T 0529/04 () of 6.12.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T052904.20061206
Datum der Entscheidung: 06 Dezember 2006
Aktenzeichen: T 0529/04
Anmeldenummer: 97952803.1
IPC-Klasse: C08L 33/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 114 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: (Methyl)methacrylat-Maleinsäureanhydrid-Copolymerisate als polymere Modifizierungsmittel für Kunststoffe und damit hergestellte Mischungen und Polymerverbunde
Name des Anmelders: Röhm GmbH
Name des Einsprechenden: Lucite International UK Limited
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
Schlagwörter: Neuheit (bejaht)
Entscheidung über die Beschwerde - Zurückverweisung (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0017/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 946 644 mit dem Titel "(Methyl)methacrylat-Maleinsäureanhydrid-Copolymerisate als polymere Modifizierungsmittel für Kunststoffe und damit hergestellte Mischungen und Polymerverbunde" auf die europäische Patentanmeldung Nr. 97 952 803.1 erfolgte am 19. September 2001 (Patentblatt 2001/38). Diese Patentanmeldung ging zurück auf die am 26. November 1997 unter Beanspruchung der Priorität einer deutschen Voranmeldung (19652758) vom 18. Dezember 1996 eingereichte und am 25. Juni 1998 als WO-A-98/27157 veröffentlichte internationale Patentanmeldung Nr. PCT/EP97/06586. Das Patent enthielt sechs Ansprüche. Die Ansprüche betrafen die folgenden Gegenstände und Ausgestaltungen:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

II. Gegen das Streitpatent wurde am 19. Juni 2002 unter Hinweis auf die Artikel 100 a), 100 b) und 100 c) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52 bis 57 EPÜ Einspruch eingelegt.

(1) Dabei wurde die folgende Literatur genannt:

D1: JP-A-57- 141 425 (im Folgenden beziehen sich alle Verweise auf D1 auf eine von der Einsprechenden mit eingereichte englische Übersetzung der Druckschrift),

D2: EP-A-0 500 361,

D3: EP-A-0 113 105,

D4: US-A-4 888 387 und

D5: US-A-4 874 824.

(2) Die Einwände unter Artikel 100 b) und 100 c) wurden auf die Anwesenheit der Formulierung "und/?oder" zwischen den Komponenten VK und PN in Anspruch 1 (Abschnitt I, oben) gegründet.

(3) Fehlende Neuheit wurde gegenüber jeder der Druckschriften D1, D2 und D3 geltend gemacht.

Speziell zu D1 führte die Einsprechende aus, dass die Druckschrift ein neues Copolymer offenbare, das durch Mischen einer Polymerkette, die einen alpha,beta-ungesättigten Carbonsäureester und ein alpha,beta-ungesättigtes Dicarbon säureanhydrid enthalte, mit einem Polyamid gebildet werde. Geeignete Polymerketten schlössen gemäß Seite 7 konkret Methylmethacrylat/Maleinsäureanhydrid-Copolymere (MMA/MSA-Copolymere) als Komponente CP ein (in dieser Entscheidung wird diese Copolymer-Komponente von D1 vereinfachend als "CP-Copolymer" bezeichnet). Der Zweck der Kombination eines Polyamids und des CP-Copolymers sei auf Seite 4 dargelegt und ergebe sich aus der Entdeckung, dass die Verträglichkeit ungesättigten Dicarbonsäureanhydrids als eine Komponente in der Copolymerisation mit Polyamiden gut sei (D1: Seite 4, Absatz 2). Wegen der Molekulargewichte von MMA und MSA wäre der Bereich von 50 bis 99 Mol-% im Hinblick auf MSA ungefähr gleichwertig zu den Gew.-% [sic]. Daher überlappten sich die Bereiche 50 bis 99 Mol-% des alpha,beta-ungesättigten Carbonsäureesters und 1 bis 30 Mol-% des alpha,beta-ungesättigten Dicarbonsäureanhydrids mit den Bereichen von 70 bis 99,9 Gew.-% MMA und 0,1 bis 5 Gew.-% MSA im Streitpatent. D1 erwähne auch copolymerisierbare Monomere (Seite 7, Absatz 3), die weitgehend den im Streitpatent Genannten gegenüber gleichwertig seien, in Mengen von 0 bis 49 Mol-%.

Darüber hinaus nenne D1 zum Merkmal VK im Streitpatent die Möglichkeit kautschuk-modifizierte Copolymere zuzugeben (Seite 6, letzter Absatz und Seite 7, Absatz 4). Sie seien mit PMMA verträglich.

Auch zu den Ansprüchen 2 bis 6 verwies die Einsprechende auf Passagen von D1, so zu Anspruch 2 unter Hinweis auf PMMA, PMMA/S- (S = Styrol) und Styrol/Acrylnitril- (SAN-)-Copolymere, ABS- und MBS-Harze, die auf Seite 9, Absatz 1 [sic] von D1 genannt seien, und schloss, dass keiner der Ansprüche des Streitpatents im Vergleich zu D1 irgendwelche neuen Merkmale zu enthalten scheine.

(4) Ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik verneinte die Einsprechende auch das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit, da entweder D1 allein oder D1 in Kombination mit der Lehre der Druckschriften D2, D3 oder D5 den Gegenstand der Ansprüche 1 bis 6 nahelege.

(5) Mit hinsichtlich der vorgetragenen Argumente identischen Schriftsätzen vom 20. und 22. November 2002 legte die Patentinhaberin gleichlautende Fassungen eines geänderten Anspruchssatzes vor. Der geänderte Anspruchs satz enthielt nach der Streichung von Anspruch 2, die eine Umnummerierung der vorherigen Ansprüche 3 bis 6 zur Folge hatte, neue Ansprüche 1 und 4, die gegenüber den erteilten Fassungen der vorherigen Ansprüche 1 und 5 (Abschnitt I, oben) geändert worden waren und den folgenden Wortlaut erhalten hatten:

"1. Mischung oder Polymerverbund eines Copolymerisats (CP) aus [sic]

70 - 99.9 Gew.-% Methylmethacrylat,

0.1 - 5 Gew.-% Maleinsäureanhydrid und

0 - 25 Gew.-% weiterer vinylisch copolymerisierbarer Monomere, die mit Ausnahme der Vinylfunktion keine weiteren funktionellen Gruppen aufweisen,

mit Polymethylmethacrylat (PMMA), Acrylnitril/?Butadien/?Styrol-Copolymerisat (ABS) oder Polyvinylidenfluorid (PVDF)

und

einem Polymeren (PN), welches wenigstens eine endständige nucleophile Gruppe enthält."

"4. Verwendung eines Copolymerisats (CP) aus [sic]

70 - 99.9 Gew.-% Methylmethacrylat,

0.1 - 5 Gew.-% Maleinsäureanhydrid und

0 - 25 Gew.-% weiterer vinylisch copolymerisierbarer Monomere, die mit Ausnahme der Vinylfunktion keine weiteren funktionellen Gruppen aufweisen,

als Modifizierungsmittel für Polymerblends aus Polymethylmethacrylat (PMMA), Acrylnitril/Butadien/?Styrol-Copolymerisat (ABS) oder Polyvinylidenfluorid (PVDF) mit einem Polymeren (PN), welches wenigstens eine endständige nucleophile Gruppe enthält."

Außerdem widersprach die Patentinhaberin allen von der Einsprechenden gemachten Einwänden. Insbesondere argumentierte die Patentinhaberin zur Frage der Neuheit ("Art. 54 Neuheit"), dass gemäß der Übersetzung von D1 auf Seite 9, Absatz 2 die Copolymere,

"die den Copolymeren (CP) unseres Patentes entsprechen können, auch mit anderen thermoplastischen Kunststoffen, die jedoch zuvor chemisch mittels Pfropfung umgesetzt werden müssen (..grafted into), gemischt ('blended') werden können. Folglich sind auf S. 9, zweiter Abschnitt, lediglich gepfropfte Varianten von Polymethylmethacrylat (PMMA), Acrylnitril-Butadien-Styrol (ABS) oder Polyvinyliden fluorid (PVDF) zu entnehmen. Blends mit nicht gepfropften Varianten gemäß dem neuen Anspruch 1 ist somit neu gegenüber D1. Das gleiche gilt in Folge für die weiteren Ansprüche, die sich ebenfalls nur auf die von Anspruch 1 erfaßten Ter-Blends beziehen. Der vorliegende Anspruch 1 unterscheidet sich von D2 (...) durch die Copolymeren (CP), die in D2 nicht offenbart werden. Der vorliegende Anspruch 1 unterscheidet sich von D3 (...) dadurch, daß in D3 keine Ter-Blends offenbart sind. D4 und D5 stellen lediglich technischen Background zum angegriffenen Patent dar. Neuheitseinwände aus D4 oder D5 wurden nicht erhoben." (Seiten 2 und 3 des Schriftsatzes).

(6) Der letztgenannte Schriftsatz wurde der Einsprechenden zusammen mit dem geänderten Anspruchssatz unter Fristsetzung für eine Äußerung dazu mit Bescheid vom 2. Dezember 2002 übersandt.

(7) Dazu nahm die Einsprechende mit Schriftsatz vom 11. Juni 2003 hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit Stellung und zitierte ergänzend eine weitere Druckschrift D6 (US-A-4 663 389) als für die geänderten Ansprüche neuheitsschädliches Dokument.

Zu D1 wies die Einsprechende auf die Aufzählungen der Komponenten für das Copolymer in den verschiedenen Absätzen auf Seite 7 der Übersetzung von D1 hin. Neben einem Einwand, dass der neue Wortlaut von Anspruch 1 nicht auf nicht gepfropfte Varianten beschränkt sei (dieser Einwand wurde allerdings später von der Einsprechenden/Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer zurückgezogen), widersprach die Einsprechende den Ausführungen der Patentinhaberin zu Seite 9, Absatz 2 von D1. Der Begriff Pfropfpolymer ("graft polymer") beziehe sich nur auf das Pfropfresultat alpha,beta-ungesättigter Carbonsäureester auf andere thermoplastische Polymere, keinesfalls aber auf die darauf folgenden Polymere in der Aufzählung, welche mit "polymethyl methacrylate" (PMMA) beginne.

(8) Dieses Schreiben wurde der Patentinhaberin mit Kurzmitteilung vom 26. Juni 2003 zur Kenntnisnahme übersandt.

(9) Mit Datum vom 3. Dezember 2003 bekräftigte die Patentinhaberin in einem weiteren Schriftsatz ihre vorherige Interpretation von Absatz 2 auf Seite 9 von D1. Die gegenteilige Interpretation der Einsprechenden ergebe sich nicht zweifelsfrei aus dem Wortlaut. Falls dieser als in sich unklar anzusehen wäre, sollte die Auslegung nicht zum Nachteil der Patentinhaberin erfolgen. Außerdem widersprach sie der damaligen Auffassung der Einsprechenden, der neue Anspruchs wortlaut schließe gepfropfte Polymervarianten mit ein.

Zur neu zitierten Druckschrift D6 stellte die Patentinhaberin den Antrag, diese im Verfahren nicht zu berücksichtigen, da sie nicht die behauptete Relevanz habe und zudem verspätet vorgebracht worden sei.

Für den Fall, dass die Einspruchsabteilung den Argumenten der Einsprechenden bezüglich der Neuheits schädlichkeit von D1 folgen sollte, behielt sich die Patentinhaberin weitere Anspruchsänderungen und gegebenenfalls auch die Stellung von Hilfsanträgen vor, ging aber davon aus, dass der vorliegende Anspruchssatz neu und erfinderisch sei und verwies auf ihren vorherigen Schriftsatz.

(10) Diese Eingabe wurde der Einsprechenden mit Kurz mitteilung vom 16. Dezember 2003 zur Kenntnis gebracht.

(11) Während die Einsprechende im Einspruchs-Schriftsatz vom 19. Juni 2002 als Hilfsantrag die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hatte, hatte die Patentinhaberin keinen solchen Antrag gestellt.

III. Mit der Entscheidung vom 23. Februar 2004 widerrief die Einspruchsabteilung das Streitpatent wegen fehlender Neuheit gegenüber D1.

(1) In der angefochtenen Entscheidung wurden zwar der Schriftsatz der Einsprechenden vom 11. Juni 2003 und die nachgenannte Druckschrift D6 (Abschnitt II (7), oben), nicht aber der Schriftsatz der Patentinhaberin vom 3. Dezember 2003 erwähnt (Abschnitt II (9), oben). Die Entscheidungsgründe in Abschnitt II der angefochtenen Entscheidung beruhten aber ausschließlich auf D1.

(2) Unter Hinweis auf die dortige Beschreibung eines Polymerverbundes aus einem Copolymer und einem Polyamid, wobei die Zusammensetzung des Copolymers aus 50 bis 99 Mol-% Einheiten eines alpha,beta-ungesättigten Carbonsäure esters, 1 bis 30 Mol-% Einheiten eines alpha,beta-ungesättigten Carbonsäureanhydrids und 0 bis 49 Mol-% Einheiten copolymerisierbarer Monomere bestanden habe, verwies die Einspruchsabteilung auf die Ansprüche von D1 und zudem auf deren Beispiele, zu denen sie feststellte, dass der Polymerverbund demnach vorzugsweise aus einem MMA/MSA/S-Copolymer und einem Polycaprolactam bestanden habe. In Anbetracht der Molekulargewichte von MMA (100) und MSA (98) entsprächen sich demnach die betreffenden Mol- und Gewichts-Prozent-Bereiche in D1 und dem Streitpatent weitestgehend.

(3) Außerdem könnten diesem bekannten Polymerverbund gemäß Seite 9, Absatz 2 von D1 z.B. Pfropfcopolymere, in denen alpha,beta-ungesättigte Carbonsäureester auf Thermoplasten gepfropft sind, PMMA, SAN, ABS oder Elastomere zugesetzt werden. Während die Patentinhaberin diesen Absatz dahingehend interpretiert habe, dass der Polymerverbund mit weiteren thermoplastischen Kunststoffen gemischt werden könne, die jedoch alle zuvor chemisch mittels Pfropfung hätten umgesetzt werden müssen, schloss die Einspruchsabteilung aus diesem Absatz der Übersetzung, dass dort Alternativen solcher Kunststoffe aufgezählt seien, also PMMA, SAN, ABS oder Elastomere als Alternativen zu den bereits erwähnten Pfropfcopolymeren. Folglich sei der Anspruch 1 des Streitpatents nicht mehr neu.

(4) Daher kam die Einspruchsabteilung zur Auffassung, dass das Streitpatent auch unter Berücksichtigung der während des Einspruchsverfahrens vorgenommenen Änderungen (Anspruchssatz vom 22. November 2002, Abschnitt II (5), oben) nicht die Erfordernisse der Neuheit erfülle, und sie widerrief das Patent.

IV. Gegen diese Entscheidung erhob die Patentinhaberin/?Beschwerdeführerin unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr am 19. April 2004 Beschwerde, begründete diese gleichzeitig und beantragte, das Streitpatent in der Fassung des zuletzt eingereichten Anspruchssatzes, d.h. vom 22. November 2002 (Abschnitt II (5), oben), hilfsweise auf der Basis eines neuen mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruchssatzes aufrechtzuerhalten.

(1) In diesem Hilfsantrag waren die Ansprüche 1 und 4 des Hauptantrags (Abschnitt II (5), oben) dadurch geändert worden, dass am Ende der Definition des Copolymers CP (d.h. nach den Worten "... keine weiteren funktionellen Gruppen aufweisen,") und vor "mit Polymethylmethacrylat (PMMA) ..." die folgende Passage eingefügt worden war:

"welches durch Substanzpolymerisation der Monomeren unter Zusatz von Radikalkettenstartern und Molekular gewichtsreglern bei Temperaturen <80ºC zu Umsätzen >95% erzeugt wurde,".

(2) Außerdem machte die Beschwerdeführerin einen wesentlichen Verfahrensmangel geltend und beantragte deswegen die Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Dieser Mangel wurde von ihr darin gesehen, dass ihr Schreiben vom 3. Dezember 2003 (Abschnitt II (9), oben) übergangen worden sei. So sei das Schreiben unter Punkt I der angefochtenen Entscheidung, Sachverhalt und Anträge, nicht erwähnt und auch in den Entscheidungsgründen unberücksichtigt geblieben, obgleich es vor Erlass der angefochtenen Entscheidung zur Akte gelangt sei, wie eine Online-Akteneinsicht gezeigt habe.

(3) Auch sei ihr entgegen der Billigkeit keine Frist zur Stellungnahme zum Schriftsatz der Einsprechenden vom 11. Juni 2003 (Abschnitt II (7), oben) gesetzt worden. Sie hätte eine solche Fristsetzung erwartet und auch Hinweise, in welche Richtung die Einspruchsabteilung tendierte, um gegebenenfalls ihre Position durch Hilfsanträge sichern zu können.

(4) Insbesondere erhob sie Zweifel gegen die Interpretation von D1, Seite 9, Absatz 2 durch die Einspruchsabteilung, die nicht zu ihren Lasten gehen dürften und bekräftigte ihre Position, dass in diesem Absatz nur gepfropfte Varianten der dort aufgelisteten thermoplastischen Polymeren genannt seien. Zudem scheine die für die Patentinhaberin ungünstige Interpretation durch die Einspruchsabteilung an keiner weiteren Stelle der Druckschrift auf. Daher sei der Widerruf des Streitpatents auf dieser zweifelhaften Basis eines einzelnen unverständlichen Satzes nicht gerechtfertigt. Es sei Sache der Einsprechenden gewesen, eindeutig interpretierbares Einspruchsmaterial vorzulegen.

Zu Ihrem Hilfsantrag verwies sie auf die verschiedene Stellen der Patentschrift (Seite 3, Zeilen 35 bis 43, Seite 4, [0029] bis [0031]) und argumentierte, dass die zusätzlichen Merkmale deutlichen Einfluss die Zusammensetzung der Polymerkette des CP und auch auf die mechanischen Eigenschaften des beanspruchten Polymerverbundes ausübten.

V. In einem Schriftsatz vom 8. November 2004 nahm die Beschwerdegegnerin/Einsprechende zu allen Punkten der Beschwerdeführerin eine gegensätzliche Position ein.

(1) Sie verwies darauf, dass die Entscheidung nur auf Gründe gestützt sei, zu denen die Patentinhaberin habe Stellung nehmen können, namentlich auf D1. Auch sei ein Vorbehalt, weitere Eingaben zu machen oder weitere Ansprüche vorzulegen, im EPÜ nicht vorgesehen.

(2) Außerdem legte die Beschwerdegegnerin ein Schreiben D8 an eine von ihr als unabhängig bezeichnete japanische Anwaltskanzlei vor (Schreiben vom 20. August 2004), mit dem sie die Kanzlei unter Hinweis auf den gegenwärtigen Einspruch beauftragt hatte, eine Meinung zur Interpretation der umstrittenen in Absatz 2 von Seite 9 wiedergegebenen Übersetzung von D1 abzugeben. Dazu erläuterte sie die Problematik anhand dreier ihrer Meinung nach möglicher Interpretationen der fraglichen Passage, die beigefügt waren. Die Stellungnahme der japanischen Kanzlei hierzu (vom 1. Oktober 2004) wurde von der Beschwerdegegnerin als D9 bezeichnet und ebenfalls miteingereicht. Die Kanzlei hatte eine andere Übersetzung des fraglichen Absatzes angefertigt und den Absatz auch interpretiert:

"Further, other thermoplastic polymers, polymethyl methacrylate, methyl methacrylate-styrene copolymers, styrene-acrylonitrile copolymers, ABS resin, MBS resin, impact-resistant polystyrene, graft polymers in which alpha,beta-unsaturated carboxylate esters are grafted into rubber-like polymers or the like can be used blended into the polymeric materials of the present invention.

The Japanese paragraph mere1y states that eight kinds of compounds can be blended into the polymeric materials of the present invention. Graft polymers can be obtained by grafting alpha,beta-unsaturated carboxylate esters to rubber-like polymers. Our interpretation is different from each of your three interpretations."

(3) Hierzu führte die Beschwerdegegnerin weiter aus, dass damit die Interpretation der fraglichen Passage klar und eindeutig sei, zumindest für eine japanisch sprachige Person, schließlich brauche der Fachmann nicht englischsprachig zu sein.

(4) Zum Hilfsantrag reichte die Beschwerdegegnerin die Kopie des Ergebnisses (von ihr als D7 bezeichnet) einer Recherche im Internet ("The search was based on 'C' 'bulk polymerisation of methyl methacrylate at' and revealed 9 entries.") ein.

VI. Am 6. Dezember 2006 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer in Gegenwart beider Parteien statt.

Der Verlauf der mündlichen Verhandlung und das Vorbringen der beiden Parteien lassen sich wie folgt zusammenfassen:

(1) Eingangs wurden der wesentliche Inhalt der Akte vorgetragen und den Parteien einige vorläufige Vorbemerkungen der Kammer zur Frage des geltend gemachten wesentlichen Verfahrensfehlers zur Kenntnis gebracht.

(2) Zu dieser letztgenannten Frage trug die Beschwerde führerin in Ergänzung ihres schriftlichen Vorbringens vor, dass sie gerade im Hinblick auf die Unsicherheit durch die unterschiedlichen Interpretationen der Passage auf Seite 9, Absatz 2 von D1 durch die Parteien, insbesondere aber im Hinblick auf die von ihrer Seite dazu geäußerten gewichtigen Zweifel und auf die ebenso klar dargelegte Bereitschaft zur Modifizierung ihrer Ansprüche und gegebenenfalls zur Einreichung neuer Hilfsanträge erwartet hätte, einen Hinweis auf die Haltung der Einspruchsabteilung zu diesem Punkt unter Fristsetzung für eine Rückantwort zu bekommen. Außerdem sei ihre Eingabe vom 3. Dezember 2004 (Abschnitt II (9), oben) nicht einmal berücksichtigt worden, obschon sie bei Abfassung der angefochtenen Entscheidung bereits etwa drei Monate auf dem Tisch gewesen sei.

(3) Die Beschwerdegegnerin hielt dem entgegen, dass die Entscheidung ausschließlich mit fehlender Neuheit gegenüber D1 begründet und die Frage der Pfropfung bereits vorher von beiden Seiten angesprochen worden sei. Für weitere Ausführungen hätte die Beschwerdeführerin aber eine mündliche Verhandlung beantragen können.

(4) Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung beschränkte sich die Diskussion dann auf die Frage der Neuheit gegenüber D1.

(5) Hierzu verwies die Beschwerdegegnerin erneut auf die Aufzählungen der möglichen Monomeren für die drei Komponenten des CP-Copolymers und spezieller geeigneter Kombinationen dafür (D1: Seite 7, Absätze 1, 2, 3 und 5), auf die dazugehörigen Prozentangaben und den Einsatz dieses Copolymers in Kombination mit Polyamid (D1: Anspruch 1). Außerdem seien in D1 auf Seite 4, Absatz 3, Seite 6, Absatz 2, Seite 8, Absatz 3 und Seite 10, Absatz 1 die Verarbeitung der beiden Komponenten und ihr Zusammenwirken beim gemeinsamen Einsatz sowie die Eigenschaften der Produkte beschrieben worden. Am Ende von Seite 9 sei der klare Hinweis an den Fachmann zu finden gewesen, welche Mengen besonders geeignet wären. Diese Vorteile seien zudem nicht durch den auf Seite 9, Absatz 2 von D1 bzw. in der neuen Übersetzung dieser Passage in D9 beschriebenen Zusatz der weiteren optionalen Komponente, darunter die Polymeren PMMA und ABS gefährdet worden.

Zur Widersprüchlichkeit der verschiedenen Übersetzungen trug die Beschwerdegegnerin vor, dass der Fachmann von der Richtigkeit der Interpretation durch einen japanischsprachigen Leser auszugehen habe. Eine solche klare und eindeutige Interpretation sei mittels D8 und D9 durch die Beschwerdegegnerin beigebracht worden. Dagegen habe die Beschwerdeführerin von der Möglichkeit, eine eigene Übersetzung der fraglichen Passage vorzulegen, keinen Gebrauch gemacht. Daher könne die Richtigkeit von D9 auch nicht durch die Zweifel der Beschwerdeführerin in Frage gestellt werden.

(6) Die Beschwerdeführerin stellte demgegenüber heraus, dass es den Autoren von D1 darum ging, die Nachteile von Blends zu vermeiden (Seite 4, Absätze 1 und 2). Zudem stehe die Passage in Absatz 2 auf Seite 9 von D1 ohne jeden Zusammenhang mit der restlichen Beschreibung. Auch sei weder Hintergrund für diese Erwähnung noch der Zweck eines solchen Zusatzes ersichtlich. So sei auch nirgends sonst in D1 ein Hinweis auf Zusammensetzungen zu finden, die eine solche Komponente enthielten. Hinsichtlich des Streitpatents verwies sie auf die vorteilhaften Ergebnisse in dessen Beispielen.

Zudem hielt die Beschwerdeführerin an ihrer Interpretation der Passage der ursprünglichen Übersetzung von D1 (Seite 9, Absatz 2) fest. Dies sei die eingangs des Einspruchsverfahrens von der Einsprechenden vorgelegte Fassung gewesen. Sie zog außerdem die Aussagekraft von D9 in Zweifel, da die japanische Anwaltskanzlei ihrer Ansicht nach auf Grund der ihr mit D8 übersandten Informationen über den Einspruch und als Auftragnehmer der Einsprechenden nicht vollkommen unbeeinflusst zu D1 habe Stellung nehmen können. Auch mache D9 deutlich, dass darin den vorherigen Interpretationen nur eine weitere hinzugefügt worden sei. Überdies sei D1 nichts zu entnehmen, wozu ein Zusatz einer weiteren Komponente (wie auf Seite 9, Absatz 2 erwähnt) dienen sollte.

Das des Japanischen kundige juristische Mitglied der Kammer wies darauf hin, dass in der ursprünglichen Übersetzung von D1 auf Seite 9, Absatz 2 die Reihenfolge der Polymeren gegenüber der japanischen Original druckschrift umgedreht worden war und die neue Übersetzung insoweit dem Original eher entspreche.

(7) Nach Abschluss der Diskussion speziell über den Aspekt der Übersetzung von D1, Seite 9, Absatz 2 wurde die Frage erörtert, ob und wo in D1 eine klare, eindeutige und unmittelbare Offenbarung des Gegenstands des Streitpatents insgesamt zu finden sei. Zur Erläuterung wurden die Parteien darauf hingewiesen, dass eine Überlappung nicht notwendigerweise eine klare, eindeutige und unmittelbare Vorwegnahme bedeuten müsse. So sei die allgemeine Beschreibung in D1 viel breiter als die in Rede stehenden Ansprüche des Streitpatents. Auch fielen die Beispiele offensichtlich nicht in den Bereich des Streitpatents. Es stelle sich daher die Frage, ob ausgehend von D1 nicht mehrere Entscheidungen zu treffen wären, um zum Patentgegenstand zu gelangen.

(8) Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin musste diese Frage aber verneint werden, denn in der Zusammenschau der oben in Abschnitt VI (5) zitierten Stellen von D1, insbesondere unter Berücksichtigung der jeweils letzten Absätze auf den Seiten 7 und 9 und der nahe am beanspruchten Gegenstand des Streitpatents liegenden Beispiele von D1, ergebe sich der Patentgegenstand bei Berücksichtigung der Begründung in der Entscheidung T 17/85 (ABl. EPA 1986, 406) zwangsläufig, so dass es dem beanspruchen Patentgegenstand gegenüber D1 an Neuheit fehle. Insbesondere verwies sie auf den letzten Absatz von Seite 7 der Druckschrift, in dem MMA/MSA- und MMA/MSA/Styrol-Copolymere genannt würden, auch wenn dafür noch die Menge des MSA gewählt werden müsse.

(9) Die Beschwerdeführerin hingegen vertrat zum Abschluss ihrer Argumentation die Ansicht, dass eine Auswahl aus drei Listen zu treffen sei, um zum Patentgegenstand zu gelangen, und nannte als MSA-Menge im Beispiel 1 von D1 unwidersprochen einen Wert von 5,88 Gew.-%, der deutlich über der Grenze im vorliegenden Anspruch 1 des Hauptantrags liege. Daher könne D1 nicht neuheitsschädlich sein.

(10) Nachdem keine der Parteien weitere Ausführungen machen wollte, wurde die Debatte über die Neuheit gegenüber D1 geschlossen.

(11) Während die Beschwerdegegnerin dann wegen der bisher verstrichenen Zeit seit der Einlegung des Einspruchs, wegen der Verlängerung der Verfahrensdauer, die durch eine Zurückverweisung verursachte werde, und wegen angeblicher Vorteile der Patentinhaberin gegenüber ihrer Konkurrenz allein durch die Tatsache der Existenz des Streitpatents beantragte, auch die weiteren Einspruchsgründe bis zu einer Endentscheidung in der mündlichen Verhandlung zu behandeln, beantragte die Beschwerdeführerin die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung, da die weiteren Punkte noch nicht erstinstanzlich ausdiskutiert worden seien. Auch stellte sie die behaupteten Nachteile der Einsprechende und der Allgemeinheit durch die Existenz des Streitpatents in Abrede.

VII. Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtene Entscheidung und Zurückverweisung an die erste Instanz zur weiteren Behandlung sowie Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Die Beschwerdegegnerin/Einsprechende beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Beschwerdeführerin machte einen wesentlichen Verfahrensfehler geltend und beantragte die Rückzahlung der Beschwerdegebühr (Abschnitte IV (2) und VI (2), oben).

2.1 Sie begründete ihren Antrag damit, dass ihr Schriftsatz vom 3. Dezember 2003 zwar zur Akte gelangt, aber bei der Abfassung der angefochtenen Entscheidung nicht einmal erwähnt worden sei. Dem Antrag wurde von der Beschwerde gegnerin allerdings damit widersprochen, dass die Beschwerdeführerin ausreichend Gelegenheit gehabt habe, zu den Argumenten und Tatsachen, die dann letztlich als Basis für den einzigen in der angefochtenen Entscheidung verwendeten Entscheidungsgrund dienten, Stellung zu nehmen (Abschnitte V (1)und VI (3), oben). Auch hätte die Beschwerdeführerin ja eine mündliche Verhandlung beantragen können (Abschnitte V (1) und VI (3), oben).

2.2 Im Hinblick auf den geltend gemachten wesentlichen Verfahrensfehler ist die Kammer angesichts des Verfahrensverlaufes während des Einspruchsverfahrens (Abschnitte II bis II (11), oben) zur Schlussfolgerung gelangt, dass die Einspruchsabteilung und die mit dem Einspruch befasste Formalsachbearbeiterin die Verlautbarung über das "Einspruchsverfahren im EPA" im EPA-Amtsblatt 1989, Seite 417 bis 423 sowie die darin zitierten Regeln 57(1) und 57(3) EPÜ und die ebenfalls darin zitierten Richtlinien D-IV, 5.4 befolgt haben.

So wurde die Eingabe der Patentinhaberin mit dem neuen Anspruchssatz der Einsprechenden unter Fristsetzung zur Stellungnahme übersandt (Abschnitt II (6), oben), danach wurden die weiteren Schriftsätze der beteiligten Parteien der jeweiligen Gegenpartei dann zur Kenntnis (ohne Frist) übersandt (Abschnitte II (8) und (10), oben).

Eine weitere Stellungnahme eines Beteiligten zum Vorbringen der jeweiligen Gegenpartei wurde von der Einspruchsabteilung offenbar nicht mehr für notwendig erachtet, daher folgte keine entsprechende Aufforderung mit Fristsetzung (vgl. die oben genannte Verlautbarung, Amtsblatt 1989, Seite 418, Absatz 3). Vielmehr wurde die Sache offensichtlich als entscheidungsreif erachtet.

Eine Vorwarnung, wie sie augenscheinlich von der Patent inhaberin erwartet wurde (obige Abschnitte II (9), letzter Absatz, und VI (1) und (2)), um darauf nochmals mit Änderungen in den Unterlagen oder neuen Unterlagen reagieren zu können, hat die Einspruchsabteilung nach Ansicht der Kammer berechtigterweise unterlassen, da hierdurch möglicherweise ihre Unparteilichkeit hätte in Zweifel gezogen werden können.

2.3 Wie die angefochtene Entscheidung zeigt, hat sich die Einspruchsabteilung dann auch ausschließlich auf die schon mit dem Einspruchsschriftsatz genannte Druckschrift D1 gestützt. Dazu hatte die Patentinhaberin in ihren Schriftsätzen vom 20. und 22. November 2002 Stellung genommen.

Auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat der Vertreter der Beschwerdeführerin lediglich die Unsicherheit der Beschwerdeführerin darüber dargelegt, welche Haltung die Einspruchsabteilung wohl in der Neuheitsfrage einnehmen würde. Hierzu argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass sich jede Partei eines Einspruchs- bzw. Beschwerde-Verfahrens in dieser Situation wiederfinde. Die Beschwerdegegnerin verwies zudem auf die Tatsachen, dass von der Patentinhaberin keine mündliche Verhandlung beantragt worden war, in der sie noch auf Grundlage der Diskussion durch Modifikation ihrer Anträge hätte reagieren können, dass in den Entscheidungsgründen beide Interpretationen des von beiden Parteien als entscheidend angesehenen Absatzes von D1 in Betracht gezogen worden seien und dass die Einspruchsabteilung sich damit auch auseinandergesetzt habe.

Außerdem identifizierte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung keinen Entscheidungsgrund in der angefochtenen Entscheidung, zu dem sie sich nicht hatte äußern können.

Daher ist den Erfordernissen der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ offensichtlich Rechnung getragen worden. Gleiches gilt auch für Artikel 113 (2) EPÜ, nach dem sich das EPA bei der Prüfung des europäischen Patents an die vom Patentinhaber vorgelegte oder gebilligte Fassung zu halten hat, denn die Entscheidung fußt auf dem einzigen vorliegenden von der Patentinhaberin eingereichten auf die Sache bezogenen Antrag (Anspruchssatz vom 22. November 2002), der auch in der Beschwerde als Hauptantrag weiterverfolgt wurde (Abschnitt IV, oben). Ein Hinweis auf möglicherweise beabsichtigte Änderungen der Anträge kann jedoch vom EPA nicht in Betracht gezogen werden, da hierfür das EPÜ keine Grundlage bietet.

2.4 Das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers ist daher für die Kammer nicht ersichtlich. Folglich wird der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurückgewiesen.

3. In den Gründen für die angefochtene Entscheidung befasste sich die Einspruchsabteilung ausschließlich mit der Frage der Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs satzes vom 22. November 2002 gegenüber der Druckschrift D1, nicht aber mit den weiteren Kriterien, die bei einer Umformulierung von Patentunterlagen zu untersuchen sind (siehe Abschnitte I und II (5), oben), und mit den weiteren Einspruchsgründen. Daher beschränkt sich auch diese Entscheidung im weiteren auf die Beurteilung der vorstehend genannten einzigen in der angefochtenen Entscheidung behandelten Frage.

3.1 In der angefochtenen Entscheidung wurde diese Frage auf der Grundlage einerseits der Ansprüche und der Offenbarung in der allgemeinen Beschreibung und andererseits der Offenbarung in den Beispielen von D1 untersucht.

3.2 Zunächst seien daher die Ansprüche und die Offenbarung in der allgemeinen Beschreibung von D1 betrachtet.

Die Druckschrift D1 beschreibt laut Anspruch 1 ein Copolymer, das sich aus zwei Teilen zusammensetzt, die chemisch miteinander verbunden sind. Der eine Teil besteht aus einer Polymerkette ("polymer chain portion") und setzt sich zusammen aus 50 bis 99 Mol-% eines alpha,beta-ungesättigten Carbonsäureesters, 1 bis 30 Mol-% eines alpha,beta-ungesättigten Carbonsäureanhydrids und 0 bis 49 Mol-% eines damit copolymerisierbaren weiteren Monomers. Der andere Teil besteht aus einem Polyamid. Zur Herstellung des in D1 beanspruchten Copolymers verwies die Beschwerdegegnerin insbesondere auf das auf Seite 6, Absatz 2 beschriebene Verfahren durch Verkneten in der Schmelze (Abschnitt VI (5), oben) und das Verfahren im Streitpatent (Absätze [0040] und [0041]).

Zu den einzelnen Komponenten der "polymer chain portion", die in Analogie zum Streitpatent hier vereinfachend auch als CP-Copolymer bezeichnet werden soll, wurde seitens der Beschwerdegegnerin insbesondere auf die verschiedenen Absätze auf Seite 7 von D1 hingewiesen.

3.2.1 Im Absatz 1 dieser Seite werden die Carbonsäureester näher beschrieben und als Methacrylat-Ester und Acrylat-Ester bezeichnet. Für jede dieser beiden Ester-Typen werden eine Reihe verschiedener Beispiele aufgezählt. Jede dieser Reihen von homologen Verbindungen beginnt mit dem kurzkettigsten Beispiel, dem jeweiligen Methylester und reicht über längerkettige Alkylester bis zu einer hydroxy-funktionellen Verbindung, dem jeweiligen Hydroxyethylester.

3.2.2 In Absatz 2 werden die Anhydride durch die gemeinsame Strukturformel gekennzeichnet und umfassen neben dem MSA selbst auch weitere Varianten dieser Verbindung, die an den C-Atomen der Doppelbindung Alkyl- und/oder Halogen-Substituenten besitzen können. Unter sechs namentlich genannten Verbindungen findet sich z.B. auch eine bicyclische Verbindung, Tetrahydrophthalsäureanhydrid.

3.2.3 Die weiteren damit copolymerisierbaren Monomeren in Absatz 3 umfassen neben Styrolen (darunter Styrol selbst) auch alpha,beta-ungesättigte Nitrile sowie alpha,beta-ungesättigte Carbonsäuren (Acryl- und Methacrylsäure sind explizit genannt), Vinylacetat und Vinylether. Die Aufzählung schließt also Verbindungen ein, die in Ergänzung zur Vinyl-Gruppe weitere funktionelle Gruppen enthalten.

3.2.4 Nach Absatz 4 der Seite können diese Copolymere auch durch Kautschuk verstärkt ("rubber-reinforced") eingesetzt werden (siehe auch Seite 6, letzter Satz).

3.2.5 Im letzten Absatz der Seite 7 werden schließlich fünf spezielle Monomerkombinationen für das Copolymer aufgezählt, neben MMA/MSA- und MMA/MSA/S-Copolymeren auch solche, die statt MMA Methylacrylat oder Butylacrylat enthalten. In keinem Fall gibt es einen Hinweis auf deren quantitative Zusammensetzung.

3.2.6 Zur quantitativen Zusammensetzung des CP-Copolymers finden sich nur die Angaben im Anspruch 1, die dann in den Ansprüchen 5 und 10 und auf Seite 6, Absatz 3 wiederholt werden. Dabei ist für das Anhydrid stets ein Bereich von 1 bis 30 Mol-% angegeben.

Ansonsten ist in der allgemeinen Beschreibung nur auf Seite 4, vorletzter Absatz und Seite 9, letzter Absatz von der Wichtigkeit des Gehalts an Dicarbonsäure anhydrid-Gruppen im beanspruchten Copolymer aus CP-Copolymer und Polyamid bzw. im CP-Copolymer die Rede. An der letztgenannten Stelle werden im Übrigen nur die Folgen eines zu niedrigen bzw. zu hohen Gehalts dieser Gruppen im CP-Copolymer angesprochen, ohne jedoch eine nähere Erklärung für die Begriffe "zu niedrig" und "zu hoch" auch im Hinblick auf den breiten Bereich der umfassten unterschiedlichen Monomeren mit ihren unterschiedlichen Molekulargewichten zu geben.

3.3 Unter den vier Beispielen der Druckschrift betrifft lediglich Beispiel 1 ein Copolymer auf der Basis von MMA, MSA und S, wobei allerdings der Anteil an MSA von 6 Mol-% in diesem speziellen CP-Copolymer (der laut Beschwerdeführerin einem Wert von 5,88 Gew.-% entspricht) unwidersprochen oberhalb des Mengenbereichs liegt, der in Anspruch 1 des Streitpatent definiert ist (0,1 bis 5 Gew.-%). Dieses Copolymer wurde dann in Beispiel 4 weiterverwendet. Die anderen beiden Beispiele 2 und 3 von D1 beschreiben Copolymere, die anstelle von MMA Methylacrylat bzw. Butylacrylat sowie MSA in Mengen von 8 bzw. 10 Mol-% enthielten.

3.4 Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen (Abschnitt VI (6), oben), dass nur auf Seite 9, Absatz 2 von D1 ein Zusatz weiterer Polymer-Komponenten erwähnt wird, hinsichtlich deren chemischer Natur die Ansichten der beiden Parteien sich deutlich widersprechen, und dass keines der Beispiele von D1 die Anwesenheit einer solchen Komponente beschreibt.

3.5 Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Nach gefestigter Rechtsprechung ist der Gegenstand einer Patentanmeldung oder eines Patents dann nicht neu, wenn er sich klar, eindeutig und unmittelbar aus dem Stand der Technik ergibt (vgl. Rechtsprechung der BK des EPA, 4. Auflage 2001, Kapitel I.C.2. ff.).

3.5.1 Wie aus den vorstehenden Abschnitten ersichtlich ist, enthält D1 keine explizite Beschreibung einer Mischung oder eines Polymerverbunds aus einem Copolymer CP, einem Polyamid und einem Kunststoff aus der Gruppe PMMA, ABS oder PVDF (ursprünglich in den Ansprüchen 1 und 2 als "Kunststoff VK" bezeichnet, Abschnitt I, oben), geschweige denn einer solchen Mischung oder eines solchen Polymerverbundes, in dem das CP aus 70 bis 99,9 Gew.-% MMA, 0,1 bis 5 Gew.-% MSA und 0 bis 25 Gew.-% eines weiteren vinylisch copolymerisierbaren Monomer ohne weitere funktionelle Gruppen besteht.

Hieran würde auch die Anerkennung einer der sich widersprechenden Interpretationen der den Kunststoff VK betreffenden Übersetzungen von D1 (D1: Seite 9, Absatz 2 bzw. D9) als zutreffende Darstellung ebenso wenig etwas ändern wie die Vorlage einer "Gegenübersetzung" durch die Beschwerdeführerin, deren Fehlen von der Beschwerde gegnerin angesprochen worden ist (Abschnitte II (5) und (9), III (3), IV (4), V (2) sowie VI (5) und (6), oben) .

3.5.2 Zwar nennt D1 beispielhaft einige spezielle Zusammensetzungen des CP-Copolymers (Abschnitt 3.2.5, oben), jedoch ohne jede Eingrenzung der vorstehend im Abschnitt 3.2 genannten breiten Mengenbereiche der drei möglichen Komponenten von CP. Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass hierzu der letzte Absatz auf Seite 9 die fehlenden Informationen liefere, kann aus den folgenden Gründen nicht überzeugen:

- Erstens, neben der völlig unspezifischen Aufzählung unterschiedlicher Kombinationsmöglichkeiten von Monomeren und Typen von CP-Copolymeren in den Absätzen 1 bis 4 von Seite 7 beinhalten nur zwei der fünf im letzten Absatz dieser Seite aufgelisteten speziellen Zusammensetzungen MMA, MSA und als nicht funktionelles drittes Monomer gegebenenfalls S.

- Zweitens, allein die Beispiele von D1 zeigen eine klare und eindeutige Beziehung zwischen der Zusammensetzung spezieller CP-Copolymere und den molaren Verhältnissen zwischen deren Monomeren. Allerdings liegen in allen Beispielen der Druckschrift die MSA-Gehalte eindeutig oberhalb des in den unabhängigen Ansprüche des Streitpatents definierten Bereichs.

- Drittens, lediglich eines von drei CP-Copolymeren in den Beispielen (Beispiel 1) besitzt eine der Definition im Anspruch 1 des Streitpatents entsprechende Monomer-Zusammensetzung (MMA/MSA/S).

- Viertens, es besteht daher in D1 keine klare, eindeutige und unmittelbare Verbindung zwischen der Untergrenze des in D1 offenbarten Mengenbereichs für das Anhydrid-Monomer (1 Mol-%) und dem MSA-Gehalt in einem CP-Copolymer aus MMA, MSA und gegebenenfalls einem damit copolymerisierbaren Comonomer, wenn dieses keine weitere funktionelle Gruppe enthält, so wie es in Anspruch 1 des Streitpatent verlangt ist.

Außerdem geht der Verweis der Beschwerdegegnerin auf T 17/85 (Abschnitt VI (8), oben) schon deshalb fehl, weil sich der im damaligen Fall in Rede stehende mineralische Füllstoff nur durch die Teilchengrößenverteilung vom Stand der Technik unterschied, nicht aber durch seine chemische Natur.

3.6 Aus diesen Gründen ist die Kammer zu dem Schluss gekommen, dass die Offenbarung von D1 den Gegenstand des Streitpatents, wie er im Anspruchssatz vom 22. November 2002 beansprucht wird (Abschnitt IV, oben), nicht vorwegnimmt und dass dieser folglich gegenüber D1 neu ist (Artikel 54 EPÜ).

4. Da somit der einzige Grund für den Widerruf des Streitpatents entfallen ist, muss die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden.

5. In Anbetracht des Antrags der Beschwerdeführerin, den Fall an die Einspruchsabteilung zur Klärung der weiteren Punkte des Einspruchs und zur Entscheidung darüber zurückzuverweisen, kam die Kammer zur Entscheidung, von der ihr durch Artikel 111 (1) EPÜ übertragenen Befugnis Gebrauch zu machen, und sie verweist den Fall zu seiner Weiterbehandlung zurück an die Einspruchsabteilung.

Dabei hat die Kammer auch die von beiden Parteien zu dieser Frage vorgetragenen Argumente sowie insbesondere die eingehend diskutierte Frage des ausreichenden rechtlichen Gehörs und die Nennung der Druckschrift D6 berücksichtigt, über deren Relevanz und daraus folgend deren Zulassung oder Nichtzulassung in der angefochtenen Entscheidung nicht entschieden worden ist. Die Aussage der Beschwerdegegnerin, sofern die Zitierung von D6 der entscheidende Grund für eine Zurückverweisung sei, sei sie bereit, diese Druckschrift zurückzuziehen, ändert die Sachlage nicht in der Weise, dass sie zu einer anderen Entscheidung in der Frage des Artikels 111(1) EPÜ hätte führen können.

6. Bei dieser Sachlage brauchte die Kammer auch den Hilfsantrag der Beschwerdeführerin (Abschnitt IV (1), oben) nicht in Betracht zu ziehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zur weiteren Behandlung des Falles zurückverwiesen.

3. Der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

Quick Navigation