T 1012/04 (Sprengmittelgranulat/DALLI) of 14.11.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T101204.20061114
Datum der Entscheidung: 14 November 2006
Aktenzeichen: T 1012/04
Anmeldenummer: 98121397.8
IPC-Klasse: C11D 3/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verdichtetes Granulat, Herstellungsverfahren und Verwendung als Sprengmittel für gepresste Formkörper
Name des Anmelders: Dalli-Werke GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: HENKEL KGaA
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Offenbarung der Erfindung (ausreichend)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 98 121 397.8 wurde das europäische Patent Nr. 1 004 656 mit 21 Patentansprüchen erteilt.

II. Die unabhängigen Ansprüche 1, 12 und 16 hatten folgenden Wortlaut:

"1. Verdichtetes Sprengmittelgranulat für gepreßte Formkörper, enthaltend nichtwasserlösliche, in Wasser quellbare hochreine Cellulose und/oder Cellulosederivate und feinteilige Polymere / Copolymere von (Meth)acryl-säure oder Salzen derselben und ein oder mehrere flüssige, mit Wasser gelbildende oder verdickende nicht ionische und/oder anionische und/oder amphotere Tenside, wobei das Gewichtsverhältnis der kombinierten in Wasser quellbaren Cellulose/Cellulosederivate und Polymere/Copolymere von (Meth)acrylsäure : flüssigen Tensid(en) von 100:1 bis 10:1 beträgt.

12. Verfahren zum Herstellen eines verdichteten Sprengmittelgranulats nach einem der Ansprüche 1 bis 11 durch Mischen der hochreinen Cellulose/Cellulosederivate mit dem (den) nichtionischen, anionischen und amphoteren Tensid(en) und Einmischen des (der) feinteiligen Polymere/Copolymere von (Meth)acrylsäure oder Salzen derselben, wobei das Gewichtsverhältnis der kombinierten in Wasser quellbaren Cellulose/Cellulosederivate und Polymere/Copolymere von (Meth)acrylsäure : flüssigen Tensiden von 100:1 bis 10:1 beträgt und Granulieren und anschließendes Verdichten des Granulats.

16. Verwendung des Sprengmittelgranulats nach einem der Ansprüche 1 bis 11, wobei das Sprengmittelgranulat in den gepreßten Formkörpern in Mengen von 0.5 Gew.% bis 10 Gew.%, vorzugsweise 2 Gew.% bis 7 Gew.% und besonders bevorzugt 3 Gew.% bis 6 Gew.% eingesetzt wird als Sprengmittel für gepreßte Formkörper."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 11, 13 bis 15 und 17 bis 21 betrafen bevorzugte Ausführungsformen der Gegenstände nach Anspruch 1, 12 und 16.

III. Gegen die Patenterteilung hat die Einsprechende wegen unzureichender Offenbarung (Artikel 100 (b) EPÜ) sowie wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 (a) EPÜ) Einspruch erhoben. Sie stützte sich dabei, unter anderem, auf folgende Entgegenhaltungen:

(2) DE-A-197 09 991,

(3) DE-A-197 10 254, und

(8) Kosswig/Stache, Die Tenside, 1993, Seiten 126, 127 und 149.

IV. In ihrer Entscheidung war die Einspruchsabteilung zur Auffassung gelangt, dass der Gegenstand nach Anspruch 1 der erteilten Fassung (Hauptantrag) und des damals vorliegenden ersten Hilfsantrages nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann ihn ausführen könne, weil nicht gelehrt werde, welche Tenside geeignet seien, um in dem beanspruchten Granulat in flüssiger Form vorzuliegen. Außerdem sei der Gegenstand nach Anspruch 1 der damaligen Hilfsanträge 2 und 3 durch die Dokumente (2) und (3) nahe gelegt.

V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt und geänderte Anspruchsätze in neun Hilfsanträgen vorgelegt.

VI. Gemäß Antrag der Beschwerdeführerin wurde am 14. November 2006 eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer durchgeführt.

VII. Die Beschwerdeführerin hat ihre Beschwerde im Wesentlichen wie folgt begründet:

- Aus der Beschreibung des Streitpatents sei zu entnehmen, wie das beanspruchte Produkt herzustellen sei. Dass es auch einzelne Tenside gäbe, die bei Raumtemperatur fest sind, sei daher irrelevant.

- Der beanspruchte Gegenstand sei aus den Dokumenten (2) und (3) nicht in nahe liegender Weise herleitbar.

Dokument (2) offenbare nämlich weder die beanspruchte Kombination hochreiner Cellulose mit den speziellen feinteiligen (Co)Polymeren und flüssigen Tensiden, noch das beanspruchte Gewichtsverhältnis und Dokument (3) offenbare jedenfalls nicht den Einsatz von Tensiden und das beanspruchte Gewichtsverhältnis.

Der Fachmann würde eine Kombination der Lehren der Dokumente (2) und (3) nicht in Betracht ziehen, weil in Dokument (3) ausdrücklich nicht-tensidische Wirksubstanzen als etwaige weitere Zuschlagstoffe bevorzugt seien und in Dokument (2) von der Verwendung reiner Cellulose abgeraten werde. Abgesehen davon, würde jegliche Kombination dieser Lehren nicht zum beanspruchten Gegenstand führen.

VIII. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat im Wesentlichen folgende Argument vorgebracht:

- Wie aus Dokument (8) ersichtlich sei, handle es sich bei den gemäß Streitpatent zu verwendenden Tensiden um bei Raumtemperatur vorwiegend feste Tenside. Da das Streitpatent nicht lehre, wie diese festen Tenside zu verflüssigen seien, würde der Fachmann keine nacharbeitbare technische Lehre erhalten.

- Gegenüber dem aus Dokument (2) bekannten Sprengmittel weise der Gegenstand nach Anspruch 1 des Streit-patents keine unerwarteten Wirkungen auf. Die mit dem Gegenstand nach Anspruch 1 im Hinblick auf Dokument (2) tatsächlich gelöste Aufgabe bestehe daher lediglich darin ein alternatives Sprengmittel bereitzustellen. Anspruch 1 enthalte jedoch Merkmale, die keinen Beitrag zur Lösung der im Streitpatent genannten technischen Aufgabe leisteten und daher bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit irrelevant seien. Die verbleibenden relevanten Merkmale seien aber aus Dokument (2) bekannt, so dass der beanspruchte Gegenstand allein gegenüber Dokument (2) nicht erfinderisch sei.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents nach einem der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 9.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Offenbarung der Erfindung (Artikel 100 (b) EPÜ)

1.1 Gemäß Streitpatent wird ein Sprengmittelgranulat beansprucht, das unter anderem nichtionische, anionische oder amphotere Tenside in flüssiger Form enthält, die mit Wasser Gele bilden oder verdicken (Anspruch 1 und Seite 3, Paragraph [0016]).

1.2 Gemäß Artikel 100 (b) EPÜ in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ offenbart ein Patent eine Erfindung dann deutlich und vollständig, wenn sie von einem Fachmann ausgeführt werden kann.

Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit betrifft im vorliegenden Fall die Frage, ob der Ausdruck "flüssige Tenside" für den Fachmann hinreichend Information darstellt, damit er das beanspruchte Granulat herstellen kann.

1.3 Die Beschwerdegegnerin hat ihren Einwand auf die Tatsache gestützt, dass gemäß Streitpatent die flüssigen Tenside Fettalkoholethoxylate mit bis zu 15 Mol Ethylenoxid sowie Fettalkoholsulfate umfassen (Anspruch 11 und Seite 4, Paragraph [0029] und [0030]).

Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin seien aber solche Tenside bei Raumtemperatur fest. Hierzu hat die Beschwerdegegnerin auf Dokument (8) verwiesen. Sie hat insbesondere geltend gemacht, dass auf Seite 127 von Dokument (8) offenbart sei, dass handelsübliche C12-C18-Fettalkoholsulfate einen Schmelzbereich von 190 bis 200ºC aufwiesen, und auf Seite 149, dass der Schmelzpunkt üblicher Fettalkoholethoxylate mit einem Oxethylierungsgrad von 15 grundsätzlich oberhalb 30ºC liege.

Da der Beschreibung des Streitpatents keinerlei Hinweis zu entnehmen sei, wie diese festen Tenside zu verflüssigen seien, würde dem Fachmann keine nacharbeitbare technische Lehre vermittelt.

1.4 Die Beschwerdegegnerin hat indessen nicht bestritten, dass es Tenside gibt, die die Kriterien des Anspruchs 1 erfüllen, also im flüssigen Aggregatzustand vorliegen, mit Wasser Gele bilden oder verdicken sowie nichtionisch, anionisch oder amphoter sind. Insbesondere hat sie nicht in Frage gestellt, dass das in den Beispielen des Streitpatents verwendete Tensid (Seite 8, Zeile 14) diese Kriterien erfüllt.

Sie hat auch nicht bestritten, dass der Schmelzpunkt von Fettalkoholsulfaten und -ethoxylaten auch von der Länge, dem Sättigungsgrad und dem Verzweigungsgrad der Alkylketten abhängt. Entsprechend beschränkt sich auch die Aussage auf Seite 127 von Dokument (8) auf reine, lineare, primäre Dodecyl- bis Octadecylsulfate und die Grafik in Bild 2.2.5 der Seite 149 auf Ethoxylate eines C12-C14-Kokosfettalkohol, eines hydrierten C16-C18-Talgfettalkohols und eines C12-C15-Oxoalkohols.

Die Beschwerdegegnerin hat jedoch die Auffassung vertreten, dass gerade diese Tenside die üblichen, insbesondere die auf dem technischen Gebiet der Waschmittelchemie relevanten Tenside seien. Nur diese Tenside würde der einschlägige Fachmann daher in Betracht ziehen. Die Herstellung der entsprechenden Granulate sei aber nicht möglich, weil sie oberhalb Raumtemperatur, im Falle der Fettalkoholethoxylate mit 15 Ethylenoxideinheiten bei Temperaturen zwischen 190 und 200ºC, bereitgestellt werden müssten, um die Tenside in flüssiger Form enthalten zu können.

1.5 Der Einwand mangelnder Offenbarung der Erfindung basiert also im Wesentlichen auf der Annahme der Beschwerde-gegnerin, dass die in der Beschreibung und in Anspruch 11 genannten Fettalkoholethoxylate mit 15 Ethylenoxid-einheiten und Fettalkoholsulfate notwendigerweise mit den in Dokument (8) genannten, in der Waschmittelchemie üblichen Tensiden gleichzusetzen seien.

1.6 Die Beschwerdegegnerin übersieht hier allerdings, dass nicht nur nach Anspruch 1 sondern auch gemäß Beschreibung des Streitpatents flüssige Tenside als wesentlicher Bestandteil des erfindungsgemäßen Granulats gefordert sind, d.h. Tenside, die im Granulat in flüssigen Aggregatzustand vorhanden sind (Seite 4, Paragraph [0028]). Dort ist insbesondere angegeben, dass diese flüssigen Tenside, die im Granulat enthalten sein sollen, aus der Gruppe der nichtionischen, anionischen oder amphoteren Tenside auszuwählen sind. In den anschließenden Paragraphen [0029] bis [0031] sind dann die einzelnen Stoffgruppen angegeben, aus denen die nichtionischen, anionischen und amphoteren Tenside gewählt werden können, u.a. Fettalkoholethoxylate mit 3 bis 15 Mol Ethylenoxid als nichtionisches Tensid und Alkylsulfate als anionisches Tensid.

Nach Ansicht der Kammer vermittelt das Streitpatent dem Fachmann damit die eindeutige Lehre, nur solche Fettalkoholethoxylate und Alkyl- bzw. Fettalkoholsulfate in Betracht zu ziehen, die im Granulat flüssig vorliegen können.

Wenn also, wie die fachkundige Beschwerdegegnerin selbst feststellt, die Bereitstellung der Granulate oberhalb Raumtemperatur, insbesondere bei 190 bis 200ºC, nicht möglich bzw. unsinnig ist, wird der Fachmann ohne weiteres darauf schließen, dass nur solche Fettalkohol-sulfate und -ethoxylate in Frage kommen, die im fertigen Granulat bzw. in der fertigen Waschmitteltablette bei Raumtemperatur flüssig sind, selbst wenn solche Tenside in der Waschmittelchemie sonst nicht üblich sind.

1.7 Die Beschwerdegegnerin hat nicht in Abrede gestellt, dass Fettalkoholethoxylate mit 15 Ethylenoxidgruppen oder Fettalkoholsulfate existieren, die im fertigen Granulat bei Raumtemperatur in flüssigem Zustand vorliegen können.

Selbst wenn es aber keine solchen Tenside geben würde, d.h. wenn die in der Beschreibung empfohlenen Tenside auch solche umfassten, die im Widerspruch zu Anspruch 1 im fertigen Granulat in festem Aggregatzustand vorliegen müssten, so beträfe dies allenfalls die Klarheit der Ansprüche im Lichte der Beschreibung, nicht aber die Ausführbarkeit der Erfindung.

1.8 Die Kammer sieht daher keinerlei Anlass anzunehmen, dass die Erfindung nicht ausführbar sei, weil Angaben fehlten, die zur Auswahl der geeigneten Tenside erforderlich wären. Vielmehr kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit unbegründet ist und kein Patenthindernis darstellt. Die Bedingungen des Artikels 83 EPÜ sind daher erfüllt.

2. Erfinderische Tätigkeit

Die Kammer hat sich davon überzeugt, dass der Streitgegenstand gegenüber dem zitierten Stand der Technik die Kriterien der Neuheit (Artikel 54 EPÜ) erfüllt. Ein diesbezüglicher Einwand wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht erhoben.

2.1 Das Streitpatent betrifft ein Sprengmittelgranulat für gepresste Formkörper, wie Tabletten, bei dem durch Aufnahme von Wasser eine Volumenzunahme erfolgt, sowie die Herstellung des Granulats und dessen Verwendung (Seite 2, Paragraph [0001]). Unter Sprengmittel sind, laut Streitpatent, Hilfsstoffe zu verstehen, die den Zerfall von Tabletten oder des Granulats bei Kontakt mit Flüssigkeiten, insbesondere Wasser, positiv beeinflussen (Seite 2, Paragraph [0002]).

2.2 Ein solches Sprengmittelgranulat zur Verwendung in einem gepressten Formkörper (Pressling) ist bekannt, beispielsweise aus Dokument (2) (Spalte 1, Zeilen 63 bis 67 in Verbindung mit Spalte 2, Zeilen 31 bis 59 und Anspruch 1).

In Übereinstimmung mit den Parteien hält daher auch die Kammer Dokument (2) für einen akzeptablen Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

2.3 Das in Dokument (2) beschriebene Granulat besteht aus cellulosehaltigem Material, das eine Beschichtung mit einem Tensid aufweisen kann (Ansprüche 1 und 13). Dabei kann der Gewichtsanteil des cellulosehaltigen Materials am fertigen Pressling 3 bis 6% und der des Tensids 0.5 bis 2% betragen (Ansprüche 9 und 14).

Vorzugsweise handelt es sich bei dem cellulosehaltigen Material um TMP (Thermo Mechanical Pulp) oder CTMP (Chemo Thermo Mechanical Pulp), also Holzstoffe, bei denen Lignine, Harze und sonstige Holzbegleitstoffe nicht so vollständig entfernt wurden wie bei der Celluloseherstellung. Es wird darauf hingewiesen, dass sich diese Holzstoffe als Sprengmittel besonders wirksam erwiesen hätten und dass weder Holzprodukte noch reine Cellulose in ihrem Sprengverhalten vergleichbar wären (Spalte 4, Zeilen 34 bis 57).

Das beanspruchte Sprengmittel hingegen enthält hochreine Cellulose(derivate) und feinteilige (Co)Polymere von (Meth)acrylsäuren oder deren Salze sowie mindestens ein flüssiges, mit Wasser gelbildendes oder verdickendes Tensid und zwar in einem Gewichtsverhältnis von Cellulose plus Polymer zu Tensid von 100:1 bis 10:1.

2.4 Gemäß Streitpatent besteht die durch das beanspruchte Sprengmittel zu lösende technische Aufgabe darin, ein in Wasser schnell und stark quellendes Granulat zu schaffen, so dass es als Sprengmittel für gepresste Formkörper geeignet ist, um deren Zerfall bei Kontakt mit Wasser zu fördern (Seite 3, Paragraph [0015]).

Auch Dokument (2) schreibt die Wirkung des dort offenbarten Sprengmittels einer Volumenvergrößerung zu; jedoch soll diese wesentlich stärker ausgeprägt sein, als diejenige, die bei einer reinen Quellung des cellulosehaltigen Materials entsteht (Spalte 2, Zeilen 50 bis 58).

Ob dies bei dem in Dokument (2) beschriebenen Sprengmittel eine größere Volumenzunahme bedeutet als bei dem beanspruchten Mittel, kann nicht ohne weiteres beurteilt werden, da die Quellfähigkeit des cellulosehaltigen Materials gemäß Dokument (2) unbestritten geringer ist als die reiner Cellulose.

2.5 Wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingeräumt haben, liegen aber keine Beweismittel vor, die einen Vergleich der Sprengwirkung der beanspruchten Mittel mit den aus Dokument (2) bekannten zuließen.

Infolgedessen kann die gegenüber Dokument (2) tatsächlich gelöste technische Aufgabe nur darin gesehen werden, ein alternatives Mittel zur Verwendung als Sprengmittel für gepresste Formkörper bereitzustellen.

2.6 Dokument (2) enthält keinen Hinweis auf die Gegenwart von Polymeren oder flüssigen Tensiden im fertigen Granulat. Naturgemäß ist damit auch das beanspruchte Gewichtsverhältnis von Cellulose plus Polymer zu Tensid nicht abzuleiten. Außerdem wird von der Verwendung reiner Cellulose als Sprengmittel abgeraten (Punkt 2.3).

2.7 Die Beschwerdegegnerin hat aber geltend gemacht, dass es zur Lösung der im Streitpatent genannten technischen Aufgabe nicht darauf ankäme, dass die Cellulose hochrein ist, dass das spezielle Polymere zugesetzt wird und dass das Tensid flüssig ist. Für diese Merkmale sei ein entsprechender Effekt weder aus dem Streitpatent ableitbar noch nachgewiesen worden. Dass es auf das beanspruchte Gewichtsverhältnis nicht ankomme, sei sogar in den Beispielen des Streitpatents illustriert. So sei Tabelle 5 (Seite 8) zu entnehmen, dass die nicht-erfindungsgemäße Sprengmittelzusammensetzung 2.3 mit einem Gewichtsverhältnis von Cellulose/Polymer : Tensid von 9:1 eine bessere Sprengwirkung zeige als die erfindungsgemäße Zusammensetzung 2.8.

Infolgedessen seien diese Merkmale bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen und der Streitgegenstand sei allein durch die Lehre von Dokument (2) nahe gelegt.

2.8 Diese Argumentation vermag die Kammer aus folgenden Gründen nicht zu überzeugen.

2.8.1 Der Einwand, alle diese Merkmale hätten nichts mit der dem Streitpatent zugrunde liegenden technischen Aufgabe zu tun, wurde von der Beschwerdegegnerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebracht.

Nach ständiger Rechtsprechung hat aber jede Partei die Beweislast für die von ihr vorgetragenen, für sie günstigen Tatsachenbehauptungen selbst zu tragen. Zwar kann die Beweislast auch von der behauptenden Partei auf die Gegenpartei übergehen, falls erstere für die behaupteten Tatsachen bereits überzeugende Beweise beigebracht oder eine für sie günstige erstinstanzliche Entscheidung erzielt hat (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage 2001, Kapitel VI.J.6.). Einen Nachweis für ihre Behauptungen hat die Beschwerdegegnerin jedoch nicht erbracht. Auch hat die Einspruchsabteilung diesen Einwand nicht von sich aus in der angefochtenen Entscheidung aufgegriffen, so dass bezüglich der neuen Behauptungen keine für die Beschwerdegegnerin günstige erstinstanzliche Entscheidung ergangen ist.

2.8.2 Abgesehen davon gibt es Anhaltspunkte dafür, dass alle diese Merkmale einen Einfluss auf die Quellbarkeit des Granulats und damit auf dessen Eignung als Sprengmittel im Sinne der dem Streitpatent zugrunde liegenden technischen Aufgabe (Punkt 2.4) haben.

So hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer überzeugend vorgetragen, dass es aufgrund der chemischen Struktur der Cellulose und insbesondere wegen der Vielzahl an freien OH-Gruppen sehr wohl auf die Reinheit der Cellulose ankommt, wenn es um die Quellfähigkeit geht. Diesem Vortrag hat die Beschwerdegegnerin nicht widersprochen.

Ferner ist aus Dokument (3) bekannt, dass zumindest Polyacrylsäuren als Sprengmittel geeignet sind (Spalte 6, Zeilen 12 bis 18). Die Kammer hat daher keinen Grund anzunehmen, dass die von Anspruch 1 außerdem umfassten Copolymeren von Acrylsäure und (Co)Polymeren von (Meth)acrylsäure bzw. die entsprechenden Salze keine Sprengwirkung zeigen.

Die Wirkung von Tensiden auf den Sprengeffekt ist in Dokument (2) beschrieben. Danach soll das als Beschichtung auf den cellulosehaltigen Partikeln vorhandene Tensid die Verteilung der Flüssigkeit entlang der Oberfläche der Partikel fördern (Spalte 4, Zeilen 10 bis 18).

Nach Ansicht der Kammer spielt damit aber auch eine Mindestmenge an Tensid, bezogen auf das Sprengmittel, eine Rolle, um über die Flüssigkeitsverteilung zur Sprengwirkung beizutragen.

Dokument (2) ist zwar nicht zu entnehmen, dass ein besonderer Effekt erreicht werden kann, wenn das Tensid als Flüssigkeit vorliegt. Die Kammer stellt aber fest, dass sich flüssige Tenside zumindest auf einfachere Weise gleichmäßig im Granulat verteilen lassen als feste oder halbfeste bzw. pastenartige Tenside.

2.9 Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass alle Merkmale von Anspruch 1 zur Lösung der im Streitpatent genannten technischen Aufgabe beitragen, nämlich ein in Wasser schnell und stark quellendes Granulat zu schaffen, das als Sprengmittel für gepresste Formkörper deren Zerfall bei Kontakt mit Wasser fördert.

Mithin ist aber auch glaubhaft, dass diese Merkmale auch zur Lösung der gegenüber Dokument (2) tatsächlich gelösten technischen Aufgabe, nämlich ein alternatives Sprengmittel herzustellen (Punkt 2.5), beitragen.

2.10 Somit bleibt zu untersuchen, ob - in Anbetracht des vorhandenen Stands der Technik - die gemäß Streitpatent vorgeschlagene Lösung dieser Aufgabe auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

2.11 Dokument (2) erwähnt zwar ein Verhältnis von cellulosehaltigem Sprengmittel zu Tensid von 3 bis 6 zu 0.5 bis 2 (Ansprüche 9 und 14) und umfasst damit ein Verhältnis von 12:1, das unter den beanspruchten Bereich fällt, enthält aber sonst keinen Hinweis auf die beanspruchte Sprengmittelzusammensetzung (vgl. 2.6).

Dokument (2) ist somit nicht geeignet, den Gegenstand nach Anspruch 1 nahe zulegen.

2.12 Dokument (3) betrifft ebenfalls Sprengmittel, die bei Verwendung in einem Pressling geeignet sind, dessen Zerfall bei Kontakt mit Wasser zu fördern (Spalte 1, Zeilen 3 bis 23 in Kombination mit Spalte 3, Zeilen 30 bis 68). Nach diesem Dokument kann eine Reihe von Sprengmitteln einzeln oder in Kombination in einem Sprengmittelgranulat eingesetzt werden (Spalte 5, Zeilen 64 bis 67). Als bevorzugte Sprengmittel werden Stärke, Stärkederivate, Cellulose, Cellulosederivate, Alginsäure und deren Salze, Carboxymethylamylopektin, Polyacryl-säure, Polyvinylpyrrolidon und Polyvinylpolypyrrolidon genannt (Spalte 6, Zeilen 12 bis 18).

Damit offenbart Dokument (3) eine definierte Liste von bevorzugten Möglichkeiten unterschiedlicher Spreng-mittelvarianten, welche die Kombination von Cellulose und Polyacrylsäure umfasst, und gibt dem Fachmann unmittelbar die Möglichkeit an die Hand, das cellulose-haltige Material von Dokument (2) durch eine der in Dokument (3) bevorzugten Sprengmittelvarianten zu ersetzen, beispielsweise durch die Kombination Cellulose plus Polyacrylsäure, um zu einem alternativen Sprengmittel zu gelangen.

Mithin hatte der Fachmann aber keinen Grund mehr zusätzlich auch noch die nach Dokument (2) mögliche Beschichtung der cellulosehaltigen Partikel mit Tensid durch ein flüssiges Tensid zu ersetzen, zumal der gesamte vorliegende Stand der Technik keinen Hinweis auf flüssige Tenside zur Verwendung in Sprengmitteln liefert. Darüber hinaus rät Dokument (3) von der Zugabe tensidischer Wirkstoffe ab (Spalte 6, Zeilen 22 bis 28), so dass der Fachmann allenfalls auf den in Dokument (2) empfohlenen Zusatz von Tensid verzichtet hätte.

Die Kammer schließt daraus, dass sich der Gegenstand nach Anspruch 1 - ausgehend von Dokument (2) und bei Berücksichtigung von Dokument (3) - für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise ergibt.

2.13 Das gleiche Resultat ergibt sich, wenn man Dokument (3) als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wählt. Auch gegenüber diesem Dokument gibt es keine Beweismittel, die auf einen besonderen Effekt der erfindungsgemäßen Sprengmittel schließen lassen. Die gegenüber Dokument (3) durch den Streitgegenstand tatsächlich gelöste technische Aufgabe besteht daher ebenfalls in der Bereitstellung eines alternativen Sprengmittels.

Zwar offenbart Dokument (3) unter anderem ein Cogranulat aus Cellulose und Polyacrylsäure als Sprengmittel (Spalte 6, Zeilen 12 bis 21). Um aber demgegenüber eine Alternative zu schaffen, steht dem Fachmann immerhin frei, aus der oben genannten, in Dokument (3) offenbarten Liste von Sprengmittel eine der verbleibenden Möglichkeiten auszuwählen oder aber Dokument (2) zu berücksichtigen und das Granulat mit einer Tensidbeschichtung zu versehen. Letztere durch flüssige Tenside zu ersetzen, dazu hatte der Fachmann weder Anregung aus dem Stand der Technik noch Anlass um ein alternatives Sprengmittel zu kreieren (Punkt 2.12).

2.14 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass eine Kombination der Dokumente (2) und (3), selbst bei Berücksichtigung aller übrigen zitierten Druckschriften, für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise zum Gegenstand nach Anspruch 1 führt.

2.15 Daraus folgt, dass der Gegenstand nach Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ beruht.

2.16 Die unabhängigen Ansprüche 12 und 16 betreffen ein Verfahren zur Herstellung des Sprengmittelgranulats nach Anspruch 1 sowie dessen Verwendung für gepresste Formkörper und damit die gleiche erfinderische Idee in einer anderen Patentkategorie. Sie entsprechen daher ebenfalls den Erfordernissen von Artikel 56 EPÜ.

2.17 Das gleiche gilt für die abhängigen Ansprüche 2 bis 11, 13 bis 15 und 17 bis 21, die von den Ansprüchen 1, 12 und 16 getragen werden.

3. Da die Ansprüche 1 bis 21 des Hauptantrages die Erfordernisse des EPÜ erfüllen, war über die Patentfähigkeit der Hilfsanträge nicht zu befinden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

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