T 0604/05 () of 23.11.2007

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2007:T060405.20071123
Datum der Entscheidung: 23 November 2007
Aktenzeichen: T 0604/05
Anmeldenummer: 98963444.9
IPC-Klasse: B23B 5/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kurbelwelle Spanen + Härten + Spanen + Finishen
Name des Anmelders: BOEHRINGER WERKZEUGMASCHINEN GmbH
Name des Einsprechenden: Gebr. Heller
EMAG Maschinenfabrik GmbH
Hegenscheidt-MFD GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 10b(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 10b(3)
Schlagwörter: Hauptantrag - keine erfinderische Tätigkeit
Hilfsanträge 2-4 - Erfindung nicht ausführbar
Hilfsanträge 5 und 6 - nicht zugelassen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen die am 1. März 2005 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 030 755 widerrufen wurde, Beschwerde ein und beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß einem Hauptantrag und vier Hilfsanträgen.

II. Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende I, II und III) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

Zur Unterstützung ihrer Argumente wurde u.a. auf folgende Entgegenhaltungen Bezug genommen:

D33: "Feinbearbeitungsprozesse im Zentrum der Wertschöpfung", Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik, Technische Universität Braunschweig, 8. Internationales Braunschweiger Feinbearbeitungskolloquium, 24. - 26. April 1996, Leitung: Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. E. Westkämper

D34: Beiblatt zu DIN 4768 Teil 1

D35: Grundtoleranzen nach DIN ISO 286 für Nennmaße bis 3150 mm

D36: Vergrößerung der Fig. 1 des Streitpatents mit handschriftlichen Ergänzungen

III. In ihrer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Mitteilung äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung, wonach die "optimierte Prozesskette" in D33 zwar nur in Verbindung mit der Herstellung von Großkurbelwellen offenbart sei, es jedoch für einen Fachmann naheliege, dieses aus D33 bekannte Verfahren nach D33 auch auf PKW-Kurbelwellen anzuwenden.

IV. Mit ihrer Eingabe vom 23. Oktober 2007 reichte die Beschwerdeführerin eine neuen Hauptantrag und acht Hilfsanträge ein.

V. Mit Schreiben der Beschwerdegegnerin I vom 23. Oktober 2007 wurden folgende Entgegenhaltungen eingereicht:

D37: Qualität in der Fertigung Honen in Forschung und industrieller Anwendung, Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik, Technische Universität Braunschweig, 3. Fachtagung 27. und 28. September 1995, Leitung: Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. E. Westkämper

D38: Schulungsunterlage "Grundlagen der Formmesstechnik", 2006

D39: Stellungnahme vom 21.05.2007, Dr. rer. nat. Otto Jusko, Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Fachbereich Koordinatenmesstechnik, Braunschweig.

VI. Am 23. November 2007 wurde vor der Kammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin zog die bisherigen Hilfsanträge 5 bis 8 zurück und reichte die neuen Hilfsanträge 5 und 6 ein, welche jedoch nicht in das Verfahren zugelassen wurden. Sie beantragte schließlich die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung mit den Ansprüchen gemäß Hauptantrag oder den Hilfsanträgen 1 bis 4 eingereicht mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 oder gemäß den neuen Hilfsanträgen 5 und 6.

Die Beschwerdegegnerin III war, wie angekündigt, in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend. Die Beschwerdegegnerinnen I und II bestätigten ihre Anträge auf Zurückweisung der Beschwerde.

VII. Patentanspruch 1 des Hauptantrages lautet wie folgt:

"Verfahren zur verwendungsfähigen Fertigbearbeitung von PKW-Kurbelwellen, welche wenigstens teilweise einem Härtungsprozess unterworfen werden, wobei nach dem Urformen ein Materialabtrag höchstens durch spanende Bearbeitung mit bestimmter Schneide und anschließendes Finishen erfolgt, dadurch gekennzeichnet, dass die spanende Bearbeitung beendet wird, wenn

a) die Rundheitsabweichung kleiner als 60 mym, insbesondere kleiner also 40 mym, insbesondere kleiner also 10 mym ist,

b) die Durchmesserabweichung kleiner als 200 mym, insbesondere kleiner also 150 mym, insbesondere kleiner also 150 mym - als positive Abweichung bezogen auf die Sollkontur nach dem Finishen - ist, und

c) die Rauheit (Ra) weniger also 10 mym, insbesondere weniger als 6 mym, insbesondere weniger als 2 mym beträgt."

VIII. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist wortgleich mit dem gemäß Hauptantrag, mit folgendem Zusatz:

"und

d) bei der Übergabe von der spanenden Bearbeitung an das Finishen die Rundheitsabweichung der Lagerstelle kurzwellig mit mindestens 20, insbesondere mindestens 30 Wellentälern pro Umfang ist."

IX. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist wortgleich mit dem gemäß Hauptantrag mit folgendem Zusatz:

"und

d) bei der Übergabe von der spanenden Bearbeitung an das Finishen der Traganteil beim Aufdrücken einer ideal geformten Gegenfläche mit 0,10 N/mm**(2) zwischen 20% und 40%, insbesondere zwischen 25% und 35%, liegt."

X. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist gleich dem gemäß Hilfsantrag 1 mit folgendem Zusatz:

"und

e) bei der Übergabe von der spanenden Bearbeitung an das Finishen der Traganteil bei weniger als 50%, insbesondere weniger als 25% des Traganteiles, wie er sich nach dem Finishen ergibt, liegt."

XI. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 ist wortgleich mit dem gemäß Hauptantrag mit folgendem Zusatz:

"und

d) bei der Übergabe von der spanenden Bearbeitung an das Finishen der Traganteil beim Aufdrücken einer ideal geformten Gegenfläche mit 0,10 N/mm**(2) zwischen 20% und 40%, insbesondere zwischen 25% und 35%, liegt,

e) das Finishen mittels eines stillstehenden, gegen die rotierende Lagerfläche, insbesondere trocken angelegten, und relativ zur Lagerfläche oszillierenden Schleifmittels geschieht."

XII. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 ist wortgleich mit dem gemäß Hauptantrag mit folgendem Zusatz:

",

d) die spanende Bearbeitung in 2 Bearbeitungsstufen, (durch Vorspanen und Fertigspanen), durchgeführt wird,

e) das Vorspanen bei Mittellagern mittels Drehräumen und/oder Dreh-Drehräumen durchgeführt wird,

f) bei Hublagern das Vorspanen mittels Außenfräsen oder Drehfräsen, insbesondere in Form von Hochgeschwindigkeitsfräsen, durchgeführt wird."

XIII. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 ist wortgleich mit dem gemäß Hauptantrag mit folgendem Zusatz:

",

d) die spanende Bearbeitung in 2 Bearbeitungsstufen, (durch Vorspanen und Fertigspanen), durchgeführt wird

e) das Fertigspanen durch Außenfräsen, insbesondere in Form von Hochgeschwindigkeitsfräsen, erfolgt,

f) das Vorspanen bei Mittellagern mittels Drehräumen und/oder Dreh-Drehräumen durchgeführt wird,

g) bei Hublagern das Vorspanen mittels Außenfräsen oder Drehfräsen, insbesondere in Form von Hochgeschwindigkeitsfräsen, durchgeführt wird."

XIV. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag:

Weder die Merkmale a), b) und c) des Anspruchs 1 des Hauptantrags noch überhaupt ein Verfahren zur Fertigbearbeitung von PKW-Kurbelwellen seien D33 zu entnehmen.

Merkmale a) und b) sind aus den in D33 auf Seite 11.32 angegebenen Formtoleranzen nicht abzuleiten, weil diese Formtoleranzen nur für Großkurbelwellen gelten.

Bezüglich Merkmal c) an sich sei anzumerken, dass die Endrauheit von vielen Faktoren abhängt, insbesondere der Korngröße des Schleifmittels. In dieser Hinsicht offenbare D33 nur eine Rauheit von 0,1 mym nach dem Finishen, woraus keine zuverlässigen Aussagen über die vorhandene Rauheit nach der spanenden Bearbeitung gemacht werden könnten. Eine Rauheit nach der spanenden Bearbeitung, die deutlich mehr als 100-mal größer sei im Vergleich zur Rauheit nach dem Finishen, sei zudem plausibel. Der IT8 Qualitätswert in Bild 28, d.h. der IT Wert nach dem Drehfräsen, sei ein Genauigkeitswert und kein Rauheitswert. Die durch die Beschwerdegegnerin I aus dem IT8 Wert berechnete Rauheit sei völlig unzutreffend. D33 betreffe eine Prozesskette für eine Großkurbelwelle und nicht für PKW-Kurbelwellen, wie beansprucht. Eine für eine Großkurbelwelle relevante Offenbarung sei für den Fachmann keine Lehre für die Herstellung von PKW-Kurbelwellen, da die Herstellung dieser beiden Kurbelwellentypen sehr unterschiedlich sei. D33 betreffe weiterhin eine Prozesskette, bei der das Finishen nur besondere Vorteile für Großkurbelwellen mit sich bringe, die nicht unbedingt für kleinere Kurbelwellen zuträfen. Da aus D33 und z.B. D37 ersichtlich sei, dass ganz andere Finish-Verfahren für PKW-Kurbelwellen benutzt werden, könne der Fachmann aus den Prozessketten im Bild 28 der D33 keine Lehre für die Herstellung von PKW-Kurbelwellen ableiten. D33 offenbare zudem, dass das Ergebnis nicht verallgemeinert werden könne. Eine Übertragung dieser Prozesskette auf die Herstellung von PKW-Kurbelwellen sei nicht naheliegend und der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Das Wort "wenn" im Anspruch 1 habe nur die Bedeutung, dass die spanende Bearbeitung beendet wird, "sobald" die im Anspruch 1 angegebenen Grenzwerte erreicht werden, was in D33 nicht der Fall sei. Schon aus diesem Grund seien nicht alle kennzeichnenden Merkmale aus D33 entnehmbar.

Hilfsantrag 1:

Der Wortlaut des Anspruchs 1 "… kurzwellig mit mindestens 20 … Wellentälern pro Umfang" beziehe sich nur auf "signifikante" kurzwellige Wellentäler. Der Ausdruck "kurzwellig" sei klar für einen Fachmann und z.B. aus den Absätzen [0056] und [0022] des Patents entnehmbar. Die hohe Anzahl der Wellen in D37, Bild 7 und in D38, sei nicht die in Anspruch 1 angegebene Zahl, sondern das Ergebnis einer Spektral-Analyse und nicht die Anzahl der signifikanten Wellentäler. Die Wellentäler seien das Ergebnis eines bestimmten Hochgeschwindigkeitsverfahrens mit einem Fingerfräser wie in Absätzen [0026, 0027] des Patents beschrieben. Das Drehfräs-Verfahren in D33 sei nicht näher beschrieben; die Anzahl der signifikanten Wellentäler dort sei daher unbekannt.

Hilfsantrag 2:

Ein Einwand unter Artikel 83 EPÜ wegen des Wortlauts "… einer ideal geformten Gegenfläche" in Merkmal d) sei nicht berechtigt, da die ideale Form immer den Endzustand bedeute. Eine ideale Gegenfläche sei zudem eine relativ kleine Fläche. Falls Zweifel bestehen sollten, gingen die Testparameter aus Absätzen [0083, 0084] des Patents klar hervor. Die Traganteilsangabe im Anspruch 1 sei wichtig, weil sie zusammen mit der Rauheit eine besonders wirtschaftliche und damit auch erfinderische Merkmalskombination bestimme. Aus dem zitierten Stand der Technik sei der beanspruchte Traganteil nicht zu entnehmen.

Hilfsantrag 3:

Ein Einwand unter Artikel 83 EPÜ wegen der Angabe des Traganteils in Merkmal e) "weniger als 50% … des Traganteils, wie er sich nach dem Finishen ergibt,…" ohne zusätzlichen Angaben, sei unberechtigt, weil die gleiche Messmethode vor und nach dem Finishen benutzt werden müsse. Der anzuwendende Druck oder die Größe der Messfläche seien daher unerheblich.

Hilfsantrag 4:

Bezüglich Merkmal e) gelten die gleichen Argumente wie für Hilfsantrag Merkmal d).

Hilfsanträge 5 und 6:

Diese Anträge seien zwar spät vorgelegt worden, jedoch als Reaktion auf Einwände, die erst in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden.

XV. Die Beschwerdegegnerinnen brachten im wesentlichen folgende Argumente vor:

Hauptantrag:

Merkmale a) und b) seien aus den in D33 angegeben Formtoleranzen direkt abzuleiten. Diese für Großkurbelwellen angegebenen Formtoleranzen seien bei PKW-Kurbelwellen jedoch noch kleiner, weil weniger Material abgetragen werden müsse. Dies sei dem Fachmann bekannt.

Die Rauheit Ra vom 0,1 mym nach dem Finishen (siehe Seite 11.33 in D33) bedeute für den Fachmann zwingend eine Rauheit von weniger als 10 mym vor dem Finishen, d.h. nach der spanenden Bearbeitung. Das Merkmal c) sei daher in D33 implizit offenbart. Das Merkmal c) sei im übrigen konkret aus der IT8 Wert in D33 entnehmbar. Dieser Wert sei zwar ein Genauigkeits-, und kein Rauheitswert, aber selbst aus diesem Wert lasse sich eine Rauheit ableiten. Mittels D35 und D34 könne nämlich eine Rauheit gemäß DIN 4768 berechnet werden, die mit dem Bereich gemäß Merkmal c) übereinstimme. Die aus dem angegebenen IT-Wert berechnete Rauheit entspreche im wesentlichen auch den auf Seite 11.33 angegebene Maßgenauigkeiten von 25 mym. Es bestehe daher kein Zweifel, dass diese Berechnungsmethodik stimme.

D33 offenbare zudem eine spanende Bearbeitung, die auch für PKW-Kurbelwellen einzusetzen sei. Das in D33 angegebene Finishen offenbare zwar bestimmte Vorteile für Großkurbelwellen, aber dieses führe den Fachmann nicht von der in D33 angegeben spanende Bearbeitung von PKW-Kurbelwellen weg, weil in Anspruch 1 nur die spanende Bearbeitung und nicht das Finishen definiert sei. Für einen Fachmann sei es offensichtlich, dass die Drehfräs-Prozessketten in Bild 28 (Titel: "Toleranzvergleich verschiedener Kurbelwellenprozessketten") auf Seite 11.33 auch für PKW-Kurbelwellen einsetzbar seien. Auf Seite 11.34 seien sogar PKW-Kurbelwellen explizit offenbart, wenn auch mit der Angabe, dass Finish-Verfahren für Großkurbelwellen aus Kostengründen nicht für PKW-Kurbelwellen geeignet seien.

Die Behauptung der Beschwerdegegnerinnen, dass das Wort "wenn" als "sobald" zu verstehen sei, sei ohne Grundlage. Der Anspruch sei nicht enger auszulegen als das, was wörtlich beansprucht wird.

Das Verfahren gemäß D33 würde daher vom Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit auch auf PKW-Kurbelwellen angewendet. Das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ sei daher nicht erfüllt.

Hilfsantrag 1:

Die Angabe "kurzwellig" im Merkmal d) des Anspruchs 1 bestimme keine eindeutigen Grenzen, da die Wellenlänge nicht definiert und auch nicht aus allgemeinem Fachwissen bekannt sei. "Signifikante Wellentäler" seien weder im Anspruch 1 noch in der Beschreibung definiert. Wellentäler seien das direkte Ergebnis einer spanenden Bearbeitung und treten bei dem in D33 offenbarten Verfahren in unbestimmten Wellenlängen immer mit einer Zahl von über 20 auf. Dies belege z.B. die FFT-Analyse in D38 und Bild 7 der D37. Das Merkmal d) definiere daher gegenüber D33 nichts Neues.

Hilfsantrag 2:

Die "ideal geformte(n) Gegenfläche" des Merkmals d) des Anspruchs 1 sei unbestimmt. Da die Angabe der Form und der Größe dieser gekrümmten Fläche für die Messung des Traganteils unabdingbar sei, könne der Fachmann ohne diese Angaben die Erfindung nicht ausführen (Artikel 83 EPÜ). Auch die Die Beschreibung enthalte keine Angabe über die Form und die Größe dieser Fläche. Die Traganteilwerte "20% bis 40%" stellen sowieso keine erfinderische Leistung gegenüber D33 dar, weil der Traganteil nur von der auszuwählenden Messfläche abhängig sei.

Hilfsantrag 3:

Da in Anspruch 1 kein Messdruck für den Traganteil angegeben sei, sei ein sinnvoller Traganteil nicht feststellbar, da bei unterschiedlichen Messdrücken unterschiedliche Verhältnisse der Messwerten des Traganteils vor und nach dem Finishen entstehen würden. Die Erfindung könne daher nicht ausgeführt werden (Artikel 83 EPÜ).

Hilfsantrag 4:

Bezüglich Merkmal d) gelte der gleiche Einwand unter Artikel 83 EPÜ, der gegen Hilfsantrag 2 erhoben wurde.

Hilfsanträge 5 und 6:

Diese Anträge seien zu einem sehr späten Zeitpunkt im Verfahren vorgelegt worden, ohne dass sich die Sachlage wesentlich geändert hätte. Dieses sei den Beschwerdegegnerinnen nicht zuzumuten.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag

Das Wort "wenn" im Anspruch 1 kann als "sobald" i.S. von "zu dem Zeitpunkt, an dem zum ersten Mal alle drei Werte im jeweils beanspruchten Bereich liegen" verstanden werden, oder als nicht zeitlich definierte Bedingung in dem Sinne, dass irgendein Wert im jeweiligen Bereich gegeben sein muss. Beide Bedeutungen sind für Anspruch 1 technisch sinnvoll. Daher ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin der Ausdruck "wenn" nicht auf die Bedeutung "sobald" eingeschränkt.

Das spanende Bearbeitungsverfahren der D33 benutzt eine Drehfräsmaschine zur Vorbearbeitung der Lagerstellen. Wie auf Seite 11.32 (Mitte) offenbart, haben die Lagerstellen nach der Vorbearbeitung (d.h. vor dem Finishen) eine Formtoleranz von 20 mym bis 30 mym. Aus diesen Toleranzen lassen sich die Rundheitsabweichung und die Durchmesserabweichung berechnen. Diese Abweichungen liegen innerhalb der Abweichungsbereiche der Merkmale a) und b) des Anspruchs 1. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Streitig in dieser Hinsicht ist allerdings, ob diese Toleranzen für PKW-Kurbelwellen gelten, da sie nur für Großkurbelwellen offenbart seien. Die Kammer ist dazu der Auffassung, dass tatsächlich bei kleineren Kurbelwellen die Formtoleranzen normalerweise viel näher an den zu erzielenden Endmaßen liegen müssen. Folglich ist aus den in D33 angegebenen Formtoleranzen für Großkurbelwellen zu entnehmen, dass die Toleranzbereiche der Merkmale a) und b) auch für PKW-Kurbelwellen gelten.

Bezüglich Merkmal c) offenbart das Bild 28 in D33, dass nach dem Drehfräsen ein Genauigkeitswert IT8 erreicht wird. Obwohl der Genauigkeitswert nicht der Rauheit gleichzusetzen ist, lässt sich letztere aus dem Genauigkeitswert ableiten, und zwar als der Wert für die größtmöglichste Rauheit, die dem jeweiligen Genauigkeitswert zuzuordnen ist (d.h. der für die Beschwerdegegnerinnen ungünstigste Fall). In Übereinstimmung mit den Aussagen der Beschwerdegegnerinnen lässt sich mittels der Genauigkeitstabelle D35 und der Konvertierungstabelle D34 eine Rauheit gemäß DIN 4768 berechnen, die im Bereich von 3,15 bis 12,5 mym liegt, d.h. in dem gemäß Merkmal c). Diese Berechnungsmethode wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten.

Als einziger Unterschied des Verfahrens nach Anspruch 1 gegenüber D33 bleibt dann die Bearbeitung von PKW-Kurbelwellen statt Großkurbelwellen.

D33, Seite 11.33, vierter Absatz, offenbart in Bezug auf Großkurbelwellen folgendes: "Sind die Randbedingungen an Abmessungen, Anforderungen, Gewicht usw. andere, so kann auch eine andere Prozeßkette entstehen." Ausgehend von D33 ist daher die zu lösende Aufgabe der Erfindung, ein geeignetes Verfahren für Werkstücke mit anderen Randbedingungen zu realisieren.

D33 offenbart auf Seite 11.31 letzter Absatz bis Seite 11.34 erster Absatz die Herstellung von Großkurbelwellen. Insbesondere sind die Vorteile bei deren Finishbearbeitung angegeben. Die Offenbarung von PKW-Kurbelwellen auf Seite 11.34 bezieht sich allerdings nicht direkt auf die Großkurbelwellenherstellung. Dem Fachmann, der sich mit der Kurbelwellenbearbeitung beschäftigt, ist jedoch allgemein bekannt, dass spanende Bearbeitungsmethoden für Großkurbelwellen sich prinzipiell nicht von bei kleinen Kurbelwellen angewandten Verfahren unterscheiden und somit auch bei PKW-Kurbelwellen eingesetzt werden können. Der Hinweis auf PKW-Kurbelwellen auf Seite 11.34 des gleichen Dokuments wird vom Fachmann so verstanden, dass nur das bei Großkurbelwellen angewandte Finish-Verfahren für PKW-Kurbelwellen ungeeignet sei. D33 erwähnt nämlich: "Für kleinere Wellen wird sich das Konzept mit dem geteilten Werkzeugring nicht durchsetzten, weil hier auch andere preiswertere Lösungen möglich sind." Dass hingegen das spanende Bearbeitungsverfahren gemäß der optimierten Prozesskette für Großkurbelwellen (siehe z.B. Bild 26 auf Seite 11.32) sich sehr wohl für PKW-Kurbelwellen eignet, ist für den Fachmann offensichtlich. Er würde eine PKW-Kurbelwelle, d.h. ein Werkstück mit anderen Randbedingungen, mit einem Drehfräs-Verfahren gemäß D33 bearbeiten und damit zwangsläufig die Toleranzbereiche gemäß der Merkmale a), b) und c) des Anspruchs 1 miteinbeziehen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und erfüllt nicht das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ.

2. Hilfsantrag 1

Im Anspruch 1 ist die Auslegung des Wortes "kurzwellig" von Bedeutung. Die von der Beschwerdeführerin zitierten Textstellen (Absätze [0022],[0026, 0027] und [0056]) geben jedoch keine nähere Definition von kurzwelligen Wellentälern und es findet sich auch keine andere diesbezüglich relevante Passage. Für die Auslegung der Beschwerdeführerin, dass nur "signifikante" kurzwellige Wellentäler gezählt werden sollen, gibt es keine Grundlage, da einerseits eine derartige Offenbarung in der Beschreibung nicht vorhanden ist und andererseits auch keine Angaben zu entnehmen sind, welche kurzwellige Wellen bei der Rundheitsabweichung als "signifikant" angesehen werden müssen und welche nicht. Das Wort "kurzwellig" ist deswegen breit auszulegen.

Durch eine drehend-spanende Bearbeitung einer Welle entsteht zwangsläufig eine Mehrzahl von Wellen und Wellentälern, in immer abnehmenden Größen. Dieses ist dem Fachmann allgemein bekannt und auch aus D37 (siehe z.B. Ausgangsspektrum, Bild 7) entnehmbar. Eine Erklärung hierfür findet sich z.B. in D38 (siehe z.B. 1.2.18 und 4.3.5 ff). Die gemessene Zahl der Wellentäler hängt allein von den gewählten Größen der Wellen oder der Wellenlänge ab: Je kleiner diese Randbedingungen gewählt werden, desto größer ist die gemessene Anzahl der Wellen. Das Merkmal d) des Anspruchs 1 tritt daher bei einer drehgefrästen PKW-Kurbelwelle zwangsläufig auf.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags beruht somit aus den gleichen Gründen wie Anspruch 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ ist daher nicht erfüllt.

3. Hilfsantrag 2

In Anspruch 1 ist einen Traganteil von 20% bis 40% "beim Aufdrücken einer ideal geformten Gegenfläche" angegeben. Weder die Form noch die Größe der Gegenfläche ist definiert, noch wie das Wort "ideal" zu verstehen ist. Ohne diese Angaben ist kein Wert für den Traganteil bestimmbar, weil bei der Messung einer zylindrischen Fläche (in diesem Fall einer Welle) die Kontaktfläche u.a. von der Form abhängig ist. Der Wert des Traganteils gemessen z.B. mit einer langen, dünnen Gegenfläche wäre verschieden von dem Wert, der sich bei einer Messung mit einer kurzen, breiten Gegenfläche ergibt.

Die Beschwerdeführerin machte geltend, die ideale Fläche sei die Fläche nach dem Finishen. Selbst wenn dies so wäre (was nicht nachgewiesen wurde), änderte dies nichts daran, dass die Länge und die Breite einer derartigen idealen Fläche unbestimmt blieben. Im übrigen kann dann kaum von einer "ideal geformte Gegenfläche" die Rede sein. Die Krümmung der Fläche nach dem Finishen ist nämlich eine andere als vor dem Finishen.

Der Fachmann könnte somit die Erfindung gemäß Anspruch 1 nicht ausführen, weil er auf eine unbestimmte Gegenfläche angewiesen ist. Die Erfordernisse des Artikels 83 EP sind daher nicht erfüllt. Da derartig gemessene Werte hier von einer undefinierten Gegenfläche bestimmt werden, können sie auch nichts zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruch 1 beitragen (Artikel 56 EPÜ).

4. Hilfsantrag 3

Im Anspruch 1 wird ein Traganteil bei der Übergabe nach der spanenden Bearbeitung definiert, der im Verhältnis zum Traganteil nach dem Finishen steht. Selbst wenn die gleiche Messmethode vor und nach dem Finishen verwendet würde - was im Anspruch 1 allerdings nicht festgelegt ist - ist der anzuwendende Druck nicht angegeben. Es ist jedoch eindeutig, dass ein Druck von z.B. 0.2 N/mm**(2) nach der spanenden Bearbeitung (kleiner Traganteil daher große Elastizität) und nach dem Finishen ein Verhältnis mit einem größeren Wert gibt im Vergleich zu dem Verhältnis mit 0.1 N/mm**(2) Anpressdruck, weil die Messung nach dem Finishen nur wenig vom angewendeten Druck abhängt (grosser Traganteil mit wenig Elastizität). Ohne die Angabe eines Drucks kann der Fachmann keine aussagfähigen Werte messen. Das Erfordernis des Artikel 83 EPÜ ist daher nicht erfüllt, weil die für die Bestimmung des im Anspruch 1 angegebenen Verhältnisses erforderlichen Druckangaben fehlen.

5. Hilfsantrag 4

Die Einwände gegen Merkmal d) des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 gelten aus denselben Gründen für Merkmal d) des Anspruchs 1 des vierten Hilfsantrags. Hilfsantrag 4 ist somit nicht gewährbar.

6. Hilfsanträge 5 und 6

Diese Anträge lagen der Kammer und den Beschwerdegegnerinnen erst sehr spät vor, nämlich nach Erörterung aller vorgängigen Anträge in der mündlichen Verhandlung. Die Änderungen in Anspruch 1 des jeweiligen Antrages waren ersichtlich nicht in Berücksichtigung der Ergebnisse der Erörterungen in der Verhandlung vorgenommen worden: Die neu aufgenommenen Merkmale beschränken sich auf einige spanende Bearbeitungsschritte, die nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahren waren; auch sind sie nicht offensichtlich ("prima facie") geeignet, zumindest die Ansprüche des angegriffenen Patents in eine gewährbare, weil allen Erfordernissen des EPÜ genügende, Fassung zu bringen.

Unter diesen Umständen hätten diese Anspruchsänderungen Fragen aufgeworfen, deren abschließende Behandlung in der laufenden mündlichen Verhandlung der Kammer und den Beschwerdegegnerinnen nicht zuzumuten, bzw. überhaupt nicht mehr möglich war. Daher hat die Kammer in Ausübung des ihr in den Artikeln 10b(1) und 10b(3) der Verfahrensordnung eingeräumten Ermessens diese Anträge nicht ins Verfahren zugelassen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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