T 1189/04 (Fertigungsbezogene Daten in Serienfertigung / STEFAN GLEIS) of 19.4.2007

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2007:T118904.20070419
Datum der Entscheidung: 19 April 2007
Aktenzeichen: T 1189/04
Anmeldenummer: 99928001.9
IPC-Klasse: G05B 19/418
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Bereitstellung von fertigungsbezogenen Daten in einer Serienfertigung von Fertigungsobjekten, insbesondere von Kraftfahrzeugen
Name des Anmelders: Gleis, Stefan
Name des Einsprechenden: DaimlerChrysler AG
Drewes, Bernhard
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 102
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde, die von dem Patentinhaber (Beschwerdeführer) eingelegt wurde, richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP 1 092 179 B1 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem in der Beschreibungseinleitung dargestellten Stand der Technik zu widerrufen und den Antrag auf Kostenverteilung zu Lasten der Einsprechenden abzulehnen.

II. Der Beschwerdeführer hat beantragt, den angefochtenen Beschluss in vollem Umfang aufzuheben, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent mit den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Patentansprüchen gemäß Hilfsantrag I oder II aufrechtzuerhalten, sowie, hilfsweise, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

III. Der Beschwerdegegner II (Einsprechender 02) hat in seiner Erwiderung vom 27. Oktober 2005 zur Beschwerdebegründung beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, weil der Gegenstand der erteilten Ansprüche und der Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen I und II gegenüber dem in der Beschreibungseinleitung dargestellten Stand der Technik sowie den Dokumenten

D10: US 5 077 674 A

D11a: WO 97/39324 A

D13: Gottlieb Mai, Peter Stodolka: "Den Materialfluß intelligent automatisieren mit MOBY-M", Energie&Automation 9 (1987), Special "EMO 1987", Seiten 80 und 81

D14: Roman Schmidt: "Mobiles Identsystem schafft steten Überblick". Logistik im Unternehmen, Juni 1990, Seiten 10 bis 12

nicht neu oder nicht erfinderisch sei. Hilfsweise beantragte er eine mündliche Verhandlung.

IV. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 19. April 2007 beigefügten Mitteilung formulierte die Kammer einige Fragen, die unter anderem in der mündlichen Verhandlung zu klären wären. Diese Fragen beziehen sich auf die Interpretation des Begriffs "Datenerfassungseinrichtung", die Wertung des in der Beschreibungseinleitung genannten Standes der Technik sowie der Dokumente D10, D11a, D13 und D14.

V. Mit der Erwiderung vom 15. März 2007 nahm der Beschwerdegegner II zur Frage der erfinderischen Tätigkeit der Ansprüche des Hauptantrags und der Hilfsanträge I und II gegenüber der Darstellung des Standes der Technik in der Beschreibungseinleitung sowie den Dokumenten D11a, D13, D14 und

D12: H. Stricker, "Wegbegleiter - Ein elektronisches Identsystem für Fertigung und Logistik", ELEKTRONIKPRAXIS, Nr. 22, 21.November 1997, Seite 136 - 140

Stellung.

VI. Die Beschwerdegegnerin I (Einsprechende 01), die sich zu der Beschwerdebegründung nicht geäußert hat, verwies in ihrer Erwiderung vom 2. April 2007 auf ihren Aktenvortrag und teilte mit, dass nicht beabsichtigt sei, weitere Sachverhalte vorzubringen, und dass sie auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichte.

VII. Der Vertreter des Beschwerdeführers teilte mit Schreiben vom 23. März 2007 mit, dass er mangels eines entsprechenden Auftrages an der mündlichen Verhandlung voraussichtlich nicht teilnehmen werde. Für diesen Fall wurde gebeten, nach Aktenlage zu entscheiden.

VIII. An der mündlichen Verhandlung am 19. April 2007 waren, wie angekündigt, weder der Beschwerdeführer noch die Beschwerdegegnerin I vertreten. Mit dem Beschwerdegegner II wurde die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands der erteilten Ansprüche sowie der Ansprüche der Hilfsanträge I und II gegenüber dem in der Beschreibungseinleitung dargestellten Stand der Technik sowie den Dokumenten D10, D13 und D14 erörtert. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

IX. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:

"Verfahren zur Bereitstellung von fertigungsbezogenen Daten in einer Serienfertigung von Fertigungsobjekten (10), insbesondere von Kraftfahrzeugen, wobei jedem Fertigungsobjekt (10) eine das Fertigungsobjekt (10) begleitende, von einem Werker bedienbare Datenerfassungseinrichtung (24) zugeordnet wird, in die über eine an der Datenerfassungseinrichtung (24) angeordnete Eingabeeinrichtung fertigungsbezogene Daten eingegeben werden,

wobei in wenigstens einem Teil von Fertigungsabschnitten (16-22) der Serienfertigung von einem Werker fertigungsbezogene Daten in die Datenerfassungseinrichtung (24) eingegeben werden, und wobei die Daten während des Fertigungsprozesses wenigstens teilweise von der jeweiligen Datenerfassungseinrichtung (24) zu wenigstens einer zentralen Einrichtung (26) übertragen werden."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich hiervon dadurch, dass die Datenerfassungseinrichtung computergestützt ist.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I dadurch, dass die Eingabeeinrichtung als Touchscreen ausgebildet ist.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag

1.1 Interpretation des erteilten Anspruchs 1

In Anspruch 1 wird unter anderem eine Datenerfassungseinrichtung erwähnt. In der angefochtenen Entscheidung wurde die Auffassung vertreten, dass der Begriff "Datenerfassungseinrichtung" so weit zu interpretieren sei, dass er sowohl computergestützte Datenerfassungseinrichtungen als auch konventionelle Datenerfassungseinrichtungen wie z.B. die in der Beschreibungseinleitung als Stand der Technik beschriebene Wagenbegleitkarte abdecke. In der Beschwerdebegründung hat der Beschwerdeführer dazu unter Bezugnahme auf den Absatz [0010] der Patentschrift, in dem es heißt, dass an Stelle einer Wagenbegleitkarte aus Papier eine Datenerfassungseinrichtung vorgesehen sei, ausgeführt, dass der Begriff im Lichte der Beschreibung im Sinne einer elektronischen Datenerfassungseinrichtung zu verstehen sei und dass eine Wagenbegleitkarte aus Papier nicht umfasst sei.

Die Beschwerdekammer interpretiert Anspruch 1 des erteilten Patentes im Lichte dieser expliziten Aussage in der Beschreibung so, dass der Begriff "Datenerfassungseinrichtung" nicht im weitesten Sinn, sondern als eine elektronische Datenerfassungseinrichtung zu verstehen ist. Die Frage, ob Anspruch 1 im Zusammenspiel mit dem von ihm abhängigen Anspruch 23, der die Datenerfassungseinrichtung als "computergestützt" näher kennzeichnet, den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ genügt, stellt sich im Einspruchsverfahren nicht.

1.2 Neuheit und erfinderische Tätigkeit

Der Beschreibungseinleitung, Absatz [0002] und [0003] ist zu entnehmen, dass es am Prioritätstag bekannt war, bei der Herstellung von Kraftfahrzeugen in einer Serienfertigung jedem Fahrzeug eine Wagenbegleitkarte zuzuordnen, die das Fahrzeug beim Durchlaufen von Fertigungsabschnitten begleitet und die diesem Fahrzeug fest zugeordnet ist. Auf der Wagenbegleitkarte werden in den unterschiedlichen Fertigungsabschnitten Beanstandungen der in diesen Fertigungsabschnitten beschäftigten Werker eingetragen.

Somit war am Prioritätstag ein Verfahren zur Bereitstellung von fertigungsbezogenen Daten in einer Serienfertigung von Fertigungsobjekten, insbesondere von Kraftfahrzeugen, bekannt, wobei jedem Fertigungsobjekt eine das Fertigungsobjekt begleitende, von einem Werker bedienbare nicht-elektronische Datenerfassungseinrichtung zugeordnet wird.

Wie der Beschreibungseinleitung, Absatz [0003] weiter zu entnehmen ist, war es ferner bekannt, nach Durchlaufen von Fertigungsabschnitten der Serienfertigung die Wagenbegleitkarte aus dem Fahrzeug zu entnehmen, so dass dann eine Auflistung von dieses Fahrzeug betreffenden Beanstandungen zur Verfügung steht und anhand der Wagenbegleitkarte die erforderlichen Nacharbeiten oder Nachbesserungen geplant und in die Wege geleitet werden können.

Anspruch 1 unterscheidet sich somit von dem in der Beschreibungseinleitung dargestellten und von dem Beschwerdeführer während des gesamten Einspruchsverfahrens nicht in Zweifel gezogenen Stand der Technik nur dadurch, dass an der Datenerfassungseinrichtung eine Eingabeeinrichtung angeordnet ist, dass die Datenerfassungseinrichtung elektronisch ist und dass die Daten während des Fertigungsprozesses wenigstens teilweise von der jeweiligen Datenerfassungseinrichtung zu wenigstens einer zentralen Einrichtung übertragen werden.

Es liegt im Rahmen üblichen fachmännischen Handelns, zum Eintragen fertigungsbezogener Daten durch einen Werker in eine Wagenbegleitkarte einen Stift vorzusehen, der eine an der Datenerfassungseinrichtung angeordnete Eingabeeinrichtung darstellt, mit der, wie beansprucht, von einem Werker fertigungsbezogene Daten in die Datenerfassungseinrichtung eingegeben werden.

Im Rahmen der Weiterentwicklung von Fertigungsprozessen ist der Fachmann ferner allgemein bestrebt, die schriftliche Erfassung von Informationen und Daten durch eine elektronische Erfassung von Informationen und Daten zu ersetzen. Dieses war auch mindestens seit 1990 im Bereich der Serienfertigung von Kraftfahrzeugen der Fall, wie z.B. der Hinweis, dass eine Wagenbegleitkarte durch einen im Computer gespeicherten Datensatz ersetzt werden kann, in D10, Spalte 1, Zeilen 31 bis 34 belegt.

Darüber hinaus war es seit den 1980er Jahren bekannt, in automatisierten Produktionsanlagen einem Werkstück einen programmierbaren, mobilen Datenträger zuzuordnen, von dem gespeicherte Teilinformationen jederzeit dezentral abgefragt und verändert werden können. Ein derartiger mobiler Datenträger ist beispielsweise aus D13, Seite 80, linke Spalte, letzter Absatz, bekannt. D13, Seite 81, linke Spalte, letzter Absatz ist ferner ein netzunabhängiges Handterminal zum direkten Lesen und Beschreiben des Datenträgers zu entnehmen.

Für den Fachmann, der vor der Aufgabe stand, ein Verfahren zur Bereitstellung von fertigungsbezogenen Daten in einer Serienfertigung von Fertigungsobjekten unter Verwendung einer Wagenbegleitkarte so weiter zu entwickeln, dass die Erfassung und Bereitstellung von fertigungsbezogenen Daten erleichtert ist, lag es somit im Rahmen üblichen fachmännischen Handelns, die Wagenbegleitkarte durch einen programmierbaren, mobilen Datenträger, wie er beispielsweise aus D13 bekannt war, zu ersetzen. Das Ersetzen einer konventionellen Datenerfassungseinrichtung durch eine elektronische Datenerfassungseinrichtung kann daher keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Angesichts des typischen Vorteils elektronischer Datenverarbeitung, erfasste Daten zentral und dezentral zur Verfügung zu stellen, der auch beispielsweise D13, Bild 1 zu entnehmen ist, liegt es ferner auf der Hand, im Falle eines derartigen Ersetzens fertigungsbezogene Daten während des Fertigungsprozesses von der elektronischen Datenerfassungseinrichtung zu einer zentralen Einrichtung zu übertragen.

Der erteilte Anspruch 1 erfüllt somit nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ, so dass der Hauptantrag zurückzuweisen ist.

2. Hilfsantrag I

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich von dem erteilten Anspruch 1 dadurch, dass die Datenerfassungseinrichtung computergestützt ist.

Bezüglich seiner gemeinsamen Merkmale mit dem erteilten Anspruch 1 wird auf die Ausführungen bezüglich erfinderischer Tätigkeit unter Punkt 1.2 verwiesen.

D13, Seite 80, mittlere Spalte, letzter Absatz bis rechte Spalte, erster Absatz ist zu entnehmen, dass die beschriebenen programmierbaren, mobilen Datenträger jeweils aus einem Mikroprozessor mit einer spezifischen Software, einem CMOS-RAM-Speicher, einer Batterie und einer Antenne bestehen. Der Fachmann erkennt, dass der aus D13 bekannte Datenträger mit diesen Bestandteilen eine computergestützte Datenerfassungseinrichtung darstellt.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I beruht somit nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

3. Hilfsantrag II

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I dadurch, dass die Eingabeeinrichtung als Touchscreen ausgebildet ist.

Bezüglich der gemeinsamen Merkmale beider Ansprüche wird auf die obigen Ausführungen unter Punkt 2 verwiesen.

Laut Abschnitt [0029] der Patentschrift wird durch die Verwendung eines Touchscreens die Dateneingabe erleichtert und Zeit eingespart. Durch das Vorsehen des Touchscreens wird somit die technische Aufgabe einer erleichterten und schnelleren Dateneingabe gelöst. Diese zusätzliche technische Aufgabe stellt einen weiteren Aspekt des beanspruchten Verfahrens dar. Die Verwendung eines Touchscreens zur erleichterten Dateneingabe war am Prioritätstag z.B. aus D11a, Seite 18, zweiter Absatz bekannt. Das Dokument D11a betrifft ein Verfahren zum Steuern eines Prüfstraßensystems für Kraftfahrzeuge und liegt somit auf einem ähnlichen technischen Gebiet wie das Verfahren gemäß Anspruch 1. Es lag somit im Rahmen fachmännischen Handelns, den bekannten Touchscreen als Eingabeeinrichtung in dem beanspruchten Verfahren vorzusehen, um die Dateneingabe zu erleichtern und schneller zu machen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag II beruht somit nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

4. Weitere Anträge lagen nicht vor. Die Beschwerde war somit zurückzuweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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