T 0651/04 () of 27.3.2007

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2007:T065104.20070327
Datum der Entscheidung: 27 März 2007
Aktenzeichen: T 0651/04
Anmeldenummer: 97930457.3
IPC-Klasse: B23C 3/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Mehrfachfräsen an Kurbelwellen
Name des Anmelders: BOEHRINGER WERKZEUGMASCHINEN GmbH
Name des Einsprechenden: Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH
Hegenscheidt-MFD GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 54(3)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Klarheit - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0651/91
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerinnen I und II (Einsprechende I und II) haben gegen die am 22. März 2004 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung der Einsprüche gegen das Europäische Patent Nr. 912 282 am 18. Mai 2004 bzw. am 21. Mai 2004 Beschwerden eingelegt und am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründungen wurden am 21. Juli 2004 bzw. am 30. Juli 2004 eingereicht.

II. Der erteilte Patentanspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Verfahren zum spanenden Bearbeiten von exzentrischen und zentrischen Stirnflächen und ebensolchen Umfangs- bzw. Mantelflächen an einem definiert drehbar (C-Achse) auf der zentrischen Achse (Z1-Achse) gespannten Werkstück (WST), wobei

a) das spanende Bearbeiten mittels Fräsen geschieht,

b) das Werkstück (WST) an mehreren, in ihrer Gestalt und bzw. oder Drehlage bezüglich der zentrischen Achse (Z1) nicht übereinstimmenden Bearbeitungsflächen gleichzeitig bearbeitet wird und

c) jede Bearbeitungsfläche durch einen separaten Fräser (WZ1, WZ2, ...) bearbeitet wird, welcher jeweils nur in einer Bewegungsbahn quer zum Werkstück (WST) bewegbar ist,

d) die Drehung des Werkstückes (WST) hinsichtlich Drehlage, Drehzahl (nWST) und Drehrichtung unter Berücksichtigung der momentanen Querbewegungen und Drehzahlen aller verschiedenen Fräser (WZ1, WZ2, ...) geregelt wird und

e) Querbewegung und Drehzahl (n1, n2, ...) jeder der Fräser (WZ1, WZ2) separat und unabhängig von den anderen Fräser(n) (WZ1, WZ2) aufgrund der Bewegung des Werkstückes (WST) gesteuert wird".

III. In ihrer Entscheidung war die Einspruchsabteilung der Meinung, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents sei neu und erfinderisch, weil das Merkmal d) des Patentanspruch 1 aus keinem der aufgeführten Dokumente bekannt sei und auch nicht hergeleitet werden könne, da in keinem aufgeführten Dokument die Idee einer Werkstückdrehparameterregelung während der Bearbeitung bei einem gattungsgemäßen Verfahren enthalten sei.

IV. In ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin I unter anderem auf die bereits im Einspruchsschriftsatz vorgebrachte Vorbenutzung einer Kurbelwellenfräsmaschine RFK 200/800/2CNC hingewiesen. Diese Kurbelwellenfräsmaschine, welche im Prospekt:

D1 : "Heller RFK crankshaft muting machines",

gezeigt sei, sei gemäß dem Schreiben:

D6 : Schreiben Heller vom 17.06.1996 an Mercedes-Benz AG,

samt Programmieranleitung:

D5 : Heller uni-Pro CNC 90 R Programmieranleitung, Version R 1.0, Stand 05.06.1996,

vor dem Prioritätstag des Streitpatents an die Firma Mercedes-Benz AG geliefert worden.

Ferner hat die Beschwerdeführerin I in ihrer Beschwerdebegründung erstmals eine Reihe weiterer Dokumente genannt, darunter auch die auf eine internationale Anmeldung zurückgehende Patentschrift EP-B1-868 242. Auf die Veröffentlichung dieser internationalen Patentanmeldung, nämlich die Druckschrift

D27 : WO-A-97/21513,

hat die Beschwerdeführerin II in ihrer Beschwerdebegründung verwiesen.

V. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung hat die Beschwerdekammer den Parteien als Ergebnis ihrer vorläufigen Prüfung u. a. mitgeteilt, dass es wichtig zu diskutieren erscheine, wie die Regelung der Drehung des Werkstückes "unter Berücksichtigung der momentanen Querbewegungen und Drehzahlen aller verschiedenen Fräser" gemäß dem Streitpatent vorgenommen werde, und welche Effekte diese Regelung auf die Bearbeitung bewirke.

VI. Am 27. März 2007 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des Patents mit folgenden Unterlagen:

Ansprüche 1 bis 15 und angepasste Beschreibung, wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung, Figuren 1 bis 13b wie erteilt.

VII. Anspruch 1 gemäß dem einzigen Antrag der Beschwerdegegnerin lautet wie folgt (Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 als durchgestrichen bzw. in Fettdruck):

"1. Verfahren zum spanenden Bearbeiten von exzentrischen und zentrischen Stirnflächen und ebensolchen Umfangs- bzw. Mantelflächen an einem definiert drehbar (C-Achse) auf der zentrischen Achse (Z1-Achse) gespannten Werkstück (WST) in Form einer Kurbelwelle, wobei

1a) das spanende Bearbeiten mittels Fräsen geschieht,

1b) das Werkstück (WST) an mehreren, in ihrer [deleted: Gestalt und bzw. oder ]Drehlage bezüglich der zentrischen Achse (Z1) nicht übereinstimmenden Hublagerzapfen als Bearbeitungsflächen gleichzeitig bearbeitet wird und

1c) jede Bearbeitungsfläche durch einen separaten Außen-Fräser (WZ1, WZ2, ...) bearbeitet wird, welcher jeweils nur in einer Bewegungsbahn quer zum Werkstück (WST) bewegbar ist,

1d) die Drehung des Werkstückes (WST) hinsichtlich Drehlage, Drehzahl (nWST) und Drehrichtung unter Berücksichtigung der momentanen Querbewegungen und Drehzahlen aller verschiedenen Fräser (WZ1, WZ2, ...) geregelt wird und

1e) Querbewegung und Drehzahl (n1, n2, ...) jeder der Fräser (WZ1, WZ2) separat und unabhängig von den anderen Fräser(n) (WZ1, WZ2) aufgrund der Bewegung des Werkstückes (WST) gesteuert wird".

VIII. Die Argumente der Beschwerdeführerinnen, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:

Der geänderte Anspruch 1 sei nicht klar, weil die allgemeine Angabe, wonach beim beanspruchten Verfahren exzentrische und zentrische Stirnflächen und ebensolche Umfangs- bzw. Mantelflächen einer Kurbelwelle bearbeitet werden, im Widerspruch mit der spezifischen Angabe stehe, dass die Bearbeitungsflächen Hublagerzapfen seien.

D27 (Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ) offenbare nicht nur die Merkmale des erteilten Anspruchs 1, sondern auch die zusätzlichen Merkmale des geänderten Anspruchs 1, weil in dieser Druckschrift die gleichzeitige Nebeneinander-Bearbeitung von Hubzapfen an einer Kurbelwelle mittels Außenfräser explizit erwähnt sei. Insbesondere offenbare diese Druckschrift die gleichzeitige Bearbeitung zweier in ihrer Drehlage bezüglich der zentrischen Achse nicht übereinstimmender Hublagerzapfen.

Mit der Lieferung einer Maschine vom Typ RFK 200, wie in D1 gezeigt, sei auch die Programmierungsanleitung D5 geliefert worden. Dadurch seien sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 offenkundig geworden, bis auf das Merkmal, dass die spanende Bearbeitung mittels Außenfräsen geschehe, da die Maschine vom Typ RFK 200 Innenfräser aufweise. Da die Verwendung von Außenfräsern aus D1 selbst bekannt sei (Maschine vom Typ RFKL), sei der Gegenstand des Anspruchs 1 durch diesen Stand der Technik nahegelegt.

IX. In Antwort hierauf trug die Beschwerdegegnerin folgendes vor:

Obwohl das beanspruchte Verfahren die Bearbeitung mehrerer, in ihrer Drehlage nicht übereinstimmender Hublagerzapfen zwingend vorsehe, könnten neben dieser auch weitere Bearbeitungen durchgeführt werden. Deswegen sei der Wortlaut des Anspruchs 1 nicht widersprüchlich.

D27 offenbare allgemein die Nebeneinander-Bearbeitung von Hubzapfen, jedoch nicht die gleichzeitige Bearbeitung von mehreren, in ihrer Drehlage bezüglich der zentrischen Achse nicht übereinstimmenden Hublagerzapfen. Bei der offenbarten Nebeneinander-Bearbeitung von Hubzapfen könne es sich um die synchrone Bearbeitung von Hublagerzapfen handeln, die sich in der gleichen Drehlage befinden.

D5 offenbare keine Drehzahlsteuerung der Fräser, sondern lediglich, dass die Drehzahl programmiert werden könne. Dabei könne es sich um eine feste Drehzahl handeln. Weiterhin offenbare D5, dass der Drehzahlverlauf des Werkstücks vorprogrammiert werden könne, jedoch nicht, dass die Drehzahl des Werkstücks in Wechselwirkung mit Querbewegung und Drehzahl der Fräser stehe. Zwar offenbare D5, dass eine maximale Spanungsdicke nicht überschritten werden solle. Gemäß der Offenbarung von D5 werde jedoch die Spanungsdicke nur durch entsprechende Steuerung des Vorschubs beeinflusst; die Drehzahl der Fräser und die Drehzahl des Werkstücks spielten dabei keine Rolle. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe daher auf erfinderischer Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

2.1 Das Verfahren gemäß Anspruch 1 ist gegenüber der erteilten Fassung dadurch eingeschränkt worden (siehe Punkt VI oben), dass das Werkstück eine Kurbelwelle ist, bei der mehrere, in ihrer Drehlage bezüglich der zentrischen Achse nicht übereinstimmende Hublagerzapfen bearbeitet werden und dass die Fräser Außenfräser sind.

Diese Änderungen sind durch die ursprünglich eingereichten Unterlagen hinreichend gestützt. Anspruch 1 beruht auf dem ursprünglichen Anspruch 1 in Verbindung mit Anspruch 12 (wonach "es sich bei dem Fräsen um ein Fräsen mit einem Aussenfräser handelt") und Seite 14 der Beschreibung, Zeilen 1 bis 10 (wo offenbart wird, dass eine Kurbelwelle "mit drei in ihrer Drehlage zum Mittellager ML unterschiedlich positionierten Hubzapfen H1-H3" an zwei Hubzapfen H1, H2 mit je einem Aussenfräser bearbeitet wird).

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 15 entsprechen inhaltlich jeweils den abhängigen Ansprüchen 2 bis 11 und 13 bis 16 des erteilten Patents bzw. der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.

Die Beschreibung wurde überarbeitet und an den Wortlaut des geänderten Patentbegehrens angepasst.

Insgesamt erfüllen daher die neuen Unterlagen die Erfordernisse von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.

2.2 Darüber hinaus sind entgegen den diesbezüglichen Ausführungen der Beschwerdeführerin II die Änderungen im Hinblick auf Artikel 84 EPÜ nicht zu beanstanden. Zwar ist Merkmal 1b) des Anspruchs 1 (vgl. Punkt VI oben) auf die gleichzeitige Bearbeitung von mehreren, in ihrer Drehlage bezüglich der zentrischen Achse nicht übereinstimmenden Hublagerzapfen eingeschränkt worden. Diese Änderung schließt jedoch nicht aus, dass beim beanspruchten Verfahren neben dieser auch andere Bearbeitungen durchgeführt werden können. Merkmal 1b) steht daher nicht im Widerspruch mit der allgemeinen Angabe des Anspruchs 1, wonach es sich beim beanspruchten Verfahren um ein Verfahren zum spanenden Bearbeiten von "exzentrischen und zentrischen Stirnflächen und ebensolchen Umfangs- bzw. Mantelflächen" an einer Kurbelwelle handelt.

3. Neuheit

3.1 Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Streitpatents wurde von der Beschwerdeführerinnen nur gegenüber D27 in Frage gestellt. Die Druckschrift D27 stellt die Veröffentlichung einer internationalen Patentanmeldung, welche gemäß Artikel 158 (1) EPÜ als Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ gilt.

In dem einleitenden Teil von D27 wird die "gleichzeitige Bearbeitung zweier oder mehrerer Hublager" (Seite 2, Zeilen 8, 9) als Stand der Technik gewürdigt. Ferner wird in D27 erwähnt (Seite 5, letzter Absatz), dass "das erfindungsgemäße Verfahren bei der gleichzeitigen Nebeneinander-Bearbeitung von Hubzapfen, Hauptlagerzapfen und/oder Wangen an einer Kurbelwelle eingesetzt" werden kann. D27 ist somit die Lehre zu entnehmen, mehrere Hubzapfen einer Kurbelwelle gleichzeitig zu bearbeiten. Unter dieser Lehre fallen zwei Alternativen, nämlich die gleichzeitige Bearbeitung von Hubzapfen, die sich in der gleichen Drehlage befinden (bei der sich also die Fräser identisch bewegen) und die gleichzeitige Bearbeitung von Hubzapfen, die sich in unterschiedlichen Drehlagen befinden (bei der sich die Fräser unterschiedlich bewegen). Daher ist die Lehre von D27 als allgemeine Lehre anzusehen, welche die spezifische Lehre gemäß Anspruch 1 des Streitpatents, mehrere in ihrer Drehlage bezüglich der zentrischen Achse nicht übereinstimmende Hublagerzapfen gleichzeitig zu bearbeiten, nicht neuheitsschädlich vorwegnimmt (siehe z.B. T 651/91, Punkt 4.3).

Ferner haben die Beschwerdeführerinnen auf Figur 1 von D27 hingewiesen, welche eine Vorrichtung zur gleichzeitigen Bearbeitung von vier Kurbelwellenstellen (siehe Seite 8, 1. Absatz, letzter Satz) mittels zwei scheibenförmiger Drehfräswerkzeuge 15, 16 und zwei orthogonaler Drehfräser 21, 22 zeigt. Weder dieser schematischen Figur (vgl. Seite 8, Zeilen 1,2) noch dem darauf bezogenen Text ist jedoch eindeutig und unmittelbar zu entnehmen, ob mehrere, sich in unterschiedlichen Drehlage befindlichen Hublagerzapfen gleichzeitig bearbeitet werden. Tatsächlich offenbart D27, dass der scheibenförmige Fräser 15 ein exzentrisch angeordnetes Kurbelwellenhublager bearbeitet. Welche Bearbeitungen von dem anderen scheibenförmigen Fräser 16 sowie von den orthogonalen Drehfräsern 21, 22 durchgeführt werden, ist in D27 nicht offenbart. Es ist gleichermaßen möglich, dass die scheibenförmigen Fräser 15, 16 Hubzapfen bearbeiten, die sich in gleicher Drehlage befinden, und die orthogonalen Drehfräser Kurbelwellenwangen bearbeiten (vgl. hierzu Seite 10, Zeilen 7 bis 12).

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher gegenüber D27 neu (Artikel 54 (3) EPÜ).

3.2 Gegenüber den übrigen Entgegenhaltungen wurde die Neuheit des beanspruchten Verfahrens nicht bestritten. Auch seitens der Kammer bestehen keine Bedenken.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Als Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ hat D27 bei der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht zu bleiben (Artikel 56 EPÜ).

4.2 Gemäß der Beschreibung des Streitpatents (siehe Absatz [0015]) liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, ein spanendes Bearbeitungsverfahren für die Bearbeitung von Kurbelwellen zu schaffen, bei dem durch gleichzeitige Bearbeitung durch mehrere Werkzeugeinheiten eine kurze Bearbeitungszeit pro Kurbelwelle möglich ist, und unter Einhaltung einer ausreichenden Maßhaltigkeit eine optimal lange Standzeit der Werkzeuge erreicht wird.

4.3 Gemäß dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen stellt eine Fräsmaschine vom Typ RFK 200, wie in D1 gezeigt, in Verbindung mit der Programmierungsanleitung D5 den nächstliegenden Stand der Technik dar. Die Kammer entschloss sich, zunächst die Relevanz dieses Gegenstands für die Frage der erfinderischen Tätigkeit des Patentgegenstands zu klären, unter der vorläufigen Annahme, dass die Ausführungen der Beschwerdeführerin I zum Inhalt der von ihr behaupteten offenkundigen Vorbenutzung erwiesen seien.

Gegenstand der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung ist ein Verfahren zum spanenden Bearbeiten von exzentrischen und zentrischen Stirnflächen und ebensolchen Umfangs- bzw. Mantelflächen an einem definiert drehbar (C-Achse) auf der zentrischen Achse (Z1-Achse) gespannten Werkstück (WST) in Form einer Kurbelwelle (siehe D1, Seite 2), wobei das spanende Bearbeiten mittels Fräsen geschieht, das Werkstück (WST) an mehreren, in ihrer Drehlage bezüglich der zentrischen Achse nicht übereinstimmenden Hublagerzapfen als Bearbeitungsflächen gleichzeitig bearbeitet wird und jede Bearbeitungsfläche durch einen separaten Fräser bearbeitet wird (siehe D5: Seite 25-38), welcher jeweils (während der Bearbeitung) nur in einer Bewegungsbahn quer zum Werkstück bewegbar ist.

Wie von der Beschwerdeführerin I in der mündlichen Verhandlung zugestanden wurde, werden in der Maschine vom Typ RFK 200 Innenfräser für die Bearbeitung der Hublagerzapfen, nicht Außenfräser verwendet. Dieses Merkmal stellt daher einen Unterschied zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents und dem Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung her.

Anspruch 1 des Streitpatents erfordert weiterhin, dass die Drehung des Werkstückes hinsichtlich Drehlage, Drehzahl und Drehrichtung unter Berücksichtigung der momentanen Querbewegungen und Drehzahlen aller verschiedenen Fräser geregelt wird (Merkmal 1d) und dass Querbewegung und Drehzahl jeder der Fräser separat und unabhängig von den anderen Fräsern aufgrund der Bewegung des Werkstückes gesteuert wird (Merkmal 1e). Diese Merkmalskombination bedarf im Hinblick auf die darin enthaltene technische Lehre einer näheren Betrachtung. Nach dem Wortlaut des Anspruchs 1 soll daher die Drehung des Werkstückes geregelt werden, und zwar unter Berücksichtigung der momentanen Querbewegungen und Drehzahlen aller verschiedenen Fräser, die nicht geregelt, sondern aufgrund der Bewegung des Werkstückes gesteuert werden. Kennzeichen für das Steuern ist der offene oder ein geschlossener Wirkungsweg, bei dem die durch die Eingangsgrößen beeinflussten Ausgangsgrößen nicht fortlaufend und nicht wieder über die selben Eingangsgrößen auf sich selbst wirken. Im Gegensatz hierzu ist die Regelung ein Vorgang, bei dem fortlaufend eine zu regelnde Größe erfasst, mit einer Führungsgröße verglichen und im Sinne einer Angleichung an die Führungsgröße beeinflusst wird (siehe z.B. DIN 19226). Bei der Steuerung der Querbewegungen und Drehzahlen der Fräser gemäß dem Anspruch 1 sollen daher die durch die Bewegung des Werkstücks (Eingangsgröße des Steuervorgangs) beeinflussten Querbewegungen und Drehzahlen der Fräser (Ausgangsgrößen des Steuervorgangs) nicht fortlaufend und nicht wieder über die Bewegung des Werkstücks (selbe Eingangsgröße) auf sich selbst wirken. Wenn jedoch, wie vom Anspruch 1 gefordert, die aufgrund der momentanen Querbewegungen und Drehzahlen der Fräser geregelte Bewegung des Werkstücks als Eingangsgröße für die Steuerung der Querbewegungen und Drehzahlen der Fräser dient, dann ist es anzunehmen, dass Querbewegungen und Drehzahlen aller verschiedenen Fräser über die Bewegung des Werkstücks auf sich selbst wirken. In diesem Fall könnte man aber von einer Steuerung nicht sprechen. Möglich wäre die im Anspruch 1 angesprochene Steuerung nur, wenn die Regelung der Drehung des Werkstückes so durchgeführt wird, dass sie keinen Einfluss auf die Steuerung der Querbewegungen und Drehzahlen der Fräser hat. Wie von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt wurde, enthält das Streitpatent keine nähere Angaben über die Regelung der Drehung des Werkstückes, so dass unklar bleibt, ob die Fräser gesteuert oder geregelt werden. Darüber hinaus widerspricht der abhängige Anspruch 6 des Streitpatents dem Vorhandensein einer Regelung der Drehung des Werkstücks, da dort vorgegeben ist, dass die Drehung des Werkstückes für jede Phase des Fräsvorganges vorab berechnet wird. Daher ist Anspruch 1 und auch dessen Kombination mit Anspruch 6 nicht konsistent und auch mit Hilfe der Beschreibung nicht eindeutig auslegbar. Bei der Prüfung des Anspruchs 1 im Hinblick auf Artikel 56 EPÜ bleibt dann kein anderer Weg, als die Merkmale 1d) und 1e) des Anspruchs 1 derart breit auszulegen, dass Drehlage, Drehzahl und Drehrichtung des Werkstücks einerseits und Querbewegung und Drehzahl der Fräser andererseits jeweils zueinander in Abhängigkeit stehen.

Aus D5 ist bekannt, dass bei der Bearbeitung von mehreren, in ihrer Drehlage bezüglich der zentrischen Achse nicht übereinstimmenden Hublagerzapfen die Querbewegung der Fräser in Abhängigkeit zur Drehlage, Drehzahl und Drehrichtung der Kurbelwelle steht (notwendige Nachführung der Fräser in X bzw. U Richtung, siehe Seiten 25-1 und 25-38). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen ist D5 jedoch nicht zu entnehmen, dass auch die Drehzahl der Fräser in Abhängigkeit zur Drehlage, Drehzahl und Drehrichtung des Kurbelwelle steht. Diesbezüglich haben die Beschwerdeführerinnen auf Seite 9-1 und 11-5 von D5 verwiesen. Dort wird angegeben, dass "Bei RFK-Maschinen mit nicht regelbarem Motor […] keine Drehzahl programmiert werden" kann, dass die Drehzahl "festeingestellt" werden kann, und dass die "Drehzahl im Programm programmiert werden" kann. Hieraus kann entnommen werden, dass es RFK-Maschinen mit regelbarem Motoren für die Fräser gibt, jedoch nicht, dass die Drehzahl der Fräser während der Bearbeitung variiert und insbesondere dass die Drehzahl der Fräser in Abhängigkeit zur Bewegung des Werkstücks steht. Ferner haben die Beschwerdeführerinnen ausgeführt, die Drehzahl der Fräser sei aufgrund der Zielrichtung der Programmierung, eine maximale Spanungsdicke nicht zu überschreiten, auf die Drehlage, Drehzahl und Drehrichtung des Kurbelwelle abgestimmt. Tatsächlich wird z.B. auf Seiten 25-1 und 25-32 von D5 offenbart, dass die Programmierung derart erfolgt, dass die maximal angegebene Spanungsdicke unter Berücksichtigung der Fertigkontur und der Rohkontur nicht überschritten wird. Weiterhin werden auf Seiten 25-26 bis 25-29 verschiedene Werte der zulässigen maximalen Spanungsdicke beschrieben. Aus keiner Stelle der D5 ist jedoch zu entnehmen, dass die Programmierung derart erfolgt, dass für das Nicht-Überschreiten der zulässigen maximalen Spanungsdicke die Drehzahl der Fräser eine Rolle spielt. In der Tat offenbart D5 (siehe z.B. Seiten 25-1 und 25-33) lediglich, dass die Steuerung des Vorschubs so errechnet wird, dass die maximale Spanungsdicke nicht überschritten wird. Gemäß D5 (siehe Seiten 8-1 und 8-2) hat der Vorschub nichts mit der Drehzahl der Fräser zu tun, sondern nur mit der Geschwindigkeit der Fräser entlang ihrer Bewegungsbahn quer zur Kurbelwelle (vgl. Seite 8-2, 1. Satz).

Ferner ist D5 nicht zu entnehmen, dass die Drehzahl des Werkstücks in Abhängigkeit zur Querbewegung und Drehzahl der Fräser steht. Zwar wird auf Seite 25-33 der D5 offenbart: "mit der Anweisung RSL kann der Drehzahlverlauf der C-Achse (in min-1) beim Rundfräsen verändert werden". Darüber, mit welchen Parametern eine solche Veränderung verknüpft ist, ist in D5 nichts ausgesagt.

4.4 Zumindest das unterscheidende Merkmal, wonach die Drehzahl der Fräser in Abhängigkeit zur Drehlage, Drehzahl und Drehrichtung des Kurbelwelle steht, trägt zur Lösung der im Streitpatent angegebenen Aufgabe bei (siehe Punkt 4.2 oben), weil dadurch optimale Bearbeitungsbedingungen an jeder Bearbeitungsstelle eingehalten werden können (siehe Abs. [0028]-[0030] und [0065]-[0071] des Streitpatents).

4.5 Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass D5 kein Hinweis auf dieses unterscheidende Merkmal zu entnehmen ist. Den übrigen im Einspruchsverfahren entgegengehaltenen Dokumenten, auf die die Beschwerdeführerinnen während der mündlichen Verhandlung nicht eingegangen sind, ist auch nichts zu entnehmen, was als Anregung zu dieser beanspruchten Lösung dienen konnte.

4.6 Insgesamt ergibt sich aus den obigen Ausführungen, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht in naheliegender Weise aus dem Tatbestand der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung einer Fräsmaschine vom Typ RFK 200 samt Programmierungsanleitung D5 ergeben könnte (Artikel 56 EPÜ). Infolgedessen kann die Frage des Nachweises der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung offen gelassen werden.

5. Nachdem die beanspruchte Lösung die Patentierungsvoraussetzungen erfüllt (Artikel 52 (1) EPÜ) kann das Patent in geändertem Umfang aufrechterhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Ansprüche 1 bis 15 und Beschreibung Seiten 2 bis 11, wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer; Zeichnungen Fig. 1 bis 13b, wie erteilt.

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