T 0857/04 (Verwendung von R-(+)-alpha-Liponsäure und R-(-)-Dihydroliponsäure/ … of 6.11.2007

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2007:T085704.20071106
Datum der Entscheidung: 06 November 2007
Aktenzeichen: T 0857/04
Anmeldenummer: 94120045.3
IPC-Klasse: A61K 31/385
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verwendung von R-(+)alpha-Liponsäure, R(-)-Dihydroliponsäure und Metabolite zur Behandlung von Diabetes mellitus sowie seiner Folgeerkrankungen
Name des Anmelders: Degussa GmbH
Name des Einsprechenden: Dr. Gerhard Mann Chem.-pharm. Fabrik GmbH
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
European Patent Convention 1973 R 57a
Schlagwörter: Hauptantrag, Hilfsantrag 1: erfinderische Tätigkeit (verneint), erhöhte Wirkung der Enantiomere gegenüber den Razematen nahegelegt
Hilfsantrag 2: nicht zulässig, da verspätet eingereicht, keine Antwort auf neu vorgebrachte Tatsachen und Argumente
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0296/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die Patentanmeldung Nr. 94 120 045.3 wurde das europäische Patent Nr. 0 659 408 mit 7 Ansprüchen erteilt.

II. Die unabhängigen Ansprüche 1-4 lauten wie folgt:

"1. Verwendung von R-(+)-alpha-Liponsäure, R-(-)-Dihydroliponsäure oder der Metabolite sowie deren Salze, Ester, Amide zur Herstellung von Arzneimitteln zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ I.

2. Verwendung von R-(+)-alpha-Liponsäure, R-(-)-Dihydroliponsäure oder der Metabolite sowie deren Salze, Ester, Amide zur Herstellung von Arzneimitteln zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ II.

3. Verwendung von R-(+)-alpha-Liponsäure, R-(-)-Dihydroliponsäure oder der Metabolite sowie deren Salze, Ester, Amide zur Herstellung von Arzneimitteln zur Behandlung kompensierter und dekompensierter Insulinresistenz.

4. Verwendung von R-(+)-alpha-Liponsäure, R-(-)-Dihydroliponsäure oder der Metabolite sowie deren Salze, Ester, Amide zur Herstellung von Arzneimitteln zur Behandlung von Erkrankungen mit eingeschränkter Funktion oder erniedrigtem Gehalt der Glukosetransporter."

III. Diese Entscheidung wurde am 06. November 2007 verkündet. Folglich beziehen sich die im nachfolgenden Text zitierten Artikel und Regeln auf das EPÜ 1973.

IV. Die chemischen Bezeichnungen Liponsäure und (-Liponsäure werden in der Literatur synonym gebraucht (siehe z.B. Dokument (3), Titel und letzte Zeile auf Seite 59). In dieser Entscheidung wird zur Vereinfachung im Folgenden nur die Bezeichnung Liponsäure verwendet.

V. Gegen die Erteilung des Patents legte die Einsprechende, gestützt auf Artikel 100 (a), (b) und (c) EPÜ Einspruch ein mit der Begründung, dass der Gegenstand des Patents im gesamten Umfang wegen fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 52(1) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ nicht patentfähig sei, dass das europäische Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne und dass der Gegenstand des europäischen Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.

VI. Die nachfolgenden Druckschriften wurden unter anderem im Laufe des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens zitiert:

(2) H.P.P. Singh und R.H. Bowman, "EFFECT OF DL-alpha-LIPOIC ACID ON THE CITRATE CONCENTRATION AND PHOSPHOFRUCTOKINASE ACTIVITY OF PERFUSED HEARTS FROM NORMAL AND DIABETIC RATS", Biochemical and Biophysical Research Communications, vol. 41, no. 3, 1970, 555-561

(3) S.S. Wagh et al., "Mode of action of lipoic acid in diabetes", Journal of Biosciences, vol. 11, no. 1-4, März 1987, 59-74

(18) Declaration von K. Wessel vom 17. Juli 1998, eingereicht von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 12. November 2003

VII. Die Einspruchsabteilung hat mit der am 25. März 2004 verkündeten Entscheidung das Streitpatent nach Artikel 102(1) EPÜ widerrufen.

In der Sache begründete die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:

Zwar seien mit den erteilten Patentansprüchen die Erfordernisse der Artikel 123(2) und 83 sowie des Artikels 54 EPÜ erfüllt, jedoch liege keine erfinderische Tätigkeit gegenüber der Entgegenhaltung (3) als nächstliegendem Stand der Technik vor. Die Aufgabe gegenüber diesem Dokument, in der die Verwendung razemischer Liponsäure zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ I beschrieben sei, läge in der Bereitstellung eines liponsäurehaltigen Arzneimittels mit erhöhter Wirksamkeit bei Diabetes gegenüber dem Razemat. Deren Lösung, i.e. die Auswahl eines bestimmten Enantiomers aus dem Razemat für die gleiche Verwendung, sei jedoch naheliegend.

VIII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt. Mit dem Hauptantrag verfolgt sie weiter die Aufrechterhaltung des Patents in seiner erteilten Fassung.

IX. Mit Schreiben vom 01. Juni 2007 hat die Beschwerdeführerin eine weitere Anspruchsfassung (1. Hilfsantrag) eingereicht. Die Ansprüche 1-7 dieses Hilfsantrags 1 unterscheiden sich von den Ansprüchen des Hauptantrags lediglich dadurch, dass bei den unabhängigen Ansprüchen 1, 2, 3 und 4 das Wort "Arzneimitteln" durch "Human-Arzneimitteln" ersetzt wurde.

X. Mit dem Amtsbescheid vom 29. Juni 2007 wurden die Parteien frist- und formgerecht zur mündlichen Verhandlung geladen.

XI. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) teilte mit Schreiben vom 14. August 2007 mit, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde.

XII. Am 06. November 2007 hat die mündliche Verhandlung stattgefunden, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin einen weiteren Hilfsantrag (Hilfsantrag 2) vorgelegt hat, der jedoch als verspätet nicht in das Verfahren aufgenommen wurde.

XIII. Die im schriftlichen Verfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin können im Wesentlichen wie folgt zusammengefasst werden:

Was die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung betrifft, so sei die erfinderische Tätigkeit falsch beurteilt worden. Aus Entgegenhaltung (3) ließe sich nämlich nur entnehmen, dass Liponsäure im Tiermodell mit alloxaninduziertem Diabetes bei Ratten zur Korrektur von entsprechenden Stoffwechselabweichungen eingesetzt wurde, aber keinesfalls, dass das Razemat der Liponsäure zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ I verwendet worden sei. Insbesondere sei dabei zu bedenken, dass dieses Tiermodell nicht den Bedingungen des Humandiabetes entspräche und die dabei gewonnenen Ergebnisse nicht auf diese Krankheit übertragbar seien. Zudem sei in der angefochtenen Entscheidung die Declaration (18) nicht berücksichtigt worden, in der in einem dem Humandiabetes näher stehenden Tiermodell mit spontandiabetischen Ratten herausgefunden worden sei, dass die razemische Liponsäure im Gegensatz zu dem entsprechenden R-(+)-Enantiomer keine antidiabetische Wirkung besitze. Zudem werde in der Declaration (18) auch auf klinische Versuche Bezug genommen, aus denen die fehlende Wirksamkeit des Razemats bei der Behandlung des Humandiabetes hervorgehe. Mit der Verwendung des R-Enantiomers der Liponsäure sei daher ein Vorurteil überwunden worden und zahlreiche weitere therapeutisch relevante Wirkungen gegenüber dem Razemat seien aufgefunden worden.

XIV. Die im schriftlichen Verfahren eingereichten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der beanspruchte Gegenstand beinhalte keine erfinderische Tätigkeit gegenüber der Entgegenhaltung (3), die als nächster Stand der Technik die Verwendung des Razemats der Liponsäure zur Behandlung des Diabetes Typ I und II offenbare. Die Auswahl des R-Enantiomers der Liponsäure sei naheliegend, da die Enantiomere dem Fachmann bereits vor dem Anmeldetag zur Verfügung gestanden hätten; außerdem fänden sich in der Entgegenhaltung (3) Hinweise auf eine erhöhte Wirksamkeit von Enantiomeren der Dihydroliponsäure, die in der Zelle ein wichtiges Redoxpaar mit der Liponsäure bilde. Das Vorhandensein eines allgemeinen Vorurteils im Hinblick auf die Verwendung von Liponsäure zur Behandlung von Diabetes werde bestritten, zumal selbst die Declaration (18) des Erfinders Wessel deutlich nach dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents datiere.

XV. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten. Hilfsweise hat sie beantragt, das Patent auf der Grundlage des mit Schreiben vom 01. Juni 2007 eingereichten Hilfsantrags 1, oder des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 2, aufrechtzuerhalten.

XVI. Die Beschwerdegegnerin beantragte schriftlich die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit der im Laufe des Beschwerdeverfahrens im Nachgang zur Beschwerdebegründung eingereichten Anträge:

2.1. Zulässigkeit des Hilfsantrags 1:

Der Hilfsantrag 1 wurde mit der Eingabe vom 01. Juni 2007 eingereicht. Der Einschränkung auf die Verwendung von Human-Arzneimitteln (Hervorhebung durch die Kammer) liegt der Versuch der Beschwerdeführerin zugrunde, sich weiter vom Stand der Technik, insbesondere von der Entgegenhaltung (3), in der die Wirkung der Liponsäure anhand von Tiermodellen und in vitro beschrieben ist, abzugrenzen. Somit sind die Erfordernisse der Regel 57a EPÜ erfüllt. Zudem wurde dieser Antrag mehr als fünf Monate vor der für den 06. November 2007 anberaumten mündlichen Verhandlung eingereicht, so dass die Beschwerdegegnerin davon nicht überrascht wurde. Der Hilfsantrag 1 ist somit zulässig.

2.2. Zulässigkeit des Hilfsantrags 2:

Der Hilfsantrag 2 wurde erst zu einem sehr späten Zeitpunkt, nämlich gegen Ende der mündlichen Verhandlung eingereicht. Nach Auffassung der Kammer ist beim vorliegenden Verfahrensstand die Einreichung dieses neuen Hilfsantrags zu einem so späten Zeitpunkt nicht gerechtfertigt:

Die Einreichung des neuen Hilfsantrags wurde nicht durch neue Tatsachen oder Argumente verursacht, insbesondere nicht durch während der in Abwesenheit der Beschwerdegegnerin durchgeführten mündlichen Verhandlung neu vorgebrachte Tatsachen oder Argumente. Die letzte Eingabe der Beschwerdegegnerin, in der sachlich zu den Anträgen der Beschwerdeführerin Stellung genommen wurde, datiert vom 05. Januar 2007. Somit wäre es der Beschwerdeführerin möglich gewesen, diesen Hilfsantrag zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt einzureichen. Daher macht die Kammer von ihrem Ermessen Gebrauch, den Hilfsantrag 2 nicht zuzulassen (Artikel 114(2) EPÜ).

3. Die Erfüllung der Erfordernisse der Artikel 123(2), 84 und 54 EPÜ sowie der Nacharbeitbarkeit wurde in der mündlichen Verhandlung nicht mehr diskutiert. Die Kammer ist unter den speziellen Gegebenheiten des vorliegenden Falles zu der Überzeugung gelangt, dass sie unmittelbar zur Erörterung der erfinderischen Tätigkeit kommen kann.

4. Erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf den Gegenstand des Hauptantrags:

4.1. Die Lehre gemäß Streitpatent nach Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags betrifft in den durch eindeutige chemische Substanzbezeichnungen definierten Ausführungsformen die Verwendung von R-(+)-Liponsäure oder R-(-)-Dihydroliponsäure zur Herstellung von Arzneimitteln zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ I.

4.2. Nächstliegender Stand der Technik ist die Entgegenhaltung (3). In diesem wissenschaftlichen Artikel wird die Wirkungsweise von Liponsäure und Dihydroliponsäure bei der Behandlung des Diabetes diskutiert (siehe insb. Seite 60, Ende des 3. Absatzes). Auf Seite 59 (siehe 1. Absatz nach "Introduction") wird der Diabetes als Krankheit dargestellt, von der signifikante Teile der Bevölkerung betroffen sind. Weiter unten auf Seite 59 (siehe die Zeilen 2-5 von unten) wird auf Versuche Bezug genommen, in denen anhand von alloxandiabetischen Ratten gezeigt wurde, dass diese beiden Wirkstoffe die Konzentration des Blutzuckers, des Pyruvats im Serum sowie des Acetylacetats signifikant verringern und die Glycogensynthese in der Leber sowie die Fettsynthese beschleunigen. Im Absatz darüber (Entgegenhaltung (3), Seite 59, letzter vollständiger Absatz) wird ausgeführt, dass die erhöhte Konzentration an Blutzucker, Serumpyruvat und Acetylacetat, der verringerte Glycogengehalt im Gewebe sowie die eingeschränkte Fettbiosynthese zu den wichtigsten biochemischen Anomalien bei Diabetes gezählt werden.

Was die genannten Tierversuche mit alloxandiabetischen Ratten betrifft, so ist die Kammer der Auffassung, dass es sich hierbei um ein Standardmodell zur Erforschung des Diabetes und insbesondere des Humandiabetes handelt, was sich aus der Tatsache ableiten lässt, dass dieses Tiermodell nicht nur in der Entgegenhaltung (3), sondern zum Beispiel auch in der von einer anderen Forschungsgruppe publizierten Entgegenhaltung (2)(siehe insbesondere Seite 556, erster vollständiger Absatz) verwendet wurde.

Dass das Tiermodell mit alloxandiabetischen Ratten insbesondere für Diabetes mellitus Typ I repräsentativ ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass bei diesem Tiermodell der Diabetes künstlich durch mittels Alloxan verursachter Zerstörung der pankreatischen ß-Zellen hervorgerufen wird (siehe dazu zum Beispiel die Beschwerdebegründung vom 10. September 2004, Seite 18, vorletzter Absatz). Eine ähnliche Situation liegt beim natürlichen Diabetes mellitus Typ I vor, bei dem ebenfalls eine Zerstörung besagter pankreatischer ß-Zellen eintritt, die in diesem Fall immunologisch oder idiopathisch bedingt sein kann (siehe Beschwerdebegründung vom 10. September 2004, Seite 3, Absatz 3.1). Somit wird in beiden Fällen der Insulinmangel durch Zerstörung der ß-Zellen verursacht.

Bezüglich der näheren Spezifikation der verwendeten Substanzen Liponsäure und Dihydroliponsäure ist festzustellen, dass der Fachmann im Fall ihrer Nennung ohne spezielle Angaben vom Vorliegen eines Razemats ausgeht. Auf Seite 72 von Entgegenhaltung (3) in der dritten Zeile nach Bild 5 wird darüber hinaus ausdrücklich dargestellt, dass Dihydroliponsäure als razemische Mischung verwendet wird.

Auf Grund all dieser Sachverhalte entnimmt der Fachmann aus der Entgegenhaltung (3), dass razemische Liponsäure und Dihydroliponsäure in Ratten zur Milderung von Diabetes-Symptomen eingesetzt wurden und zur Behandlung des Diabetes, insbesondere des Diabetes mellitus Typ I, einschließlich des Humandiabetes geeignet sind.

4.3. Die der technischen Lehre des Streitpatents nach Anspruch 1 zu Grunde liegende Aufgabe ist demgegenüber als Verbesserung der Wirksamkeit eines Arzneimittels zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ I zu sehen, und zwar durch Verwendung eines anderen Wirkstoffs an Stelle des Razemats der Liponsäure beziehungsweise der Dihydroliponsäure.

Die Aufgabe wird streitpatentgemäß durch eine Verwendung gemäß den Merkmalen des unabhängigen Patentanspruchs 1 gelöst, also durch Verwendung jeweils einer enantiomeren Form der Razemate.

Unter Berücksichtigung der experimentellen Ergebnisse in der Declaration (18) ist die Kammer überzeugt, dass diese Aufgabe tatsächlich gelöst wird.

4.4. Wie bereits im Absatz 4.2 erwähnt wurde, befasst sich die Entgegenhaltung (3) mit der Wirkungsweise von Liponsäure und Dihydroliponsäure bei Diabetes. Dabei werden die antidiabetischen Wirkungen der Liponsäure bzw. der Dihydroliponsäure damit erklärt, dass sie zum einen ein Cofaktor für die alpha-Ketosäuredehydrogenasen und insbesondere für die Pyruvatdehydrogenase sind (siehe Seite 60, 3. vollständiger Absatz und Seite 73, letzter Absatz) und Dihydroliponsäure zum anderen bei zahlreichen von für den Fett- und Glukosestoffwechsel wesentlichen Reaktionen als Ersatz für das Coenzym A dient (siehe Seite 72, Figur 4 mit erläuterndem Text). Die bei den meisten enzymatischen Reaktionen beobachtete geringere Aktivität der acetylierten oder freien Dihydroliponsäure im Vergleich zum acetylierten oder freien Coenzym A wird im Wesentlichen dadurch erklärt, dass das Razemat eingesetzt wurde, obwohl nur eine der isomeren Formen wirksam ist. Im Falle der Acetyldihydroliponsäure sei zum Beispiel bei Einsatz des wirksamen Enantiomers eine im Vergleich zum Razemat, das aus zwei an verschiedenen Stellen acylierten Enantiomerenpaaren besteht, vierfach höhere Wirkung zu erwarten gewesen und auch gefunden worden (Seite 72, Absatz nach Figur 4 und letzter vollständiger Absatz). Daraus folgt, dass der Fachmann bereits aus der Entgegenhaltung (3) selbst die konkrete Anregung erhält, zur Wirkungssteigerung von Lipon- oder Dihydroliponsäure jeweils das entsprechende Enantiomer einzusetzen. Es findet sich zwar in der Entgegenhaltung (3) kein Hinweis darauf, welches der Enantiomere das wirksame Agens darstellt, doch beschränkt sich die Auswahl aufgrund der Tatsache, dass beide Substanzen nur ein einziges Asymmetriezentrum aufweisen, auf jeweils zwei Verbindungen. Die Auswahl eines Wirkstoffes aus zwei Alternativen zum Erzielen einer durch die Lehre der Entgegenhaltung (3) nahegelegten Wirkungssteigerung kann jedoch keine erfinderische Tätigkeit begründen. Somit erfüllt der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 nach Hauptantrag nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.

4.5. Da der Gegenstand dieses Anspruchs 1 die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ nicht erfüllt, ist eine Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der weiteren unabhängigen und abhängigen Ansprüche nicht erforderlich.

5. Hilfsantrag 1:

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von dem entsprechenden Anspruch 1 des Hauptantrags nur dadurch, dass die zu behandelnde Krankheit nunmehr auf Humandiabetes beschränkt ist. Wie jedoch bereits im Absatz 4.2 erwähnt wurde, ist das in der Entgegenhaltung (3) verwendete Tiermodell als repräsentativ für die Erforschung des Humandiabetes zu betrachten. Daraus folgt, dass auch der Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 1 aus den in den Absätzen 4.1 - 4.4 aufgeführten Gründen nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ erfüllt.

6. Weitere Argumente der Beschwerdeführerin:

6.1. Versuche mit spontandiabetischen Ratten sowie klinische Versuche hätten eine fehlende antidiabetische Wirkung des Razemats bewiesen, so dass ein Vorurteil gegen die Verwendung der Enantiomere zur Behandlung des Diabetes vorläge:

Diesem Argument kann aus folgenden Gründen nicht zugestimmt werden:

Versuche mit spontandiabetischen Ratten sind sowohl im Streitpatent als auch in der Declaration (18) beschrieben. Die im Streitpatent aufgeführten Versuche (siehe Seite 3, Zeile 11 - Seite 5, Zeile 40) sind insofern nicht relevant, als hier kein Vergleich mit dem nächsten Stand der Technik (R-(+)-alpha-Liponsäure gegenüber Razemat) durchgeführt wurde, sondern die R-(+)-alpha-Liponsäure der S-(-)-alpha-Liponsäure gegenüber gestellt wurde.

Was die in der Declaration (18) aufgeführten Versuche betrifft, so ist zu berücksichtigen, dass die Declaration (18) das Datum des 17. Juli 1998 trägt. Somit handelt es sich um ein nachveröffentlichtes Dokument, das als Erklärung einer einzelnen Person ein von der Beschwerdeführerin geltend gemachtes Vorurteil zum Zeitpunkt des Prioritätsdatums des Streitpatents (21. Dezember 1993) nicht zu begründen vermag. Ebensowenig können die in der Declaration (18) erwähnten und angeblich schon früher veröffentlichten klinischen Versuche Berücksichtigung finden, da der Kammer keine Beweismittel zum Nachweis ihrer öffentlichen Zugänglichkeit vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents vorgelegt wurden.

6.2. Die Entscheidung T 0296/87 sei in ihrem Ergebnis nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar; sie enthalte Ausnahmetatbestände, die für eine Patentierbarkeit der Lehre des Streitpatens sprächen:

Dieses Argument ist insofern nicht zielführend, als, wie im Absatz 4.4 ausgeführt wird, der Fachmann aus der Entgegenhaltung (3) selbst die konkrete Anregung erhält, zur Steigerung der antidiabetischen Wirkung Enantiomere zu verwenden. Besondere, der Entscheidung entnehmbare Umstände, die im vorgegebenen Fall für eine erfinderische Tätigkeit sprechen könnten, zum Beispiel ein Fernliegen der Enantiomerenauswahl oder besondere Schwierigkeiten, entsprechende Enantiomere in die Hand zu bekommen, können demgegenüber, wie vorstehend dargestellt, nicht wirksam geltend gemacht werden.

7. Aufgrund der Tatsache, dass keiner der vorliegenden Anträge die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllt, erübrigt sich eine Diskussion der weiteren von der Beschwerdegegnerin aufgeführten Einspruchsgründe.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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