T 0208/05 () of 19.3.2008

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2008:T020805.20080319
Datum der Entscheidung: 19 März 2008
Aktenzeichen: T 0208/05
Anmeldenummer: 00927123.0
IPC-Klasse: H04N 5/44
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VORRICHTUNG ZUM AUFBEREITEN VON DIGITALEN BILDDATEN
Name des Anmelders: Imaging Solutions AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 113
European Patent Convention 1973 R 86
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

siehe Punkte 7-12

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 00 927 123.0.

II. Im Prüfungsverfahren reichte der Anmelder mit Schreiben vom 11. Oktober 2002 geänderte Anmeldungsunterlagen in Beantwortung eines Bescheids der Prüfungsabteilung ein. In der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung am 20. Januar 2004 legte der Anmelder neue Patentansprüche vor, welche die Zustimmung der Prüfungsabteilung fanden. Mit Schreiben vom 30. Januar 2004 reichte der Anmelder erneut geänderte Unterlagen gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag ein.

III. Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag hat folgenden Wortlaut.

"Vorrichtung (1) zum Aufbereiten von digitalen Bilddaten mit

- einem Empfangsmittel (3; 12) zum Empfangen von Bilddaten mehrerer Bilder und

- mehreren Steuermitteln (SV1, ..., SVX, ..., SVN) zum Verarbeiten der Bilddaten,

dadurch gekennzeichnet, daß die Vorrichtung (1)

- ein Verteilmittel (3; 12) zum Verteilen der empfangenen Bilddaten der mehreren Bilder an die mehreren Steuermittel (SV1, ..., SVX, ..., SVN) aufweist und

- ein Netzwerk (10) aufweist, über das wenigstens zwei Steuermittel miteinander verbindbar sind, wobei durch das Netzwerk (10) mehrere unterschiedliche Verarbeitungsstufen (F11, F12, ..., FX1, FX2, ..., FN1, FN2) der wenigstens zwei Steuermittel miteinander verbunden werden können."

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag hat identischen Wortlaut und weist am Ende das folgende zusätzliche Merkmal auf:

"… verbunden werden können, unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren Steuermitteln vorhanden sind."

IV. Mit Bescheid vom 15. Juni 2004 teilte die Prüfungsabteilung dem Anmelder Gründe mit, warum sie den Änderungen nach Regel 86 (3) EPÜ 1973 nicht zustimme.

V. Mit Schreiben vom 11. August 2004 brachte der Anmelder Argumente vor, warum die Prüfungsabteilung den Änderungen ihre Zustimmung geben solle.

VI. Die Begründung in der angefochtenen Entscheidung kann wie folgt zusammengefasst werden.

Der Anmelder habe während des Prüfungsverfahrens mehrfach Gelegenheit gehabt, die Anmeldungsunterlagen zu ändern. Insbesondere sei in der mündlichen Verhandlung ein Hauptantrag eingereicht worden, der von der Prüfungsabteilung als gewährbar angesehen worden sei. Der Anmelder habe nach der mündlichen Verhandlung erneut geänderte Patentansprüche gemäß Haupt- und Hilfsantrag eingereicht und nach Erlass der Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ 1973 mit einer Eingabe vom 29. März 2004 erklärt, mit dem als gewährbar angesehenen Hauptantrag nicht einverstanden zu sein. Der nach der mündlichen Verhandlung eingereichte Patentanspruch 1 sei gegenüber dem als gewährbar erachteten Patentanspruch 1 erheblich verändert und verallgemeinert. Insbesondere sei das Merkmal gestrichen worden, dass das Netzwerk zwischen den jeweils n-ten und [n + 1]-ten Verarbeitungsstufen wenigstens zweier Steuermittel angeordnet sei. Die substanziellen Änderungen wären deshalb zu prüfen, ob sie Unklarheiten oder Erweiterungen mit sich bringen, und ob der Gegenstand des geänderten Patentanspruchs 1 noch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Änderungen würden somit die Patenterteilung erheblich verzögern. Es sei vor der mündlichen Verhandlung ausreichend Zeit gewesen, geeignete Änderungen mit dem Erfinder zu besprechen, denn die Einwände der Prüfungsabteilung seien bereits vorher erhoben worden. Entscheidend sei, dass die Änderungen nach Abschluss der mündlichen Verhandlung eingereicht worden seien. Unter Berücksichtigung der bisherigen Länge des Verfahrens, der bisherigen Änderungsmöglichkeiten und nach Abwägung der Interessen des Anmelders und der Verfahrensökonomie habe die Prüfungsabteilung entschieden, den Änderungen gemäß Regel 86 (3) EPÜ 1973 nicht zuzustimmen. Somit liege keine Fassung der Anmeldung vor, die der Anmelder gebilligt und die Prüfungsabteilung für gewährbar befunden habe (Artikel 113 (2) EPÜ 1973), weshalb die Anmeldung zurückgewiesen werde.

VII. Der Beschwerdeführer argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Der geänderte Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag weise nur kleinere Änderungen im Sinne der Richtlinien (C-VI, 4.7) auf und bedinge keine ungerechtfertigte Mehrarbeit, da weder neuer Stand der Technik recherchiert werden, noch die Argumentation für Neuheit und erfinderische Tätigkeit grundlegend überarbeitet werden müsse. Es sei hier zwischen der Bedeutung der Änderung für den Anmelder und der Bedeutung für das Prüfungsverfahren zu unterscheiden. Das Merkmal "zwischen den jeweils n-ten und [n + 1]-ten Verarbeitungsstufen" im Patentanspruch 1 des alten Antrags hätte eine erhebliche Einschränkung des Schutzumfangs bewirkt. Die Streichung dieses Merkmals wirke sich jedoch nicht in der von der Prüfungsabteilung behaupteten Weise auf das Prüfungsverfahren aus und sei im Hinblick auf das Prüfungsverfahren keine substanzielle Änderung. Die Bedeutung der Einschränkung habe sich erst bei einem Gespräch mit dem Erfinder nach der mündlichen Verhandlung herausgestellt. Gemäß der Entscheidung G 7/93 sollten kleinere Änderungen, die den Erlass eines Erteilungsbeschlusses nicht nennenswert verzögern, sogar nach Erlass der Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ 1973 noch zugelassen werden. Das gelte erst recht für die abgelehnten Änderungsanträge, welche bereits vor Erlass der Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ 1973 eingereicht worden seien. Die Interessen des Anmelders seien auf eine schnelle Erteilung der geänderten Patentansprüche gerichtet, so dass schwer verständlich sei, dass die Prüfungsabteilung nach Abwägung der Interessen des Anmelders und der Verfahrensökonomie die geänderten Patentansprüche nicht zugelassen habe. Aus verfahrensökonomischer Sicht sei die Ablehnung der Änderungen mit Bescheid, Entscheidung und Einschaltung eines Beschwerdeverfahrens nicht sinnvoller als das Prüfen der Frage, ob die geänderten Patentansprüche noch ausreichend vom bereits recherchierten Stand der Technik abgegrenzt seien.

VIII. In einer Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung teilte die Kammer ihre vorläufige Ansicht mit, dass die Prüfungsabteilung in Anbetracht der angewandten Kriterien ihr Ermessen nach Regel 86 (3) EPÜ 1973 pflichtgemäß ausgeübt habe. Die Beschwerdebegründung enthalte keine Begründung, warum die augenscheinlich substanziellen Änderungen keine Überarbeitung der Argumentation zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit notwendig machten und die Patenterteilung nicht verzögerten.

IX. Der Beschwerdeführer hat auf die Mitteilung der Kammer nicht geantwortet.

X. Am 19. März 2008 fand in Anwendung von Regel 71 (2) EPÜ 1973 die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Beschwerdeführers statt. Die zugelassene Vertreterin hatte vor Beginn der mündlichen Verhandlung telefonisch bestätigt, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten sein werde. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

XI. Der Beschwerdeführer beantragte in der Beschwerdebegründung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, ein Patent zu erteilen und die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die angefochtene Entscheidung ist begründet im Sinne der Regel 111 (2) EPÜ (siehe Punkt VI oben). Die Kammer sieht auch keinen anderen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von Artikel 11 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (ABl. EPA 2007, 536), der für eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz sprechen würde.

3. "Nach Erhalt des ersten Bescheids der Prüfungsabteilung kann der Anmelder von sich aus die Beschreibung, die Patentansprüche und die Zeichnungen einmal ändern, sofern die Änderung gleichzeitig mit der Erwiderung auf den Bescheid eingereicht wird. Weitere Änderungen können nur mit Zustimmung der Prüfungsabteilung vorgenommen werden" (Regel 86 (3) EPÜ 1973, Hervorhebung durch die Kammer).

4. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die nach der mündlichen Verhandlung eingereichten Patentansprüche "[w]eitere Änderungen" im Sinne der Regel 86 (3) EPÜ 1973 darstellen. Somit hatte die Prüfungsabteilung ein Ermessen, diesen weiteren Änderungen ihre Zustimmung zu verweigern. Auch der Beschwerdeführer hat nicht bestritten, dass die Voraussetzungen für die Ausübung dieses Ermessens gegeben waren.

5. Wie die Prüfungsabteilung ihr Ermessen bei der Zulassung von Änderungen ausübt, muss sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls und danach richten, in welchem Stadium des Erteilungsverfahrens sich die Anmeldung befindet (siehe G 7/93, ABl. EPA 1994, 775, Punkte 2.2 bis 2.6 der Entscheidungsgründe, aufgegriffen in der "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 5. Auflage, Dezember 2006, VII.B.3.4 und VII.D.6.6).

6. Es ist unter diesen Umständen nicht Aufgabe der Kammer, die Sachlage des Falls nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen. Vielmehr ist zu prüfen, ob die Prüfungsabteilung beim Ausüben ihres Ermessens im gegebenen Fall allen rechtserheblichen Faktoren Rechnung getragen hat. Nur wenn die Prüfungsinstanz ihr Ermessen nicht nach den richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt hat und damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat, sollte sich die Kammer über die Art und Weise hinwegsetzen, in der die Prüfungsabteilung ihr Ermessen ausgeübt hat (siehe G 7/93, loc. cit.).

7. Im vorliegenden Fall befand sich das Erteilungsverfahren bereits in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium, als die nicht zugelassenen Änderungen eingereicht wurden (siehe Punkt II oben). Denn der Anmelder hatte vorher schon mehrfach Gelegenheit gehabt, Änderungen einzureichen. Zudem hatte die Prüfungsabteilung zuletzt in der mündlichen Verhandlung ihre Zustimmung zu weiteren Änderungen gegeben und eine Erteilung des Patents mit diesen Änderungen in Aussicht gestellt.

7.1 Der Anmelder hatte also Gelegenheit gehabt, die nicht zugelassenen Änderungen in einem früheren Verfahrensstadium einzureichen, beispielsweise rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung.

7.2 Diesbezüglich ist das Argument des Beschwerdeführers, die Bedeutung der Einschränkung der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Änderungen habe sich erst bei einem Gespräch mit dem Erfinder nach der mündlichen Verhandlung herausgestellt, nicht überzeugend. Denn es erklärt nicht, warum ein Gespräch mit dem Erfinder nicht früher, beispielsweise in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hätte geführt werden können.

7.3 Somit hat die Prüfungsabteilung bei der Ausübung ihres Ermessens das erreichte Verfahrensstadium in angemessener Weise berücksichtigt.

8. Das Weglassen von Merkmalen aus als gewährbar erachteten Patentansprüchen stellt häufig nicht nur eine Erweiterung des beanspruchten Schutzbereichs dar, sondern wirft regelmäßig auch neue Fragen hinsichtlich der Klarheit und Gewährbarkeit der geänderten Patentansprüche auf.

8.1 Im vorliegenden Fall ist augenscheinlich, dass es sich bei den nicht zugelassenen Änderungen nicht um "kleinere Änderungen" handelt (Argument des Beschwerdeführers), sondern um substanzielle Änderungen, die eine Wiederaufnahme der Sachprüfung notwendig machen würden. Insbesondere ist das Weglassen des Merkmals, "wobei das Netzwerk zwischen den jeweils n-ten und [n + 1]-ten Verarbeitungsstufen wenigstens zweier Steuermittel angeordnet ist, wobei n größer oder gleich 1 ist" im Patentanspruch 1 sowohl des Haupt- als auch des Hilfsantrags gegenüber der Fassung des Patentanspruchs 1, der von der Prüfungsabteilung als gewährbar angesehen worden war, offensichtlich eine substanzielle Änderung. Denn dieses Merkmal stellt nicht nur eine erhebliche Einschränkung des Schutzumfangs dar, sondern legt auch Merkmale der Vorrichtung fest, die wegen der Anordnung des Netzwerks und der Verarbeitungsstufen einen Einfluss auf die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit haben können.

8.2 Diesbezüglich hat der Beschwerdeführer für die Behauptung, es liege im Hinblick auf das Prüfungsverfahren keine substanzielle Änderung vor, keine Begründung vorgetragen, die diesen Bedenken Rechnung trägt.

8.3 Somit hat die Prüfungsabteilung bei der Ausübung ihres Ermessens auch die Verfahrensökonomie in angemessener Weise berücksichtigt.

9. Aus der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass die Prüfungsabteilung bei der Ausübung ihres Ermessens die Interessen des Anmelders gegen die Verfahrensökonomie abgewogen hat (siehe Punkt VI oben). Sie hat sich also an den Faktoren orientiert, denen Rechnung zu tragen ist (siehe Punkt 5 oben).

10. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, das Interesse des Anmelders an einer raschen Erteilung mit den nicht zugelassenen Änderungen wäre bei neuerlicher Prüfung durch die Prüfungsabteilung eher gewahrt worden als bei Ablehnung der Änderungen durch die Prüfungsabteilung und anschließendem Beschwerdeverfahren, beruht auf einer Spekulation über den weiteren Gang des Prüfungsverfahrens, wenn die Prüfungsabteilung ihr Ermessen anders ausgeübt hätte und die Prüfung tatsächlich zu einer Erteilung geführt hätte.

11. Der Beschwerdeführer hat keine weiteren rechtserheblichen Faktoren angeführt, denen die Prüfungsabteilung hätte Rechnung tragen müssen.

12. Da auch die Kammer keine solchen Faktoren sieht, ist sie auf Grund der in den Abschnitten 7 bis 10 oben angeführten Überlegungen der Überzeugung, dass die Prüfungsabteilung bei der Ausübung ihres Ermessens allen rechtserheblichen Faktoren Rechnung getragen hat und ihr Ermessen nach Regel 86 (3) EPÜ 1973 pflichtgemäß und rechtsfehlerfrei ausgeübt hat.

13. Weder hat der Beschwerdeführer (außer der vermeintlich fehlerhaften Ausübung des Ermessens nach Regel 86 (3) EPÜ 1973) einen anderen wesentlichen Verfahrensmangel genannt, noch sieht die Kammer einen solchen Mangel. Für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ 1973 gibt es daher keine Grundlage.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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