T 0007/04 () of 14.9.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T000704.20060914
Datum der Entscheidung: 14 September 2006
Aktenzeichen: T 0007/04
Anmeldenummer: 96903912.2
IPC-Klasse: B60T 8/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Bremssystem für ein Kraftfahrzeug
Name des Anmelders: ROBERT BOSCH GMBH
Name des Einsprechenden: WABCO GmbH & Co. OHG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Öffentliche Zugänglichkeit einer Firmenschrift (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag und Hilfsanträge 1 und 2: verneint; Hilfsantrag 3: bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Der von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) gegen das europäische Patent Nr. 0 760 763 eingelegte, auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ gestützte Einspruch, in dem zum Stand der Technik auf folgende Druckschriften verwiesen wurde

D1: Wabco-Firmenschrift: "Anti-Blockier-Systeme (ABS) für Nutzfahrzeuge", November 1990

D2: EP-A-0 175 843

D3: DE-A-42 08 581

D4: GB-A-2 158 533

wurde von der Einspruchsabteilung mit der am 6. November 2003 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen.

II. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr am 22. Dezember 2003 Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung ist mit der Beschwerde eingegangen.

III. Am 14. September 2006 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in unverändertem Umfang (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Basis der Hilfsanträge 1, 2 bzw. 3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung.

IV. Unter Verwendung der von der Einspruchsabteilung vorgenommenen Merkmalsgliederung lautet der erteilte Anspruch 1 (Hauptantrag der Beschwerdegegnerin) wie folgt:

a) "Bremssystem für ein Kraftfahrzeug, mit wenigstens einer elektronischen Steuereinheit (10), die wenigstens einen Antiblockierregler (20) und eine Fehlerermittlungseinheit (24) umfasst,

b) die Fehlerermittlungseinheit (24) Fehler innerhalb der elektronischen Steuereinheit (10), in den Komponenten und Zuführungen (26 bis 62) außerhalb der Steuereinheit (10) und in der Spannungsversorgung (46, 48) der Steuereinheit (10) erkennt,

c) die Fehlerermittlungseinheit (24) den auftretenden Fehler lokalisiert und entscheidet, ob der Antiblockierregler (20) trotz des Fehlers weitergeführt wird,

d) wobei bei Fehlern, die zu einer sicherheitskritischen Verschlechterung der Bremswirkung der Bremsstabilität und/oder der Lenkfähigkeit führen können, der Antiblockierregler (20) abgeschaltet wird, zu denen Fehler in der Spannungsversorgung (46, 48) der elektrischen Steuereinheit (10) gehören,

e) wobei bei Einzelfehlern, die zu keiner sicherheitskritischen Verschlechterung der Bremswirkung, der Bremsstabilität und/oder der Lenkfähigkeit führen, der Antiblockierregler (20) zumindest in eingeschränktem Umfang aktiv bleibt,

f) dadurch gekennzeichnet, dass zu den Fehlern, bei denen der Antiblockierregler (20) abgeschaltet wird, interne Fehler der elektronischen Steuereinheit (10) und Fehler im Bremskraftreduzierungspfad gehören."

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag dadurch, dass das obige Merkmal e) durch das folgende Merkmal ergänzt wird: "wobei der Antiblockierregler bei einem Defekt eines Geschwindigkeitssensors an einem Hinterrad oder eines Vorderrads auf der Basis eines Ersatzsignals weitergeführt wird". Auf die zweiteilige Fassung des Anspruchs wird verzichtet.

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag dadurch, dass die obigen Merkmale a) und f) jeweils durch folgende Merkmale ersetzt werden: "Hydraulisches Bremssystem für ein Kraftfahrzeug, mit wenigstens einer elektronischen Steuereinheit (10), die wenigstens einen Antiblockierregler (20) und eine Fehlerermittlungseinheit (24) umfasst" und "und zu den Fehlern, bei denen der Antiblockierregler (20) abgeschaltet wird, interne Fehler der elektronischen Steuereinheit (10) und Fehler im Bremskraftreduzierungspfad gehören, wobei Fehler im Bremskraftreduzierungspfad Fehler an einer Rückförderpumpe oder Fehler an wenigstens einem Auslassventil darstellen."

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3, der dem Anspruch 2 des erteilten Patents entspricht, lautet wie folgt:

"Bremssystem für ein Kraftfahrzeug,

mit wenigstens einer elektronischen Steuereinheit (10), die wenigstens einen Regler (22) zur elektronischen Bremskraftverteilung zwischen Hinter- und Vorderachsbremsen sowie eine Fehlerermittlungseinheit (24) umfasst,

dadurch gekennzeichnet, dass

die Fehlerermittlungseinheit (24) Fehler innerhalb der elektronischen Steuereinheit (10) sowie in Komponenten und Zuleitungen (26 bis 62) außerhalb der elektronischen Steuereinheit (10) und in der Spannungsversorgung (46, 48) der Steuereinheit (10) erkennt, wobei

die Fehlerermittlungseinheit (24) den auftretenden Fehler lokalisiert und entscheidet, ob der Bremskraftverteilungsregler (22) trotz des Fehlers weitergeführt wird,

wobei bei Fehlern, die zu einer sicherheitskritischen Verschlechterung der Bremswirkung der Bremsstabilität und/oder der Lenkfähigkeit führen können, der Bremskraftverteilungsregler (22) abgeschaltet wird,

wobei bei Einzelfehlern, die zu keiner sicherheitskritischen Verschlechterung der Bremswirkung, der Bremsstabilität und/oder der Lenkfähigkeit führen, der Bremskraftverteilungsregler (22) zumindest in eingeschränktem Umfang aktiv bleibt,

wobei zu den Fehlern, bei denen der Bremskraftverteilungsregler (22) abgeschaltet wird, interne Fehler der elektronischen Steuereinheit (10) gehören."

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin war im Wesentlichen wie folgt:

Der in der Entscheidung der Einspruchsabteilung herausgearbeitete Unterschied des Gegenstands des erteilten Patentanspruchs 1 im Vergleich zum Stand der Technik nach Dokument D1, wonach Fehler in der Spannungsversorgung der Steuereinheit erkannt würden und bei derartigen Fehler der Antiblockierregler abgeschaltet werde, sei in dem aus D1 bekannten Bremssystem selbstverständlich bereits vorgesehen gewesen (vgl. der die Seiten 1 und 2 des Kapitels 5 überbrückende Absatz). Sollte die Kammer dennoch feststellen, dass der vermeintliche Unterschied nicht unmittelbar und eindeutig aus D1 hervorgehe, dann stelle eine derartige Sicherheitsmaßnahme für den Fachmann aber eine grundlegende Selbstverständlichkeit dar. Aus der Entgegenhaltung D2 gehe hervor, dass im Falle eines Fehlers in der Spannungsversorgung das Antiblockiersystem sofort abgeschaltet werde, um unkontrollierbaren Bremszuständen vorzubeugen. Somit sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch die Zusammenschau der Dokumente D1 mit D2 zumindest nahegelegt.

Auch die in den Hilfsanträgen 1 bzw. 2 eingefügten Einschränkungen seien aus dem Stand der Technik bekannt (vgl. D4, bzw. Absatz [0003] des Patents) und fügten dem Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nichts Erfinderisches hinzu.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und sei durch die Zusammenschau der Dokumente D1 mit D3 nahegelegt. Aus D3 sei bekannt, Antiblockiersysteme mit einem elektronischen Bremskraftverteilungsregler (EBV-Regler) auszustatten. Ein Fachmann, der in eine Bremsanlage mit einem Antiblockiersystem zusätzlich die Unterfunktion eines Bremskraftverteilungsreglers, der üblicherweise nur ein in Software realisiertes Unterprogramm darstelle, einfüge, werde hierfür die ihm für das Antiblockiersystem geläufige Fehlererkennungs- und Abschaltphilosophie übernehmen (vgl. D1) und damit in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 gelangen.

VI. Zu der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumentation lassen sich die Gegenargumente der Beschwerdegegnerin wie folgt zusammenfassen:

Die Einsprechende habe nicht einwandfrei bewiesen, dass die von ihr genannte Firmenschrift D1 vor dem Prioritätstag des Patents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei. Da diese Firmenschrift ein unerlässliches Glied in der Kette der Argumentation der Beschwerdeführerin sei, müsse zuerst geprüft werden, ob D1 tatsächlich an Mitglieder der Öffentlichkeit verteilt wurde.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ergebe sich ohnehin nicht in naheliegender Weise aus dem Inhalt der Dokumente D1 und D2.

Insbesondere sei in D1 keine echte Spannungsüberwachung gemäß Merkmal d) offenbart. Die in Hinblick auf dieses Merkmal von der Beschwerdeführerin zitierte Stelle in D1 schildere lediglich Funktionen des Anhänger-ABS, welche nicht ohne weiteres auf das Kraftfahrzeug-ABS übertragen werden könnten. Auch sei nicht beschrieben, dass die Spannungsversorgung der Steuereinheit überwacht und der Antiblockierer im Fehlerfall abgeschaltet werde. Merkmal d) könne auch nicht durch eine Kombination der Dokumente D1 mit D2 hergeleitet werden, denn weder D1 noch D2 beschrieben eine erfindungsgemäße Fehlerermittlungseinheit, die Fehler in der Spannungsversorgung der elektrischen Steuereinheit zu erkennen vermöge.

Auch das Merkmal e) werde durch das Dokument D1 nicht vorweggenommen. Eine eingeschränkte Funktion des Antiblockierreglers, wie sie im Patent beschrieben sei, könne aus D1 nicht abgeleitet werden. Bei einem Einzelfehler, z.B. einem Endstufendurchbruch, werde an einer Diagonale des aus D1 bekannten Bremssystems die Antiblockierregelung völlig abgeschaltet, wohingegen an der anderen Diagonale die vollständige Antiblockierregelung zur Verfügung stehe. Von einer eingeschränkten Funktion sei keine Rede.

Auch sei in D1 eine Überwachung des Bremsreduzierungspfades nach Merkmal f) nicht gegeben. Der von der Beschwerdeführerin erwähnte Endstufenfehler könne nicht als Fehler im Bremskraftreduzierungspfad interpretiert werden. Die zu diesem Fehler korrespondierende ständige Ausgabe der Betriebsspannung liege bei der fehlerhaften Ventilansteuerung. Die Ventilansteuerung gehöre jedoch nicht zum Bremskraftreduzierungspfad, sondern zu den internen Komponenten der elektronischen Steuereinheit. Schließlich sei auch in D1 keine Fehlerermittlungseinheit offenbart, die sicherheitskritische von sicherheitsunkritischen Fehlern unterscheide (Merkmale a), d) und e)).

Die in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 hinzugefügte Einschränkung, wonach der Antiblockierregler bei einem Defekt eines Geschwindigkeitssensors an einem Hinterrad oder eines Vorderrads auf der Basis eines Ersatzsignals weitergeführt werde, sei aus keinem der Dokumente D1 bzw. D2 bekannt. Um zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen, müsse der Fachmann die zusätzliche Druckschrift D4 mit den obigen Dokumenten kombinieren, so dass von einer naheliegenden Kombination hier nicht die Rede sein könne.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 sei auf ein hydraulisches Bremssystem eingeschränkt und präzisiere nunmehr, dass Fehler im Bremskraftreduzierungspfad Fehler an einer Rückförderpumpe oder Fehler an wenigstens einem Auslassventil darstellten. Da weder in D1 noch in dem übrigen Stand der Technik die Rede von einer Fehlerermittlungseinheit sei, die einen Fehler an einer hydraulischen Rückförderpumpe oder einem hydraulischen Auslassventil ermitteln könne, beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 sei gegenüber der von der Beschwerdeführerin angeführten Kombination der Dokumente D1 mit D3 ebenfalls erfinderisch.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ. Sie ist zulässig.

2. Nach Überzeugung der Kammer ist auch der Einspruch zulässig. Die Zulässigkeit des Einspruchs wurde von der Beschwerdegegnerin ausdrücklich nicht mehr bestritten.

3. Öffentliche Zugänglichkeit der Wabco-Firmenschrift D1

Das Dokument D1 stellt die damalig bestehende Produktpalette der Beschwerdeführerin auf dem Gebiet der Anti-Blockier-Systeme (ABS) für Nutzfahrzeuge dar. Die Einsprechende hat das Original der Wabco-Firmenschrift D1 in der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Die kartongebundene Hochglanzbroschüre im Original stimmt mit den im Einspruchsverfahren eingereichten Kopien der Wabco-Firmenschrift D1 überein. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass D1 eine Werbebroschüre aus ihrem Hause sei und dass derartige Werbeschriften regelmäßig auf Messen und Produktpräsentationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien. Da D1 die damalige breite Produktpalette der Beschwerdeführerin beinhaltet, ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei D1 um eine Verkaufsbroschüre handelt, die an potentielle Kunden gerichtet ist. Dafür spricht auch die Angabe von Anschriften der Geschäftstellen und Vertretungen im In- und Ausland auf der vorletzten Seite. Der zusätzliche Vermerk "Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit unserer Genehmigung" auf der letzten Seite und die kostenaufwendige Aufmachung der Broschüre (Hochglanz und kartongebunden) weisen nach Ansicht der Kammer eindeutig darauf hin, dass D1 für eine Verteilung an potentielle Kunden und damit an ein breites Publikum konzipiert wurde. Die Argumente der Beschwerdegegnerin, dass nur ein Exemplar von D1 hätte gedruckt oder dass D1 nur für einen internen Gebrauch hätte bestimmt sein können, hält die Kammer daher für wenig plausibel.

D1 enthält einen Druckvermerk auf der letzten Seite "Wabcodruck 11.90, printed in West-Germany". Das Druckdatum (November 1990) wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten. Zwischen diesem Druckdatum und dem Prioritätsdatum des angegriffenen Patents (27. März 1995) liegt somit ein Zeitraum von etwa viereinhalb Jahren. Bei einem derartigen langen Zeitraum ist davon auszugehen, dass die Firmenschrift aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Prioritätsdatum verteilt wurde.

Aufgrund des vorgelegten Beweismittels ist die Kammer unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit zu der Überzeugung gelangt, dass die Wabco-Firmenschrift D1 vor dem Prioritätstag des Streitpatents öffentlich zugänglich war. D1 gehört somit zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ.

Hauptantrag

4. Unabhängiger Anspruch 1

4.1 Der in D1 offenbarte Stand der Technik

4.2 Zum Merkmal a)

D1 beschreibt im Kapitel 3 den Systemaufbau und die Komponenten des ABS-Bremssystems für Kraftfahrzeuge. Das Bremssystem umfasst wenigstens eine elektronische Steuereinheit in Form eines elektronischen Steuergerätes mit zwei je zwei diagonalen Fahrzeugrädern zugeordneten Elektronikkreisen (vgl. Kapitel 3, dritte Seite, rechte Spalte, zweiter Absatz und Abbildung 7). Der jeweilige zwei Diagonalrädern zugeordnete Kanalrechner und die korrespondierende Sicherheitsschaltung mit Sicherheitsrechner und peripheren Sicherheitskontrollen eines Elektronikkreises sind jeweils als ein Antiblockierregler und eine Fehlerermittlungseinheit im Sinne des Patentanspruchs 1 zu betrachten.

4.3 Zu den Merkmalen b) und c)

Dem vorletzten Absatz der rechten Spalte der dritten Seite des Kapitels 3 von D1 ist zu entnehmen, dass die Fehlerermittlungseinheit Fehler innerhalb der elektronischen Steuereinheit und in den Komponenten und Zuführungen außerhalb der Steuereinheit erkennt, den auftretenden Fehler lokalisiert und entscheidet, ob der Antiblockierregler trotz des Fehlers weitergeführt wird ("überprüft... die Sensoren, Regelventile, Elektronik und Verkabelung, signalisiert... auftretende Fehler und schaltet die Regelung eines Rades oder beider diagonalen Räder ab").

4.4 Zu den Merkmalen d) und e)

Laut Kapitel 5, zweite Seite, mittlere Spalte von D1 wird selektiv umgeschaltet, je nachdem, ob der ermittelte Defekt sicherheitskritisch ist oder nicht. Wenn ein Sensor, ein Einlassventil, ... eines Kanals defekt ist, wird die ABS-Regelung für das getroffene Rad bzw. den getroffenen Kanal aufgehoben. Diese Vorgehensweise ist vergleichbar mit der, die in der Spalte 8, Zeilen 3 bis 13 des Patents beschrieben ist. In einem solchen Fehlerfall bleibt der Antiblockierschutz teilweise aufrechterhalten bzw. der Regler bleibt in eingeschränktem Umfang aktiv. Erst wenn Fehler vorkommen, die die Sicherstellung der Bremswirkung beeinträchtigen, wie z.B. ein Endstufendurchbruch, wird die gesamte ABS-Diagonale samt Reglerteil abgeschaltet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin betrifft die zitierte Passage von D1 zweifellos die C-Version für Nutzkraftwagen und nicht nur die Version für Anhängerfahrzeuge.

Der Grundgedanke der erfindungsgemäßen Vorgehensweise, nämlich die Unterscheidung zwischen sicherheitskritischen bzw. nicht sicherheitskritischen Fehlern zur Ansteuerung bzw. zum Betrieb des Antiblockierreglers (vgl. Absatz [0047] der Beschreibung des Patents) ist nach Auffassung der Kammer durch D1 vorweggenommen, denn hier wird ebenfalls selektiv zwischen sicherheitskritischen und die "sekundäre" Stabilität und Lenkfähigkeit betreffenden Fehlern (sicherheitsunkritisch) unterschieden.

4.5 Zum Merkmal f)

Merkmal f) des erteilten Patentanspruchs 1 verlangt, dass zu den Fehlern, die zu der Abschaltung des Antiblockierreglers führen, interne Fehler der elektronischen Steuereinheit und Fehler im Bremskraftreduzierungspfad gehören.

Der im Kapitel 5 von D1, zweite Seite, zweite Spalte, zweiter Absatz erwähnte Endstufen-Durchbruch kann bei pneumatischen Anlagen als Fehler im Bremskraftreduzierungspfad betrachtet werden, denn durch die ständige Ansteuerung des Regelventils, insbesondere der Endstufe, die den Druckabbau steuert, kann eine Bremskraftreduzierung nicht ausgeführt werden. Außerdem ist in D1 erwähnt (Kapitel 3, Seite 2, mittlere Spalte), dass neue ABS-Regelventile entwickelt wurden, bei denen die Endstufe samt zugehörigem Relais in der Ventileinheit integriert sind und somit zum Bremskraftreduzierungspfad gehören. Dass die Ansteuerung der Ventileinheiten von Nutzkraftwagen bei entsprechendem Bedarf auch mit integrierten Endstufen ausgestattet sein kann, liegt auf der Hand.

Des Weiteren ist in D1 explizit angegeben, dass der Sicherheitsrechner "die Elektronik" und "einzelne elektronik-interne Komponenten" des Systems überprüft und dass bei elektrischen Fehlern die Regelung abgeschaltet wird (vgl. Kapitel 5, erste Seite, rechte Spalte, Zeilen 27-36).

4.6 Somit bleibt als einziger Unterschied, welcher nicht unmittelbar und eindeutig aus dem Dokument D1 hervorgeht, das Merkmal, dass die Fehlerermittlungseinheit Fehler in der Spannungsversorgung der Steuereinheit erkennt, wobei in diesem Falle der Antiblockierregler abgeschaltet wird.

4.7 In dem die Seiten 1 und 2 des Kapitels 5 überbrückenden Absatz der D1 wird bereits betont, wie wichtig die Spannungsversorgung der elektronischen Steuereinheit ist, und dass bei Unterbrechung dieser Spannungsversorgung die ABS-Regelung unwirksam wird, so dass an allen Rädern die normale ungeregelte Bremswirkung zur Verfügung steht. Es liegt daher nahe, eine Überwachung der Spannungsversorgung des Steuergeräts vorzunehmen. Der mit dieser Problematik konfrontierte Fachmann wird den bekannten Stand der Technik zu Hilfe nehmen und diesen auf Anregungen untersuchen. Die D2 beschreibt eine Überwachungseinrichtung für die interne Versorgungsspannung eines elektronischen ABS-Systems. Falls die Spannung die für einen einwandfreien Betrieb der Elektronik, insbesondere des Mikrocomputers, erforderliche Spannung (5 Volt) nicht erreicht, werden beide Diagonalen des Antiblockiersystems abgeschaltet (vgl. Seite 4, letzter Absatz bis Seite 5, erster Absatz). Nach Auffassung der Kammer liegt es auf der Hand, eine solche Spannungsversorgungs-Überwachungseinrichtung in die Fehlerermittlungseinheit der elektronischen Steuereinheit des Dokuments D1 zu integrieren (Merkmal d)). Das fehlende Merkmal ergibt sich somit in naheliegender Weise aus der Kombination D1/D2.

4.8 Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) will einen Unterschied zwischen "internen Fehlern" und "Fehlern im Bremskraftreduzierungspfad" sehen. Wenn die Beschreibung des Patents zur Auslegung des Begriffes "interne Fehler" herangezogen wird, ist festzustellen, dass der Begriff nicht eindeutig ist. Laut Spalte 8, Zeilen 23-34 des Patents können mehrfache Fehler an "externen" Komponenten (Geschwindigkeitssensoren, Stellglieder,.. ) auch als "interne" Fehler gewertet werden. Dies zeigt, dass es mehr auf die Unterscheidung zwischen sicherheitskritischen und sicherheitsunkritischen Fehlern als auf die interne bzw. externe Lokalisierung der Fehler ankommt. Wie bereits oben dargelegt, ist jedoch dieser Grundgedanke der Regelungsstrategie durch D1 vorweggenommen.

4.9 Die Kammer kommt somit zum Ergebnis, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

5. Hilfsantrag 1

In D4 ist bei einem Defekt eines Geschwindigkeitssensors an einem Hinterrad oder eines Vorderrads bereits vorgeschlagen worden, den Antiblockierregler auf der Basis eines Ersatzsignals weiterzuführen (vgl. die Zusammenfassung). Diese Regelungsstrategie ist in D4 als Alternative zur Aufhebung der ABS-Regelung dargestellt (Spalte 1, Zeilen 40-49). Für den von D1 ausgehenden Fachmann ist die Verwendung dieser Regelungsstrategie als Alternative zur Aufhebung der ABS-Regelung für das vom Defekt getroffene Rad als naheliegend anzusehen und führt unmittelbar zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1.

6. Hilfsantrag 2

Für den Fachmann ist es offensichtlich, dass die in D1 und in Verbindung mit einem elektropneumatischen ABS-Bremssystem offenbarte sicherheitsrelevante Regelungsstrategie auch auf elektrohydraulische ABS-Bremssysteme übertragbar ist. Zusätzlich zu den in ähnlicher Weise wie bei bekannten elektropneumatischen Bremssystemen verwendeten Komponenten (vgl. D1: Steuerelektronik mit ABS-Regler und Fehlerermittlungseinheit, Drehzahlsensoren, Drucksteuerventile,...) enthält üblicherweise das hydraulische Pendant noch eine zentrale Rückförderpumpe. Im Absatz [0003] der Beschreibung (s. S. 12) des Patents ist bereits erwähnt, dass es bei einem Fehler an einer zentralen, sicherheitskritischen Komponente wie der Rückförderpumpe bekannt war, den Antiblockierregler total abzuschalten. Die Anwendung dieses sicherheitsrelevanten Kriteriums bei dem hydraulischen ABS-Bremssystem und ihre Durchführung durch die Fehlerermittlungseinheit führt in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2.

7. Hilfsantrag 3

Der in D3 beschriebene EBV-Regler erzeugt die für die Angleichung von Ist- und Solldruckwerten erforderlichen Ansteuersignale an die Bremsdruckstelleinrichtung, wobei die in Druckräumen der Vorderachse und der Hinterachse herrschenden Ist-Druckwerte mittels jeweils eines Drucksensors gewonnen werden. Der einzig erwähnte Fehler, der von der elektronischen Steuereinheit von D3 im Hinblick auf die Bremskraftverteilung erkannt werden kann, ist ein Ausfall des Vorderachs-Bremskreises. Zu diesem Ausfall schlägt D3 je nach verwendeter Sensorik widersprüchliche Hilfsmaßnahmen vor, nämlich ein vollständiges Abschalten der Bremskraft-Verteilungssteuerung (Spalte 4, Zeilen 29-31) oder ein weiteres Betreiben der Bremskraft-Verteilungssteuerung (Spalte 4, Zeilen 7-15).

Daraus ist ersichtlich, dass ABS-Regler nach D1 und EBV-Regler nach D3 mit unterschiedlicher Sensorik und auch zwangläufig mit unterschiedlicher Abschaltphilosophie beim Fehlermanagement arbeiten. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat daher der Fachmann keine Veranlassung, die aus D1 für den ABS-Regler bekannte Fehlererkennungs- und Abschaltphilosophie in den EBV-Regler nach D3 zu übernehmen.

Darüber hinaus ist aus dem Stand der Technik nicht bekannt, bei sicherheitsunkritischen Fehlern eine Notlauf-Regelung für den EBV-Regler vorzusehen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ.

Die Ansprüche 2 bis 10 gemäß diesem Hilfsantrag betreffen besondere Ausführungsformen des Gegenstands des Patentanspruchs 1 und haben in Zusammenhang mit diesem Bestand.

Die Beschreibung wurde an die geänderten Ansprüche angepasst.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

- Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

- Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 10 und angepasste Beschreibung gemäß Hilfsantrag 3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung

- Zeichnungen wie erteilt

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