European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2006:T069304.20061109 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 09 November 2006 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0693/04 | ||||||||
Anmeldenummer: | 97949899.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60T 13/12 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Hydraulische Fahrzeugbremsanlage | ||||||||
Name des Anmelders: | ROBERT BOSCH GMBH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | LUCAS AUTOMOTIVE GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 0 883 537 zurückgewiesen worden ist, Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der unter Artikel 100 (a) EPÜ fallende Einspruchsgrund einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) der Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form nicht entgegenstehe.
III. Am 9. November 2006 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 883 537 in vollem Umfang.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Im Beschwerdeverfahren wurde unter anderem auf folgende Druckschriften Bezug genommen:
D1: WO-A 93/00236
D2: DE-A 40 37 662
D3: Society of Automotive Engineers, Inc, Paper 960991; "Electrohydraulic Brake System- The First Approach to Brake-By-Wire Technology", Wolf-Dieter Jonner, Hermann Winner, Ludwig Dreilich, and Eberhardt Schunck; Robert Bosch GmbH; 1996; Seiten 105 bis 112;
D4: DE-A 34 44 827.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung lautet wie folgt:
"1. Hydraulische Fahrzeugbremsanlage (2) mit Radbremsen (3,4,5,6) für vier Räder, die auf eine erste und eine zweite Fahrzeugachse verteilt sind, mit einer hydraulischen Fremdenergiequelle (19) und zwischen dieser und den Radbremsen (3,4,5,6) angeordneten elektrisch steuerbaren Betriebsbremsventilanordnungen (25,26,27,28) und mit einem per einem Bremspedal betätigbaren Bremswertgeber (38,40) zum Durchführen von Betriebsbremsungen mittels hydraulischer Fremdenergie unter Benutzung der Betriebsbremsventilanordnungen (25,26,27,28) und mit einem mittels des Bremspedals (7) betätigbaren zweikreisigen Hauptbremszylinder (9,9a) zum Durchführen einer Hilfsbremsung mittels Muskelkraftenergie, wobei zwischen den Hauptbremszylinder (9,9a) und aus diesem versorgbaren Radbremsen (3,4,5,6) je Bremskreis ein normal durchlässiges Betriebsartenumschaltventil (17,18) angeordnet ist, das für den Betriebsbremsbetrieb in eine sperrende Stellung steuerbar ist, und wobei wenigstens die Betriebsbremsventilanordnungen (25,26,27,28) mittels eines Steuer- und Regelgerätes (37) steuerbar sind, dadurch gekennzeichnet, daß
h) zwischen die Radbremsen (5, 6) derjenigen Fahrzeugachse, die für den größeren Beitrag zur Fahrzeugbremsung ausgelegt ist, und den zugeordneten elektrisch steuerbaren Betriebsbremsventilanordnungen (27, 28) je eine Zylinder-Kolben-Anordnung (52, 53) zwischengeschaltet ist und, daß
i) die für den größeren Beitrag zur Fahrzeugbremsung ausgelegten Radbremsen (5, 6) an die den beiden Bremskreisen des Hauptbremszylinders (9) zugeordneten Betriebsartenumschaltventile (17, 18) angeschlossen sind."
Die Merkmalsbezeichnungen h) und i) im kennzeichnenden Teil dieses Anspruchs wurden von der Kammer eingefügt. Im Folgenden wird bei einem Verweis auf Merkmale h) und i) auf diese Merkmale des kennzeichnenden Teils Bezug genommen.
VII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Dokument D3, das den nächstliegenden Stand der Technik bilde, offenbare eine elektrohydraulische Fahrzeugbremsanlage mit allen Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 des Streitpatents, siehe insbesondere Figur 2, so dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents nur durch die Merkmale h) und i) von diesem Stand der Technik unterscheide.
Die Merkmale h) und i) seien unabhängig voneinander und führten in Kombination zu keinem synergistischen Effekt. Außerdem sei bei der Frage, ob für den Fachmann eine Veranlassung bestand, die aus Dokument D3 bekannte Bremsanlage zu ändern, zu beachten, dass ihm Zylinder-Kolbenanordnungen in einem Bremssystem ebenso wie eine achsweise Anordnung von Betriebsartenumschaltventilen allgemein bekannt gewesen seien.
So finde sich bereits in Dokument D3 auf Seite 111, rechte Spalte, drittletzter Absatz, der Hinweis, dass ein auf nur eine Achse ausgelegter Hilfsbremskreislauf ("single one axle backup-circuit") den gesetzlichen Bestimmungen genüge. Die sich daraus ergebende Kostenersparnis (keine Leitungen zur zweiten Achse) seien offensichtlich. Ferner finde sich auf Seite 105, linke Spalte, zweiter Absatz, der Hinweis, dass ein Hilfsbremskreislauf auf die Bremsen der Vorderräder wirke. Da zudem bekanntermaßen die Radbremsen der Vorderachse eines Fahrzeugs für den größeren Beitrag zur Fahrzeugbremsung ausgelegt seien, ergebe sich somit das Merkmal i) des Anspruchs 1 des Streitpatents direkt aus der Lehre des Dokuments D3.
Das Merkmal h) des Anspruchs 1 des Streitpatents befasse sich mit der in Absatz [0005] des Streitpatents genannten Aufgabe des Fernhaltens von Luft oder Gas, das sich in der hydraulischen Fremdenergiequelle befinde, aus den Radbremsen. Dies sei ein bekanntes und in Dokument D3 (siehe Seite 112, linke Spalte, zweiter und dritter Absatz) bereits angesprochenes Problem. Ursache für einen Luft- oder Gaseintrag könnten Undichtigkeiten, Brüchigkeit oder gar ein Riss in der Membran der Fremdenergiequelle sein.
Zur Lösung dieses Problems lehre Dokument D3 unter anderem bereits die Verwendung einer Zylinder-Kolbenanordnung in der Fremdenergiequelle (siehe Seite 112, linke Spalte, Ende des dritten Absatzes). Dieser direkte Verweis auf die Verwendung von Zylinder-Kolben-Anordnungen in Zusammenhang mit dem Problem des Gaseintrags sei ein klarer, den Fachmann zum Gegenstand des Streitpatents führender Hinweis. Da ferner diese Lösung als eine teure Lösung bezeichnet werde, werde der Fachmann dementsprechend alternative Lösungen in Betracht ziehen.
So sei ihm aus Dokument D2 bekannt, zwischen die Betriebsbremsventilanordnungen 42, 44, 49, 50 (siehe einzige Figur) und den Radbremsen eine Zylinder-Kolben-Anordnung zu schalten. Die in der Figur des Dokuments D2 gezeigten Ventile 25 bis 28 dienten dem ABS-Betrieb. Sie seien nicht Teil der Betriebsbremsventilanordnung. Der Druckaufbau und -abbau beim normalen Bremsbetrieb erfolge ausschließlich über die der Zylinder-Kolben-Anordnung vorgeschalteten Ventile 42, 44, 49, 50. Auch das Streitpatent definiere als Betriebsbremsventile die der Erhöhung und Erniedrigung des Bremsdrucks dienenden Ventile, siehe Spalte 1, Zeilen 40 bis 49 des Streitpatents.
Der Fachmann sehe die in Dokument D2 gezeigte Zylinder-Kolben-Anordnung als eine Lösung für sein Problem und werde diese Lösung eins zu eins in die aus Dokument D3 bekannte Bremsanlage übernehmen, womit er direkt zu einer Bremsanlage mit der in Merkmal h) angegebenen Eigenschaften gelange.
Einen weiteren Anlass für eine Änderung der aus Dokument D3 bekannten Bremsanlage in Richtung des Streitpatents ergebe sich dem Fachmann auch durch die Lehre des Dokuments D4. Dieses zeige eine hydraulische Bremsanlage mit einer Zylinder-Kolben-Anordnung (siehe Figur 1), die hier der Kennliniensteuerung diene, siehe Anspruch 1, die aber auch eine schlechte Entlüftung der Bremskreise anzuzeigen vermag, siehe Seite 24 (handschriftliche Nummerierung), Zeilen 1 bis 5. Der Fachmann sehe diese Funktionalität dieser Zylinder-Kolbenanordnung und setze diese zur Lösung des dem Streitpatent zu Grunde liegenden Problems (Vermeidung eines Gaseintrags) in die aus Dokument D3 bekannte elektrohydraulische Bremsanlage ein.
Die beanspruchte Anordnung der Zylinder-Kolben-Anordnung zwischen den Betriebsbremsventilen und den Bremszylindern entspreche der aus Dokument D4 bekannten Anordnung zwischen der Fremdenergiequelle und den Bremszylindern. Außerdem werde der Fachmann, gerade zur Vermeidung von Gaseintrag in den Bremskreislauf, diese Zylinder-Kolben-Anordnung möglichst nahe bei den Radbremszylindern einbauen. Ferner lehre Dokument D4, dass eine derartige Zylinder-Kolbenanordnung nicht nur einem, sondern auch sämtlichen Bremskreisen und Teilbremskreisen zugeordnet werden könne, siehe Seite 22 (handschriftliche Nummerierung, Zeilen 10 bis 4 von unten).
Die Lehre des Dokuments D3 mit den Hinweisen auf einen auf eine Achse ausgerichteten Backup-Bremskreis und das Problem des Gaseintrags sowie die in diesem Zusammenhang stehende Verwendung einer Zylinder-Kolben-Anordnung sei eine klares Sprungbrett, das den Fachmann spätestens bei Berücksichtigung der Lehren der Dokumente D2 oder D4 veranlasse, die aus Dokument D3, Figur 2, bekannte Bremsanlage entsprechend den Merkmalen h) und i) zu verändern.
Außerdem ergebe sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatent auch ausgehend von Dokument D4 in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens. Dokument D4 betreffe zwar keine elektrohydraulische Bremsanlage, beschreibe aber eine Anlage mit allen Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents bis auf die Betriebsartenumschaltventile. Diese seien aber dem Fachmann bekannt, siehe insbesondere Dokumente D1 (Figur 3, Umschaltventile 42a, 42b) und D3 (Figur 2), wobei der Anschluss der für den größeren Beitrag zur Fahrzeugbremsung ausgelegten Radbremsen, bei denen es sich allgemein um die Radbremsen der Vorderachse handele, an diese Betriebsartenumschaltventile zum allgemeinen Fachwissen gehöre und auch in Dokument D1, Seite 8, Zeilen 20 bis 23 gelehrt werde.
Unabhängig davon ergebe sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents in naheliegender Weise auch aus der Kombination der Lehren der Dokumente D1 und D2. Hier hätte der Fachmann mehrfach Veranlassung gehabt, eine aus Dokument D2 bekannte Zylinder-Kolben-Anordnung in einer elektrohydraulischen Fahrzeugbremsanlage gemäß Figur 3 des Dokuments D1 vorzusehen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Streitpatent beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VIII. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Dokument D1, siehe Figur 3 mit zugehöriger Beschreibung, offenbare eine Bremsanlage mit den im Oberbegriff des Anspruchs 1 des Streitpatents angegebenen Merkmalen. Die Merkmale h) und i) seien dort nicht offenbart und hätten angesichts des vorliegenden Standes der Technik auch nicht nahe gelegen.
Bezüglich des Hinweises auf Seite 105, linke Spalte, zweiter Absatz des Dokuments D3, daß der Hilfsbremskreis die Bremsen der Vorderachse betätige (" The backup actuates the front wheel brakes") sei anzumerken, dass die für einen größeren Beitrag zur Fahrzeugbremsung ausgelegten Radbremsen nicht allgemein die Bremsen der Vorderachse seien. Zum Beispiel werde bei Lastkraftwagen die Hinterachse stärker gebremst. Außerdem zeige Figur 2 des Dokuments D3 eine Bremsanlage, bei der die Betriebsumschaltventile der beiden Bremskreise jeweils einer Achse zugeordnet seien, und nicht den beiden Radbremsen einer Achse. Das Merkmal i) ergebe sich somit nicht aus Dokument D3.
Dokument D3 verweise auf das Problem des Gaseintrags von der Fremdenergiequelle in den Bremskreislauf. Lösungen zur Behebung dieses Problems gingen aber in Richtung Gaserkennung oder der Verwendung einer Kolbenanordnung in der Fremdenergiequelle ("piston type gas accumulator"), siehe Seite 112, linke Spalte, Ende des dritten Absatzes. Dokument D3 lege damit auch das Merkmal h) nicht nahe.
Auch die Druckschriften D2 und D4 enthielten keine Hinweise, die in Richtung der im Streitpatent angegebenen Lösung gingen.
ABS- und ASR-Regelungen gehörten zum normalen Betrieb einer Bremsanlage. Die hierzu verwendeten Ventile, und damit die Ventile 25 bis 28 der aus Dokument D2 bekannten Anlage (siehe einzige Figur), bzw. die Ventile 29a bis 29d der aus Dokument D4 bekannten Anlage (siehe Figur 1), seien somit Bestandteil der Betriebsbremsventilanordnung. Diese Ventile seien für eine radbezogene Stabilisierung im Bremsbetrieb notwendig und könnten nicht weggelassen werden. Letzteres gelte insbesondere im Hinblick auf Dokument D2, da die dort gezeigten Ventile 27 und 28 in direktem Wirkungszusammenhang mit der vorgeschalteten Zylinder-Kolben-Anordnung 30 stünden, siehe Spalte 6, Zeilen 45 bis 49. Folglich zeigten weder Dokument D2 noch Dokument D4 eine Zylinder-Kolben-Anordnung, die zwischen der Betriebsbremsventilanordnung und den Radbremsen zwischengeschaltet sei.
Ferner zeige Dokument D2, siehe einzige Figur, zwar eine Bremsanlage mit Zylinder-Kolben-Anordnungen 29 und 30, die Aufgabe der Anordnung 30 bestehe jedoch in einer Druckmodulation in dem auf die Vorderachse wirkenden Bremskreis, während die Aufgabe der Anordnung 29 eine Druckverstärkung in dem auf die Hinterachse wirkenden Bremskreis sei. Dokument D2 enthalte keine Hinweise auf die Möglichkeit der Vermeidung eines Gaseintrags, und der Fachmann werde daher schon aus diesem Grund diese Schrift nicht zur Lösung dieses dem Streitpatent zu Grunde liegenden Problems heranziehen.
Schließlich seien in der in der einzigen Figur des Dokuments D2 gezeigten Anlage die Betriebsumschalt ventile 23, 34 den Radbremsen HL, HR der Hinterachse bzw. den Radbremsen VL, VR der Vorderachse zugeordnet, und nicht, wie im Streitpatent (siehe Merkmale h) und i)), den für den größeren Beitrag zur Fahrzeugbremsung ausgelegten Radbremsen einer Achse.
Dokument D4 betreffe eine hydraulische Bremsanlage mit einer Zylinder-Kolben-Anordnung zur Kennliniensteuerung (siehe Anspruch 1 des Dokuments D4). Der Hinweis auf Seite 24 (handschriftliche Nummerierung), Zeilen 1 bis 5, richte sich nur auf die mögliche Erkennung einer schlechten Entlüftung der Bremskreise. Gemäß dem Streitpatent gehe es aber um die Verhinderung eines Gaseintrags in die Bremskreise. Dokument D4 lege daher die in Anspruch 1 des Streitpatents angegebene Lösung zur Verhinderung eines Gaseintrags ebenfalls nicht nahe.
Ohne eine unzulässige rückschauende Betrachtungsweise könnten daher die Lehren der Dokumente D1, D2, D3 und D4, weder alleine noch in Kombination betrachtet, den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht nahe legen. Er beruhe damit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
Erfinderische Tätigkeit
1. Dokument D3, das in Absatz [0002] der Beschreibungseinleitung des Streitpatents gewürdigt ist, bildet nach Ansicht der Kammer den nächstliegenden Stand der Technik. Es zeigt in Figur 2 (Seite 107) eine Schemazeichnung einer hydraulischen Fahrzeugbremsanlage mit den im Oberbegriff des Anspruchs 1 des Streitpatents aufgeführten Elementen, also eine Anlage mit Radbremsen für vier Räder (im unteren Bereich der Zeichnung dargestellt), einer hydraulischen Fremdenergiequelle (im Bereich links oben der Zeichnung erkennbar), zwischen dieser und den Radbremsen angeordneten elektrisch steuerbaren Betriebsbremsventilanordnungen (acht in einer Reihe dargestellte Ventile) und einem per einem Bremspedal betätigbaren Bremswertgeber (oben in der Zeichnung erkennbar). Letzterer dient, derartigen Einrichtungen bekanntermaßen zu Eigen, zum Durchführen von Betriebsbremsungen mittels hydraulischer Fremdenergie unter Benutzung der Betriebsbremsventilanordnungen. Ferner ist ein mit einem mittels des Bremspedals betätigbarer zweikreisiger Hauptbremszylinder gezeigt (in der Zeichnung oben), wobei zwischen dem Hauptbremszylinder und den vier Radbremsen in jedem Bremskreis Betriebsartenumschaltventile angeordnet sind (im Zentrum der Schemazeichnung gezeigt), die für den Betriebsbremsbetrieb in eine sperrende Stellung steuerbar sind, während bei einer Hilfsbremsung ("backup mode") der Hauptzylinder direkt auf die Radbremszylinder wirkt (siehe Seite 107, linke Spalte, vierter Absatz). Die Bremsanlage ist mittels eines Steuer- und Regelgerätes steuerbar, siehe Seite 108, linke Spalte, erster Absatz.
Die aus Dokument D3 bekannte Bremsanlage weist keine Zylinder-Kolbenanordnungen zwischen den Betriebsbremsventilen und den Radbremsen auf, insbesondere nicht zwischen den Betriebsbremsventilen und den Radbremsen derjenigen Fahrzeugachse, die für den größeren Beitrag der Fahrzeugbremsung ausgelegt ist. Damit ergibt sich auch nicht direkt und unmittelbar der Anschluss derartig ausgestatteter Radbremsen an die den beiden Bremskreisen zugeordneten Betriebsartenumschaltventile.
Außerdem zeigt Figur 2 des Dokuments D3 eine Bremsanlage mit einem ersten Bremskreis, der auf die Radbremsen der Vorderachse wirkt, und einem zweiten Bremskreis, der auf die Radbremsen der Hinterachse wirkt. Es wird zwar auf Seite 105, linke Spalte, zweiter Absatz, darauf hingewiesen, dass konventionelle hydraulische Backupsysteme auf die Bremsen der Vorderräder wirken und auf Seite 111, rechte Spalte, drittletzter Absatz, erwähnt, dass ein auf eine Achse ausgelegter Backupkreis den gesetzlichen Forderungen genüge. Eine derartige Bremsanlage ist jedoch in Zusammenhang mit den weiteren im Oberbegriff des Anspruchs 1 des Streitpatents beschriebenen Merkmalen nicht offenbart.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents unterscheidet sich somit von der in Dokument D3 gezeigten Fahrzeugbremsanlage durch die Merkmale h) und i).
2. Die dem Streitpatent zu Grunde liegende Aufgabe ist darin zu sehen, die Sicherheit einer hydraulischen Fahrzeugbremsanlage zu erhöhen, wobei dem Fachmann das Problem einer Funktionsstörung der Bremsanlage auf Grund von Gaseintrag in das Bremssystem, verursacht durch Mängel in der Fremdenergiequelle, bekannt ist, siehe hierzu Dokument D3, Seite 112, linke Spalte, zweiter und dritter Absatz.
Diese Aufgabe wird durch den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents, insbesondere durch die Merkmale h) und i) gelöst, das heißt, dass zwischen die Radbremsen derjenigen Fahrzeugachse, die für den größeren Beitrag zur Fahrzeugbremsung ausgelegt ist, und den zugeordneten elektrisch steuerbaren Betriebsbremsventilanordnungen je eine Zylinder-Kolben-Anordnung zwischengeschaltet ist, und dass diese Radbremsen an die den beiden Bremskreisen zugeordneten Betriebsartenumschaltventile angeschlossen sind.
Mit der in Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchten Fahrzeugbremsanlage wird somit Luft und/oder Gas, das sich im Druckmittel der hydraulischen Fremdenergiequelle befindet, von den Radbremsen der am stärksten an der Fahrzeugverzögerung beteiligten Fahrzeugachse ferngehalten. Weder Gas noch Luft wird somit in die Radbremsen verfrachtet, wo es anlässlich einer Druckabsenkung zu Blasenbildung führen könnte und für eine Hilfsbremsung per Hauptbremszylinder nachteilig wäre. Gleichzeitig sollen in der linken und der rechten Radbremse dieser Fahrzeugachse beispielsweise gleichzeitig Bremsdruckänderungen in gegenläufigem Sinne durchführbar sein, das ein automatisches Stabilisieren des Fahrzeugs erlaubt, siehe Absatz [0005] sowie Spalte 11, Zeilen 35 bis 49 des Streitpatents.
3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents lag angesichts des vorliegenden Standes der Technik nicht nahe.
3.1 Wie oben bereits erwähnt, wird in Dokument D3 das Problem des Gaseintrags von der Fremdenergiequelle in den Bremsflüssigkeitskreislauf angesprochen. Lösungen werden aber in einer schnellen Gaserkennung sowie einer entsprechenden Auslegung der Backupsysteme gesehen, derart, dass hohe Gasanteile verkraftet werden. Ferner wird in diesem Dokument darauf hingewiesen, dass eine teuere Alternative mit einem kolbenbetriebenen Gasspeicher ("piston type gas accumulator") untersucht wird, siehe Seite 112, linke Spalte, zweiter und dritter Absatz.
Dokument D3 enthält damit keinen Hinweis auf die im Streitpatent beanspruchte Lösung. Ein Herauslösen des Hinweises auf eine Kolbenanordnung im Gasspeicher mit dem Ziel, eine Kolbenanordnung an einer anderen Stelle und in einem anderen funktionalen Zusammenhang als Lösung des Problems des Streitpatents zu sehen, ist nach Auffassung der Kammer das Ergebnis einer bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zulässigen rückschauenden Betrachtungsweise.
3.2 Dokument D1 zeigt eine elektrohydraulische Bremsanlage mit den im Oberbegriff des Anspruchs 1 angegebenen Merkmalen, erwähnt aber weder das Problem des Gaseintrags, noch zeigt es Lösungen hierzu auf. Dokument D1 liegt damit dem Gegenstand des Streitpatents ferner als Dokument D3.
3.3 Dokument D2, siehe insbesondere einzige Figur, zeigt eine elektrohydraulische Zweikreis-Bremsanlage mit Zylinder-Kolben-Anordnungen 29 und 30, die achsbezogen zwischen einerseits einer Fremdenergiequelle (Servoeinheit 39) und andererseits Steuerventilen 25, 26 für die Hinterachse, bzw. Steuerventilen 27, 28 für die Vorderachse, angeordnet sind. Diese Steuerventile sind mit dem Steuergerät 20 (siehe Spalte 5, Zeilen 35 bis 39) verbunden und werden im Betrieb, insbesondere bei einer Antiblockierregelung oder Antriebsschlupfregelung, entsprechend gesteuert, siehe Spalte 6, Zeilen 45 bis 49 und 57 bis 61. Die Zylinder-Kolben-Anordnungen dienen der Bremsverstärkung, wobei der der Vorderachse zugeordneten Anordnung die zusätzliche und gemäß Dokument D2 wesentliche Aufgabe einer Druckmodulation zukommt, siehe Spalte 1, Zeilen 39 bis 52.
In Dokument D2 findet sich weder ein Hinweis auf das dem Streitpatent zu Grunde liegende Problem eines Gaseintrags, noch eine Anregung, je eine Zylinder-Kolben-Anordnung zwischen die Radbremsen derjenigen Fahrzeugachse, die für den größeren Beitrag zur Fahrzeugbremsung ausgelegt ist, und den diesen Radbremsen zugeordneten elektrisch steuerbaren Betriebsbremsventilanordnungen vorzusehen.
Bezüglich des Begriffs "Betriebsbremsventilanordnungen" ist die Kammer der Auffassung, dass entsprechend dem allgemeinen Verständnis eine Antiblockierregelung und eine Antischlupfregelung zum normalen Betrieb einer elektrohydraulischen Bremsanlage gehören, mit der Folge, dass die diese Funktionen in einer Bremsanlage übernehmenden Ventilanordnungen Betriebsbremsventil anordnungen sind. Dies entspricht auch der Lehre des Streitpatents, denn in der Bremsanlage gemäß dem Streitpatent erfolgen diese Regelungen durch entsprechende Ansteuerung der hier explizit "Betriebsbremsventilanordnungen" genannten Ventilanordnungen 25 bis 28, siehe Spalte 13, Zeilen 12 bis 25. Dies ist, nach Auffassung der Kammer, auch in Einklang mit der Erläuterung in Spalte 1, Zeilen 40 bis 49 des Streitpatents, gemäß der Betriebsbremsventil anordnungen zum Erhöhen bzw. zum Absenken des Bremsdrucks vorgesehen sind.
Dokument D2 gibt damit zur Lösung des dem Streitpatent zu Grunde liegenden Problems keine Veranlassung, in eine Bremsanlage, wie sie aus Dokument D3 (Figur 2) oder auch aus Dokument D1 (Figur 3) bekannt ist, Zylinder-Kolben-Anordnungen entsprechend der Merkmale h) und i) vorzusehen.
3.4 Dokument D4, siehe insbesondere Zusammenfassung und Figur 1, betrifft eine Vorrichtung mit einer Zylinder-Kolben-Anordnung 31, 32 zur Kennliniensteuerung einer einen hydraulischen Bremskraftverstärker aufweisenden Fahrzeugbremsanlage. Diese Zylinder-Kolben-Anordnung ist zwischen einer Fremdenergiequelle (Mittel zur Druckversorgung 12) und Steuerventilen 29c, 29d angeordnet, die im Falle des Auftretens von ABS-Funktionen selektiv steuerbar sind, siehe Seite 21 (handschriftliche Nummerierung), letzter Absatz. Die einem oder auch sämtlichen Bremskreisen zugeordneten Zylinder-Kolben-Anordnungen können neben einer Kennliniensteuerung auch Sicherheitskriterien erkennen und anzeigen, beispielsweise einen Bremskreisausfall oder eine schlechte Entlüftung der Bremskreise (siehe Anspruch 1 des Dokuments D4 sowie Brückenabsatz der Seiten 23 und 24 (handschriftliche Nummerierung)).
Die Kammer ist der Auffassung, dass ein Fachmann die Verwendung dieser in Dokument D4 zur Kennliniensteuerung dienenden Zylinder-Kolbenanordnung nicht losgelöst von dieser Funktion als Lösung des Problems der Vermeidung eines Gaseintrags an sich betrachtet. Dokument D4, siehe Seite 24 (handschriftliche Nummerierung), Zeilen 3 bis 5, verweist zudem nur auf die mögliche Erkennung einer schlechten Belüftung der Bremskreise, nicht aber auf die Verhinderung eines Gaseintrags. Außerdem zeigt auch Dokument D4, wie in Zusammenhang mit Dokument D2 bereits dargelegt, keine zwischen die Radbremsen und der Betriebsventilanordnung zwischengeschaltete Zylinder-Kolben-Anordnung.
Eine Kombination der Lehren der Dokumente D3 (oder D1) und D4 dahingehend, dass das Problem eines durch eine Fremdenergiequelle verursachten Gaseintrags gemäß den Merkmalen h) und i) des Anspruchs 1 des Streitpatents gelöst wird, ist nach Auffassung der Kammer, das Ergebnis einer bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zulässigen rückschauenden Betrachtungsweise.
3.5 Auch ausgehend von Dokument D4 oder D2 führt eine Kombination der Lehre dieser Schriften mit der Lehre des Dokuments D1 oder der des Dokuments D3, insbesondere wegen der jeweils speziell zugeordneten Funktion der aus Dokument D2 und D4 bekannten Zylinder-Kolben-Anordnungen und der dort gezeigten dementsprechenden Einbindung dieser Anordnungen in diese Bremsanlagen, nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents.
4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Streitpatent ist damit durch den vorliegenden Stand der Technik nicht nahe gelegt und beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 6 betreffen Weiterbildungen der Erfindung und beruhen ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.