T 0667/05 () of 8.6.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T066705.20060608
Datum der Entscheidung: 08 Juni 2006
Aktenzeichen: T 0667/05
Anmeldenummer: 97111769.2
IPC-Klasse: B65G 53/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Entleervorrichtung für rieselfähiges Schüttgut
Name des Anmelders: Wilhelm, Klaus
Name des Einsprechenden: AROLIT-PLASTIC GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 87(1)
European Patent Convention 1973 Art 88
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Schlagwörter: Wirksame Inanspruchnahme der Priorität - bejaht
Verspätestes Vorbringen - nicht zugelassen
Neuheit - bejaht
Erfinderische Tätigkeit - bejaht
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/98
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent Nr. 0 819 628 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt.

II. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit) sowie auf Artikel 100 b) EPÜ (mangelnde Ausführbarkeit) und Artikel 100 c) (unzulässige Erweiterung) angegriffen worden.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die in Artikel 100 a), b) und c) EPÜ genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang nicht entgegenstünden.

III. Am 8. Juni 2006 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Die Beschwerdeführerin stützte ihre Argumentation auf folgende, von der Einspruchsabteilung in Betracht gezogene Entgegenhaltungen:

PD: DE 196 28 429 A (die in der vorliegenden Entscheidung angegebenen Passagen aus diesem Dokument beziehen sich auf das in der Akte befindliche Exemplar des Prioritätsdokuments "PD")

D2: DE 43 15 327 A und

D3: US 5 382 117 A.

Während des schriftlichen Teils des Beschwerdeverfahrens reichte die Beschwerdeführerin die folgenden Entgegenhaltungen für das erste Mal ein:

D4: DE 195 06 538 A und

D5: DE 624 645 C.

Während der mündlichen Verhandlung am 8. Juni 2006 reichte die Beschwerdeführerin folgende Entgegenhaltung für das erste Mal ein:

D6: DE 1 531 920 A.

V. Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 4 wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten lauten wie folgt:

"1. Verfahren zum Entleeren von rieselfähigem Schüttgut (13), aus flexiblen, insbesondere sack- oder beutelartigen Behältnissen (6, 6') mittels einer Absaugvorrichtung (15), wobei

- die Absaugvorrichtung (15) von oben her in das Behältnis (6, 6') eingeführt wird,

- ein Hebezeug (1; 5, 21), umfassend einen ringförmigen oder mehreckigen Halterahmen (1), an dem die Halteelemente (5, 21) befestigt sind und der einen kleineren Durchmesser als das Behältnis (6, 6') aufweist, mit dem oberen Randbereich des Behältnisses (6, 6') in Halteeingriff gebracht wird,

- das Hebezeug (1; 5, 21) mittels einer Hubeinrichtung (12) in vertikaler Richtung bewegt wird, um das Behältnis (6, 6') zu strecken,

- wobei der obere Randbereich des Behältnisses (6, 6') beim Hochziehen radial nach innen gezogen wird, dadurch gekennzeichnet, daß gegen Ende des Entleerungsvorganges das gesamte Behältnis (6, 6') mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben wird."

"4. Verfahren zum Entleeren von rieselfähigem Schüttgut (13), aus flexiblen, insbesondere sack- oder beutelartigen Behältnissen (6, 6') mittels einer Absaugvorrichtung (15) mit einem Absaugkopf (18), wobei

- die Absaugvorrichtung (15) von oben her in das Behältnis (6, 6') eingeführt wird,

- ein Hebezeug (1; 5, 21), umfassend einen ringförmigen oder mehreckigen Halterahmen (1), an dem die Halteelemente (5, 21) befestigt sind und der einen kleineren Durchmesser als das Behältnis (6, 6') aufweist, mit dem oberen Randbereich des Behältnisses (6, 6') in Halteeingriff gebracht wird,

- das Hebezeug (1; 5, 21) mittels einer Hubeinrichtung (12) in vertikaler Richtung bewegt wird, um das Behältnis (6, 6') zu strecken,

- wobei der obere Randbereich des Behältnisses (6, 6') beim Hochziehen radial nach innen gezogen wird, dadurch gekennzeichnet, daß mit zunehmender Entleerung das Behältnis (6, 6') immer weiter nach oben gezogen und zunehmend gestreckt wird, bis der untere Bereich des Behältnisses (6, 6') seitlich am Absaugkopf (18) der Absaugvorrichtung (15) anliegt und dabei das gesamte Behältnis (6, 6') mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben ist."

VI. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

a) Wirksame Inanspruchnahme der Priorität

Nach der G 2/98 (veröffentlicht im Amtsblatt des EPA 2001, 413) sei das Erfordernis, das sich auf "dieselbe Erfindung" beziehe, eng und strikt zu verstehen. Insbesondere sei erforderlich, dass der Gegenstand des Anspruchs der späteren Anmeldung "unmittelbar und unzweideutig" angesichts des allgemeinen Fachwissens aus der Erstanmeldung insgesamt hervorgehe (vgl. Abschnitt 9. der Begründung der Großen Beschwerdekammer). Im vorliegenden Fall treffe es nicht zu, dass das Verfahren gemäß Anspruch 1 bzw. 4 unmittelbar und unzweideutig aus der PD entnehmbar sei.

Die PD selbst enthalte keine Verfahrensansprüche. Auch im Übrigen finde sich in der Beschreibung der PD keine gesonderte Beschreibung eines Verfahrens zum Entleeren von rieselfähigem Schüttgut. Es seien lediglich einige Möglichkeiten und Einstellungen angegeben, die bei der darin beschriebenen Vorrichtung vorgenommen werden können, um das rieselfähige Schüttgut aus einem Behältnis zu saugen.

Im Einzelnen finde sich am Beginn des letzten Absatzes der Seite 3 der PD die Angabe, dass die nach oben wirkende Zugkraft vorzugsweise so eingestellt werden könne, dass gegen Ende des Entleerungsvorganges das gesamte Behältnis mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben werde. Diese Maßnahme sei als bevorzugte Möglichkeit ("vorzugsweise") bzw. als Option ("kann") angegeben. Schon aus diesem Grund treffe es nicht zu, dass sich das Verfahren, das im Anspruch 1 des Streitpatents beschrieben sei, unmittelbar und unzweideutig aus der PD ergebe.

Im letzten Absatz der Seite 8 sowie im ersten Absatz der Seite 9 der PD seien diejenigen Merkmale offenbart, die zur Formulierung des Verfahrensanspruchs 4 herangezogen wurden. Hierbei sei angegeben, dass der Foliensack mittels der Hubeinrichtung immer weiter nach oben gezogen werde, wodurch er fortlaufend and zunehmend gestreckt werde. In diesem Zusammenhang finde sich jedoch kein Hinweis darüber, dass das Behältnis gegen Ende des Entleerungsvorganges mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben werde. Daher sei nicht klar, ob dieser Schritt stets erforderlich sei. Aus Seite 8, letzter Absatz der PD entstehe vielmehr der Eindruck, dass es ausreichen könnte, wenn der Foliensack fortlaufend und zunehmend gestreckt werde, ohne notwendigerweise ganz vom Boden abgehoben zu werden.

Insbesondere sei der zeitliche und kausale Zusammenhang durch das Wort "bis" (es anliegt) dem Prioritätsdokument nicht entnehmbar. Wenn das Behältnis, wie im Prioritätsdokument angegeben, im entleerten Zustand angehoben werde, bedeute dies keineswegs, dass es schon früher, nämlich "gegen Ende des Entleerungsvorganges" weggehoben werde.

Der hinsichtlich des Zeitpunktes nach vorne verschobene Vorgang, nämlich ein Anheben gegen Ende des Entleerungsvorganges sei aus dem Prioritätsdokument in keiner Weise, insbesondere nicht unzweideutig und unmittelbar entnehmbar.

Deshalb fehle es an der Voraussetzung für die wirksame Inanspruchnahme der Priorität, und das Streitpatent genieße lediglich den Zeitrang der Einreichung der europäischen Anmeldung.

b) Verspätetes Vorbringen, Artikel 114(2) EPÜ

Da das Streitpatent lediglich den Zeitrang der Einreichung der europäischen Anmeldung genieße, gehöre die Entgegenhaltung D4 zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPC und solle als neuheitsschädliches Dokument ins Verfahren zugelassen werden.

Die Entgegenhaltung D5 zeige das gleiche nach oben Ziehen des Behältnisses, wie es in den Ansprüchen 1 und 4 des Streitpatents der Fall sei, und solle daher als hochrelevantes Dokument, welches dem Fachmann das Verfahren gemäß Anspruch 1 bzw. 4 nahe lege, ins Verfahren eingeführt werden.

Die Entgegenhaltung D6 zeige das Wegheben des Behältnisses vom Boden und solle daher als hochrelevantes Dokument, welches dem Fachmann das Verfahren gemäß Anspruch 1 bzw. 4 nahe lege, ins Verfahren eingeführt werden.

c) Neuheit, Artikel 54 EPÜ

Die Entgegenhaltung D2 offenbare ein Verfahren zum Entleeren von rieselfähigem Schüttgut aus einem flexiblen Behältnis 1 mittels einer Absaugvorrichtung 3, wobei die Absaugvorrichtung von oben her in das Behältnis eingeführt wird. Eine Klemm- bzw. Haltevorrichtung 8, die als Tragarm 81 ausgebildet sei, werde mit dem Behältnisöffnungsrandbereich 7 in Eingriff gebracht, siehe Spalte 3, Zeile 67 bis Spalte 4, Zeile 3. Aus den Figuren ergäbe sich, dass die Klemm- oder Haltevorrichtung einen ringförmigen Halterahmen aufweise. Die Befestigung des Randbereichs der Behältnisöffnung könne nur dadurch erfolgen, dass Halteelemente vorhanden seien. Hierauf deute auch der Begriff "Klemmvorrichtung" hin, siehe Spalte 3, Zeile 67. Daraus ergebe sich eindeutig, dass der Halterahmen einen kleineren Durchmesser aufweise als das Behältnis, siehe Figur 1. Die Klemm- bzw. Haltevorrichtung sei mit einer Hubeinrichtung 4 verbunden, siehe Spalte 3, letzte Zeile. In Spalte 4, Zeile 38 finde sich die ergänzende Angabe, dass der Tragarm 8 nach oben bewegt werde. Ein Vergleich der Figuren 1 and 2 zeige eindeutig, dass hierbei das Behältnis gestreckt werde. Aus einem Vergleich der Figuren sowie der expliziten Offenbarung in Spalte 4, Zeile 38 bis 41 ergebe sich darüber hinaus, dass der obere Randbereich des Behältnisses beim Hochziehen radial nach innen gezogen werde.

Die Beschreibung der Materialentnahme sei der Spalte 4, Zeile 34 ff. zu entnehmen. Zunächst werde unter Bezugnahme auf die Figur 2 ein fortlaufendes Nach-Oben-Bewegen des Tragarmes und damit des oberen Randbereichs des Behältnisses beschrieben. Explizit sei angegeben, dass sich das im Behältnis gelagerte Material "nahezu vollständig" aus dem Behältnis absaugen ließe, siehe Spalte 4, Zeile 47. Bei einem "sehr weit entleerten Behältnis" könne eine "weitere Absaugang des Materials" dadurch sichergestellt werden, dass das Behältnis "so am Tragarm der Hubeinrichtung angeordnet" werde, "dass das Behältnis mit nur einer Spitze seines unteren Bodenbereichs nach unten ragt", siehe Spalte 4, Zeile 61 ff. Die Ausbildung einer derartigen "Spitze" könne natürlich nur erfolgen, wenn das Behältnis vollständig vom Boden weggehoben werde.

Im Übrigen entspreche die zusätzliche Angabe in Spalte 4, Zeile 66 der D2, wonach "quasi ein kegelförmiges, mit Restmaterial gefülltes Behältnis entsteht", dem Zustand, dass das Behältnis vollständig abgehoben sei. Wie sich aus den Figuren der D2 ergebe, sei das Saugrohr an seinem unteren Ende nicht spitz, sondern weise eine gewisse Breite auf. Auch im vollständig abgehobenen Zustand könne das Behältnis somit keine vollständig spitze Kegelform annehmen, sondern werde zumindest mit einer Breite, die der Breite des Saugrohres entspreche, "abgeplättet" sein. Dies sei mit der "quasi kegelförmigen" Form gemeint. Dieser Zustand stimmt vollständig mit dem Zustand überein, der streitpatentgemäß bei dem vollständigen Abheben entstehe.

Die D2 lehre darüber hinaus, dass während des Entleerens, ausgehend von der in Figur 1 gezeigten Position, ein Nach-Oben-Ziehen des Behältnisses erfolge, vgl. die in Figur 2 dargestellte Situation. Aus Spalte 4, Zeile 43/44 der D2 gehe weiter hervor, dass der Tragarm "noch weiter nach oben gefahren wird". Mit anderen Worten werde das Behältnis mit zunehmender Entleerung immer weiter nach oben gezogen. Wie sich schon aus einem Vergleich der Figuren 1 and 2 der D2 ergebe, werde das Behältnis hierbei zunehmend gestreckt. Aus Spalte 4, Zeile 61 bis 67 der D2 gehe hervor, dass die Bewegung dahingehend fortgesetzt werden könne, dass das Behältnis mit nur einer Spitze seines unteren Bodenbereichs nach unten rage, und eine quasi kegelförmige Form annehme. Die Bewegung der seitlichen Behältniswandungen nach innen werde hierbei am Ende des Entleerungsvorganges durch die Breite des Saugrohres begrenzt. Es verstehe sich, dass die Behälterwandung abschließend seitlich an dem Saugrohr anliegen werde. Das Ende des Saugrohres bilde hierbei einen Absaugkopf, so dass der untere Bereich des Behältnisses am Ende des Absaugvorganges seitlich am Absaugkopf der Absaugvorrichtung anliege.

Somit seien sämtliche Merkmale des Verfahrens gemäß Anspruch 1 bzw. 4 aus der Entgegenhaltung D2 bekannt.

d) Erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ

Unter der Annahme, eine Weghebung des Behältnisses vom Boden sei aus der Entgegenhaltung D2 nicht bekannt, sei folgendes bemerkt.

In der Entgegenhaltung D2 werde angegeben, dass durch die Nach-Oben-Bewegung des Behältnisses, das im Behältnis aufgenommene Material über die Behältniswandung in Richtung zum Saugrohr gedrückt werde, so dass dessen Mündung bei ausreichend im Behältnis befindender Materialmenge tief genug in dieser gelagert sei, siehe Spalte 3, Zeilen 7 bis 16 und Spalte 4, Zeilen 39 bis 41. Wenn der Fachmann feststellen würde, dass bei geringerer Schüttgutrestmenge das Behältnis vom Boden heben müsste um die Mündung des Saugrohrs in diese geringere Schüttgutrestmenge eintauchen zu lassen, dann würde er das automatisch tun, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden.

Die Entgegenhaltung D3 betreffe eine Vorrichtung zum Halten und Entleeren eines Pulverbehälters. Als Vorteil für die gezeigte Vorrichtung sei angegeben, dass ein Beutel vollständig und ohne Reste entleert werden könne, siehe Spalte 2, Zeilen 23 und 24. Zu diesem Zweck lehre die D3 unter anderem, dass der Beutel 3 durch ein Halteelement 10 während der Entleerung angehoben werde, so dass der Beutel eine geneigte Stellung einnehme, siehe Spalte 3, Zeilen 5 bis 8. In diesem Zusammenhang sei ferner von einem "niedrigsten Punkt innerhalb des Beutels (lowest point inside the bag)" die Rede, siehe Spalte 3, Zeilen 8 und 9. Hierbei erkenne der Fachmann, dass es einen einzelnen, niedrigsten Punkt nur dann geben kann, wenn der Beutel vollständig vom Boden abgehoben werde. Würde der Beutel auch nur teilweise auf dem Boden verbleiben, würde er an der Auflagefläche "platt gedrückt", and es ergäbe sich keinesfalls ein einzelner, niedrigster Punkt. Folglich lehre die D3, dass das Behältnis gegen Ende des Entleerungsvorganges mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben werde. Der Fachmann, der ein Verfahren zum vollständigen Entleeren eines Beutels mit Schüttgut entwickeln möchte, erhalte somit angesichts dieser Aufgabe den entsprechenden Hinweis aus der D3.

Somit werde das Verfahren gemäß Anspruch 1 bzw. 4 durch eine Kombination der Lehre der Entgegenhaltung D2 in Kombination mit dem Fachwissen bzw. in Kombination mit der Lehre der Entgegenhaltung D3 dem Fachmann nahe gelegt und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

a) Wirksame Inanspruchnahme der Priorität

Die Inanspruchnahme einer Priorität erfordere gemäß Artikel 87 (1) EPU, dass der prioritätsbegründenden Anmeldung und der späteren Anmeldung "dieselbe Erfindung" zugrunde liege. Das Erfordernis "derselben Erfindung" sei nach der Stellungnahme G 2/98 der Grossen Beschwerdekammer dann erfüllt, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen könne, siehe Leitsatz der G 2/98. Dies trifft im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen zu.

Der prioritätsbegründenden Anmeldung PD sei zu entnehmen, dass "während des Absaugens des Schüttguts die Kolbenstange kontinuierlich in das Innere des Hubzylinders eingezogen wird, wodurch das Hebezeug mittels der Hubeinrichtung entsprechend angehoben und der Foliensack nach oben strammgezogen, d.h. gestreckt wird", siehe Seite 8, Zeilen 18 bis 22; "Mit zunehmender Entleerung wird der Foliensack mittels der Hubeinrichtung immer weiter nach oben gezogen, wodurch der Foliensack fortlaufend und zunehmend gestreckt wird", siehe Seite 8, Zeilen 30 bis 33 und "Im entleerten Zustand des Oktabins ist die Kolbenstange zumindest weitgehend in das Innere des Hubzylinders zurückgezogen, wodurch das Hebezeug soweit angehoben wird, dass der Foliensack geringfügig vom Boden der Oktabin-Aussenumhüllung abgehoben ist", siehe Seite 9, Zeilen 12 bis 16. Überdies zeige auch die Figur 3B der PD, dass das gesamte Behältnis mit dem Schüttgutrest gegen Ende des Entleerungsvorganges vom Boden weggehoben werde.

Des Weiteren finde sich in der PD auch eine Offenbarung für das dem Anspruch 4 des Streitpatents zugrunde liegende Merkmal, wonach mit zunehmender Entleerung das Behältnis immer weiter nach oben gezogen und gestreckt werde, bis der untere Bereich des Behältnisses seitlich am Absaugkopf der Absaugvorrichtung anliege. So heiße es beispielsweise in Seite 9, erster Absatz, dass die Restmenge des Schüttguts im Zustand der völligen oder fast völligen Entleerung des Oktabins sich lediglich unterhalb nicht jedoch seitlich neben dem Absaugkopf befinde, an dem der untere Bereich des Foliensackes seitlich anliege. Kombiniere man diesen Zustand mit dem in dem vorangehenden Absatz beschriebenen Vorgang des Hochhebens könne man zu keinem anderen Ergebnis kommen, als dass das Behältnis gestreckt werde, bis es bei vollständiger oder zumindest fast vollständiger Entleerung seitlich am Absaugkopf der Absaugvorrichtung anliege.

b) Verspätetes Vorbringen, Artikel 114(2) EPÜ

Da die Streitpatentschrift die Priorität vom 15. Juli 1996 genieße, gehöre die am 29. August 1996 veröffentlichte D4 nicht zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ.

Die Entgegenhaltungen D5 und D6 seien weder prima facie hoch relevant noch kommen sie dem Gegenstand des Anspruchs 1 bzw. 4 näher als bereits im Verfahren befindliche Entgegenhaltungen.

Daher sollen die während des Beschwerdeverfahrens verspätet eingereichte Entgegenhaltungen D4, D5 und D6 gemäß Artikel 114(2) EPÜ nicht ins Verfahren zugelassen werden.

c) Neuheit, Artikel 54 EPÜ

Es finde sich an keiner Stelle von D2 ein Hinweis darauf, dass das Hebezeug einen ringförmigen oder mehreckigen Halterahmen, an dem Haltelemente befestigt sind, wobei dieser einen kleineren Durchmesser als das Behältnis aufweist, umfasst. Dies werde zusätzlich dadurch gestützt, dass auch die Figuren 1 und 2 von D2 nur einen Tragarm, nicht jedoch einen erfindungsgemäßen Halterahmen, zeigen. Da in diesen Figuren die Vorrichtungen von D2 als Längsschnitte gezeigt seien, sei außerdem nicht ersichtlich, ob die als Tragarm ausgebildete Klemmvorrichtung vollständig um den Behältnisöffnungsbereich herum laufe oder nicht. Überdies werde an keiner Stelle in D2 beschrieben, dass gegen Ende des Entleerungsvorganges das gesamte Behältnis mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben werde. Auch das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 4, wonach das Behältnis mit zunehmender Entleerung immer weiter nach oben gezogen und zunehmend gestreckt werde, bis der untere Bereich des Behältnisses seitlich am Absaugkopf der Absaugvorrichtung anliege, könne der D2 nicht entnommen werden.

Demzufolge sei der jeweilige Gegenstand der Ansprüche 1 und 4 neu gegenüber der Entgegenhaltung D2.

d) Erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ

Mindestens der gemeinsame Verfahrensschritt der Ansprüche 1 und 4 des Streitpatents, wonach das gesamte Behältnis mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben werde, sei weder aus der D2 noch aus der D3 bekannt. Daher seien diese Entgegenhaltungen nicht in der Lage, weder zusammenbetrachtet noch in Kombination mit dem Fachwissen, dem Fachmann den Gegenstand des Anspruchs 1 bzw. 4 mangels Vorbild nahe zu legen.

Entscheidungsgründe

1. Wirksame Inanspruchnahme der Priorität

In der Stellungnahme G 2/98 (ABl. 2001, 413) hat die Große Beschwerdekammer die vorgelegten Rechtsfragen wie folgt beantwortet:

"Das in Artikel 87 (1) EPÜ für die in Anspruchnahme einer Priorität genannte Erfordernis "derselben Erfindung" bedeutet, dass die Priorität einer früheren Anmeldung für einen Anspruch in einer europäischen Patentanmeldung gemäß Artikel 88 EPÜ nur dann anzuerkennen ist, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann", siehe Leitsatz der G 2/98.

Es ist daher zu prüfen, ob der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 4 von der prioritätsbegründenden Anmeldung PD unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist.

Die Kammer stellt zuerst fest, dass die PD zwar auf eine Vorrichtung gerichtet ist, sie offenbart aber gleichzeitig, wie es dem letzten Absatz der Seite 3, den drei vollständigen Absätzen der Seite 8 und den ersten vier Absätzen der Seite 9 in Kombination mit den Figuren zu entnehmen ist, die Art der Verwendung der erfindungsgemäßen Vorrichtung und somit auch ein Verfahren zum Entleeren eines flexiblen Behältnisses von rieselfähigem Schüttgut mittels einer von oben her in das Behältnis eingeführten Absaugvorrichtung.

Es ist außerdem der Seite 3, Zeilen 23 bis 26, der PD folgendes zu entnehmen: "Die nach oben wirkende Zugkraft kann vorzugsweise so eingestellt werden, dass gegen Ende des Entleerungsvorganges das gesamte Behältnis mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben wird".

Der Fakt, dass die Weghebung des gesamten Behältnisses vom Boden gegen Ende des Entleerungsvorganges im letzten Absatz der Seite 3 der PD als ein bevorzugter Verfahrensschritt dargestellt wird, ändert nichts an der Tatsache, dass diese Weghebung als solche in der oben genannten Passage der prioritätsbegründenden Anmeldung explizit offenbart ist. Außerdem, wenn in der ursprünglichen Anmeldung ein Verfahrensschritt als eine bevorzugte Ausführungsform beschrieben wird, bedeutet dies, dass dieser Verfahrensschritt in Kombination mit dem ursprünglichen Anspruch 1 eine bevorzugte bzw. vorteilhafte Ausführungsform des ursprünglichen Anspruchs 1 darstellt und kann daher mit diesem Anspruch kombiniert werden. Dies ist hier der Fall.

Zudem, ist auch eine implizite Offenbarung dieses Verfahrensschritts der Figur 3B der PD in Kombination mit dem ersten Absatz der Seite 9 zu entnehmen.

Die Kammer kann die Ansicht der Beschwerdeführerin nicht teilen, wonach aus dem letzten Absatz der Seite 8 der PD der Eindruck entstehe, dass es ausreichen könnte, wenn der Foliensack fortlaufend und zunehmend gestreckt werde, ohne notwendigerweise ganz vom Boden abgehoben zu werden, da die diesem letzten Absatz der Seite 8 direkt nachfolgende Absätze 1 bis 3 der Seite 9 die weiterführende Situation der zumindest fast völligen Entleerung gemäß der Figur 3B beschreiben. In der Figur 3B ist eine Weghebung des Behältnis aufgezeigt und im zweiten Absatz der Seite 9 wird die geringfügige Abhebung des Foliensackes angesprochen. Somit ist es für den Fachmann eindeutig, dass der im letzten Absatz der Seite 8 beschriebene Ablauf keinen abgeschlossenen Vorgang beschreibt, sondern, einen Vorgang, dessen Fortsetzung in den Absätzen 1 bis 3 der Seite 9 beschrieben wird.

Dem Argument der Beschwerdeführerin, wonach die Absätze 1 bis 3 der Seite 9 der PD nur Zustände und keine Verfahrensschritte offenbaren, kann die Kammer nicht folgen, da der Fachmann, welcher diese Absätze zusammen mit dem allgemeinen Teil der Beschreibung und den entsprechenden Figuren liest, diese in einer bestimmten Abfolge angegebene Zustände in Form von Verfahrensschritten interpretiert und als solche versteht.

Aus den oben genannten Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 und insbesondere sein kennzeichnendes Merkmal, wonach "gegen Ende des Entleerungsvorganges das gesamte Behältnis mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben wird" der PD unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.

Was die kennzeichnende Merkmale des Anspruchs 4 betrifft, ist die Kammer der Ansicht, dass der letzter Absatz der Seite 8 und die ersten zwei Absätze der Seite 9 in Kombination mit der Figur 3B der PD dem Fachmann eindeutig offenbaren, dass durch ein weiter Nach-Oben-Ziehen des Foliensacks 6 eine zunehmende Entleerung stattfindet, und zwar bis zu dem Zustand der fast völligen Entleerung gemäß der Figur 3B. Bei diesem Zustand verbleibt eine Restmenge 13' an Schüttgut im untersten Bereich des Foliensacks 6. Daher liegt der Foliensack 6 seitlich am Absaugkopf 18 an und ist gleichzeitig vom Boden abgehoben.

Somit gibt der im kennzeichnende Teil des Anspruchs 4 angegebene Verfahrensschritt des weiter Nach-Oben-Ziehens des Behältnisses "bis der untere Bereich des Behältnisses seitlich am Absaugkopf der Absaugvorrichtung anliegt und dabei das gesamte Behältnis mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben ist" die im letzten Absatz der Seite 8 und in den ersten zwei Absätzen der Seite 9 in Kombination mit der Figur 3B abgebildeten Verfahrensablauf wieder.

Aus diesem Grund ist die Kammer der Überzeugung, dass der durch das Wort "bis" im Anspruch 4 zum Ausdruck gebrachte zeitliche und kausale Zusammenhang zwischen dem weiter Nach-Oben-Ziehen und Strecken des Behältnisses und dem Anlegen desselben am Absaugkopf, während es vom Boden weggehoben ist, der prioritätsbegründenden Anmeldung PD unmittelbar und eindeutig entnehmbar ist.

Somit sind auch die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 4 der prioritätsbegründenden Anmeldung unmittelbar und eindeutig entnehmbar.

Aus den o.g. Gründen genießen die Ansprüche 1 und 4 des Streitpatents die beanspruchte Priorität vom 15. Juli 1996.

2. Verspätetes Vorbringen, Artikel 114(2) EPÜ

2.1 Die Entgegenhaltung D4 wurde zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Da das Streitpatent die Priorität vom 15. Juli 1996 genießt, siehe Punkt 1 oben, gehört die am 29. August 1996 veröffentlichte D4 nicht zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ und ist daher nicht zu berücksichtigen.

2.2 Die Entgegenhaltung D5 wurde mit dem Brief vom 15. Dezember 2005, d.h. fast sieben Jahre nach Ende der Einspruchsfrist eingereicht und ist auf die Befüllung eines sackartigen Behälters gerichtet. Da diese Entgegenhaltung keine Absaugvorrichtung offenbart, welche von oben her in das Behältnis eingeführt wird, ist diese Entgegenhaltung weder prima facie hochrelevant noch kommt sie dem Gegenstand des Anspruchs 1 bzw. 4 näher, als bereits im Verfahren befindliche Entgegenhaltungen. Aus diesem Grund wird die Entgegenhaltung D5 als verspätet eingereichte Entgegenhaltung ins Verfahren nicht zugelassen.

2.3 Die Entgegenhaltung D6 wurde während der mündlichen Verhandlung am 8. April 2006 eingereicht. Der Entgegenhaltung D6 ist ein Verfahren zum Entleeren von rieselfähigem Schüttgut aus einem in seinem unteren Bereich einen Auslauf enthaltenden Sack zu entnehmen, wobei der Sack im Bereich seines Auslaufes festgehalten wird. Eine an den Umfang des Sacks angeschlossene Hubeinrichtung hebt die Sackwandung und den nicht festgehaltenen Teil des Sackbodens je nach Füllungsgrad des Sackes soweit an, bis der für einen einwandfreien Auslauf des Schüttgutes erforderliche Schüttwinkel eingestellt wird. Die Benutzung einer Absaugvorrichtung, welche von oben her in das Behältnis eingeführt wird, ist in der D6 nicht vorgesehen. Außerdem, erlaubt die Fixierung des Auslaufs des Sackes keine Weghebung des gesamten Sackes vom Boden. Da die D6 weder prima facie hochrelevant ist, noch dem Gegenstand des Anspruchs 1 bzw. 4 näher als bereits im Verfahren befindliche Entgegenhaltungen kommt, ist die Entgegenhaltung D6 nicht zu berücksichtigen.

2.4 Daher entscheidet die Kammer in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 114 (2) EPÜ, dass die Entgegenhaltungen D4, D5 und D6 nicht berücksichtigt werden.

3. Neuheit, Artikel 54 EPÜ

Bei der Frage der Neuheit geht es hauptsächlich darum zu klären, ob das gemeinsame kennzeichnende Merkmal der Ansprüche 1 und 4, nämlich, dass das gesamte Behältnis mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben wird, dem Ausführungsbeispiel gemäß den Figuren 1 und 2 der Entgegenhaltung D2 entnehmbar ist.

Die Kammer stellt zunächst fest, dass die Entgegenhaltung D2 weder in ihren Figuren 1 und 2 noch in den auf das Ausführungsbeispiel abgestellten Passagen der Beschreibung eine Weghebung des gesamten Behältnisses mit dem Schüttgutrest vom Boden zeigt oder eine solche explizit beschreibt. Auch den Ansprüchen und dem allgemeinen Teil der Beschreibung fehlt die Offenbarung einer solchen Weghebung.

Es ist daher zu prüfen, ob eine Weghebung des gesamten Behältnisses mit dem Schüttgutrest vom Boden durch die Entgegenhaltung D2 implizit offenbart ist.

D2 beschreibt ein Verfahren zum Fördern von in flexiblen Behältnissen gelagertem pulverartigen Material mittels eines Saugrohrs 3, welches von oben her in das Behältnis eingeführt wird. Dabei ist ein Behältnisöffnungsrandbereich über allgemein übliche Mittel, wie z.B. Klammern, Gummiringe etc., mit einer als Tragarm ausgebildeten Klemmvorrichtung und diese wiederum mit einer Hubeinrichtung wirkverbunden, wodurch eine Höhenverstellung der flexiblen Behälterwandung erreicht wird, siehe Spalte 3, Zeilen 7 bis 20 und Zeilen 65 bis 68. An der Abstelleinrichtung 10, auf der der Boden des Behältnisses 1 steht, ist eine Vibrationseinrichtung 11 federnd angeordnet, welche das im Behältnis 1 gelagerte Material 2 einer Vibration unterzieht. Dadurch wird eine Auflockerung des Materials 2 erreicht, so dass dieses praktisch "fließt", siehe Spalte 4, Zeilen 7 bis 18.

Diese Wirkung ist natürlich nur gegeben, solange das Behältnis auf der Platte 10 aufliegt, so dass bereits aus diesem Grund ein vollständiges Abheben des Behältnisses implizit ausgeschlossen ist, da die Vibrationseinrichtung sonst wirkungslos bzw. überflüssig wäre.

Gemäß der D2 ragt am Ende der Entleerung "das Behältnis mit nur einer Spitze seines unteren Bodenbereiches nach unten", "so dass quasi ein kegelförmiges, mit Restmaterial gefülltes Behältnis entsteht", siehe Spalte 4, Zeilen 61 bis 67.

Die Ausdrucksweise "mit einer Spitze" bedeutet, dass das Behältnis, das ein Sack oder eine Tüte, siehe Spalte 1, Zeile 5, mit mehreren Ecken sein kann, so am Tragarm angeordnet werden kann, dass eine Ecke nach unten ragt und eine Spitze bildet. Aus dem Begriff "mit nur einer Spitze ... nach unten ragt" kann allerdings nicht auf ein vollständiges Wegheben vom Boden geschlossen werden. Die Kammer schließt sich der Interpretation der Beschwerdegegnerin an, wonach, durch den oben genannten Ausdruck bestimmt wird, dass das Behältnis zwar spitz zuläuft, die Spitze selbst jedoch auf dem Boden aufliegt und somit mindestens teilweise abgeplättet ist oder gerade noch Kontakt mit dem Boden hat, da sonst der Einsatz der Vibrationseinrichtung 11 sinnlos wäre.

Überdies liefert die Formulierung "quasi kegelförmiges Behältnis" einen Hinweis darauf, dass der Behälter am Ende des nach oben Ziehens keinen idealen Kegel mit einer nach unten gerichteten punktförmigen oder nahezu punktförmigen Spitze ausbildet. In Spalte 4, Zeile 47 der D2 wird ausgeführt, dass sich mit dieser Vorrichtung das Behältnis nur nahezu vollständig, also nicht komplett, entleeren lässt. Die Tatsache, dass Restmaterial in dem Behältnis verbleibt, ist der Grund, warum nur ein quasi-kegelförmiges und kein wirklich kegelförmiges Behältnis am Ende der Entleerung entsteht, denn dieses Material bildet eine abgeflachte Bodenfläche, nämlich durch das Aufliegen auf der Platte 10.

Für die Argumentation der Beschwerdeführerin, dass die Bildung einer quasi kegelförmigen Spitze dadurch zu erklären ist, dass das Behältnis am Ende des Entleerungsvorganges die Form bzw. Breite des Saugrohres annehmen und daher aus der Abstelleinrichtung 10 vollständig abgehoben sein muss, findet sich in der Entgegenhaltung D2 kein Hinweis. Für die Argumentation der Beschwerdegegnerin, wonach die Form des Kegelstumpfes daher herrührt, dass das Behältnis am Ende des Entleerungsvorganges mit seiner Unterseite noch auf der Abstellplatte aufliegt, spricht der Einsatz der Vibrationseinrichtung 11, welcher ohne ein Aufliegen des Behältnisses auf der Abstelleinrichtung 10 ohne Wirkung wäre.

Die Kammer, der Argumentation der Beschwerdegegnerin folgend, schließt daraus, dass ein vollständiges Wegheben des Behältnisses 1 von der Abstellvorrichtung 10 in der Entgegenhaltung D2 auch nicht implizit offenbart ist.

Daher ist das Merkmal der Ansprüche 1 und 4 des Streitpatents, wonach das gesamte Behältnis mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben wird, in der Entgegenhaltung D2 nicht offenbart.

Aus diesem Grund erfüllt der Gegenstand des Anspruchs 1 bzw. 4 die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ.

4. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ

4.1 Das Verfahren gemäß dem Anspruch 1 bzw. 4 des Streitpatents unterscheidet sich von der Lehre der Entgegenhaltung D2, welche von der Kammer in Übereinstimmung mit den Parteien als nächstliegender Stand der Technik betrachtet wird, mindestens durch den Verfahrensschritt, wonach das gesamte Behältnis mit dem Schüttgutrest vom Boden weggehoben wird, siehe Punkt 3 oben.

4.2 Durch diesen Verfahrenschritt wird die Aufgabe gelöst, das Schüttgut möglichst gleichmäßig und vollständig aus dem Behältnis zu entleeren, siehe Absatz [0008] der Streitpatentschrift.

4.3 Für die in den Ansprüchen 1 und 4 vorgeschlagene Lösung der oben genannten Aufgabe, nämlich für die Weghebung des Behältnisses mit dem Schüttgutrest vom Boden, findet der Fachmann aus dem von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Stand der Technik aus folgenden Gründen, keine Anregung.

4.3.1 Der Entgegenhaltung D2 liegt die Aufgabe zugrunde, beim Fördern von in flexiblen Behältnissen gelagertem pulverartigen Material eine gleichmäßige Nachfüllung des Materials an der Ansaugstelle zu gewährleisten und eine vereinfachte Füllstandsüberwachung zu ermöglichen, siehe Spalte 1, Zeile 63 bis Spalte 2, Zeile 1 der Entgegenhaltung D2. Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin überein, dass der Entgegenhaltung D2 zu entnehmen ist, dass durch die Nach-Oben-Bewegung des Behältnisses, das im Behältnis aufgenommene Material über die Behältniswandung in Richtung zum Saugrohr gedrückt wird, so dass dessen Mündung bei ausreichend im Behältnis befindenden Materialmenge tief genug in dieser gelagert ist, siehe Spalte 3, Zeilen 7 bis 16 und Spalte 4, Zeilen 39 bis 41. Die Kammer bemerkt dazu, dass in den Zeilen 46 und 47 der Spalte 4 der Entgegenhaltung D2 folgendes angegeben ist: "So lässt sich das im Behältnis 1 gelagerte Material 2 nahezu vollständig aus dem Behältnis 1 absaugen" (Fettdruck von der Kammer eingeführt). Es kann daher gemäß der Entgegenhaltung D2 im Behältnis 1 immer eine Restmenge vom gelagerten Material vorhanden sein. Auf die Art und Weise wie ein vollständiges Absaugen des im Behältnis 1 gelagerten Materials erzielte wird, wird an keiner Stelle der Entgegenhaltung D2 eingegangen. Für die von der Beschwerdeführerin aufgestellte Behauptung, dass bei geringeren Schüttgutrestmengen der Fachmann das Behältnis automatisch vom Boden wegheben würde, um die Mündung des Saugrohrs in diese geringere Schüttgutrestmenge einzutauchen, fehlt in der Entgegenhaltung D2 jeglicher explizite oder implizite Hinweis.

Im Gegensatz zu der Behauptung der Beschwerdeführerin würde der Fachmann durch das allgemeine Fachwissen nicht dazu animiert sein, das Behältnis vom Boden wegzuheben, da er dadurch, im Gegensatz zu der Lehre der D2, die Wirkung der vorgesehenen Vibrationseinrichtung eliminieren würde.

4.3.2 Die Entgegenhaltung D3 betrifft eine Vorrichtung zum Halten und Entleeren eines Pulverbehälters. Als Vorteil dieser Vorrichtung ist angegeben, dass ein Beutel vollständig und ohne Reste entleert werden kann, siehe Spalte 2, Zeile 23 und 24. Zu diesem Zweck lehrt die D3 unter anderem, dass der Beutel 3 durch ein Halteelement 10 während der Entleerung angehoben wird, so dass der Beutel eine geneigte Stellung einnimmt, wobei sich der niedrigste Punkt innerhalb des Beutels diametral gegenüber des Ansatzpunktes des Halteelementes 10 befindet, siehe Spalte 3, Zeilen 5 bis 10. Im gleichen Absatz wird ferner angegeben, dass sich die Ansauglanze 11 bei einem anhaltenden Entleervorgang in die niedrigste Ecke des Beutels 3 bewegt, siehe Spalte 3, Zeilen 15 bis 16. Auch den Zeilen 30 bis 32 der Spalte 2 ist zu entnehmen, dass der Beutel eine geneigte Stellung annimmt, wobei sich der niedrigste Punkt an einer Ecke des Beutels befindet. Die angeführten Passagen deuten darauf hin, dass der Beutel so in das Halteelement eingespannt wird, dass sich im teilweise leeren Zustand eine Ecke gegenüber dem Halteelemente bildet, die den niedrigsten Punkt darstellt.

Dem Argument der Beschwerdeführerin, wonach aus den oben genannten Passagen der Fachmann erkennen würde, dass es einen einzelnen, niedrigsten Punkt nur dann geben kann, wenn der Beutel vollständig vom Boden abgehoben wird, kann sich die Kammer aus folgenden Gründen nicht anschließen. Erstens, es ist in der Entgegenhaltung D3 keine Information zu finden, dass dieser niedrigste Punkt des Beutels 3 nicht auf dem Boden des Behälters 2 liegen darf. Und Zweitens, da es sich hier um reale Gegenstände handelt, ist als niedrigster Punkt die niedrigste Ecke des Beutels, in der sich der Schüttgutrest sammelt und nicht ein einzelner, im geometrischen Sinne abstrakter, dimensionsloser Punkt zu verstehen. Somit ist die Kammer der Ansicht, dass ein vollständiges Abheben des Beutels 3 vom Boden des Behälters 2 in der Entgegenhaltung D3 weder explizit noch implizit offenbart ist.

4.3.3 Daher kann die Entgegenhaltung D2 weder in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen noch mit der Lehre der Entgegenhaltung D3 dem Fachmann mangels Vorbild oder Anregung eine Weghebung des gesamten Behältnisses mit dem Schüttgutrest lehren bzw. nahe legen.

4.3.4 Aus den o.g. Gründen beruht das Verfahren gemäß Anspruch 1 bzw. 4 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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