European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2005:T112503.20051116 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 16 November 2005 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1125/03 | ||||||||
Anmeldenummer: | 95250198.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | B66D 3/22 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Elektrozug mit drehzahlgeregelter Geschwindigkeit | ||||||||
Name des Anmelders: | Demag Cranes & Components GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | R. Stahl Fördertechnik GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Neuer Einspruchsgrund (nicht berücksichtigt) Erfinderische Tätigkeit (verneint) |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Der von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) gegen das europäische Patent Nr. 0 703 185 eingelegte, auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit bzw. erfinderische Tätigkeit) gestützte Einspruch wurde von der Einspruchsabteilung mit der am 9. September 2003 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen.
II. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr am 3. November 2003 Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung ist am 24. Dezember 2003 eingegangen.
In der Beschwerdebegründung wiederholte die Beschwerdeführerin ihr im Einspruchschriftsatz ausgeführtes Vorbringen, wonach die Patentinhaberin auf der Hannover Messe '94, die vom 20. bis 27. April 1994 stattgefunden hat, einen Kettenzug unter der Bezeichnung Demag Kettenzug DK2 in der Halle 21 auf dem Stand G16 ausgestellt und gleichzeitig das folgende Prospektblatt ausgegeben habe:
D1: Prospektblatt "Demag Kettenzug DK2"
Als weiterer Stand der Technik wurde noch auf folgende Entgegenhaltung hingewiesen:
D2: DE-A-37 43 905
Zusätzlich wies die Beschwerdeführerin auf den Beschluss vom 25. Februar 2004 des Deutschen Patentamtes hin, mit dem ein auf einem mit dem Patentanspruch 1 des angegriffenen europäischen Patents praktisch identischen Patentanspruch 1 basierendes Patent widerrufen wurde. Dieser Beschluss stützte sich im Wesentlichen auf den folgenden, auch in der vorliegenden Patentschrift gewürdigten Stand der Technik:
D9: FR-A-2 570 688
III. Am 16. November 2005 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung der Einspruchabteilung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
IV. Der Patentanspruch 1 lautet wie folgt:
"Elektrozug mit drehzahlgeregelter Hubgeschwindigkeit, insbesondere Elektrokettenzug,
bei dem ein Elektromotor (2), ein Getriebe (3), ein von dem Zugmittel (5) umschlungenes Rad (4), das Zugmittel und ein Lastaufnahmemittel (6) antriebsmäßig miteinander verbunden sind,
mit einer elektrischen Steuerung (7) in einem auf dem Getriebekasten (9) aufgesetzten außenliegenden Schutzgehäuse (10) für den Elektromotor (2),
die an einen Handsteuerschalter (26) angeschlossen ist,
dadurch gekennzeichnet,
dass die elektrische Steuerung (7) eine Steuerungselektronik (7a) mit einer Drehzahlsensorik (8) aufweist und
dass ein Leistungshalbleiter (13) aufweisender Frequenzumrichter (14) für den Elektromotor (2)
zur Ableitung der Verlustleistungswärme der Leistungshalbleiter (13) wärmeleitend mit dem Schutzgehäuse (10) verbunden ist."
V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin war im Wesentlichen das folgende:
Die sich auf die Ausbildung des Schutzgehäuses als "Schutzgehäuse für den Elektromotor" und auf die Anbringung des Frequenzumrichters an dem Schutzgehäuse beziehenden Merkmale des Patentanspruchs 1 seien nicht in den Anmeldungsunterlagen offenbart worden und gingen somit über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Diese zwei Merkmale verstießen gegen die Vorschrift des Artikels 100 c) EPÜ. Dieser Einwand sei nicht ein neuer Einspruchsgrund, weil bereits im Einspruchsverfahren ausdrücklich darauf verwiesen wurde, dass der Wortlaut des Patentanspruchs durch die Figurenbeschreibung nicht gedeckt sei. Bei genauer Betrachtung der Vorschrift des Artikels 100 c) EPÜ werde unmissverständlich klar, das ein Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ hinsichtlich der Offenbarung ein Unterfall des Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 c) EPÜ sei.
Das einzige Merkmal des im Anspruch 1 definierten Elektrozuges, das im Prospektblatt D1 nicht unmittelbar wahrnehmbar sei, jedoch möglicherweise im Kettenzug unter der Bezeichnung Demag Kettenzug DK2 vorhanden wäre, sei das Merkmal, wonach der Frequenzumrichter für den Elektromotor zur Ableitung der Verlustleistungswärme der Leistungshalbleiter wärmeleitend mit dem Schutzgehäuse verbunden ist. Mit diesem Merkmal sollte die beim Betrieb des Frequenzumrichters entstehende Verlustwärme abgeführt werden (vgl. Absatz [0005] des Patents). Zuständig für diese Problematik sei nicht der Maschinenbauer, sondern der Elektrotechniker. Die Maßnahme, einen Leistungshalbleiter zwecks Kühlung an einem wärmeleitenden Gehäuse anzubringen, sei aus der Sicht des Elektronikers trivial und könne eine erfinderische Tätigkeit nicht rechtfertigen. Die D2 zeige bereits, wie bei einer ähnlichen Hebeeinrichtung die Leistungstransistoren 8a-8f des Frequenzumrichters an den Außenwänden des Gehäuses 5 zum Zwecke der Wärmeabfuhr befestigt würden (vgl. Figur 2, Spalte 2, Zeilen 49-67).
VI. Zu der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumentation lassen sich die Gegenargumente der Beschwerdegegnerin wie folgt zusammenfassen:
Wie schon die Einspruchsabteilung zu Recht festgestellt habe, gehe das Merkmal, dass der Frequenzumrichter wärmeleitend mit dem Schutzgehäuse verbunden ist, aus keiner der vorgebrachten Entgegenhaltungen hervor. Aber auch die Angabe in dem Prospektblatt D1 über eine Drehzahlrückführung sei zu allgemein, als dass sie die Verwendung einer Drehzahlsensorik impliziere. Im Prospektblatt D1 sei keine Rede von einem Sensor oder von einer vermeintlichen Drehzahlermittlung, geschweige denn dass die Drehzahlsensorik im Schutzgehäuse untergebracht werden solle. Es böten sich verschiedene Lösungsmöglichkeiten für die Anbringung der Drehzahlsensorik und des Frequenzumrichters an und es sei nicht ersichtlich, warum der Fachmann gerade die beanspruchte Option auswählen würde.
Bei der D2 würden Leistungstransistoren an den Außenwänden eines den Elektromotor unter Ausbildung eines Kühltunnels 5 umgebenden Gehäuses angeordnet, wobei der Kühltunnel mittels eines Ventilators gekühlt werde. Elektromotor und Gehäuse des Kühltunnels bildeten eine Baueinheit. Im Gegensatz zur Lehre der D2 sei bei der beanspruchten Lösung die Baueinheit Elektromotor/Kühltunnel aufgelöst worden und die Leistungselektronik entfernt vom Motor in dem Schutzgehäuse untergebracht. Die beanspruchte Anordnung, den Leistungshalbleiter aufweisenden Frequenzumrichter im Schutzgehäuse des Kettenzuges zu installieren, ergebe sich nicht durch den Stand der Technik. Was der Fachmann hätte wissen und schlussfolgern können müssen, um zur beanspruchten Lösung zu gelangen, seien reine Spekulationen der Beschwerdeführerin.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ. Sie ist zulässig.
2. Neuer Einspruchsgrund
Der unter Artikel 100 c) EPÜ vorgebrachte Einwand der Beschwerdeführerin, dass im erteilten Patent eine unzulässige Erweiterung stattgefunden hat, ist nach Auffassung der Kammer ein neuer Einspruchsgrund, der weder im Einspruchsschriftsatz geltend gemacht und substantiiert noch von der Einspruchsabteilung in Anwendung des Artikels 114 (1) EPÜ in das Verfahren eingeführt worden ist. Ohne das Einverständnis der Patentinhaberin kann er nicht berücksichtigt werden (vgl. Stellungnahme G 10/91 der Großen Beschwerdekammer, ABl. 1993, 420). Eine ausführliche Begründung dazu kann dahingestellt bleiben, weil das Patent, wie nachfolgend ausführlich dargelegt, aus einem anderen Grund (mangelnde Patentfähigkeit) ohnehin widerrufen werden muss.
3. Erfinderische Tätigkeit
Der nächstliegende Stand der Technik ist in dem im Prospektblatt D1 dargestellten Demag Kettenzug DK2 anzusehen. Die Beschwerdegegnerin hat die Veröffentlichung ihres eigenen Prospektblattes D1 vor dem maßgeblichen Zeitpunkt, d. h. dem Prioritätstag des Patents, nicht bestritten. Sie hat auch eingeräumt, dass der durch das Prospektblatt D1 wiedergegebene Stand der Technik sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 aufweist und dass die darin enthaltenen Angaben bezüglich der mit Drehzahlrückführung stufenlos arbeitenden Geschwindigkeitsregelung in Verbindung mit einem digitalen Frequenzumformer auf die Verwendung eines Leistungshalbleiter aufweisenden Frequenzumrichters für den Elektromotor zurückschließen lassen.
Als nicht unmittelbare aus dem Offenbarungsgehalt des Prospektblattes D1 hervorgehende Merkmale verbleiben unstrittig folgende Merkmale:
a) die Drehzahlrückführung erfolgt über eine Drehzahlsensorik, die im Schutzgehäuse angeordnet ist;
b) der Frequenzumrichter ist zur Ableitung der Verlustleistungswärme der Leistungshalbleiter wärmeleitend mit dem Schutzgehäuse verbunden.
Das Prospektblatt D1 vermittelt dem Fachmann nur ein äußerliches Bild des Demag Kettenzuges DK2, enthält aber keine unmittelbaren Angaben zu dessen konstruktiver Ausführung. Auf die offensichtliche Frage, wie die innere konstruktive Beschaffenheit dieses Kettenzuges aussehen mag, liefert jedoch die bereits in der Patentschrift erwähnte D9 entsprechende Anregungen.
Diese Schrift beschreibt nämlich einen Kettenzug, dessen Aufbau mit demjenigen des im Prospektblatt abgebildeten Demag Kettenzuges DK2 auffallend vergleichbar ist. Ein zentral angeordneter Getriebekasten 1 ist auf einer Seite von einem Elektromotor M und auf der anderen Seite von einem auf dem Getriebekasten aufgesetzten außenliegenden Schutzgehäuse 2 flankiert, an dem ein Handsteuerschalter 61 angeschlossen ist. Dieser Elektrozug bietet die Wahl zwischen schneller und langsamer Geschwindigkeit und verfügt auch über eine Drehzahlrückführung in Form einer im Schutzgehäuse 2 untergebrachten Drehzahlsensorik (magnetischer Rotor 42, Hall Generator 44), die zusammen mit einem Rechner die Drehgeschwindigkeit überwacht. Darüber hinaus ist ein Teil der elektrischen Steuerung in dem Schutzgehäuse 2 untergebracht (vgl. Seite 7, Absätze 3 und 4, Figuren 2 bis 5). Für den Fachmann liegt es auf der Hand, die im Prospektblatt D1 erwähnte geregelte Drehzahlrückführung nach Vorbild der D9 konstruktiv auszuführen. Somit gelangt er zu einem Kettenzug mit dem Merkmal a).
Es stellt sich nun die Frage nach dem Ort für die Unterbringung des Leistungshalbleiter aufweisenden Frequenzumrichters. Da bereits die Drehzahlsensorik und die Steuerungselektronik im Schutzgehäuse untergebracht sind, dürfte es folgerichtig naheliegend sein, den Frequenzumrichter ebenfalls im Schutzgehäuse unterzubringen. Beim Betrieb einer derartigen Leistungselektronik wird viel Wärme freigesetzt, die, um die Funktionsfähigkeit einer solchen elektronischen Baueinheit uneingeschränkt gewährleisten zu können, möglichst rasch nach außen abgeführt werden soll. Die wärmeleitende Verbindung des Frequenzumrichters mit dem Schutzgehäuse zur Ableitung der Verlustleistungswärme ist eine Maßnahme, die für den hier zuständigen Spezialisten in Leistungselektronik eine klassische kostengünstige Lösung für ein derartiges Problem darstellt und den Vorteil der Kapselung der elektronischen Bauteile durch das Schutzgehäuse aufrechterhält.
Das von der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Argument, es böten sich verschiedene Lösungsmöglichkeiten für die gestellte Aufgabe an und es sei nicht ersichtlich, warum der Fachmann gerade diese Option auswählen würde, übersieht, dass es nicht um die Frage geht, ob es noch andere Lösungen gegeben hätte, sondern ob die beanspruchte Implementierung im vorliegenden Fall naheliegend war.
Die Kammer kommt somit zum Ergebnis, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt und daher nicht erfinderisch ist (Art. 56 EPÜ).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.