T 1283/04 (Stabilisierung biologischer Materialien/ROCHE DIAGNOSTICS) of 25.11.2008

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2008:T128304.20081125
Datum der Entscheidung: 25 November 2008
Aktenzeichen: T 1283/04
Anmeldenummer: 96934811.9
IPC-Klasse: A61K 9/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Zubereitungen und Verfahren zur Stabilisierung biologischer Materialien mittels Trocknungsverfahren ohne Einfrieren
Name des Anmelders: Roche Diagnostics GmbH
Name des Einsprechenden: Nektar Therapeutics
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(3)
Schlagwörter: Hauptantrag, 1. und 2. Hilfsantrag - Neuheit (nein): alle Verfahrensparameter vorweggenommen
3. Hilfsantrag: Zurückverweisung (ja): Neuer Gegenstand
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 96 934 811.9 basiert auf dem Aktenzeichen PCT/EP96/04627 und wurde in Form der WO 97/15288 veröffentlicht. Sie wurde dann als europäisches Patent Nr. 0 857 060 mit 27 Ansprüchen erteilt.

II. Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 16 des erteilten Patents hatten folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Herstellung von trockenen, teilamorphen Produkten. die neben einer oder mehreren Substanzen der Gruppen Proteine, Humanpeptide, Glycoproteine. Lipoproteine, Enzyme, Coenzyme, Antikörper. Antikörperfragmente, Viren. Virusbestandteile. Zellen und Zellbestandteile, Vaccine, DNA, RNA. PNA, und deren Derivate Substanzgemische enthalten, wobei die Substanzgemische ausgewählt sind aus je mindestens einer Substanz der Gruppe

(i) Kohlenhydrat oder Zwitterion mit polarem Rest und deren Derivate. und

(ii) Zwitterion mit apolaren Rest und dessen Derivate,

dadurch gekennzeichnet, daß eine Lösung aus einer oder mehreren Substanzen der Gruppen Proteine, Humanpeptide. Glycoproteine, Lipoproteine, Enzyme, Coenzyme, Antikörper, Antikörperfragmente, Viren, Virusbestandteile, Zellen und Zellbestandteile, Vaccine, DNA, RNA, PNA, und deren Derivate und der Substanzen (i) und (ii) hergestellt wird und die Lösung ohne Einfrieren der Lösung getrocknet wird.

16. Substanzgemische erhältlich nach einem Verfahren, nach einem der Ansprüche 1-14."

(Diese Patentansprüche wurden übernommen, wie sie in der Patentschrift abgedruckt sind. Es fanden keine Korrekturen statt, auch nicht von offensichtlichen Druckfehlern.)

III. Die Einsprechende hat mit der Begründung Einspruch eingelegt, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht neu und ergäbe sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Artikel 100 a) EPÜ); außerdem offenbare das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne (Artikel 100 b) EPÜ).

IV. Die folgenden Entgegenhaltungen wurden unter anderen im Einspruchsverfahren und im anschließenden Beschwerdeverfahren genannt:

(1) WO-A-95/31479 (Artikel 54 (3) EPÜ)

(2) WO-A-96/32149 (Artikel 54 (3) EPÜ)

(3) WO-A-95/24183

(4) EP-A1-0 444 692

(5) EP-A1-0 520 748

(6) WO-A-96/15849 (Artikel 54 (3) EPÜ)

(7) DE-A1-42 42 863 (Entgegenhaltung Nr. (4) im Prüfungsverfahren)

V. Die Einspruchsabteilung hat mit der unter dem Datum vom 17. August 2004 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung nach Artikel 102 (3) und 106 (3) EPÜ 1973 festgestellt, dass das Patent unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des Übereinkommens genüge.

Gegenstand der Entscheidung der Einspruchsabteilung im Sinne einer beschränkten Aufrechterhaltung ist der Hilfsantrag II, wie er in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorlag und im Verlauf dieser mündlichen Verhandlung abgeändert wurde. In ihm war gegenüber dem erteilten Patent im Wesentlichen der Schritt der Vakuumtrocknung aus dem erteilten Unteranspruch 6 aufgenommen worden und der erteilte Sachanspruch 15 war gestrichen worden.

Die Einspruchsabteilung führte zunächst aus, dass die im erteilten Patent offenbarte Lehre in der nach dem geänderten Hilfsantrag II beanspruchten Form - trotz vorhandener Zweifel - basierend auf der Rechtsprechung in ähnlichen Fällen, als formal klar angesehen werde und dass sie für den Fachmann unter anderem angesichts der in der Streitpatentschrift dargestellten Beispiele ausführbar sei.

Die Neuheit der Gegenstände der unabhängigen Patentansprüche des geänderten Hilfsantrags II gegenüber den Entgegenhaltungen (1) und (2) sei gegeben, da nicht zwingend alle streitpatentgemäßen Komponenten enthalten seien, beziehungsweise weil kein Vakuumtrocknungsverfahren vorgeschlagen werde.

Beide Entgegenhaltungen waren nicht vorveröffentlicht und daher für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht heranzuziehen.

Die Einspruchsabteilung ging davon aus, dass die dem Streitpatent in der verteidigten Fassung zugrunde liegende technische Aufgabe in der Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung lagerstabiler Zubereitungen von biologisch aktiven Substanzen sowie entsprechenden Produkten liege.

Die nach dem streitpatentgemäßen Lösungsvorschlag dazu erforderliche Zugabe von bestimmten Substanzen (i) und (ii) und die Anwendung der Vakuumtrocknung ohne Einfrieren der Lösung sei jedoch auch in der Zusammenschau der weiteren im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen (3) bis (5) nicht nahegelegt.

Auch die Herstellbarkeit von stabilen Produkten der beanspruchten Art sei auf der Basis dieser Entgegenhaltungen nicht vorhersehbar gewesen.

VI. Die Einsprechende (im Weiteren als Beschwerdeführerin bezeichnet) hat gegen diese Entscheidung Beschwerde erhoben.

VII. Mit Bescheid vom 07. März 2008 wurde seitens der Beschwerdekammer darauf hingewiesen, dass möglicherweise Probleme mit der Gültigkeit der Priorität und mit der konsistenten Benutzung von Begriffen, wie dem der "Substanzgemische" gegeben sein könnten. Zudem könnte die Verwendung von Zusätzen wie "und Derivate" in Substanzlisten zu Problemen im Hinblick auf die Nacharbeitbarkeit unter Artikel 100 b) beziehungsweise unter Artikel 83 EPÜ führen.

Außerdem wurde insbesondere angesichts der von der Beschwerdeführerin schon angesprochenen Breite der Produktansprüche und hinsichtlich der bereits von der Einspruchsabteilung in der Ladung zu ihrer mündlichen Verhandlung geäußerten Zweifel an der Neuheit dieser Produktansprüche die Entgegenhaltung (6) eingeführt.

Zusätzlich wurde darauf hingewiesen, dass in verschiedenen Entgegenhaltungen aus dem Prüfungsverfahren bereits analoge Dreistoffgemische beschrieben seien und dass nach Beseitigung der beschriebenen, möglicherweise vorhandenen Mängel zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit ein Vorteil gegenüber dem nächstkommenden Stand der Technik dargelegt werden müsse.

VIII. Mit Schreiben vom 25. September 2008 reichte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) daraufhin in Ergänzung des bestehenden Hauptantrags die Hilfsanträge I bis IV ein. Im Übrigen beantragte sie die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz, falls die Kammer das von ihr eingeführte Dokument (6) als relevant erachten sollte.

IX. Am 25. November 2008 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in deren Verlauf die Beschwerdegegnerin einen neuen Hauptantrag und die geänderten Hilfsanträge I bis III vorgelegt hat. Die Kammer hat diese Anträge zum Verfahren zugelassen.

Patentanspruch 1 des damit geltenden Hauptantrags lautet:

"Verfahren zur Herstellung von trockenen, teilamorphen Produkten, die neben einer oder mehreren therapeutisch aktiven Substanzen der Gruppen Proteine, Humanpeptide, Glycoproteine, Lipoproteine, Enzyme, Coenzyme, Antikörper, Antikörperfragmente, Viren, Virusbestandteile, Zellen und Zellbestandteile, Vaccine, DNA, RNA, PNA, und deren Derivate Substanzgemische enthalten, wobei die Substanzgemische ausgewählt sind aus je mindestens einer Substanz der Gruppe

(i) Kohlenhydrat oder Zwitterion mit polarem Rest und deren Derivate; und

(ii) Zwitterion mit apolarem Rest und dessen Derivate,

dadurch gekennzeichnet, dass eine Lösung aus einer oder mehreren therapeutisch aktiven Substanzen der Gruppen Proteine, Humanpeptide, Glycoproteine, Lipoproteine, Enzyme, Coenzyme, Antikörper, Antikörperfragmente, Viren, Virusbestandteile, Zellen und Zellbestandteile, Vaccine, DNA, RNA, PNA, und deren Derivate und der Substanzen (i) und (ii) hergestellt wird und die Lösung ohne Einfrieren der Lösung mittels Vakuumtrocknung getrocknet wird;

wobei das Zwitterion mit apolarem Rest eine Aminocarbonsäure ist; und

wobei das Zwitterion mit polarem Rest eine Aminocarbonsäure ist."

Der geltende Patentanspruch 9, als erster Produktanspruch im Anspruchssatz, hervorgegangen aus dem erteilten Produktanspruch 16, lautet:

"Trockene, teilamorphe Produkte, die neben einer oder mehreren therapeutisch aktiven Substanzen der Gruppen Proteine, Humanpeptide, Glycoproteine, Lipoproteine, Enzyme, Coenzyme, Antikörper, Antikörperfragmente, Viren, Virusbestandteile, Zellen und Zellbestandteile, Vaccine, DNA, RNA, PNA, und deren Derivate Substanzgemische enthalten, wobei die Substanzgemische ausgewählt sind aus je mindestens einer Substanz der Gruppe

(i) Kohlenhydrat oder Zwitterion mit polarem Rest und deren Derivate; und

(ii) Zwitterion mit apolarem Rest und dessen Derivate,

erhältlich nach einem Verfahren, nach einem der Ansprüche 1 bis 8;

wobei das Zwitterion mit apolarem Rest eine Aminocarbonsäure ist; und

wobei das Zwitterion mit polarem Rest eine Aminocarbonsäure ist."

(Die fett gedruckten Textteile sind im Verlauf der mündlichen Verhandlung aufgenommen worden.)

Die Anspruchsfassung nach Hilfsantrag I unterscheidet sich von der des Hauptantrags im Patentanspruch 1 dadurch, dass die Substanzen (i) auf "einen Zucker" beschränkt worden sind und als Substanz (ii) nur noch Phenylalanin erscheint. Der dazu gehörige erste unabhängige Produktanspruch, hier Patentanspruch 7 lautet:

"Trockene, teilamorphe, vakuumgetrocknete Produkte aus einer oder mehreren therapeutisch aktiven Substanzen der Gruppen Proteine, Humanpeptide, Glycoproteine, Lipoproteine, Enzyme, Coenzyme, Antikörper, Antikörperfragmente, Viren, Virenbestandteile, Zellen und Zellbestandteile, Vaccine, DNA, RNA, PNA und deren Derivate und der Substanzen(i) und (ii), erhältlich nach einem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6."

In der Anspruchsfassung nach Hilfsantrag II sind gegenüber der des Hilfsantrags I, beginnend mit dem ersten Produktanspruch 7 alle Patentansprüche gestrichen, also die Patentansprüche 7 bis 14.

Die 6 Patentansprüche gemäß Hilfsantrag III beziehen sich gegenüber Hilfsantrag II nur noch auf Maltose oder Saccharose an Stelle von "einem Zucker" als Vertreter der Substanzgruppe (i).

Nach Diskussion der Patentierbarkeit der Anspruchsfassungen nach dem Hauptantrag und der Hilfsanträge I und II hat die Kammer erkennen lassen, dass sie eine Zurückverweisung des Falles auf Basis des dritten Hilfsantrags in Erwägung ziehe. Entsprechend des Hinweises in ihrem Bescheid halte sie im Übrigen eine Entgegenhaltung aus dem Prüfungsverfahren, dort ehemals mit der Nummer (4) versehen, nunmehr als Entgegenhaltung (7) im Beschwerdeverfahren als relevant hinsichtlich der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

X. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verfahren kann folgendermaßen zusammengefasst werden:

Die Verfahrensmerkmale der Ansprüche 1 im Hauptantrag sowie in den Hilfsanträgen I und II seien von Entgegenhaltung (6) vollständig vorweggenommen.

Zum Beispiel sei der streitpatentgemäße Begriff Vakuumtrocknung in den geltenden Ansprüchen nicht näher definiert und selbst in der Beschreibung nicht speziell spezifiziert. Deshalb, und weil sie jedenfalls im Beispiel unter Vakuum durchgeführt werde, sei die entgegenhaltungsgemäße Sprühtrocknung auch eine Vakuumtrocknung im Sinne der antragsgemäß geltenden Patentansprüche.

Das Verfahrensprodukt, wie es nach den in der Entgegenhaltung (6) insgesamt offenbarten Verfahrensmerkmalen hergestellt werde, habe wegen der Gleichheit der Verfahrensmerkmale die gleichen Eigenschaften, wie ein streitpatentgemäßes Produkt im Sinne der geltenden Patentansprüche. Dies sei insbesondere im Hinblick auf die in dieser Entgegenhaltung angesprochenen Produkte Blutplasma und Blutplasmafraktionen zu betonen und vor allem auch wegen der Lösung der Aufgabe, die darin enthaltenen, therapeutisch wirksamen Komponenten in stabiler Form bereitzustellen.

Die gesamte Lehre des Streitpatents sei im Übrigen weder in der vollen Breite der Ansprüche nacharbeitbar, noch löse Sie die Aufgabe in allen beanspruchten Ausführungsarten.

Eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung halte die Beschwerdeführerin angesichts des bisherigen Verfahrensverlaufs für nicht angemessen, weil die Kammer das Dokument (6) bereits im Mai dieses Jahres eingeführt hätte, und eine ausreichende Diskussion stattgefunden hätte. Hinsichtlich des Dokuments (7) sei der Hinweis im Bescheid der Kammer ebenfalls ausreichend konkret gewesen, so dass sich die Beschwerdegegnerin auf seine Diskussion habe vorbereiten können.

XI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat den Argumenten der Beschwerdeführerin widersprochen:

Die Lehre nach Entgegenhaltung (6) sei bereits mit Bezug auf die Verfahrensmerkmale verschieden von der beanspruchten Lehre. Während nach (6) für den Trocknungsschritt ein Naturprodukt, nämlich Blut einfach verwendet würde, sei es streitpatentgemäß vorgesehen, die unter Vakuum zu trocknende Lösung erst herzustellen. Die Komponenten (i) und (ii) würden zusätzlich in aus der Beschreibung zu entnehmenden Mengen und Mengenverhältnissen zugesetzt und wären nicht einfach per se und zufällig vorhanden. Schließlich sei nach Entgegenhaltung (6) eine Sprühtrocknung im Wirbelbett vorgesehen und bleibe damit eine Sprühtrocknung, im Gegensatz zur streitpatentgemäßen Vakuumtrocknung.

Ergänzend habe die Angabe in den Verfahrensansprüchen nach allen Anträgen, nämlich dass ein Verfahren zur Herstellung eines teilamorphen Produkts beansprucht werde, eine wesentliche Funktion. Es werde dadurch nämlich sichergestellt, dass gerade ein teilamorphes Produkt Gegenstand des Anspruchs sei, und nicht irgendein Produkt mit abweichenden Eigenschaften. Nicht jedes Gemisch von anspruchsgemäßen Komponenten führe nämlich zielgerichtet zu einem teilamorphen Produkt mit den vorteilhaften Eigenschaften der leichten Wiederauflösbarkeit und der Stabilität der therapeutisch aktiven Komponente.

Vor allem führe die zufällige Anwesenheit von anspruchsgemäßen Komponenten in Blutplasma oder Blutfraktionen - noch dazu in den verschwindend geringen Konzentrationen, wie sie für Blut bekannt seien - unter einer Sprühtrocknung im Vakuum nicht zwingend zu teilamorphen Produkten. Eine solche Eigenschaft sei auch nicht Ziel der Lehre nach Entgegenhaltung (6). Der sich daraus ergebende Zweifel, ob ein nach dieser Entgegenhaltung hergestelltes Produkt tatsächlich teilamorph sei, gehe zu Lasten der Beschwerdeführerin, die durch entsprechende Versuche Klarheit hätte schaffen müssen.

Die Zurückverweisung des Falles an die Einspruchsabteilung sei gerechtfertigt, weil sich die Beschwerdegegnerin angesichts der erst im Beschwerdeverfahren als relevant hervorgehobenen Dokumente nicht in der Lage sähe, ihre Angelegenheit angemessen zu verteidigen.

XII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent auf Basis des Hauptantrags oder der Hilfsanträge I bis III, gleichzeitig in der mündlichen Verhandlung eingereicht, oder des Hilfsantrags IV, eingereicht mit Schreiben vom 25. September 2008 aufrechtzuerhalten oder hilfsweise die Angelegenheit an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die mit dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen I bis III neu vorgelegten Patentansprüche enthalten Änderungen, die zum Teil direkte Antworten auf die letzten Äußerungen der Beschwerdeführerin darstellen und insgesamt überschaubaren Ausmaßes sind. Mit ihnen wird etlichen Hinweisen auf Mängel Rechnung getragen, die im Bescheid der Kammer und in der Antwort der Beschwerdeführerin angesprochen worden waren. Die Änderungen sind damit insgesamt geeignet, den Fortgang des Verfahrens zu fördern.

Die Kammer hat daher von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht, und diese Anträge zur Verhandlung zugelassen.

3. Da zumindest einige der mit dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen I und II beanspruchten Ausführungsformen nach den jeweiligen Patentansprüchen 1 die formalen Erfordernisse des EPÜ erfüllen, hat es die Kammer nicht für erforderlich gehalten, eine komplette Prüfung aller weiter denkbaren Ausführungsformen nach den Artikeln 84 (soweit direkt oder indirekt auf die Änderungen bezogen) und 100 c) beziehungsweise 83, sowie 123(2) und 123(3) EPÜ durchzuführen, um zur vorliegenden Entscheidung zu kommen.

4. Neuheit

4.1 Patentanspruch 1 des geltenden Hauptantrags betrifft ein

Verfahren zur Herstellung von

trockenen,

teilamorphen Produkten,

die neben einer oder mehreren, bestimmten therapeutisch aktiven Substanzen, zum Beispiel Humanproteinen,

Substanzgemische aus

(i) einem Kohlenhydrat oder einer Aminocarbonsäure als Zwitterion mit polarem Rest; und

(ii) eine Aminocarbonsäure als Zwitterion mit apolarem Rest enthalten

wobei eine Lösung der drei Komponenten

hergestellt wird

und die Lösung ohne Einfrieren der Lösung

mittels Vakuumtrocknung

getrocknet wird.

In Entgegenhaltung (6) wird ein Verfahren offenbart, bei dem

- trockene (siehe Anspruch 1 und Beispiel ab Seite 9, Zeile 17),

- hinsichtlich der therapeutisch wirksamen Komponente stabile Produkte (siehe Seite 3, Zeilen 20 bis 33 sowie Beispiel ab Seite 9, Zeile 17; dort insbesondere Seite 10, Zeilen 7 bis 15 und Seite 11, Zeilen 8 bis 11),

- die neben einer oder mehreren, bestimmten therapeutisch aktiven Substanzen (zur Behandlung von Patienten, z.B. mit Proteinen oder Proteinfraktionen aus humanem Blutplasma; siehe Seite 1, Zeilen 12 bis 16)

- Substanzgemische aus

- (i) einem Kohlenhydrat oder einer Aminocarbonsäure als Zwitterion mit polarem Rest; (unbestritten in Blutplasma vorhanden) und

- (ii) eine Aminocarbonsäure als Zwitterion mit apolarem Rest (ebenfalls unbestritten in Blutplasma vorhanden) enthalten

- wobei eine Lösung der drei Komponenten hergestellt wird (Blutplasma ist, wie der Fachmann weiß, eine Lösung, die aus Blut hergestellt wird)

- und die Lösung ohne Einfrieren der Lösung (siehe Beispiel ab Seite 9, Zeile 17; insbesondere Seite 10, Zeilen 2 bis 14)

- mittels Vakuumtrocknung (siehe Beispiel ab Seite 9, Zeile 17; insbesondere Seite 10, Zeilen 2 bis 14)

- getrocknet wird (siehe Anspruch 1 und Beispiel ab Seite 9, Zeile 17).

Obwohl in Entgegenhaltung (6) nicht expressis verbis ausgeführt ist, dass teilamorphe Produkte entstehen, weiß der Fachmann, wie es auch die Beschwerdegegnerin vorgetragen hat, dass ein Trocknungsvorgang von Blutplasma, so wie er in Entgegenhaltung (6) beschrieben ist, unter keinen Umständen zu einem rein kristallinen Produkt führen kann. Die Kammer ist somit überzeugt dass unter Anwendung des in Entgegenhaltung (6) dargestellten Verfahrens ein jedenfalls nicht rein kristallines und damit teilamorphes Produkt entsteht.

Als Ergebnis der vorstehenden Gegenüberstellung zeigt sich, dass das Verfahren nach Anspruch 1 des Hauptantrags in allen Merkmalen durch die Entgegenhaltung (6) vorweggenommen ist. Dieses Verfahren ist nicht mehr neu im Sinne des Artikels 54(3) EPÜ.

4.2 Nachdem sich die Verfahren nach den Ansprüchen 1 in den Hilfsanträgen I und II von dem des Hauptantrags lediglich in der Konkretisierung der Komponenten (i) und (ii) zu "einem Zucker" und Phenylalanin unterscheiden, und sowohl "Zucker" als auch Phenylalanin in Blutplasma ebenfalls enthalten sind, gelten die Überlegungen und Argumente bezüglich des Hauptantrags in gleicher Weise für die Hilfsanträge I und II.

4.3 Damit ergibt sich der Schluss, dass die mit den jeweiligen Patentansprüchen 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge I und II beanspruchten Gegenstände insgesamt neuheitsschädlich vorweggenommen sind (Artikel 54(3) EPÜ).

5. Die zusätzlichen Argumente der Beschwerdegegnerin können nicht greifen:

5.1 Nachdem die Kammer auf der Basis des allgemeinen Fachwissens zu der Überzeugung gelangt ist, dass nach der Lehre von Entgegenhaltung (6) ein teilamorphes Produkt entsteht, erübrigen sich Überlegungen hinsichtlich der Frage von erhärtenden Versuchen.

5.2 Zwar entspricht es tatsächlich nicht der definierten Aufgabenstellung nach Entgegenhaltung (6), trockene und gleichzeitig teilamorphe Produkte per se herzustellen, aber die Stabilität der therapeutisch wirksamen Komponente ist das gemeinsame Ziel von Streitpatent und Entgegenhaltung (6) (siehe dazu zum Beispiel Streitpatent, Seite 2, Zeile 1 und in der Entgegenhaltung (6) die Seite 3, Zeilen 20 bis 33 sowie das Beispiel ab Seite 9, Zeile 17; dort insbesondere Seite 10, Zeilen 7 bis 15 sowie Seite 11, Zeilen 8 bis 11).

Die Tatsache, dass dieses Ziel der Stabilisierung in Entgegenhaltung (6) direkt angesprochen wird und nicht nur unter dem Begriff teilamorph subsumiert wird, kann jedenfalls nicht als Argument angeführt werden, das Zweifel an der teilamorphen Eigenschaft des nach dem Verfahren von (6) hergestellten Produkts erwecken oder nähren könnte.

5.3 In den Patentansprüchen 1 nach den betrachteten Anträgen, fehlen jegliche Angaben zu bestimmten Mengenverhältnissen der im Produkt enthaltenen Stoffe, nämlich der therapeutisch wirksamen Komponente zusammen mit (i) und (ii). Die sich daraus ergebende Breite dieser Ansprüche führt direkt dazu, dass in dieser Hinsicht keine abgrenzenden Merkmale für den streitpatentgemäßen Gegenstand vorhanden sind, und auch zufällig vorhandene, aber nicht ganz abwegige Mengenverhältnisse entsprechender Stoffe im Stand der Technik neuheitsschädlich entgegenstehen.

Dass die relevanten Stoffe in Blutplasma mit Blick auf die streitpatentgemäße Lehre in völlig unsinnigen Mengenverhältnissen vorlägen, ist nicht der Fall und wurde auch von der Beschwerdegegnerin nicht geltend gemacht. Die geringen absoluten Konzentrationen im Blutplasma sind mit Blick auf die Mengenverhältnisse der relevanten Stoffe nur von nachrangiger Bedeutung.

5.4 Auch nähere Definitionen des Begriffes Vakuumtrocknung fehlen in den betrachteten Patentansprüchen und wären weitgehend und in allgemein für die Lehre des Streitpatents gültiger Form nicht einmal der Beschreibung zu entnehmen. Insofern unterscheidet sich eine Sprühtrocknung unter Vakuum eben nicht von einer Vakuumtrocknung, sondern ist vielmehr in diesem Begriff mit enthalten.

6. Hilfsantrag III

6.1 Die Beschwerdegegnerin hat im Hilfsantrag III die Komponenten (i) und (ii) als exakt definierte Substanzen eingeführt, und musste dazu auf die Beschreibung zurückgreifen, weil die anspruchsgemäße Lehre in dieser Form nicht Gegenstand erteilter Unteransprüche war. Eine irgendwie geartete sachliche Diskussion dazu hat unter anderem deswegen in keinem Stadium des bisherigen Verfahrens stattgefunden.

Die sachliche Diskussion einer solchen Lehre beschränkt sich auch nicht allein auf eine Wertung der Entgegenhaltung (4) nach der Nummerierung aus dem Prüfungsverfahren (hier Entgegenhaltung (7)) sondern betrifft alle prüfungsrelevanten Aspekte des EPÜ.

6.2 Obwohl sich aus dem EPÜ kein allgemeines Recht auf zwei Instanzen zur Diskussion aller Teilfragen eines Falles ableiten lässt, ist es allgemein anerkannt dass jeder Partei zugestanden wird, wichtige Details eines Falles vor der Abteilung und vor den Beschwerdekammern vorzutragen.

Bei der im vorliegenden Fall gegebenen Sachlage, wie unter Punkt 6.1 dargestellt, hält es die Kammer für angemessen, beiden Parteien Gelegenheit zu geben, ihre Überlegungen zur Lehre des Hilfsantrags III vor der Einspruchsabteilung vorzutragen. Sie macht daher von ihrem Ermessen Gebrauch, die Angelegenheit zurückzuverweisen.

So kann eine vollständige Prüfung nach allen Aspekten des EPÜ auf Basis dieses eingeschränkten Gegenstands vorgenommen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird auf der Grundlage des dritten Hilfsantrags an die Erste Instanz zur Weiterbehandlung zurückverwiesen.

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