T 1049/03 () of 24.1.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T104903.20060124
Datum der Entscheidung: 24 Januar 2006
Aktenzeichen: T 1049/03
Anmeldenummer: 96911971.8
IPC-Klasse: D03D 13/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Weben einer drei-dimensional geformten Gewebezone
Name des Anmelders: Büsgen, Alexander
Name des Einsprechenden: Boston Scientific Corporation
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Neuheit (Hauptantrag) - nein
Verspätetes Vorbringen (Hilfsantrag) - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 29. März 1996 unter Inanspruchnahme zweier deutscher Prioritäten vom 6. April 1995 und vom 31. Oktober 1995 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 96911971.8 wurde das europäische Patent Nr. 819 188 mit 27 Patentansprüchen erteilt, wovon Anspruch 1 lautet:

"Verfahren zum Weben einer dreidimensional geformten Gewebezone (13), dadurch gekennzeichnet, dass in der Gewebezone (13) durch einen gezielten Einsatz unterschiedlicher Bindungspunktdichten dem Gewebe eine Änderung seiner inneren Struktur aufgezwungen und dadurch eine gezielte dreidimensionale Aufwölbung der Gewebezone (13) eingestellt wird, wobei die Zahl der Bindungspunkte durch Änderung der Zahl der eingebundenen Kettfäden (2) bzw. Schussfäden (9) und/oder durch die Änderung der Art der Bindung verändert wird."

II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikels 100 a) und b) EPÜ, Einspruch eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt.

III. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent mit ihrer am 5. August 2003 zur Post gegebenen Entscheidung, weil alle Merkmale des Verfahrens nach Anspruch 1 durch das Dokument D2 (US-A-4 771 518) bekannt seien.

IV. Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer (Patentinhaber) am 29. September 2003 Beschwerde eingelegt, am 30. September 2003 die Beschwerdegebühr bezahlt und mit der am 4. Dezember 2003 eingereichten Beschwerdebegründung seinen Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents weiterverfolgt.

V. Die Beschwerdekammer hat in ihrer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Mitteilung vom 13. Oktober 2005 mitgeteilt, daß die Neuheit gegenüber D2 zwar vorliegen dürfte, das Verfahren nach Anspruch 1 jedoch gegenüber D3 (US-A-4 587 153) oder D4 (US-A-3 132 671) nicht neu erscheine.

Im Fall der Vorlage von Ansprüchen, die das Neuheitserfordernis erfüllten, werde die Sache voraussichtlich zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an die erste Instanz zurückzuverweisen sein.

VI. Am 24. Januar 2006 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der insbesondere das Dokumente D4 erneut diskutiert wurde.

Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, hilfsweise auf Basis des in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsantrags.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet:

"Verfahren zum Weben einer dreidimensional geformten Gewebezone (13), die sich aus einem ganz oder teilweise umschließenden Gewebe herauswölbt,

dadurch gekennzeichnet, dass in der Gewebezone (13) durch einen gezielten Einsatz unterschiedlicher Bindungspunktdichten dem Gewebe eine Änderung seiner inneren Struktur aufgezwungen und dadurch eine gezielte dreidimensionale Aufwölbung der Gewebezone (13) eingestellt wird, wobei die Zahl der Bindungspunkte durch Änderung der Zahl der eingebundenen Kettfäden (2) bzw. Schussfäden (9)zur Veränderung der gegenseitigen Abstoßung der Kett- und Schussfäden und/oder durch die Änderung der Art der Bindung verändert wird."

VII. Der Beschwerdeführer vertrat die Auffassung, das Verfahren nach Anspruch 1 sei neu gegenüber dem gesamten entgegengehaltenen Stand der Technik. D2 betreffe kein dreidimensionales Gewebe, weil die Konusform erst nach dem Weben durch Schrumpfung erzielt werde. Mit dem in D4 beschriebenen Verfahren lasse sich in der Praxis kein dreidimensionales Gewebe herstellen. Wie der Beschreibung entnehmbar und auch in der dortigen Figur 2 gezeigt sei, handle es sich um ein zweischichtiges flaches Gewebe.

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag sei in zulässiger Weise eingeschränkt worden, weil die hinzugefügten Merkmale im erteilten Anspruchs 12 sowie in der Beschreibung für den einschlägigen Fachmann eindeutig offenbart seien.

VIII. Die Beschwerdegegnerin war der Meinung, dem Verfahren nach Anspruch 1 mangle die Neuheit sowohl gegenüber D2 als auch D4. In D4 sei explizit beschrieben, dass das erzeugte Gewebe gewölbt (belled, or puckered portions) sei, denn es werde durch eine speziell geformte Walze mit variierender Geschwindigkeit abgezogen.

Die im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag vorgenommenen Änderungen seien unzulässig, weil die neuen Merkmale aus dem offenbarten Zusammenhang genommen und zu einer neuen, nicht offenbarten Kombination zusammengefügt worden seien.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Neuheit

2.1 D4 beschreibt ein Verfahren zum Weben einer dreidimensional geformten Gewebezone (belled, or puckered portion) (Figuren 1, 2; Spalte 4, Zeilen 44 bis 51). In dieser Gewebezone 48 wird durch einen gezielten Einsatz unterschiedlicher Bindungspunktdichten dem Gewebe eine Änderung seiner inneren Struktur aufgezwungen und dadurch eine gezielte dreidimensionale Aufwölbung der Gewebezone eingestellt. Die Zahl der Bindungspunkte wird dabei durch Änderung der Zahl der eingebundenen Kettfäden 42 verändert, indem sie innerhalb des dort zweidimensionalen Gewebeabschnitts neben der gekrümmten Webkante flottieren (Spalte 4, Zeilen 33 bis 39).

2.2 Der unbewiesenen Behauptung des Beschwerdeführers, das Gewebe entstehe beim Webverfahren nach D4 völlig eben, d.h. zweidimensional, kann die Kammer nicht folgen. Aus der Beschreibung (a.a.O.) ergibt sich eindeutig und widerspruchsfrei, daß der Bereich 48 gewölbt ist, obwohl er auf einer Flachwebmaschine gewebt wird, was durch die Tatsache bestätigt wird, dass beim Abzug eine profilierte Walze verwendet wird, um die Kettfäden mit variierender Geschwindigkeit aufzunehmen (Spalte 2, Zeilen 34 bis 38). Es liegt auf der Hand, daß diese Maßnahme, die übrigens auch in Anspruch 2 des angefochtenen Patents beansprucht wird, die Vortuchbildung oder Faltung verhindern soll.

2.3 Es trifft zwar zu, dass sich die Lehre des Patents an einen fachkundigen Leser richtet und von einem Fachmann aufgrund der Angaben der gesamten Beschreibung ausführbar ist. Gleichwohl verkennt der Beschwerdeführer, daß es sich um ein erteiltes Schutzrecht handelt. Die breite Formulierung des Anspruchs 1 lässt sich mit allen Merkmalen zwanglos auf das aus D4 bekannte Verfahren lesen, das somit unter den Schutzbereich des Patents fiele. Aus diesem Grund ist das Verfahren nach Anspruch 1 nicht neu (Artikel 54 (1), (2) EPÜ).

3. Zulassung des Hilfsantrags - Änderungen

3.1 Unter dem Gesichtspunkt des verspäteten Vorbringens (Artikel 114 (2) EPÜ)richtet sich die Zulassung von neuen Anträgen nach dem Grundsatz, dass, je später im Verfahren sie eingereicht werden, ein umso strengerer Maßstab anzulegen ist. Die Kammer hatte bereits in ihrer Mitteilung als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass das Dokument D4 möglicherweise patenthindernd entgegenstehe. Daraufhin hatte der Beschwerdeführer Gelegenheit, noch vor der mündlichen Verhandlung Hilfsanträge einzureichen.

Tatsächlich wurde der Hilfsantrag erst während der Verhandlung vorgelegt, nachdem sich die Kammer wiederholt zur fehlenden Neuheit gegenüber D4 geäußert hatte. In diesem Verfahrensstadium können - auch aus Fairnessgründen gegenüber der anderen Partei - nur noch Anträge zugelassen werden, die u.a. zumindest die formalen Zulässigkeitsvoraussetzungen, v.a. die des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllen, d.h. deren Gegenstände nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen. Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag trägt diesem Erfordernis nicht Rechnung, da einzelne Merkmale aus verschiedenen Offenbarungsstellen isoliert wurden und zu einer neuen, nicht offenbarten Kombination zusammengefügt wurden.

3.2 Der Beschwerdeführer verwies zur Offenbarung des Merkmals "... (Gewebezone (13)), die sich aus einem ganz oder teilweise umschließenden Gewebe herauswölbt ..." auf den erteilten Anspruch 12 sowie die Beschreibung, Spalte 2, Zeile 56 bis Spalte 3, Zeile 1, und des Merkmals "... (Änderung der Zahl der eingebundenen Kettfäden (2) bzw. Schussfäden (9)) zur Veränderung der gegenseitigen Abstoßung der Kett- und Schussfäden ..." auf die Beschreibung, Spalte 15, Zeilen 10 bis 12 und Zeile 58 bis Spalte 16, Zeile 3. Diese Stellen stimmen mit dem Text der ursprünglichen Anmeldung überein.

3.3 Was die erste Einfügung anbetrifft, so ist diese im Anspruch 12 in der Weise offenbart, "dass die dreidimensional geformte Gewebezone (13) innerhalb eines zweidimensionalen Gewebes gebildet wird, wobei das zweidimensionale Gewebe die Gewebezone (13) - vorzugsweise ringförmig - ganz oder teilweise umschließt". Die dreidimensionale Gewebezone steht hier also in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem sie umgebenden zweidimensionalen Gewebe. Eine dreidimensionale Gewebezone, die von einem beliebig geformten Gewebe umgeben ist, ist der Offenbarungsquelle nicht entnehmbar. Somit wird mit dem Hilfsantrag ein Gegenstand beansprucht, der in dieser Ausbildung nicht in der ursprünglichen Anmeldung enthalten war, so dass die Vorschrift des Artikels 123 (2) EPÜ verletzt wird.

Aus diesem Grund erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob die zweite Einfügung in den Anspruch zulässig war. Nachdem der Hilfsantrag somit schon die erste Stufe der Prüfung auf Zulassung zum Verfahren, nämlich die formale Zulässigkeitsvoraussetzung nicht erfüllt, konnte er in diesem späten Verfahrensstadium nicht mehr berücksichtigt werden.

4. Aus alldem ergibt sich, daß das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag das Neuheitserfordernis im Sinne des Artikels 54 (1) EPÜ nicht erfüllt und die Zulassung des Hilfsantrags letztlich an Artikel 123 (2) EPÜ scheiterte. Bei dieser Sachlage brauchte auf die abhängigen Verfahrensansprüche 2 bis 18 sowie die Produkt- und Vorrichtungsansprüche 19 bis 27 nicht eingegangen werden, da diese zusammen mit dem nicht gewährbaren Anspruch 1 einen einzigen Antrag bilden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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