European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2006:T047804.20060223 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 Februar 2006 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0478/04 | ||||||||
Anmeldenummer: | 98958153.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01L 23/22 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Auswertung des Brennraumdruckverlaufs | ||||||||
Name des Anmelders: | ROBERT BOSCH GMBH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | IAV GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | - | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) richtet ihre am 1. April 2004 unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr eingelegte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 2. Februar 2004, mit der das Europäische Patent 1 034 416 widerrufen worden ist. Ihre Beschwerde hat sie am 5. Mai 2004 begründet.
II. Die Einsprechende hatte das Patent unter den in Artikel 100 a) EPÜ aufgeführten Einspruchsgründen angegriffen und dazu folgende Druckschriften zitiert:
E1: DE-A-40 36 847
E2: US-A-4 633 707
Die Einspruchsabteilung vertrat in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung, der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs des damaligen Hauptantrags sei nicht neu gegenüber der Offenbarung in der Druckschrift E1, während Anspruch 1 des Hilfsantrags nicht dem Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ genüge.
III. Die Beschwerdeführerin stellte in der auf Antrag beider Parteien anberaumten mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2006, an deren Ende die vorliegende Entscheidung verkündet wurde, den Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Basis der Ansprüche 1 bis 14, eingereicht am 20. Januar 2006 (Hauptantrag), oder auf der Basis der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssätze gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 5 aufrechtzuerhalten.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
" Verfahren zur Auswertung des Brennraumdrucks bei einer Brennkraftmaschine mit wenigstens einem Zylinderdrucksensor der den Zylinderdruck misst und einem Kurbelwellenwinkelsensor, der ein für die Kurbelwellenstellung repräsentatives Signal abgibt und einer, wenigstens einen Mikroprozessor umfassenden Auswerteeinrichtung, der die Signale der Sensoren zugeführt werden, wobei der Mikroprozessor aus dem Brennraumdruckverlauf in Abhängigkeit von der Kurbelwellenwinkelstellung auf das Auftreten wenigstens einer der Ventilsteuerzeiten "Auslass öffnet", "Auslass schließt", "Einlass öffnet", "Einlass schließt", in Bezug auf die Kurbelwellenwinkelstellung schließt, wobei die Messungen während des normalen Betriebs der Brennkraftmaschine erfolgen und dabei auftretende Brennraumdruckverläufe oder Ereignisse, die vom Brennraumdruckverlauf abhangen und die Ventilsteuerzeiten kennzeichnen, ausgewertet werden, dadurch gekennzeichnet,
dass durch Auswertung des Verbrennungsdruckverlaufs auf die Ventilsteuerzeiten rückgeschlossen wird."
Der Oberbegriff des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist identisch mit dem des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Der kennzeichnende Teil lautet wie folgt:
" (dadurch gekennzeichnet,)
dass durch Auswertung von die Verbrennung beschreibenden Kennwerten auf die Ventilsteuerzeiten rückgeschlossen wird."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist gleichlautend mit Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1.
Der Oberbegriff des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist identisch mit dem des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Der kennzeichnende Teil lautet wie folgt:
" (dadurch gekennzeichnet,)
dass auf die Ventilsteuerzeit "Auslass öffnet" geschlossen wird, wenn die Expansionslinie des Brennraumdruckverlaufs sich so ändert, dass die Änderung des Druckgradienten mit zunehmendem Volumen oder mit zunehmendem Kurbelwellenwinkel das Vorzeichen wechselt."
Hilfsantrag 4 enthält drei unabhängige Ansprüche. Der Oberbegriff des Anspruchs 3 gemäß diesem Hilfsantrag ist identisch mit dem des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Der kennzeichnende Teil lautet wie folgt:
" (dadurch gekennzeichnet,)
dass zur Erkennung der Ventilsteuerzeit "Einlass schließt" das Volumen bzw. der Kurbelwellenwinkel detektiert wird, bei dem der Kompressionsdruck gleich einem vorgebbaren festgelegten Druck ist."
Hilfsantrag 5 umfasst einen einzigen Anspruch mit folgendem Wortlaut:
"Verfahren zur Auswertung des Brennraumdrucks bei einer Brennkraftmaschine mit wenigstens einem Zylinderdrucksensor der den Zylinderdruck misst und einem Kurbelwellenwinkelsensor, der ein für die Kurbelwellenstellung repräsentatives Signal abgibt und einer, wenigstens einen Mikroprozessor umfassenden Auswerteeinrichtung, der die Signale der Sensoren zugeführt werden, wobei der Mikroprozessor aus dem Brennraumdruckverlauf in Abhängigkeit von der Kurbelwellenwinkelstellung auf das Auftreten wenigstens einer der Ventilsteuerzeiten "Auslass öffnet", "Auslass schließt", "Einlass öffnet", "Einlass schließt", in Bezug auf die Kurbelwellenwinkelstellung schließt, wobei die Messungen während des normalen Betriebs der Brennkraftmaschine erfolgen und dabei auftretende Brennraumdruckverläufe oder Ereignisse, die vom Brennraumdruckverlauf abhangen und die Ventilsteuerzeiten kennzeichnen, ausgewertet werden,
dadurch gekennzeichnet,
dass zur Ermittlung der Ventilsteuerzeit "Einlass schließt" das Volumen bzw. der Kurbelwellenwinkel detektiert wird, bei dem Kompressionsdruck gleich dem Umgebungsdruck ist."
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin zur Begründung ihrer Anträge lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Anspruch 1 des Hauptantrags umfasst die Merkmale des erteilten Anspruchs 1 sowie das Merkmal, nach dem durch Auswertung des Verbrennungsdruckverlaufs auf die Ventilsteuerzeiten rückgeschlossen wird. Dieses Merkmal findet seine Grundlagen in Spalte 6, Zeilen 41 bis 51 der Patentschrift. Dort ist ausgeführt, dass bei fremdgezündeten Motoren die Streuung der die Verbrennung kennzeichnenden Größen von Zyklus zu Zyklus mit steigendem Restgasgehalt zunimmt und sich somit eine weitere Auswertemöglichkeit für den Verbrennungsdruckverlauf darstellen lässt. Damit ist die Möglichkeit gegeben, aus der Streuung der Kennwerte über motorspezifische ermittelte Kennfelder bzw. Kennlinien motorspezifisch ermittelte mathematische Zusammenhänge oder während des Motorbetriebs adaptierte Kennwerte auf die Ventilsteuerzeiten rückzuschließen. Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ sind daher erfüllt. Der Gegenstand dieses Anspruchs ist neu gegenüber der Offenbarung in der Druckschrift E1, welche den nächsten Stand der Technik bildet, da beim Verfahren aus der E1 der Verbrennungsdruckverlauf zwar registriert, jedoch maskiert und deshalb nicht ausgewertet wird. Da diese Druckschrift überdies lehrt, die Ventilsteuerzeiten durch Auswertung des Brennraumverlaufs außerhalb des Verbrennungsvorgangs zu detektieren, wird der Fachmann durch den Gegenstand der Druckschrift E1 noch vom Verfahren des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag weggeführt. Deshalb ergibt sich sein Gegenstand nicht in naheliegender Weise aus der Druckschrift E1.
In Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 wurde im kennzeichnenden Teil anstatt des Merkmals bezüglich der Auswertung des Verbrennungsdruckverlaufs das Merkmal aufgenommen, dass die die Verbrennung beschreibenden Kennwerte für die Bestimmung der Ventilsteuerzeiten ausgewertet werden. Dieses Merkmal findet seine Stütze im Absatz [0023] der Patentschrift. In diesem Absatz werden diesbezüglich drei Beispiele offenbart: in Spalte 6, Zeilen 27 bis 37 der Zusammenhang zwischen Restgasgehalt und verspätet beginnendem Zündzeitpunkt; in Zeilen 38 bis 41 dieser Spalte die Adaption von Kennwerten während des Motorbetriebs; und in Zeilen 41 bis 46 die Auswertung der Streuung der Kennwerte. Ferner wird als weitere Kenngröße in Spalte 6, Zeilen 54 und 55 die Auswertung des Druckmaximums offenbart. Durch Aufnahme des Merkmals, dass die die Verbrennung beschreibenden Kennwerte zur Auswertung herangezogen werden, wird der Gegenstand dieses Anspruchs noch weiter von der Offenbarung in der E1 abgegrenzt, da in dieser Druckschrift der Verbrennungsverlauf maskiert wird und daher Kennwerte gar nicht ableitbar sind.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 basiert auf den Ansprüchen 1 und 2 des erteilten Patents. Das in diesem Anspruch definierte Verfahren ist neu und erfinderisch über die Lehre der Druckschrift E1, in deren Figur 4 die Ventilsteuerzeiten durch Bestimmung der Maxima oder Minima des Druckgradienten dP/dtheta ermittelt werden.
In Hilfsantrag 4 basiert Anspruch 3 auf den erteilten Ansprüchen 1 und 5. Nach ihm wird der Zeitpunkt "Einlass schließt" erkannt, wenn der Kompressionsdruck einem vorgebbaren festgelegten Druck entspricht. Dieses Merkmal ist aus der Druckschrift E1 nicht bekannt, da bei dem Verfahren nach E1 die Ventilsteuerzeiten durch die Detektion abrupter Änderungen des Druckgradienten (Spalte 5, Zeilen 28 bis 32) und nicht durch die Messung absoluter Druckwerte erfolgt. Die Detektion eines Schwellenwerts ist auch der Druckschrift E2 nicht entnehmbar, da hier nach Spalte 10, Zeilen 9 bis 30, insbesondere Zeile 28 der gemessene Druck jeweils mit dem aus der Gleichung (1) der E1 vorhergesagten Druck verglichen wird: sobald bei diesem Vergleich eine Abweichung festgestellt wird, wird auf den entsprechenden Winkel theta geschlossen. Dies bedeutet, dass für jeden Winkel theta ein Druckwert gespeichert sein muss. Das ist deutlich komplizierter als beim erfindungsgemäßen Verfahren, bei dem lediglich ein Vergleich mit einem Schwellwert notwendig ist.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 ist eine Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 4 und wird zudem durch den Abschnitt in Spalte 5, Zeilen 44 bis 53 der Patentschrift gestützt. Nach diesem Anspruch wird die Ventilsteuerzeit "Einlass schließt" auf der Basis eines speziellen Schwellenwerts des Kompressionsdrucks ermittelt, nämlich dann, wenn dieser gleich dem Umgebungsdruck ist. Dieses Merkmal ist den Druckschriften E1 und E2 aus den vorher angegebenen Gründen nicht zu entnehmen: insbesondere werden in der E1 keine absoluten Druckwerte ermittelt, weshalb die Bestimmung eines Schwellenwertes nicht möglich ist; ebenso wird in Spalte 10 der E2 kein Schwellenwert bestimmt und schließlich wird hier die Öffnung, nicht die Schließung des Ventils beschrieben.
VII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Anspruch 1 gemäß Hauptantrag verstößt gegen Artikel 84 EPÜ, da der Streitpatentschrift nicht zu entnehmen ist, für welche der Ventilsteuerzeiten eine Messung während des Verbrennungsverlaufes und die Auswertung der Messungen, die während der Verbrennung aufgenommen worden sein sollen, genutzt werden. Es bleibt deshalb unklar, ob für das Verfahren nach Anspruch 1 alle Messwerte des Arbeitszyklus aufgenommen und ausgewertet werden. Zudem ist eine Messung des Druckverlaufs während der Verbrennung nicht offenbart. Die von der Beschwerdeführerin zitierten Beispiele in Absatz [0023] der Streitpatentschrift müssen in ihrer Gesamtheit gewürdigt werden. In diesem Absatz wird Bezug genommen auf die Begriffe "Kennwerte" bzw. "Kennfelder" und "die Verbrennung kennzeichnenden Größen", ohne dass sie weiter erklärt werden. Damit ist die Lehre dieses Absatzes unklar und die zitierte Passage vermag die Klarheitsmängel in Anspruch 1 nicht zu beseitigen. Was Neuheit und erfinderische Tätigkeit angeht, so mag der Gegenstand des Anspruchs 1 zwar neu sein im Hinblick auf die Lehre der Druckschrift E1, wo die Auswertung der während der Verbrennung gewonnenen Messdaten nicht erfolgt. Allerdings offenbart die E1 in Spalte 6, Zeilen 16 bis 22, dass die Detektion der Steuerzeiten während der Verbrennungsperiode zur Vermeidung von fehlerhafter Steuerzeitenerkennung ausgesetzt wird, da in diesem Zeitraum die Gefahr des Auftretens von Klopfen besteht. Für den Fachmann liegt damit auf der Hand, dass eine Auswertung dieser Daten durchaus möglich ist, jedoch den beschriebenen Nachteil der Fehldetektion beim Auftreten vom Klopfereignissen hat. Ein Einschluss der Messdaten aus diesem Bereich, die auf jedem Fall auch während der Verbrennung aufgenommen werden (siehe Figur 3, die Schritte 103 bis 106), geht damit nicht über das normale fachmännische Handeln hinaus.
Auf Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 trifft der Einwand unter Artikel 84 EPÜ aus den oben genannten Gründen ebenfalls zu, da unklar ist, was unter dem Begriff "Kennwerte" verstanden wird. Zudem ist nicht klar, bei welchen Zeiten gemessen werden soll. Insbesondere ist nicht offenbart, dass tatsächlich während der Verbrennung gemessen wird.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist nicht neu, da in der Druckschrift E1, Figur 4, bei einer abrupten Änderung des Werts des Druckgradienten auf die Ventilsteuerzeit "Auslass öffnet" (EVo) geschlossen wird. Durch diese abrupte Änderung findet auch ein Vorzeichenwechsel der Änderung des Druckgradienten (2. Ableitung des Drucks) mit zunehmendem Kurbelwinkel statt.
Beim in Anspruch 3 des Hilfsantrags 4 definierten Verfahren wird auf die Ventilsteuerzeit "Einlass schließt" erkannt, wenn der Kompressionswert einem nicht näher definierten Druck gleicht. Das heißt, bei diesem Verfahren wird der Kompressionsdruck mit einem Schwellenwert verglichen. Das Einstellen irgendeines Schwellenwerts entspricht einer normalen fachüblichen Maßnahme, insbesondere da der Anspruch an diesem Schwellenwert keine weiteren Bedingungen oder Einschränkungen stellt. Der Fachmann, ausgehend von der E1 vor die Aufgabe gestellt, die Einlassschließzeit zu bestimmen, findet hier den Hinweis in den sich ändernden Druckgradienten bei "Einlass schließt". Dieser Gradient stellt letztlich die Änderung des Druckes dar und hat damit gleichzeitig einen Einfluss auf den Absolutdruck. Auch wird in der Druckschrift E2 der gemessene Druck mit vorher bekannten Werten verglichen und werden die Abweichungen festgestellt. Dies ist nichts anderes als ein Vergleich mit einem Schwellenwert. Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 wird ebenfalls auf diese Ventilsteuerzeit durch Vergleich des Kompressionsdrucks mit einem Schwellenwert geschlossen, wobei hier der Schwellenwert der Umgebungsdruck ist.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag - Anspruch 1
2.1 Anspruch 1 des Hauptantrags definiert ein Verfahren zur Auswertung des Brennraumdrucks, dessen Oberbegriff aus der Druckschrift E1 bekannt ist. Diese Druckschrift bildet nach Meinung beider Parteien den nächsten Stand der Technik. Die Kammer kann sich dieser Auffassung anschließen.
2.2 Der kennzeichnende Teil dieses Anspruchs enthält das Merkmal "dass durch Auswertung des Verbrennungsdruckverlaufs auf die Ventilsteuerzeiten rückgeschlossen wird". Dieses Merkmal war in keinem der ursprünglich eingereichten Ansprüche enthalten. Bezüglich seiner Offenbarung hat die Beschwerdeführerin die Stelle in Spalte 6, Zeilen 41 bis 51 genannt, die der Passage auf Seite 10, Zeilen 14 bis 24 der ursprünglichen Anmeldung entspricht. Tatsächlich findet sich in Spalte 6, Zeile 45 der Patentschrift der Begriff "Auswertemöglichkeit für den Verbrennungsdruckverlauf". Die Aufnahme dieses Merkmals in Anspruch 1 ist deshalb im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ nicht zu beanstanden. Da es ferner ein zusätzliches Merkmal zu Anspruch 1 des erteilten Patentes darstellt und den Schutzbereich nicht erweitert, sind die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ ebenfalls erfüllt.
2.3 Dies ist die einzige Stelle der Patentschrift, wo der Begriff "Verbrennungsdruckverlauf" offenbart wird. Dies erscheint aus folgenden Gründen problematisch:
2.3.1 Es ist ein Erfordernis des Artikels 84 EPÜ, dass die Patentansprüche den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Diesbezüglich wird in Regel 29(1)b EPÜ definiert, dass der kennzeichnende Teil des (unabhängigen) Anspruchs die Merkmale enthalten soll, für die in Verbindung mit den Merkmalen aus dem Oberbegriff "Schutz begehrt wird". Nach Regel 29(3) EPÜ soll dabei der unabhängige Anspruch "die wesentlichen Merkmale der Erfindung" wiedergeben.
2.3.2 Das Merkmal "dass durch Auswertung des Verbrennungsdruckverlaufs auf die Ventilsteuerzeiten rückgeschlossen wird" ist das einzige Merkmal des Kennzeichens und damit das einzige Merkmal, das aus dem nächstliegenden Stand der Technik (Druckschrift E1) nicht bekannt ist. Damit soll mittels dieses als "wesentlich" zu betrachtenden Merkmals die Erfindung definiert werden.
2.3.3 Nach Regel 27(1)e EPÜ ist "wenigstens ein Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung im einzelnen anzugeben". Dieses Erfordernis entspricht dem des Artikel 83 EPÜ, dass "Die Erfindung... in der europäischen Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann". Nach Artikel 100(b) EPÜ kann es auch im Einspruchverfahren des Europäischen Patents zu prüfen sein.
2.3.4 Es ist deshalb zu untersuchen, ob die Patentschrift eine ausreichende Offenbarung bietet, damit der Fachmann die Erfindung ausführen, bzw. nachvollziehen kann. Zwar ist weder während des Prüfungsverfahrens noch in der Einspruchsschrift ein Einwand nach Artikel 83 EPÜ bzw. Artikel 100(b) EPÜ erhoben worden, jedoch muss, wenn im Zuge eines Prüfungs- oder Einspruchsverfahrens ein Anspruchsgegenstand mittels Hinzunahme neuer Merkmale weiter eingeschränkt und damit ein weiter eingeschränkten Beitrag zum Stand der Technik definiert wird, die so definierte (weiter eingeschränkte) Erfindung genauso die oben genannten Bedingungen der Patentierbarkeit erfüllen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage, Kapitel VII.D.6.3.1).
2.3.5 Im vorliegenden Fall wird die Auswertemöglichkeit für den Verbrennungsdruckverlauf im Zusammenhang mit eine "Streuung der die Verbrennung kennzeichnenden Größen von Zyklus zu Zyklus bei fremdgezündeten Motoren" offenbart, welche "mit steigendem Restgasgehalt zunimmt". Die Beschwerdeführerin hatte für die Offenbarung auf Absatz [0023] der Patentschrift hingewiesen, während die Beschwerdegegnerin insbesondere den Begriff "kennzeichnende Größen" und die weitere Begriffe "Kennfelder" und Kennwerte" als unklar bemängelt hatte.
2.3.6 Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei den im Anspruch verwendeten Begriffen jedoch nicht lediglich um etwaige unklare oder vage Begriffe, die nach Artikel 84 EPÜ zu beanstanden sind und gegebenenfalls durch präzisere Formulierungen ersetzt werden könnten. Vielmehr betrifft nach dem Verständnis der Kammer die Lehre in Absatz [0023] der Patentschrift in der Gesamtbetrachtung eher mögliche weitere Anwendungen des ursprünglichen Anmeldungsgegenstandes, die allerdings in der damaligen Patentanmeldung nicht weiter ausgearbeitet bzw. beschrieben worden sind. Damit fehlt aber dem Fachmann eine ausreichende Lehre, um die Erfindung, wie sie im Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags definiert wird, nachzuvollziehen. Er ist deshalb nach Artikel 100(b) EPÜ nicht zulässig.
3. Hilfsantrag 1 und 2
3.1 Der Wortlaut des Anspruchs 1 dieser Hilfsanträge ist gleichlautend. Sein Kennzeichen enthält als einziges Merkmal, "dass durch Auswertung von die Verbrennung beschreibenden Kennwerten auf die Ventilsteuerzeiten rückgeschlossen wird." Zur Stützung dieses Merkmals hatte die Beschwerdeführerin Absatz [0023] der Patentschrift genannt.
3.2 Die Kammer hat bei diesem Anspruch die gleichen Bedenken wie bei Anspruch 1 des Hauptantrags: dem besagten Absatz ist nicht zu entnehmen, welche "Kennwerte" gemeint sind, wie sie gemessen und wie sie ausgewertet werden. Dieser Anspruch ist daher nach Artikel 100(b) EPÜ nicht zulässig.
4. Hilfsantrag 3
4.1 Gegen Anspruch 1 dieses Antrags wurden keine Einwände hinsichtlich seiner formellen Zulässigkeit erhoben. Da der Anspruch die Merkmale der Ansprüche 1 und 2 des erteilten Patents kombiniert, die außerdem durch die Figur 4 und die dazugehörende Beschreibung gestützt werden, sind nach Auffassung der Kammer die Bedingungen der Artikel 123 (2),(3) und 84 EPÜ erfüllt.
4.2 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ist das in diesem Anspruch definierte Verfahren neu und erfinderisch, da ihm gegenüber in der Druckschrift E1, Figur 4, die Ventilsteuerzeiten durch die Bestimmung der Maxima oder Minima des Druckgradienten dP/dtheta ermittelt werden.
4.3 Die Kammer kann dem insofern zustimmen, als E1 nicht explizit offenbart, die Ventilsteuerzeit "Auslass öffnet" durch nochmalige Differenzierung des Druckgradienten dp/dtheta zu ermitteln, und der Anspruchsgegenstand gegenüber der Offenbarung der E1 zweifelsfrei neu ist. Nach Auffassung der Kammer ist die Bestimmung eines Extremwertes einer Messkurve durch Differenzierung dieser Kurve jedoch eine übliche Auswertungsmöglichkeit und dem Fachmann wohlbekannt. Der Anspruchsgegenstand ist deshalb naheliegend.
5. Hilfsantrag 4
5.1 Dieser Hilfsantrag enthält drei unabhängige Ansprüche. Im folgendem wird der Gegenstand des Anspruchs 3 aus diesem Hilfsantrag diskutiert.
5.1.1 Der kennzeichnende Teil dieses Anspruchs definiert, dass auf die Ventilsteuerzeit "Einlass schließt" erkannt wird, wenn der Kompressionsdruck gleich einem vorgebbaren festgelegten Druck ist. Die Beschwerdeführerin hat ausgeführt, dass dieses Merkmal weder in der Druckschrift E1 noch in der E2 offenbart wird. Nach Meinung der Beschwerdegegnerin entspreche das Einstellen irgendeines Schwellenwerts einer normalen fachüblichen Maßnahme, insbesondere da der Anspruch an diesem Schwellenwert keine weitere Bedingungen oder Einschränkungen stelle.
5.1.2 Dieser Anspruch kombiniert die Merkmale der Ansprüche 1 und 5 des erteilten Patents und erfüllt damit die Voraussetzungen nach Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.
5.1.3 Allerdings trifft auf den vorliegenden Anspruch zumindest teilweise das vorher Ausgeführte zu, dass die ursprünglichen Unterlagen, abgesehen von den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 5, keine weiteren Einzelheiten bezüglich dieses Merkmals enthalten. Es stellt sich deshalb die Frage, welche technische Aufgabe durch dieses Merkmal definiert wird. Sie könnte gesehen werden in einer alternativen Detektionsmöglichkeit der Ventilsteuerzeit "Einlass schließt", welche in der Druckschrift E1 durch die Detektion der abrupten Änderung des Wertes des Druckgradienten erfolgt. Zwar ist die im Anspruch definierte Lösung nicht aus dieser Druckschrift bekannt. Andererseits definiert der Anspruch lediglich den Vergleich mit einem nicht näher quantifizierten Druckwert, und insbesondere auch die übrige Beschreibung offenbart diesbezüglich keine weitere Einzelheiten. Da ein Vergleich des Kompressionsdrucks mit irgendeinem Schwellenwert zwecks Ermittlung der Ventilsteuerzeiten als solcher ein fachübliches Handeln beinhaltet, enthält nach Auffassung der Kammer das in diesem Anspruch beanspruchte Verfahren keine erfinderische Tätigkeit.
5.2 Da Anspruch 3 dieses Antrags nicht gewährbar ist, fällt somit der gesamte Antrag.
6. Hilfsantrag 5
6.1 Anspruch 1 dieses Antrags umfasst im kennzeichnenden Teil das Merkmal, dass zur Ermittlung der Ventilsteuerzeit "Einlass schließt" das Volumen bzw. der Kurbelwellenwinkel detektiert wird, bei dem der Kompressionsdruck gleich dem Umgebungsdruck ist. Dieser Anspruch umfasst eine Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 4 und wird durch den Abschnitt in Spalte 5, Zeilen 44 bis 53 der Patentschrift gestützt, so daß er im Einklang mit Art. 123 (2) EPÜ steht.
6.1.1 Da in diesem Anspruch nicht lediglich irgendein Schwellenwert, sondern der Umgebungsdruck definiert wird, trifft auf ihn der Vorbehalt des Punkts 5.1 nicht zu. Auch teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass diese Maßnahme in den Druckschriften E1 und E2 nicht offenbart wird und dass diese auch nicht nahegelegt ist, da in der E1 keine absoluten Druckwerte gemessen werden und in der Druckschrift E2 lediglich der Steuerzeitpunkt "Ventil öffnet" ermittelt wird.
6.1.2 Nach Verständnis der Kammer offenbart Absatz [0021] der Patentschrift die dem vorliegenden Anspruch zugrunde liegende technische Aufgabe, nämlich eine alternative Auswertung des Brennraumdruckverlaufs, falls z.B. der Brennraumdrucksensor ungenaue Signale liefert (Spalte 5, Zeilen 36 bis 44). Diese Problematik ist den Druckschriften E1 und E2 nicht entnehmbar.
6.1.3 Die in dem vorliegenden Anspruch definierte Lösung liegt auch nicht nahe, da zur Implementierung dieser Lösung möglicherweise eine Nullniveaukorrektur notwendig sein kann (Spalte 5, Zeilen 48 bis 53), wofür es ebenfalls in den genannten Druckschriften keinen Hinweis gibt.
6.1.4 Deshalb ist das in Anspruch 1 des 5. Hilfsantrags definierte Verfahren neu und weist eine erfinderische Tätigkeit auf.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten mit:
- Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5, eingereicht in der mündlichen Verhandlung,
- anzupassender Beschreibung und Zeichnungen.