T 0813/05 () of 18.7.2007

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2007:T081305.20070718
Datum der Entscheidung: 18 Juli 2007
Aktenzeichen: T 0813/05
Anmeldenummer: 97904982.2
IPC-Klasse: D01H 13/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Qualitätsüberwachung von Garnen
Name des Anmelders: Uster Technologies AG
Name des Einsprechenden: Saurer GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 10b(1)
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
European Patent Convention 1973 Art 54
Schlagwörter: Zulässigkeit - verspätet vorgelegter Hauptantrag - ja
Neuheit Hauptantrag - nein
Zulässigkeit - verspätet vorgelegter Hilfsantrag - nein
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Europäische Patent mit der Nummer 0 891 436 widerrufen wurde.

II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehe, da das beanspruchte Verfahren und die beanspruchte Vorrichtung nicht neu seien gegenüber dem Inhalt der Entgegenhaltung

D1: "Vollständiges System zur Qualitätssicherung in der Spulerei", MELLIAND TEXTILBERICHTE, 10(1992), Seiten 790-793.

III. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung lautet:

"Verfahren zur Qualitätsüberwachung von Garnen, wobei ein vom Garn abgeleitetes Signal in einem Klassierfeld klassiert wird, dadurch gekennzeichnet, dass ein vom Garn (8) abgeleitetes Reflexions-Signal (10) in dem Klassierfeld (16) klassiert wird und dass, ausgehend von dieser Klassierung, Gattungen von Fremdstoffen im Garn identifiziert werden."

IV. Mit der Beschwerde verfolgte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, hilfsweise gemäß einem mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Anspruchssatz.

V. In einer Mitteilung in der Anlage zur Ladung für die mündliche Vorhandlung, teilte die Beschwerdekammer ihre vorläufige Einschätzung der Sachlage mit, wonach bei der Beurteilung der Neuheit das Merkmal des erteilten Anspruchs 1 "dass ausgehend von dieser Klassierung, Gattungen von Fremdstoffen im Garn identifiziert werden", im Lichte der Beschreibung auszulegen sei. In den Ansprüchen sei nämlich nicht definiert, wie eine bestimmte Gattung von Fremdstoffen im Garn im Klassierfeld identifiziert werde. Gemäß der Beschreibung schienen bestimmte Gattungen von Fremdstoffen gleichen Feldern des Klassierfeldes zugeordnet zu sein, so dass nicht klar sei, wie diese dann voneinander unterschieden werden könnten.

VI. Daraufhin reichte die Beschwerdeführerin einen Monat vor dem Termin der mündlichen Verhandlung geänderte Ansprüche gemäß einem Hauptantrag und acht Hilfsanträgen ein, ohne dass begründet wurde, warum die geänderten Ansprüche geeignet seien, den Mangel fehlender Neuheit zu beheben.

VII. In der mündlichen Verhandlung wurden formelle Bedenken vorgebracht, die sich gegen die Ansprüche des Hauptantrags und sämtlicher acht Hilfsanträge richteten. Die Beschwerdeführerin verfolgte diese Anträge dann nicht weiter, kehrte zu ihrem ursprünglichen Hauptantrag auf Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt zurück und legte einen weiteren geänderten Anspruchssatz (6 Ansprüche) als einzigen Hilfsantrag vor.

VIII. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IX. Die Argumente der Beschwerdeführerin, die während der mündlichen Verhandlung auch von der Möglichkeit der Overhead-Präsentation Gebrauch machte, können, soweit sie für die Entscheidung relevant sind, wie folgt zusammengefasst werden:

Die gemessenen Werte für Länge und Reflexion jeder Gattung von Fremdstoffen im Garn unterlägen einer zwei-dimensionalen statistischen Verteilung, z. B. einer Gauss-Verteilung, die nicht exakt mit den durch die Schwellwerte abgegrenzten Feldern im Klassierfeld übereinstimmte. Die einzelnen Gattungen unterschieden sich aber klar durch die jeweilige Lage der Häufigkeitsmaxima im Klassierfeld und durch die jeweilige Ausdehnung der Verteilung entlang der beiden Achsen Länge und Reflexion. Auch in Fällen überlappender Verteilungen in Feldern benachbarter Fremdstoff-Gattungen wäre es dem Fachmann möglich, aufgrund der Häufigkeitsverteilung die entsprechenden Garnfehler eindeutig einer bestimmten Gattung von Fremdstoffen zuzuordnen und damit zu identifizieren.

D1 offenbare drei verschiedene Ausbaustufen eines Systems YarnMaster zur Garnüberwachung und Garnreinigung. D1 enthalte aber keinen Hinweis, dass diese Systeme sich eigneten, bestimmte Gattungen von Fremdstoffen zu identifizieren. Insbesondere gehöre die in Bild 11 dargestellte und in Abschnitt 5.4 beschriebene Klassiermatrix zur Ausbaustufe YarnMaster 800, mit der Garnfehler nur nach Länge und Dicke klassiert würden. Auch werde aus Abschnitt 5.4 klar, dass es einzig um den Grad der Verunreinigung gehe, also um die Erfassung und nicht die Identifizierung einer Fremdfaser-Gattung. Obwohl beim YarnMaster 900 ein zusätzlicher Sensor zur Erfassung von Fremdfasern vorgesehen sei, ergäbe sich aus der Aussage, wonach Kurzfehler, wenn gewünscht, aufgrund einer eingestellten Länge toleriert würden (Seite 792, rechte Spalte, Ende zweiter Absatz), dass keine Identifikation der vielen möglichen Kurzfehler-Gattungen, die z.B. Polypropylen, Schalenteile, Rostflecken, umwundene Fasern oder Ölflecken umfassen könnten, beabsichtigt sei.

X. Dagegen argumentierte die Beschwerdegegnerin zusammengefasst wie folgt:

Für die auf den Overhead-Folien gezeigten statistischen Verteilungen der Fremdfaser-Gattungen gäbe es keine Basis im Patent. Darüber hinaus verdeutlichten die dargestellten Überlappungen der Häufigkeitsverteilungen verschiedener Garnfehlergattungen, dass ihre Unterscheidung nicht möglich sei.

D1 offenbare in Abschnitt 5 ein System zur Garnüberwachung und Garnreinigung, YarnMaster 900, mit dem Gattungen von Fremdstoffen anhand von Länge und Helligkeitswerten identifiziert würden. Die Nennung des YarnMaster 800 im Abschnitt 5.4 in D1 sei offensichtlich ein Fehler. Der Hinweis "Siro" in Bild 11 deute daraufhin, dass die abgebildete Klassierung mittels eines mit dem Sensor "Siroclear" (vgl. letzter Absatz in 5.2) ausgestatteten Systems YarnMaster 900 erhalten worden sei. Aus dem Vergleich der Häufigkeiten von gezählten und ausgereinigten Garnfehlern in Bild 11 werde deutlich, dass eine Aussonderung der identifizierten Fremdstoff-Gattungen aufgrund der Klassierung vorgenommen wurde, so dass kein Unterschied zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und D1 erkennbar sei. Der Hinweis am Ende des Abschnitts 5.2, wonach "Kurzfehler (wie Schalenteile)" toleriert werden können, allein reiche schon aus, um die mangelnde Neuheit des beanspruchten Verfahrens nachzuweisen, da der Anspruch die Art oder Anzahl zu identifizierender Fremdstoff-Gattungen nicht definiere.

XI. Der unabhängige Anspruch des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsantrags lautet:

"1. Verfahren zur Qualitätsüberwachung von Garnen, wobei ein Einmessvorgang (37) durchgeführt wird, in dem erste Reflexions-Messwerte vom Garn (8) gewonnen werden, daraus ein mittlerer Wert berechnet wird und eine Nulllinie (12) darauf eingestellt wird, danach eine permanente Garnmessung durchgeführt wird, in welcher ein Reflexions-Signal (10) vom Garn (8) abgeleitet wird, Abweichungen (13) des Reflexions-Signals (10) von der Nulllinie (12) in einem Klassierfeld (16) klassiert werden, welches Klassierfeld (16) eine erste Achse (17), längs der die Länge von Garnabschnitten aufgetragen ist, und eine zweite Achse (18), längs der Werte für eine Auslenkung des Reflexions-Signals (10) von einer Nulllinie (12) aufgetragen sind, aufweist und eine Klassierung von Auslenkungen über die Nulllinie (12) und unter die Nulllinie (12) vorsieht, und ausgehend von dieser Klassierung Gattungen von Fremdstoffen im Garn (8) identifiziert werden."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Zulässigkeit

Nach Artikel 10b (1) VOBK liegt es im Ermessen der Kammer die erneute Änderung des nach Einreichung der Beschwerdebegründung und nach der Erwiderung auf die Mitteilung der Kammer formulierten Hauptantrags der Beschwerdeführerin zuzulassen und zu berücksichtigen. Die Änderungen am Hauptantrag im schriftlichen Verfahren betrafen im wesentlichen die Verschiebung von Merkmalen aus dem Kennzeichen in den Oberbegriff der Ansprüche. Der beanspruchte Gegenstand gemäß Anspruch 1 des Patents hat sich deshalb im Laufe des Verfahrens in seiner Substanz nicht geändert, so dass die Beschwerdegegnerin und die Kammer nicht mit einem neuen, überraschenden Vorbringen konfrontiert wurden. Daher wird der Hauptantrag zugelassen.

3. Interpretation des Anspruchs 1

Weder die Ansprüche noch die Beschreibung geben an, was unter dem Ausdruck "Gattungen von Fremdstoffen im Garn identifiziert werden" im letzten Merkmal des Anspruchs 1 zu verstehen ist. Aufgrund der Überlappung von Feldern einer Fremdstoff-Gattung mit denen einer anderen Gattung ist es nämlich nicht möglich, die beiden Gattungen im Überlapp voneinander zu unterscheiden (z. B. Feld 34', "Blatt- oder Stengelreste", und das linke Feld 35', "Jutereste", in Figuren 3 und 4 des Patents). Ein Garnfehler, der aufgrund seiner Werte für Länge und Helligkeit in ein solches Feld klassiert wird, kann denknotwendig nicht eindeutig einer dieser Fremdstoffgattungen zugeordnet werden. Der Ausdruck kann daher nur breit ausgelegt werden und zwar in dem Sinn, dass das Vorliegen einer ausschließlich durch innerhalb festgelegter Grenzwerte liegende Längen und Reflexionswerte definierten Gattung von Fremdstoffen angezeigt wird, ohne dass dabei eine eindeutige Erkennung konkreter Gattungen, z.B. "Blatt- oder Stengelreste" oder "Jutereste" möglich sein muss. Zudem ist der Anspruch nicht auf konkrete Gattungen von Fremdstoffen, etwa die im Patent erwähnten, eingeschränkt, sondern umfasst viele andere Gattungen von Fremdstoffen, deren Verteilungen zu noch größeren Überlappungen führen könnten.

4. Neuheit Anspruch 1

4.1 In D1 wird im Abschnitt 5 ein System YarnMaster 900 offenbart, mit dem ein Verfahren zur Qualitätsüberwachung von Garnen durchgeführt wird, wobei ein vom Garn abgeleitetes Signal in einem Klassierfeld klassiert wird (Bild 11, Abschnitt 5.4) und wobei ein vom Garn abgeleitetes Reflexions-Signal (zweiter Absatz von Abschnitt 5.2, Bilder 8 und 9) in dem Klassierfeld klassiert wird.

Der Vergleich im Bild 11 z.B. des untersten linken Feldes, in dem 5142 im Garn verbliebene Verunreinigungen (unter 1 cm Länge und Helligkeitsunterschied von 1 bis 2) klassiert sind, mit dem schräg darüber liegenden Feld mit 10 im Garn verbliebenen und 4 geschnittenen Verunreinigungen (Länge von 1 bis 2 cm und Helligkeitsunterschied von 2 bis 3,5) zeigt, dass Verunreinigungen oder Fremdstoffe im Garn erfasst und in Felder mit festgelegten Grenzwerten für Länge und Helligkeitsunterschiede (Reflexionssignal) klassiert wurden. Ein so klassierter Fremdstoff gehört damit zu einer (allein) durch die Grenzwerte für Länge und Reflexion definierten Gattung. Ausgehend von der in Bild 11 gezeigten Klassierung, werden also Gattungen von Fremdstoffen anhand festgelegter Grenzwerte für Länge und Reflexion identifiziert.

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, wonach es dem Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung an Neuheit mangelt (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ), wird daher bestätigt.

4.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die Klassiermatrix aus Bild 11 nicht zum YarnMaster 900, sondern zum YarnMaster 800 gehörte, da letzterer ausdrücklich im Abschnitt 5.4 genannt werde. Die Angabe "800" ist aber offensichtlich ein Fehler: Der Hinweis "Siro" im Bild 11 im Zusammenhang mit der Beschreibung des zweiten Sensors zur Fremdfaser-Erfassung im Abschnitt 5.2, sowie Bild 8 und 9, und die Tatsache, dass der ganze Abschnitt 5 den YarnMaster 900 behandelt, lassen zweifelsfrei den Schluss zu, dass es im Abschnitt 5.4 richtigerweise "YarnMaster 900" heißen muss.

4.3 Die Kammer kann auch in den Argumenten der Beschwerdeführerin zur zwei-dimensionalen statistischen Verteilung der Garnfehler verschiedener Fremdstoff-Gattungen im Klassierfeld keinen Grund sehen, von der Feststellung mangelnder Neuheit abzuweichen. Zum einen findet sich für das Einbeziehen statistischer Verteilungen keine Grundlage im Patent und der ursprünglich eingereichten Anmeldung. Selbst unter der Annahme, dass die in den Abbildungen 3 und 4 des Patents dargestellten Gattungen von Fremdstoffen in der Realität nicht so scharf durch vier Schwellwerte abgrenzbar sind, sondern einer statistischen Verteilung unterliegen, ist die Beschwerdeführerin jedenfalls den Nachweis schuldig geblieben, dass die Verteilungen der einzelnen Fremdstoffgattungen tatsächlich den auf den Overhead-Folien gezeigten Verteilungen entsprechen. Weiterhin existieren auch in den dargestellten statistischen Verteilungen Bereiche grosser Überlappung fast aller Fremdstoffgattungen, in denen identische Häufigkeitswerte die Identifizierung einer konkreten Gattung von Fremdstoffen unmöglich machen.

Hilfsantrag

5. Zulässigkeit

Nach den Kriterien, die sich in der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern für die Berücksichtigung geänderter Ansprüche herausgebildet haben (vgl. z. B. VII.D.14.2, Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 5. Auflage 2006) muss ein verspätet vorgelegter Antrag wenigstens prima facie gewährbar sein. Die Ansprüche des während der mündlichen Verhandlung und somit verspätet vorgebrachten Hilfsantrags sind nicht eindeutig gewährbar, weil unter anderem das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllt zu sein scheint. Im Anspruch 1 wurden zahlreiche Verfahrensmerkmale aus der Beschreibung hinzugefügt, jedoch ohne dass gleichzeitig auch sämtliche im jeweiligen Zusammenhang offenbarten wesentlichen Merkmale übernommen wurden (z.B. dass das Klassierfeld in durch vier Schwellwerte begrenzte Felder aufgeteilt wird). Der dadurch beanspruchte Gegenstand stellt folglich eine Verallgemeinerung über das offenbarte Verfahren hinaus dar, für die es keine Grundlage in den ursprünglich eingereichten Unterlagen gibt.

Der Antrag wurde deswegen nicht ins Verfahren zugelassen (Artikel 10b (1) VOBK).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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