VOBK nicht zum Verfahren zu.
3. Ausreichende Offenbarung - Artikel 83 EPÜ 1973
Der Einwand der mangelnden Offenbarung wurde von den Einsprechenden im wesentlichen auf das Argument gestützt, dass Monosaccharide im allgemeinen im Magen-Darm-Trakt verdaubar und damit nicht präbiotisch sind und dass in der Patentschrift keine Kriterien zur Bestimmung der präbiotischen Eigenschaften von A und B existierten (Punkt VIII.).
Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Wie der Patentinhaber zutreffend argumentiert (Punkt IX a), ist es nicht unbedingt erforderlich, dass das Monosaccharid der Komponente A präbiotisch ist solange 80% der Komponente A - die ja aufgrund der Einschrän kungen in den geänderten Anträgen neben Monosacchariden zwingend (präbiotische) Galactooligosaccharide enthält - und B in der Summe präbiotisch sind.
Zum anderen ist die Frage der präbiotischen Eigen schaften von Kohlenhydraten ein gut untersuchtes und in zahlreichen Literaturstellen beschriebenes Thema, so dass der Fachmann durchaus in der Lage ist zu beurteilen, welche Kriterien ein präbiotisches Kohlenhydrat erfüllen muss. Zudem enthält die Patentschrift in den Absätzen [0023] und [0024] eine Anleitung zur Abtrennung der verdaubaren, nicht präbiotischen Kohlenhydrate aus
Kohlenhydratmischungen und - unter Hinweis auf eine Literaturstelle - eine Angabe von Kriterien, nach welchen die präbiotische Wirkung der verbleibenden Kohlenhydrate zu beurteilen ist.
Auch der weitere, im wesentlichen im schriftlichen Verfahren von den Einsprechenden vorgebrachte Einwand der mangelnden Ausführbarkeit des Merkmals wonach A und B eine unterschiedliche Struktur besitzen, kann die Ausführbarkeit des Erfindungsgegenstandes jedenfalls im jetzt beanspruchten Umfang nicht infrage stellen, da dieser Strukturunterschied in den nunmehr geltenden Anspruchssätzen durch die Definition der Komponenten A beziehungsweise B als Galactooligosaccharid beziehungsweise Fructopolysaccharid präzisiert wurde. Außerdem erhält der Fachmann im Absatz [0035] der Patentschrift weitere Hinweise, nach denen er die Strukturunterschiede der gegebenenfalls bis 100% vorhandenen restlichen Kohlenhydrate A beziehungsweise B beurteilen kann.
4. Neuheit
4.1 Hauptantrag, Hilfsanträge 1 und 2
Die Frage der Neuheit des Gegenstands dieser Anträge kann dahingestellt bleiben, da - wie im folgenden gezeigt werden wird - die Anträge mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar sind.
4.2 Hilfsantrag 4
Gemäß Anspruch 1 macht die Kohlenhydratkomponente A 90 Gew.-% und die Kohlenhydratkomponente B 10 Gew.-% der Summe aus A und B (= 100 Gew.-%)aus. Ein derartiges punktuelles Mengenverhältnis der Komponente A zur Komponente B ist in keinem der zitierten Dokumente explizit beschrieben. Dies wurde von keiner der Parteien bestritten.
Der Gegenstand der Ansprüche des Hilfsantrags 4 ist daher neu.
Erfinderische Tätigkeit
5. Vorbemerkung
Die präbiotischen Eigenschaften von Galactooligosaccha riden und Fructooligosacchariden und ihr positiver Einfluss auf die Stimulierung der Mikroflora im Darm sind in der Literatur beschrieben und gehören zum Wissen des Fachmanns. Beispielsweise befasst sich D44 mit den präbiotischen Eigenschaften von Oligosacchariden mit 3 bis 10 Zuckereinheiten (Seite 354, linke Spalte unter "Properties of oligosaccharides") und beschreibt auf Seite 355, rechte Spalte, dass Galactooligosaccharide als Bestandteil in Muttermilch die bifidogene Mikroflora im Darm von Säuglingen positiv beeinflussen und daher als präbiotischer Nahrungsmittelzusatz beispielsweise in Säuglingsmilch-Formulierungen eingesetzt werden. Auf Seite 357 werden auch die bifidogenen Eigenschaften von Fructooligosacchariden hervorgehoben, zu denen auch Inuline mit einem Polymerisationsgrad von mehr als 10 gezählt werden (Figur 2 auf Seite 357) und die damit der anspruchsgemäßen Gruppe B der Fructopolysaccharide angehören.
Diese vorteilhaften Eigenschaften werden auch betont in D7 im Hinblick auf Galactooligosaccharide (Seite 635 "Summary") und D29 (dessen Zugehörigkeit zum Stand der Technik nicht bestritten wurde) im Hinblick auf Inulin (Seite 3 "Raftiline is Inulin" und Seite 5 "Bifidus Stimulation").
Es war dem Fachmann somit am Anmeldetag bekannt, dass sowohl Galactooligosaccharide als auch Fructooligo - und polysaccharide das Wachstum der Bifidobakterien, die für die Milchsäureprodution im Darm verantwortlich sind, in der Darmflora positiv beeinflussen. Auch ein Bezug dieser Oligosaccharide zu Babynahrung ist im Stand der Technik hergestellt.
6. Der Gegenstand des Streitpatents
Die beanspruchte Erfindung betrifft Kohlenhydratmischun gen, die neben einem nutritiven auch einen gesundheits fördernden Effekt durch Stimulierung des Wachstums von Milchsäurebakterien wie Lactobacillus und Bifido bakterium in der Mikroflora des Dickdarms bewirken (Patentschrift, Absätze [0006] und [0011]). Die Kohlen hydratmischung soll insbesondere auch für Babynahrung geeignet sein (Absatz [0049]).
Gemäß den unabhängigen Ansprüchen des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 und 4 ist die Kohlenhydratmischung durch folgende wesentlichen Merkmale charakterisiert:
- die Mischung enthält/besteht aus zwei verschiedenen löslichen Kohlenhydraten A und B;
- ein bestimmter Anteil von A mit maximal 6 Mono saccharideinheiten im Molekül gehört der Gruppe der Glaactooligosaccharide an: mindestens 60 Gew.-% gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1; 80-100 Gew.-% gemäß Hilfsantrag 4;
- ein bestimmter Anteil von B mit mindestens 7 und bis zu 100 Monosaccharideinheiten im Molekül gehört der Gruppe der Fructopolysaccharide an: mindestens 60 Gew.-% gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1; 80-100 Gew.-% gemäß Hilfsantrag 4;
- A und B stehen in einem bestimmten Gewichtsverhältnis zueinander: 95 bis 5 (a) zu 5 bis 95 (b) gemäß Hauptantrag; 95 bis 60 (a) zu 5 bis 40 (b) gemäß Hilfsantrag 1; 90 (a) zu 10 (b) gemäß Hilfsantrag 4;
- mindestens 80 Gew.-% der Summe aus A + B (= 100%) sind präbiotisch.
Hilfsantrag 2 betrifft die Verwendung der im Hauptantrag beanspruchten Mischung zur Herstellung von Babynahrung.
7. Der nächstliegende Stand der Technik
In Anbetracht des allgemeinen Fachwissens um die vorteilhaften Eigenschaften von präbiotischen Kohlen hydraten, die der Gruppe der Galactooligosaccharide oder Fructooligo- und -polysaccharide angehören, und im Hinblick auf den Erfindungsgegenstand, der Mischungen aus präbiotischen Kohlenhydraten betrifft, ist als nächstliegender Stand der Technik ein Dokument anzusehen, das bereits Mischungen aus Kohlenhydraten der einen und/oder der anderen Kohlenhydratgruppe beschreibt.
Die Kammer sieht daher das in D20 beschriebene Produkt "Raftimix® 10 auf Basis von Chicory-Inulin, das eine Mischung aus überwiegend (90-95% Trockengewicht) Fructo oligo- und polysacchariden mit einem Polymerisationsgrad von 2 bis 60 darstellt, als geeigneten Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit an. Dies umso mehr da bei Chicory-Inulin höhermolekulare Fructopoly saccharide im Sinne der anspruchsgemäßen Komponente B einen beträchtlichen Anteil ausmachen.
7.1 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Hauptantrags und Hilfsantrags 1
Gegenüber D20 unterscheiden sich die Mischungen der Ansprüche gemäß Hauptantrag sowie Hilfsantrag 1 im wesentlichen durch die zusätzliche Anwesenheit von Galactooligosacchariden (a) in unterschiedlichen Mengenverhältnissen relativ zum Fructopolysaccharid.
Gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags überspannt das Gewichtsverhältnis von Galactooligosaccharid (a) zu Fructopolysaccharid (b) einen weiten Bereich von 95/5 bis 5/95 Gew.-%, während gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags der Anteil an Galactooligosaccharid mit mindestens 60 Gew.-% überwiegt und der Anteil an Fructopolysaccharid maximal 40 Gew.-% sein kann.
7.1.1 Aufgabe und Lösung
Der Patentinhaber/Beschwerdegegner hat im Laufe des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens mehrere Vergleichs versuche eingereicht, die einen synergistischen Effekt der beanspruchten Mischung aus Galactooligosaccharid und Fructopolysaccharid gegenüber den Einzelkomponenten hinsichtlich der Stimulierung der Darmflora, ausgedrückt in der Lactatproduktion, zeigen sollen. Am aufschluss reichsten hierfür ist der Anhang E zu der mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 eingereichten in-vitro Versuchs reihe die die Lactatproduktion in Abhängigkeit vom prozentualen Verhältnis von Galactooligosaccharid (GOS/TOS) zu Fructopolysaccharid (FPS) zeigt. Im Diagramm erkennt man die höchste Lactatproduktion bei einem Verhältnis von GOS/FPS = 90/10, während die Mischungsverhältnisse von GOS/FPS = 80/20, 50/50 und 0/100 darunter liegen und den Laktatwert für Galactooligosaccharid allein (GOS/FPS = 100/0) unterschreiten und somit auch kein synergistischer Effekt für diese Mischungen gegenüber GOS (100%) erkennbar ist. Selbst wenn man im Lichte des vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung eingereichten Korrekturblatts der Ergebnisse von Anhang E unter Berücksichtigung der in den Mischungen vorhandenen verdaubaren Kohlenhydrate davon ausgeht, dass bei einem Verhältnis von GOS/FPS = 80/20 noch ein geringer synergistischer Effekt von 4,5% auftritt, muss im Hinblick auf das Ergebnis von -33% bei einem Verhältnis von 50/50 nach Überzeugung der Kammer das Vorliegen eines synergistischen Effekts verneint werden, sobald das GOS/FPS-Verhältnis von 80/20 unterschritten wird.
Da die Ansprüche gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 Mischungsverhältnisse von GOS/FPS von kleiner 80/20 umfassen, kann ein synergistischer Effekt über die gesamten in beiden Anträgen beanspruchten Bereiche nicht anerkannt werden.
Der Beschwerdegegner argumentierte, dass zwischen dem Mischungsverhältnis von GOS/FPS und der Lactatproduktion kein linearer Zusammenhang bestehe, und daher ein synergistischer Effekt auch bei Verhältnissen von GOS/FPS von kleiner 80/20 auftreten könne.
Die Kammer kann sich dieser Argumentation im Hinblick auf das starke Absinken des "Synergismus" von +4,5% auf -33% beim Übergang vom Mischungsverhältnis 80/20 nach 50/50 jedoch nicht anschließen. Es ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht glaubhaft gemacht, dass innerhalb der untersuchten Reihe von 90/10 - 80/20 - 50/50 eine Unterbrechung oder sogar Umkehrung des praktisch linearen Abfalls des "Synergismus" von +20% über +4,5% nach -33% im Bereich zwischen 80/20 und 50/50 auftritt.
Daher kann das zu lösende Problem nur in der Bereit stellung einer alternativen gesundheitsfördernden Kohlenhydratmischung gesehen werden.
7.1.2 Naheliegen
Es war jedoch im Hinblick auf S8 naheliegend, die Mischungen gemäß D20 um eine Kohlenhydratkomponente aus der Gruppe der Galactooligosaccharide zu ergänzen, da in S8 auf den Seiten 152 bis 154 die gesundheitsfördernde Wirkung von Galactooligosacchariden aufgrund der Stimulierung des Wachstums der Bifidobakterien im Darm beschrieben wird.
Der Gegenstand des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hauptantrag und Hilfsantrag 1 sind somit nicht gewährbar.
7.2 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Hilfs antrags 2
Gemäß Anspruch 1 dieses Hilfsantrags wird eine wie im Hauptantrag spezifizierte Kohlenhydratmischung zur Herstellung von Babynahrung verwendet.
Es ist jedoch aus D44 (Seite 355, rechte Spalte Mitte und Seite 360, linke Spalte oben) bekannt, präbiotische Oligosaccharide in Babynahrung einzusetzen. In der beanspruchten Verwendung der nicht erfinderischen Kohlenhydratmischung des Hauptantrags zur Herstellung von Babynahrung kann daher ebenfalls keine erfinderische Tätigkeit gesehen werden.
Der Hilfsantrag 2 ist daher nicht gewährbar.
7.3 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Hilfsan trags 4
In der Kohlenhydratmischung gemäß Hilfsantrag 4 ist das Gewichtsverhältnis von Galactooligosaccharid A zu Fructopolysaccharid B auf 90/10 eingeschränkt.
7.3.1 Aufgabe und Lösung
Das Gewichtsverhältnis von A zu B liegt in dem engen Bereich für den in der Anlage E zum Versuchsbericht vom 3. Dezember 2008 ein synergistischer Effekt hinsichtlich der Stimulierung der Darmflora, die sich in einer erhöhten Lactatproduktion im Darm äußert, nachgewiesen wurde.
Daher besteht das zu lösende Problem in der Bereit stellung einer gesundheitsfördernden Kohlenhydrat mischung mit einer verbesserten Stimulierung der Darmflora.
7.3.2 Naheliegen
Es war, ausgehend von der Kohlenhydratmischung auf der Basis von Fructopolysacchariden gemäß D20, nicht naheliegend, ein Galactooligosaccharid in einer solchen Menge zuzusetzen, dass ein Gewichtsverhältnis von Galactooligosaccharid zu Fructopolysaccharid von 90/10 eingehalten wird, um die nachgewiesenen synergistische Wirkung zu erzielen.
Auch die Kombination von anderen Dokumenten, die die präbiotische Wirkung von Galactooligosacchariden und Fructooligo(poly)sacchariden betreffen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Aussage in D63a, Seite 2, Zeilen 18-25, dass die Mischung von Monosacchariden, Oligo sacchariden und Polysacchariden in ihrer biologischen Wirkung potenter ist als die entsprechende Wirkung der Einzelkomponenten ist ohne Relevanz, da darin nicht gezeigt wird, dass eine solche Wirkungssteigerung tatsächlich erzielt wird und worin sie besteht. Darüber hinaus offenbart dieses Dokument keine Rezepturen mit Fructopolysacchariden, da das in den Beispielen verwendete Inulin im Sinne des in Anspruch 1 von D63a geforderten Mischungsverhältnisses Mono-/Oligo-/Polysaccharid eindeutig die Funktion eines Oligosaccharids hat. Auch die verspätet eingereichte Druckschrift D91, die sich mit Fructan- (Fructooligo/polysaccharid-) Mischungen ohne GOS beschäftigt, geht nicht über den maßgeblichen Informationsgehalt der anderen Dokumente hinaus, so dass die Frage der von der Einsprechenden V angezweifelten Gültigkeit des Prioritätsanspruchs dahingestellt bleiben kann.
Der Gegenstand des Hilfsantrags 4 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Hilfsantrag 4 ist somit gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, mit der Auflage, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1-7 des Hilfsantrags 4 vom 11. Februar 2009 nach eventuellen notwendigen Änderungen der Beschreibung aufrecht zu erhalten.