European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2006:T118703.20060724 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 24 Juli 2006 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1187/03 | ||||||||
Anmeldenummer: | 00943586.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | C21D 8/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung von geschweissten Stahlrohren hoher Festigkeit, Zähigkeits- und Verformungseigenschaften | ||||||||
Name des Anmelders: | Mannesmannröhren-Werke AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - Erweiterung (verneint) Neuheit (bejaht) Zurückverweisung an die Erstinstanz |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 00 943 586.8 Beschwerde eingelegt.
Die Prüfungsabteilung entschied, daß Anspruch 1 des einzigen Antrags vom 11. Juli 2001 mangels Neuheit gegenüber dem Verfahren von D1 bzw. D2 nicht gewährbar ist.
II. Mit der Beschwerdeschrift vom 10. September 2003 beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.
III. Mit der Beschwerdebegründung vom 11. November 2003 wurde die Erteilung eines Patents auf der Basis des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruches 1 mit einer daran anzupassenden Beschreibung beantragt.
IV. Mit dem Bescheid vom 19. Juli 2005 teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung im Hinblick auf Anspruch 1 des einzigen Antrages vom 11. November 2003 mit. Der geänderte Verfahrensanspruch 1 erfüllte die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ. Außerdem wurde das beanspruchte Verfahren von Anspruch 1 gegenüber den Dokumenten D1 (= JP-A-57 035 625) und D2 (= englische Übersetzung der Patentschrift JP-B-61 044 123 und nicht der in der angefochtenen Entscheidung unter dieser Bezeichnung genannten Anmeldung JP-A-58 009 926, auf der diese Patentschrift basiert; die Parameter aller Beispiele dieser Anmeldung bzw. dem resultierenden Patent D2 sind nicht identisch bzw. sind zusätzliche Beispiele in D2 enthalten) als neu erachtet.
Aufgrund der vorgenommenen Änderungen unterschied sich der neue Anspruch 1 wesentlich vom Anspruch 1 des einzigen während der europäischen Prüfung eingereichten Anspruchssatzes, welcher mittels Schreibens vom 29. Oktober 2001 eingereicht worden war und mit dem in der angefochtenen Entscheidung genannten Anspruch 1 vom 11. Juli 2001 identisch ist. Die Kammer hatte deshalb die Absicht, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 111 (1) EPÜ den neuen Fall zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an die Erstinstanz zurückzuverweisen.
Die Kammer wies die Beschwerdeführerin darauf hin, daß es für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sachdienlich wäre, wenn die Übersetzung von Dokument D1 - die bereits im PCT-Verfahren angekündigt, aber tatsächlich nicht zusammen mit der Übersetzung von D2 mittels Schreibens vom 11. Juli 2001 eingereicht worden war - der Prüfungsabteilung vorgelegt werden könnte.
Aufgrund dieser Sachlage wurde die Beschwerdeführerin um Mitteilung ersucht, ob ihr Antrag auf mündliche Verhandlung aufrechterhalten wird.
V. Mit dem Schreiben vom 22. Juli 2005 teilte die Beschwerdeführerin mit, daß der hilfsweise Antrag auf mündliche Verhandlung im Hinblick auf den Zwischenbescheid der Kammer vom 19. Juli 2005 zurückgezogen wird.
Der Wortlaut von Anspruch 1 eingereicht mit der Beschwerdebegründung lautet wie folgt (die Änderungen gegenüber Anspruch 1 vom 29. Oktober 2001 sind durch Fettdruck hervorgehoben):
"1. Verfahren zur Herstellung geschweißter Stahlrohre hoher Festigkeits-, Zähigkeits- und Verformungseigenschaften, insbesondere Großrohre nach dem UOE-Verfahren, bei dem, ausgehend von einem warmgewalzten Blech, ein Rohr kalt eingeformt, verschweißt und auf Solldurchmesser kalibriert und nach dem Schweißen und Kalibrieren einer Wärmebehandlung mit einer Temperatur im Bereich von 100 - 400 ºC unterworfen wird, dadurch gekennzeichnet,
dass ausgehend von einem TM-gewalzten Blech aus einem Stahl mit (in Gew. %)
0,02 bis 0,20 % C
0,05 bis 0,50 % Si
0,50 bis 2,50 % Mn
0,003 bis 0,06 % Al
sowie fakultativ
bis 0,02 % P
bis 0,06 % Ti
bis 0,20 % Cr
bis 0,50 % Mo
bis 0,30 % Ni
bis 0,10 % Nb
bis 0,08 % V
bis 0,50 % Cu
bis 0,030 % N
bis 0,005 % B
Rest Eisen mit erschmelzungsbedingten Verunreinigungen einer Wärmebehandlung für das Rohr in der Qualität >= X90 (API-Norm) mit einer Temperatur im Bereich von 100 - 300 ºC und einer der Rohrwanddicke angepassten Haltezeit mit anschließender Abkühlung an Luft oder durch Zwangskühlung erfolgt und das so erzeugte Rohr alterungsbeständig ist und bei gleich hoher Festigkeit eine ausreichend integrale Verformungsreserve gegen Bruch aufweist, ohne die nach aktuellem Regelwerk für herkömmliche Stähle festgelegte Obergrenze für das Streckgrenzenverhältnis zu überschreiten, wobei die Mindestausgangsstreckgrenze im Blech der um den Streckgrenzenanstieg durch Kaltformgebung und Wärmebehandlung verminderten Mindeststreckgrenze am Rohr entspricht, wobei die Wärmebehandlung im Rahmen der Anbringung einer ein- oder mehrlagigen Außenisolierung erfolgt."
VI. In der Entscheidung wurden die folgende Dokumente berücksichtigt:
D1 = JP-A-57 035 625 & Patent Abstracts of Japan, vol. 006, no 106 (C-108), 16. Juni 1982 (Zusammenfassung des englischen Abstracts und Tabelle 1 des Japanischen Originals)
D2 = JP-B-61 044 123 (englische Übersetzung, die von der Anmelderin im PCT-Verfahren eingereicht und im Prüfungsverfahren und in der angefochtenen Entscheidung als JP-A-58 009 926 bezeichnet wurde; basiert auf D2a)
D2a = JP-A-58 009 926 & Patent Abstracts of Japan, vol. 007, no 077 (C-159), 30. März 1983 (Zusammenfassung des englischen Abstracts und Tabelle 1 des Japanischen Originals)
VII. Die Beschwerdeführerin hat mit der Beschwerdebegründung im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Die Anmelderin habe die Anregung der Prüfungsabteilung aufgegriffen "die unbestimmte Angabe > X80 in die bestimmte Angabe ~~X90 umzuwandeln" (siehe Beschwerdebegründung, Seite 2, erster Absatz). Anspruch 1 erfülle daher die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
Der Gegenstand des Verfahrensanspruchs 1 sei gegenüber den aus den Dokumenten D1 und D2 bekannten Verfahren neu, da in D1 und D2 nur eine separate Wärmebehandlung, aber nicht in Verbindung mit einer Außenisolierung offenbart werde.
Der Fachmann erhalte aus beiden Entgegenhaltungen D1 und D2 nur die Anregung Kosten zu sparen, um durch die Herstellung eines vergleichsweise kostengünstigen Bleches in X65 bzw. X70-Güte die fehlende Festigkeit bis hin zur X80-Güte durch eine gezielte Wärmebehandlung zu erreichen. Weder in D1 noch in D2 sei das Problem der Festlegung der Mindeststreckgrenze am Blech behandelt worden, um nicht in Konflikt mit der Erhöhung der Streckgrenze durch die Kaltumformung und Wärmebehandlung zu kommen. Das mit der Herstellung der Außenisolierung eingehende Wärmeeinbringen könne vorteilhaft für die Wärmebehandlung benutzt werden. Es sei bekannt, daß eine zweimalige Wärmebehandlung den erhofften Effekt wieder zunichte macht. Der Gegenstand des Verfahrensanspruchs 1 beruhe daher gegenüber D1 bzw. D2 auf erfinderischer Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
Der vorliegende Anspruch 1 basiert auf den Ansprüchen 1 bis 3 und 6 sowie Seite 3, Zeilen 27 bis 32 in Verbindung mit Seite 1, Zeilen 25 bis 31 der ursprünglich eingereichten Anmeldung (= WO-A-00/68443).
Anspruch 1 erfüllt daher die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
2. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
Anspruch 1 wird dahingehend interpretiert, daß das Verfahren die Herstellung geschweißter Stahlrohre nach dem UOE-Verfahren betrifft, bei dem ausgehend von einem TM-warmgewalzten Stahlblech (d.h. Walzendtemperatur um A3) der spezifizierten Zusammensetzung ein Rohr kalt eingeformt, verschweißt und auf Solldurchmesser kalibriert und anschließend einer Wärmebehandlung mit einer Temperatur im Bereich von 100-300 ºC mit einer an die Rohrwanddicke angepassten Haltezeit mit anschließender Abkühlung an Luft oder Zwangskühlung unterworfen wird, wobei die Wärmebehandlung im Rahmen der Anbringung einer ein- oder mehrlagigen Außenisolierung erfolgt, wobei das fertige Rohr eine Qualität >= X90 nach API-Norm hat, alterungsbeständig ist und bei gleich hoher Festigkeit eine ausreichende Verformungsreserve gegen Bruch hat, ohne die nach aktuellem Regelwerk für herkömmliche Stähle festgelegte Obergrenze für das Streckgrenzenverhältnis zu überschreiten. Das Merkmal von Anspruch 1 "wobei die Mindestausgangsstreckgrenze im Blech der um den Streckgrenzenanstieg durch Kaltverformung und Wärmebehandlung verminderten Mindeststreckgrenze am Rohr entspricht" wird übereinstimmend mit der angefochtenen Entscheidung als nicht beschränkend gegenüber dem Stand der Technik angesehen, weil die Formulierung eine Überschreitung der verlangten Mindestwerte für die Streckgrenze nicht ausschließt und der Streckgrenzenanstieg infolge der Kaltverformung und der Wärmebehandlung auch beim Stand der Technik auftritt und außerdem vom Verformungsgrad abhängig ist, der im Anspruch 1 nicht definiert wird (siehe Entscheidung, Punkt 1(v) der Entscheidungsgründe).
2.1 Dokument D1 beschreibt ein Verfahren zum Herstellen von UOE-Rohren mit einer Wärmebehandlung zur Alterung bei 100-400 ºC (siehe Zusammenfassung). Im Japanischen Original werden die API-Güten X70 und X80 erwähnt (siehe Seite 120, linke Spalte oben). Allgemein enthält der verwendete Stahl (in Gew.%) <= 0.18 C, <= 0.50 Si, 0.50-2.00 Mn, <= 0.06 Al, <= 0.03 P, <= 0.006 S, <= 0.15 Nb und Rest Fe (siehe Zusammenfassung, "Constitution"). Optional können <= 0.15 V oder <= 0.15 Ti, <= 0.50 Mo, <= 0.50 Cu, <= 3 Ni, <= 0.6 Cr, <= 0.04 SEM, <= 0.01 Ca oder <= 0.01 Mg und <= 0.04 Zr zusätzlich enthalten sein (siehe Zusammenfassung, "Constitution"). Gemäß den Beispielen wurde die Wärmebehandlung zur Alterung bei 200 ºC, 300 ºC oder 400 ºC ausgeführt, wobei die von der Prüfungsabteilung zitierten Proben 1, 3, 5-6, 9-13 und 15 unter die von Anspruch 1 geforderte Zusammensetzung fallen. Die Streckgrenzwerte ("Yielding Strength") dieser Proben erreichen im allgemeinen aber nicht den von der Güte X90 geforderten Wert, da nur der Höchstwert gemäß dem Beispiele 12 von 64,4 kg/mm**(2) (= 633 MPa) bei einer Wärmebehandlung bei 300 ºC über dem von der Güte X90 geforderten Wert der Streckgrenze Rt 0,5 >=620 MPa bleibt. Fast alle anderen Beispiele liegen weit unterhalb, lediglich Beispiel 11 mit einer Wärmebehandlung bei 200 ºC und einer Streckgrenze von 62.9 kg/mm**(2) (= 617 MPa) kommt dem Grenzwert nahe. Eine Beschichtung der Rohre wird in der englischen Zusammenfassung nicht erwähnt.
2.2 Dokument D2 offenbart ein Verfahren zum Herstellen von UOE-Rohren der API-Güte X80 (siehe Übersetzung, Seite 3, Beschreibung, erster Absatz; Seite 4, letzter Absatz; Seite 5, zweiter Absatz; Seite 12, erster voller Absatz). Allgemein enthält der verwendete Stahl (in Gew.%) <= 0.15 C, <= 0.70 Si, 0.50-2.50 Mn, <= 0.070 Al, <= 0.025 P, <= 0.005 S, 0.01-0.15 Nb und Rest Fe (siehe Anspruch 1). Optional können 0.01-0.15 V, 0.005-0.150 Ti, 0.005-0.150 Zr, 0.05-0.50 Mo, 0.10-1.00 Cu, 0.10-4.00 Ni, 0.10-1.00 Cr, <= 0.020 SEM, und <= 0.010 Ca zusätzlich enthalten sein (siehe Anspruch 2). Gemäß den Beispielen wurde die Wärmebehandlung zur Alterung bei 250 ºC oder 300 ºC ausgeführt, wobei die von der Prüfungsabteilung zitierten Proben A-E, G-H und M unter die geforderte Zusammensetzung des Anspruchs 1 fallen, nicht aber deren geforderte Streckgrenzwerte ("Yielding Strength") erreichen, da deren Höchstwert von 61,0 kg/mm**(2) (= 598 MPa) unter dem von der Güte X90 geforderten Wert der Streckgrenze Rt 0,5 >=620 MPa bleibt. Eine Beschichtung der Rohre wird in der Zusammenfassung nicht erwähnt.
2.3 Die der Patentschrift D2 zugrunde liegende Anmeldung D2a offenbart prinzipiell das gleiche Verfahren (siehe englische Zusammenfassung), jedoch differieren die Werte der Beispiele in Tabelle 1 teilweise von jenen des erteilten Patents D2 (vgl. z.B. Wert der "Yielding Strength" und "Tensile Strength" von Probe M in Spalten 6 und 7, die Proben M und N sind in D2a nicht erfindungsgemäß, in D2a keine Proben Y und Z, etc.). Keine der Proben, auch nicht jene, die unter die Zusammensetzung von Anspruch 1 fallen, erreicht einen von der Güte X90 geforderten Wert der Streckgrenze von Rt0,5 >=620 MPa, da der Höchstwert der Streckgrenze gemäß Probe H bei einem Wert von 61,0 kg/mm**(2) (= 598 MPa) liegt (siehe Tabelle 1).
2.4 Da keines der Dokumente D1, D2 und D2a eine Beschichtung der Rohre erwähnt, und insbesondere nicht mit einer gleichzeitigen Wärmebehandlung zur Alterung des Stahls bei den angegebenen Temperaturen, ist das Verfahren gemäß Anspruch 1 eindeutig neu (Artikel 54 EPÜ).
3. Zurückverweisung an die erste Instanz
3.1 Aufgrund der vorgenommenen Änderungen von Anspruch 1 unterscheidet sich dieser wesentlich vom Anspruch 1 des einzigen während der europäischen Prüfung eingereichten Anspruchssatzes, welcher mittels Schreiben vom 29. Oktober 2001 eingereicht worden war und mit dem in der angefochtenen Entscheidung genannten Anspruch 1 vom 11. Juli 2001 identisch ist. Es liegt somit ein neuer Fall vor.
3.2 Da die Prüfungsabteilung das wesentlich veränderte Verfahren gemäß Anspruch 1 auf das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem nächstkommenden Stand der Technik bzw., ob alle weiteren Erfordernisse des EPÜ von der Anmeldung erfüllt werden, noch nicht geprüft hat, hält die Kammer eine Zurückverweisung in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 111 (1) EPÜ für geboten, um die Prüfung der Sache durch zwei Instanzen zu ermöglichen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Erstinstanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.