T 0398/04 () of 27.11.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T039804.20061127
Datum der Entscheidung: 27 November 2006
Aktenzeichen: T 0398/04
Anmeldenummer: 96919612.0
IPC-Klasse: B23C 3/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur spanenden Bearbeitung von zylindrischen Konturen, Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens und Schneideinsatz hierzu
Name des Anmelders: Widia GmbH
Name des Einsprechenden: Sandvik AB
Walter AG
Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung (ja) - Haupt- und Hilfsantrag
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die am 24. November 2003 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des europäischen Patents Nr. 830 228 am 30. Dezember 2003 Beschwerde eingelegt und am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 20. März 2004 eingereicht.

Der geänderte Patentanspruch 1 gemäß dem einzigen Antrag der Patentinhaberin, der in der am 16. Oktober 2003 durchgeführten mündlichen Verhandlung eingereicht wurde, lautet wie folgt:

"Verfahren zur spanenden Bearbeitung von zylindrischen Konturen, insbesondere von exzentrisch angeordneten zylindrischen Konturen an einer um ihre Längsachse rotierende Kurbelwelle (10) oder von zentrisch eingespannten Kurbelwellenhublagern,

- vermittels drehbarer, antreibbarer scheibenförmiger Außenfräser (15),

- bei dem eine Fertigkontur so erzeugt wird, dass diese entweder bei ausreichender Oberflächenqualität Endmasse aufweist oder noch ein Aufmass zur Durchführung einer Fertigbearbeitung wie Schleifen oder Schlichten aufweist,

- wobei zur Herstellung der Fertigkontur die mit Schneideinsätzen, insbesondere Wendeschneidplatten bestückten scheibenförmigen Außenfräser nacheinander oder auch gleichzeitig mit der Kurbelwelle (10) in Eingriff gebracht werden, wobei zumindest ein Teil der Schneideinsätze eine pyramidenstumpfförmige Grundform besitzt, in tangentialer Einbaulage auf dem scheibenförmigen Außenfräser angeordnet ist, eine im wesentlichen rechteckige obere Stirnfläche (38) besitzt, die durch jeweilige Hauptschneidkanten (56 bis 59) umfangsseitig begrenzt wird, und ferner unter einem positiven Spanwinkel angeordnete und als wirksame Spanfläche dienende Seitenflächen (40 bis 43) aufweist, deren gemeinsame Kanten Nebenschneidkanten (60 bis 63) bilden, wobei die obere Fläche (38) im Bereich der eine Schneidecke bildende Hauptschneidkanten eine Abflachung oder Einziehung (68 bis 71) aufweist, die sich in den Bereich beider benachbarter Hauptschneidkanten erstreckt, wobei die spanabhebende Bearbeitung mit dem scheibenförmigen Außenfräser (a)

a) mit einer Schnittgeschwindigkeit von über 160 m/min, b) mit Spandungsdicken im Bereich von 0,1 mm bis 0,3 mm, vorzugsweise im Bereich von 0,2 mm bis 0,25 mm,

c) mit einer geringen Schnittbogenlänge, d.h. der mit den entsprechenden Schneideinsätzen in Eingriff befindlichen Länge des Außenfräsers, die in Bezug auf seinen Gesamtumfang nur 1/10 bis 1/1000 des Gesamtumfangs beträgt,

durchgeführt wird und wobei zumindest ein Teil der Schneideinsätze in Bezug auf die Kurbelwelle unter einem effektiven Spanwinkel zwischen -5º und +15º und/oder einem Rückspanwinkel (gammap)> O, axialem Spanwinkel, vorzugsweise <10º, geführt wird."

II. In ihrer Entscheidung war die Einspruchsabteilung der Meinung, die Änderungen des Anspruchs 1 würden die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ erfüllen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei jedoch im Hinblick auf den vorhandenen Stand der Technik nicht erfinderisch.

III. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung äußerte die Beschwerdekammer Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Änderungen in Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ. Insbesondere dürfte das Weglassen des Merkmals, dass die Freiflächen unter einem positiven Keilwinkel angeordnet waren, in dem auf den erteilten Ansprüchen 1 und 9 basierenden Anspruch 1, eine unzulässige Erweiterung im Sinne des Artikels 123 (3) EPÜ darstellen.

IV. Am 27. November 2006 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des Hauptantrags (die Ansprüche, die in der mündlichen Verhandlung vom 16. Oktober 2003 vor der Einspruchsabteilung eingereicht wurden) oder auf der Basis der Ansprüche gemäß dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag.

Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende I, II und III) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Anspruch 1 des Hilfsantrags ist gegenüber Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag wie folgt geändert worden:

- er ist auf ein Fräsverfahren (statt allgemein auf ein "Verfahren zur spanenden Bearbeitung") gerichtet;

- die Angabe "Stirnfläche (38)" ist durch "Spanfläche (38)" ersetzt;

- folgendes Merkmal ist hinzugefügt worden:

"wobei sich bei tangentialer Einbauweise des Schneideinsatzes zwischen wirksamer Spanfläche und der wirksamen Freifläche ein Winkel von 75º bis 95º einstellt".

VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:

Das Merkmal, dass die Freiflächen unter einem positiven Keilwinkel angeordnet seien, würde bedeuten, dass der Winkel zwischen Freiflächen und Spanfläche weniger als 90º betrüge. Dieses Merkmal sei implizit der Angabe des Anspruchs 1 entnehmbar, dass die Schneideinsätze eine pyramidenstumpfförmige Grundform besäßen. Für den Fachmann sei es nämlich klar, dass als Keilwinkel bei einem solchem Schneideinsatz nur die spitzen Winkel an der Basis des Pyramidenstumpfes zum Einsatz kämen, nicht die gegenüberliegenden Winkel, die größer als 90º seien. Das Weglassen dieses Merkmals im Anspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag stelle daher keine unzulässige Erweiterung im Sinne des Artikels 123 (3) EPÜ dar.

VII. In Antwort hierauf trugen die Beschwerdegegnerinnen im Wesentlichen Folgendes vor:

Das Merkmal, wonach die Freiflächen unter einem positiven Keilwinkel angeordnet seien, könne nicht beliebig aus dem Anspruch entfernt werden. Denn nunmehr umfasse der Patentanspruch auch Freiflächen an einem Schneideinsatz mit negativem, d.h. stumpfen Keilwinkel von beispielsweise 91º. Da Schneideinsätze mit negativem Keilwinkel an sich bekannt seien und Anspruch 1 offen ließe, welche Kante des Pyramidenstumpfes die Schneidkante sein sollte, sei vom Wortlaut des Anspruchs 1 nicht ausgeschlossen, dass die stumpfen Winkel des Pyramidenstumpfes die Keilwinkel darstellen könnten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der erteilte Patentanspruch 1 betrifft ein Fräsverfahren, bei dem "zur Herstellung der Fertigkontur die mit Schneideinsätzen gemäß Patentanspruch 9, insbesondere Wendeschneidplatten bestückten Werkzeuge nacheinander oder auch gleichzeitig mit dem Werkstück in Eingriff gebracht werden".

Im Patentanspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag fehlt jeglicher Rückbezug auf einen auf einen Schneideinsatz gerichteten Patentanspruch (der erteilte Patentanspruch 9 ist in den vorliegenden Anträgen nicht mehr vorhanden). Bei der Prüfung der Frage, ob die im Patentanspruch 1 vorgenommenen Änderungen den Schutzbereich erweitern (Artikel 123 (3) EPÜ), muss daher zuerst ermittelt werden, ob alle Merkmale eines Schneideinsatzes gemäß dem erteilten Anspruch 9 in den geänderten Patentanspruch 1 aufgenommen worden sind.

3. Unstrittig ist, dass das Merkmal des erteilten Patentanspruchs 9, wonach "die Freiflächen unter einem positiven Keilwinkel angeordnet sind", im Patentanspruch 1 gemäß dem Haupt- sowie dem Hilfsantrag nicht enthalten ist. Außerdem ist unstrittig, dass der Keilwinkel der Winkel zwischen Freifläche und Spanfläche eines Schneideinsatzes ist und dass ein "positiver" Keilwinkel ein Keilwinkel < 90º ist.

4. Die Beschwerdegegnerinnen haben nach Ansicht der Kammer zu Recht eingewandt, dass der Patentanspruch 1 gemäß beiden Anträgen offen lässt, welche Kante des Pyramidenstumpfes die Schneidkante sein sollte. Schneideinsätze mit Keilwinkel größer als 90º, insbesondere für Außenfräser, sind denkbar und technisch möglich. Möglich wäre z.B. ein Keilwinkel (beta) von 91º, ein Wert also, der in den im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag spezifisch angegebenen Bereich von 75º bis 95º fällt. Mit einem solchen Keilwinkel kann, bei tangentialer Einbaulage des Schneideinsatzes auf einem scheibenförmigen Außenfräser, wie vom Wortlaut des Patentanspruchs 1 gefordert, ohne weiteres der Spanwinkel (gamma) positiv gehalten werden:

Wenn der Spanwinkel z.B. 1º beträgt, dann beträgt der Freiwinkel alpha -2º (da alpha+beta+gamma=90º), was an sich auch technisch vorstellbar ist.

Daher umfasst Patentanspruch 1 gemäß den vorliegenden Anträgen die Möglichkeit, dass die stumpfen Winkel des Pyramidenstumpfes die Keilwinkel darstellen. In diesem Fall sind die Freiflächen des Schneideinsatzes unter einem negativem Keilwinkel, d.h. einem Keilwinkel größer als 90º, angeordnet.

Da der Schutzbereich des erteilten Patentanspruchs 1 auf ein Fräsverfahren eingeschränkt ist, bei dem ein Schneideinsatz verwendet wird, dessen Freiflächen unter einem positiven Keilwinkel angeordnet sind (wegen des Rückbezugs auf den erteilten Anspruchs 9), bewirken die vorgenommenen Änderungen eine Erweiterung des Schutzbereiches und verletzen somit Artikel 123 (3) EPÜ.

5. Bei dieser Sachlage muss die angefochtene Entscheidung im Ergebnis bestätigt und die Beschwerde zurückgewiesen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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