T 0792/04 (Partielle Hydrierung von Dinitrilen/BASF) of 20.11.2007

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2007:T079204.20071120
Datum der Entscheidung: 20 November 2007
Aktenzeichen: T 0792/04
Anmeldenummer: 98947530.6
IPC-Klasse: C07C 253/30
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von aliphatischen alpha, omega-Aminonitrilen
Name des Anmelders: BASF Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: E.I. Du Pont de Nemours and Company
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 113
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 10a
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 10b
Schlagwörter: Alle Anträge (nicht zulässig): verspätet - Disclaimer nicht zulässig - eindeutig nicht gewährbar
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/03
T 0153/85
T 0092/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 18. Juni 2004 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Einsprechender) richtet sich gegen die am 20. April 2004 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch gegen das auf der Basis der Ansprüche 1 bis 11 erteilte Europäische Patent Nr. 1 017 669 zurückgewiesen wurde. Mit Schreiben vom 24. August 2004 wurde die schriftliche Beschwerdebegründung eingereicht.

II. Im Einspruchsverfahren war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang vom Beschwerdeführer im Hinblick auf Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ, sowie im Hinblick auf Artikel 100(b) EPÜ angegriffen worden. Hierbei wurde insbesondere auf folgende Druckschrift verwiesen:

(14) WO 98/11051.

III. In der angefochtenen Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass die Druckschrift (14) zwar alle technischen Merkmale des beanspruchten Verfahrens offenbare, dass allerdings der Fachmann an mehreren Stellen auswählen müsse, um zum Verfahren des Streitpatentes zu gelangen, weshalb gegenüber dieser Druckschrift die Neuheit anerkannt werden könne. Weiterhin wurde festgestellt, dass durch keine der zitierten Druckschriften, weder einzeln, noch in Kombination, das Verfahren des Streitpatents nahegelegen habe.

IV. Mit Schriftsatz eingegangen am 14. September 2007 reichte der Beschwerdegegner (Patentinhaber) einen ersten Hilfsantrag ein, welcher 11 Ansprüche umfasste, sowie während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 20. November 2007 einen zweiten Hilfsantrag umfassend 11 Ansprüche. Gleichzeitig erklärte der Beschwerdegegner während der mündlichen Verhandlung, dass er seinen Hauptantrag, gerichtet auf die Ansprüche wie erteilt, nicht weiter verfolge. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß des ersten Hilfsantrags lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von aliphatischen alpha, omega-Aminonitrilen durch partielle Hydrierung von aliphatischen alpha, omega-Dinitrilen in Gegenwart eines Katalysators, der

(a) Eisen oder eine Verbindung auf der Basis von Eisen oder deren Gemische enthält, dadurch gekennzeichnet, dass der Katalysator

(b) von 0,01 bis 5 Gew.-% bezogen auf (a) eines Promotors auf der Basis von 2,3,4 oder 5 Elementen ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Aluminium, Silizium, Zirkonium, Titan und Vanadium sowie

(c) von 0 bis 0,5 Gew.-% bezogen auf (a) einer Verbindung auf der Basis eines Alkali- oder Erdalkalimetalls, enthält, und dass das verwendete aliphatische alpha, omega-Dinitril 1,0 Gew.-ppm oder mehr Phosphor enthält,

ausgenommen Verfahren zur gleichzeitigen Herstellung von 6-Aminocapronitril und Hexamethylendiamin ausgehend von einem Gemisch, das eine phosphorhaltige Verbindung und im wesentlichen Adipodinitril enthält und das durch Umsetzung von Butadien mit Cyanwasserstoffsäure in Gegenwart eines eine phosphorhaltige Verbindung enthaltenden Katalysators erhalten wurde, dadurch gekennzeichnet, dass man

(1) den Gewichtsanteil an einer phosphorhaltigen Verbindung, gerechnet als Phosphor, in dem Gemisch reduziert und

(2) die erhaltene Mischung in Gegenwart eines Katalysators zu einem alpha, omega-Aminonitril partiell hydriert und

(3) 6-Aminocapronitril und Hexamethylendiamin aus der Mischung abtrennt."

Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß des zweiten Hilfsantrages ist identisch mit dem Wortlaut gemäß des ersten Hilfsantrages mit der Ausnahme, dass der Teilschritt (3) im Disclaimer gestrichen und durch folgende Passage ersetzt wurde:

"der Gewichtsanteil an einer phosphorhaltigen Verbindung gerechnet als Phosphor in der Mischung in Teilschritt (2) kleiner als 5 ppm bezogen auf Adipodinitril ist".

V. Der Beschwerdeführer argumentierte im Hinblick auf den ersten Hilfsantrag, dass Druckschrift (14) in Anspruch 1, in Kombination mit den Ansprüchen 2 und 11, die untereinander rückbezogen seien, das Verfahren gemäß Streitpatent offenbare. Der in Anspruch 11 offenbarte Katalysator sei identisch mit dem gemäß Streitpatent verwendeten Katalysator und Anspruch 2 offenbare einen Phosphorgehalt des Adipodinitrils von kleiner 5 ppm. Der überlappende Bereich von 1 ppm oder mehr bis kleiner als 5 ppm werde durch den neu eingeführten Disclaimer nicht ausgenommen. Darüberhinaus sei der Disclaimer zu breit formuliert, da er Teile aus dem Streitpatent ausnehme, die von Druckschrift (14) nicht neuheitsschädlich getroffen seien. Im Hinblick auf den zweiten Hilfsantrag sei zwar der überlappende Bereich des Phosphorgehaltes des Adipodinitrils ausgenommen, darüber hinaus sei der Disclaimer des zweiten Hilfsantrages weiterhin zu breit abgefaßt und damit, wie im Falle des ersten Hilfsantrages, unter Artikel 123(2) EPÜ nicht zulässig.

VI. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) trug vor, dass der eingefügte Disclaimer wortgleich sei mit dem Anspruch 1 der Druckschrift (14) und damit die von Druckschrift (14) beschriebenen Verfahren ausnehme. Dadurch werde gegenüber Druckschrift (14) die Neuheit hergestellt. Bezüglich des zweiten Hilfsantrag sei der Disclaimer enger gefaßt, da der Teilschritt (3) betreffend die Abtrennung der hergestellten Produkte gestrichen und die Grenze des Phosphorgehaltes mit kleiner als 5 ppm in den Disclaimer eingeführt sei. Der Teilschritt (1) gemäß des Anspruchs 1 aus Druckschrift (14) sei zum besseren Verständnis des Disclaimers auch im zweiten Hilfsantrag beibehalten worden.

VII. Der Beschwerdeführer beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Der Beschwerdegegner beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des ersten Hilfsantrags eingereicht am 14. September 2007 oder des zweiten Hilfsantrags eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.

VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde die Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Erster und zweiter Hilfsantrag

2. Zulässigkeit

2.1 Der Beschwerdegegner hat in einem sehr späten Stadium des Beschwerdeverfahrens, nämlich kurz vor und während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, zwei abgeänderte Anspruchssätze eingereicht, in welchen jeweils ein Disclaimer mit dem Wortlaut "ausgenommen Verfahren zur gleichzeitigen Herstellung von .... " in den jeweiligen Anspruch 1 eingeführt wurde (siehe Paragraph III, supra). Ein Anspruch mit derartigen Disclaimern wurde bis zu diesem Zeitpunkt nie im Einspruchs(beschwerde)verfahren vorgelegt.

2.2 Der Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens besteht darin, der unterlegenen Partei, hier dem Einsprechenden die Möglichkeit zu eröffnen, die Entscheidung der ersten Instanz anzufechten. Im Zuge dieses Verfahrens muss der beschwerdegegnerische Patentinhaber auch gegenwärtig sein, dass die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch die Kammer zu anderen Schlussfolgerungen führen kann. Er ist daher aufgefordert, rechtzeitig, d.h mit der Antwort auf die Beschwerdebegründung, entsprechend geänderte Anträge vorbringen (Artikel 10a VOBK), insbesondere, wenn diese Änderungen durch bereits aus dem erstinstanzlichen Verfahren bekannte Einwände begründet sind. Er hat jedoch keinen Anspruch auf die Zulassung weiterer Anträge zu einem späteren Zeitpunkt; diese unterliegt einer Ermessensentscheidung der Kammer (Artikel 10b VOBK). Zur Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens über die Zulassung von frischen Anträgen prüfen die Beschwerdekammern nach ständiger Rechtsprechung unter anderem als ein dafür entscheidendes Kriterium, ob die geänderten Ansprüche dieser frischen Anträge eindeutig gewährbar sind oder ob sie neue Einwände hervorrufen, die bisher nicht vorhanden waren (siehe T 153/85, ABl. EPA 1998, 1, Punkt 2.1 und 2.2 der Entscheidungsgründe und T 92/93, Punkt B der Entscheidungsgründe, nicht veröffentlicht im ABl. EPA).

2.3 Der in den Anspruch 1 eingeführte Disclaimer soll laut Beschwerdegegner zur Abgrenzung gegenüber der kollidierenden Druckschrift (14) führen. Wenn jedoch ein Disclaimer dazu dient, die Neuheit gegenüber einer Offenbarung nach Artikel 54(3) EPÜ wiederherzustellen, ist er nur dann zulässig, wenn er ausschließlich den neuheitsschädlichen Teil der Entgegenhaltung ausschließt, wenn er das Erfordernis der Deutlichkeit nach Artikel 84 EPÜ erfüllt und wenn die Einführung des Disclaimers keinen Einfluss auf die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nach sich zieht (siehe G 1/03, ABl. EPA 2004, 413).

Im vorliegenden Fall stellt die Druckschrift (14) Stand der Technik gemäß Artikel 54(3) EPÜ dar und offenbart in Anspruch 1 ein Verfahren zur partiellen Hydrierung eines Gemisches aus Adipodinitril, welches ein spezielles alpha,omega-Dinitril darstellt, und einer phosphorhaltigen Verbindung. Das in Anspruch 1 der Druckschrift (14) beanspruchte Verfahren besteht aus drei Teilschritten, wobei Teilschritt (1) die Reduzierung des Gewichtsanteils der phosphorhaltigen Verbindung im Ausgangsprodukt Adipodinitril und Teilschritt (2) die partielle Hydrierung in Gegenwart eines Katalysators betrifft. Das Verfahren des Streitpatentes betrifft die partielle Hydrierung des Dinitrils und beginnt damit bei Teilschritt (2) der Druckschrift (14). Teilschritt (1) findet vor der partiellen Hydrierung des Adipodinitrils statt und wird damit vom streitgegenständlichen Verfahren nicht erfaßt. Daher ist dieser Teilschritt (1) aus Druckschrift (14) nicht Gegenstand des beanspruchten Verfahrens und steht daher diesem nicht neuheitsschädlich entgegen.

Da im ersten und im zweiten Hilfsantrag ein Disclaimer eingefügt wurde, der auch den Teilschritt (1) gemäß der Druckschrift (14) explizit ausschließt, wird nicht nur der von Druckschrift (14) neuheitsschädlich getroffene Gegenstand ausgenommen. Daher ist der Disclaimer in beiden Hilfsanträgen zu breit abgefaßt und gemäß den Kriterien der Entscheidung G 1/03 (loc. cit.)nicht zulässig.

2.4 Das Argument des Beschwerdegegners, er habe den Teilschritt (1) beibehalten um die Deutlichkeit des Anspruchs zu gewährleisten, kann nicht als Grundlage dafür dienen, einen zu breit abgefassten Disclaimer zuzulassen, da bei der Formulierung eines Disclaimers alle in der G 1/03 geforderten Kriterien gleichzeitig erfüllt sein müssen

2.5 Aus diesem Grund verstoßen die vorgenommenen Anspruchsänderungen in beiden Hilfsanträgen gegen Artikel 123 (2) EPÜ und die verspäteten Hilfsanträge sind somit eindeutig nicht gewährbar, so dass die Kammer ihr Ermessen pflichtgemäß dahingehend ausübt, den ersten und den zweiten Hilfsantrag nicht in das Verfahren zuzulassen.

3. Nachdem kein vorliegender Antrag gewährbar ist, muss das Streitpatent widerrufen werden, denn es liegt keine gemäß Artikel 113 (2) EPÜ vorgelegte oder gebilligte Fassung vor, die als Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patentes dienen könnte.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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