T 0764/03 () of 10.2.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T076403.20050210
Datum der Entscheidung: 10 Februar 2005
Aktenzeichen: T 0764/03
Anmeldenummer: 95928433.2
IPC-Klasse: H05K 7/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Frontsystem für eine Flachbaugruppe mit Aktiv-Passiv-Schaltung
Name des Anmelders: Rittal Electronic Systems GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Schroff GmbH
VERO Electronics GmbH
Knürr AG
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 10a
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 10b
Schlagwörter: Hauptantrag: erfinderische Tätigkeit (nein)
Hilfsanträge: als verspätet nicht zugelassen
Orientierungssatz:

Neues Vorbringen oder Anträge der Parteien können je nach den Umständen unberücksichtigt bleiben, wenn das Verfahren nur mit einer Vertagung abgeschlossen werden kann. Eine Partei, die kurz vor der mündlichen Verhandlung einen neuen Gegenstand einbringt, muß gewärtig sein, daß dieser Gegenstand nicht zum Verfahren zugelassen wird (vgl. Punkt 6).

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1060/04
T 0958/05
T 1122/09
T 0028/10
T 2116/11
T 0727/14

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 17. Juni 2003, das europäische Patent Nr. 0 832 547 gemäß Artikel 102(1) EPÜ wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) zu widerrufen.

Folgende Dokumente wurden unter anderem in der Entscheidung berücksichtigt:

D1: DE 41 05 948 A1

D9: EP-A-0 330 957

II. Anspruch 1 des erteilten Patents lautet:

"1. Frontsystem einen in einen Baugruppenträger einschiebbare Flachbaugruppe (3), mit

a) je einem im oberen bzw. im unteren vorderen Eckbereich der Flachbaugruppe (3) angebrachten oberen bzw. unteren Endstück (5),

b) je einem am oberen bzw. unteren Endstück (5) angebrachten oberen bzw. unteren Hebelziehgriff (19) zum Ein- und Aushebeln der Flachbaugruppe (3) in und aus dem Baugruppenträger, welche Mittel (25) aufweisen, über die der jeweilige Hebelziehgriff (19) bei Erreichen des in den Baugruppenträger eingeschobenen Zustands der Flachbaugruppe (3) in der entsprechenden Position fixiert wird, und mit

c) einem im oberen oder unteren Endstück (5) derart integrierten Schaltelement (31), daß dieses durch den entsprechenden Hebelziehgriff (19) bei Vorliegen von dessen fixierter Position betätigt wird."

III. Gegen die Erteilung des Patents wurden Einsprüche der Firma Schroff GmbH (Einsprechende I), der Firma VERO Electronics GmbH (Einsprechende II) und der Firma Knürr- Mechanik für die Elektronik AG (Einsprechende III) fristgerecht eingelegt.

Die Einsprüche aller Einsprechenden richteten sich gegen das Patent in vollem Umfang und beriefen sich auf die Gründe des Artikels 100(a) EPÜ, und zwar darauf, daß der beanspruchte Gegenstand weder neu sei (Artikel 54 EPÜ) noch eine erfinderische Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ aufweise.

IV. Die Einspruchsabteilung stellte in ihrer Entscheidung fest, daß das beanspruchte Frontsystem gegenüber dem aus Dokument D1 bekannten Stand der Technik neu sei, da das Frontsystem Endstücke aufweise, an denen die Hebelziehgriffe angebracht und die Schaltelemente integriert seien. Die Endstücke des Anspruchs 1 seien im Lichte der Beschreibung als separate Komponenten zu betrachten, welche im oberen bzw. unteren Eckbereich der Flachbaugruppe angebracht seien und auch als Halterung einer optionalen Frontplatte dienen könnten.

Es sei jedoch für den Fachmann naheliegend, die aus Dokument D1 bekannte Frontplatte durch zwei getrennte Bauteile zu ersetzen. Die dem Anspruch 1, in Anbetracht des Dokuments D1, zugrundeliegende objektive Aufgabe sei, ein Frontsystem herzustellen, wobei die Frontplatte, auf der sich Schalter und Hebel befinden, durch zwei getrennte Bauteile zu ersetzen sei, so daß eine platzsparende Befestigung sowie eine leichtere Austauschbarkeit der Frontplatte zu erreichen seien. Das Ersetzen eines Bauteils durch zwei Bauteile, die notwendigerweise dieselbe Funktion erfüllen sollten, gehöre zu den handwerklichen Maßnahmen, die keine erfinderische Tätigkeit beinhalteten.

In der Entscheidung wird ferner festgehalten, daß nach Auskunft des Vertreters der Einsprechenden II die Firma VERO Electronics GmbH nicht mehr existiere.

V. Die Patentinhaberin legte am 16. Juli 2003 gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde ein, unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am 2. Oktober 2003 eingereicht. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrecht zu erhalten. Hilfsweise wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Die Beschwerdegegnerin I (Einsprechende I, Schroff GmbH) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Mit Schreiben vom 7. Februar 2005 zog sie ihren Einspruch gegen das Patent zurück.

Die Beschwerdegegnerin III (Einsprechende III, nunmehr unter der Bezeichnung Knürr AG) beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu bestätigen, d. h. die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise stellte sie einen Antrag auf mündliche Verhandlung.

VI. In einer Mitteilung gemäß Artikel 11(1) VOBK wies die Kammer u. a. darauf hin, daß die Firma "Knürr - Mechanik für die Elektronik AG" im Verfahren vor der ersten Instanz als Einsprechende III beteiligt gewesen sei. Mit Schreiben vom 30. September 2003 habe aber der Vertreter der Einsprechenden III die Beschwerde der Patentinhaberin im Namen der Firma "Knürr AG" beantwortet. Ferner seien in den Schreiben vom 17. Februar 2004 und 23. April 2004 jeweils die "Knürr - Mechanik für die Elektronik AG" und die "Knürr AG" als Partei genannt worden. Die Beschwerdegegnerin III wurde aufgefordert zu erklären, ob und unter welchen Umständen ein Übergang des Einspruchs stattgefunden habe, da gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ein Übergang oder eine Übertragung eines Einspruchs nur unter besonderen Voraussetzungen möglich sei, dessen Vorliegen nachzuweisen sei (Singer/Stauder, Europäisches Patentübereinkommen, 2. Auflage, Rdn. 70 ff. zu Artikel 99, und insbesondere G 4/88).

VII. Mit Schreiben vom 15. November 2004 reichte die Beschwerdegegnerin III die Handelsregisterauszüge HRB 65868 des Amtsgerichts München und HRB 5586 des Amtsgerichts Landshut ein. Aus diesen Handelsregisterauszügen gehe hervor, daß mit Beschluß der Hauptversammlung der "Knürr-Mechanik für die Elektronik AG" vom 28. Juni 2001 der Firmensitz von München nach Arnstorf verlegt sowie die Firma in "Knürr AG" geändert worden sei. Es handele sich somit um eine Umfirmierung, mithin einer Gesamtrechtsnachfolge, so daß die Stellung als Einsprechende auf die "Knürr AG" übergegangen sei.

VIII. Mit Schreiben vom 19. Januar 2005 reichte die Beschwerdeführerin neue Ansprüche 1 gemäß Hilfsanträgen 1. und 2 ein.

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) dadurch, daß das folgende Merkmal am Ende des Anspruchs hinzugefügt wurde:

"wobei das Schaltelement (31) in einem Aufnahmeschlitz (10) des Endstücks (5) gelagert ist."

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 weist am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgendes Merkmal auf:

"wobei das Schaltelement (31) in den Bereich einer Rastkante (9) des Endstückes (5) reicht."

IX. Die Beschwerdegegnerin I zog mit Schreiben vom 7. Februar 2005 ihren Einspruch gegen das Patent zurück.

X. Zur Begründung ihres Antrags führte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes aus:

- Wie in der Entscheidungsbegründung festgestellt, offenbare das Frontsystem gemäß Dokument D1 keine Endstücke, welche der Halterung der Hebelziehgriffe dienten und in welche ein Schaltelement integriert sei. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neu.

- Er beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da die Entgegenhaltung D1 eine vollständige, in sich geschlossene Lösung für ein Frontsystem beinhalte, bei der der zur Lagerung der Hebel auf der Außenseite der Frontplatte angebrachte Kühlkörper genutzt werde, wobei das vom Hebel zu betätigende Schaltelement auf der äußeren Oberfläche der Frontplatte vorstehe. Hebel und Schaltelement seien demnach an zwei verschiedenen Teilen, nämlich am Kühlkörper und der Frontplatte, gelagert. Es gebe weiterhin keinen Anlaß, den Schalthebel, das Schaltelement und die Fixierung in von der Frontplatte getrennte Endstücke zu verlagern. Es sei Aufgabe der Erfindung, Maßnahmen zu Ergreifen, die auf möglichst einfache Weise zur Positioniergenauigkeit beitrügen. Dies sei durch die erfindungsgemäße Integration des Hebels, der Mittel zu dessen Fixierung und des Schaltelements in einem Endstück erreicht.

Zur Zulässigkeit der nach der in der Ladung zur mündlichen Verhandlung festgelegten Frist eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 trug die Beschwerdeführerin folgendes vor:

- Die Hilfsanträge seien auf eine besondere Konkretisierung der Lagerung des Schaltelements gerichtet, um einen größeren Abstand zum Stand der Technik zu erreichen. Obwohl diese Änderungen aus der Beschreibung des Patents stammten, beinhalteten sie keinen unzumutbaren Aufwand für die anderen Parteien, da die Durchführung einer kurzen Nachrecherche zumutbar sei.

- Ferner sei die Absicht, Hilfsanträge einzureichen mit dem Schreiben vom 10. Januar 2005 angekündigt worden, d. h. einen Monat vor der mündlichen Verhandlung. Hierbei sei auch auf die Merkmale dieser näheren Ausbildung hingewiesen worden. Aus diesem Grund könne die Beschwerdegegnerin durch dieses Vorbringen nicht überrascht worden sein.

- Das Patent sei ein wirtschaftliches Gut, das auch von externen Situationen abhänge und dies sei auch im laufenden Verfahren zu berücksichtigen. Der Erfinder habe seine Erfindung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und habe somit eine Vorleistung erbracht. Es sei daher dem Patentinhaber die Möglichkeit zu geben, sein Patent zu verteidigen und Änderungen vorzunehmen, die in zumutbaren Grenzen liegen.

XI. Die Beschwerdegegnerin I hat folgendes geltend gemacht:

- Dokument D1 offenbare die Anbringung eines Hebelziehgriffs in einem Eckbereich der Frontplatte. Die Einspruchsabteilung habe zwischen einem Eckbereich und einem getrennten Eckstück einen Unterschied gesehen und deshalb die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 anerkannt. Eine Trennung des Eckbereichs vom Rest der Frontplatte habe jedoch als zwangsläufige Folge, daß der Hebel und das zugehörige Schaltelement auf dem abgetrennten Eckbereich verblieben. Dies könne keine erfinderische Tätigkeit beinhalten.

XII. Die Beschwerdegegnerin III trug im wesentlichen folgendes vor:

- Ein "separates" Endstück werde im Anspruch 1 des Streitpatents nicht beansprucht und gehe lediglich aus der Beschreibung hervor. Die Frontplatte gemäß Anspruch 1 sei deshalb nicht neu (vgl. D1).

- Von einer vereinfachten Konstruktion zur Erreichung der Positioniergenauigkeit könne beim Streitpatent unter Berücksichtigung des Dokuments D1 keine Rede sein. Die Trennung eines Endbereichs einer Frontplatte in ein Endstück und das Vorsehen eines daran positionierten Halteblocks sowie ein an dem Halteblock zu positionierenden Schaltelement vereinfache die Aktiv-Passiv-Schaltung des Dokuments D1 in keiner Weise und erhöhe auch nicht deren Positioniergenauigkeit.

- Ferner sei es für den Fachmann naheliegend, um die Materialkosten zu verringern, die aus Dokument D1 bekannte Frontplatte nicht durchgehend auszubilden, sondern auf die Endstücke zu beschränken. Der Verzicht auf eine durchgehende Frontplatte sei auch naheliegend, solle ein Zugriff auf Bauteile oder Laufwerke möglich sein, die zentral auf der Platine angeordnet sind. Das Entfernen des Mittelteils habe auch keine weitere technische Wirkung, da Dokument D9 solche Frontplatten offenbare, und sei eine rein handwerkliche Maßnahme, die nur einen Schritt erfordere.

Zur Zulässigkeit der Hilfsanträge 1 und 2 trug die Beschwerdegegnerin III folgendes vor:

- Für das vorliegende Verfahren sei die geänderte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern zu berücksichtigen. In Artikel 10a (2) werde statuiert, daß die Beschwerdebegründung den vollständigen Sachvortrag des Beschwerdeführers enthalten müsse. In diesem Zusammenhang seien auch Artikel 10a (4) und 10b (1) VOBK zu berücksichtigen. - Die Hilfsanträge 1 und 2 seien 15 Monate nach der Beschwerdebegründung eingereicht, wobei die im Anspruch 1 eingeführten Merkmale sich nicht auf Gegenstände der Unteransprüche des erteilten Patents bezögen, sondern aus der Beschreibung stammten.

- Aufgrund des sehr späten Vorbringens sei es der Beschwerdegegnerin III nicht möglich gewesen, hierzu eine fundierte Argumentation vorzubereiten und/oder eventuell einschlägigen Stand der Technik zu recherchieren.

XIII. Am 10. Februar 2004 wurde vor der Kammer mündlich verhandelt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Verfahrensfragen - Stellung der Beschwerdegegnerin III

2.1 Die Firma "Knürr - Mechanik für die Elektronik AG" war im Verfahren vor der ersten Instanz als Einsprechende III beteiligt.

2.2 Der Vertreter der Einsprechenden III hat jedoch die Beschwerde der Patentinhaberin im Namen der Firma "Knürr AG" beantwortet. In weiteren Schreiben wurden abwechselnd die "Knürr - Mechanik für die Elektronik AG" und die "Knürr AG" als Partei benannt.

2.3 Gemäß den von der Beschwerdegegnerin III eingereichten Handelsregisterauszügen - HRB 5586 und HRB 65868 - ist die ursprünglich Einsprechende "Knürr-Mechanik für die Elektronik AG" durch Umwandlung der Komanditgesellschaft "Hans Knürr KG Mechanik für die Elektronik" entstanden. Sodann wurde die Firma der ursprünglich Einsprechenden bei gleichzeitiger Verlegung des Firmensitzes von München nach Arnstorf in "Knürr AG" geändert. Somit liegt im Hinblick auf den Wechsel in der Bezeichnung der Einsprechenden von "Knürr-Mechanik für die Elektronik AG" in "Knürr AG" kein Wechsel in der Rechtsperson und somit keine Rechtsnachfolge vor, sondern lediglich eine Namensänderung. Die Firma "Knürr AG" ist somit die am Verfahren beteiligte Partei (Artikel 107 EPÜ).

3. Dokument D1

3.1 Dieses Dokument offenbart ein Frontsystem einer in einen Baugruppenträger einschiebbaren Flachbaugruppe. Bei diesem bekannten Frontsystem ist eine Frontplatte 1 vorhanden, an deren Innenseite Bauteile oder Leiterplatten angebracht sein können. An der Außenseite der Frontplatte ist ein Kühlkörper mit einer Vielzahl von Kühlrippen 2 angebracht. Zwischen zwei Kühlrippen ist im unteren sowie im oberen Endbereich der Frontplatte ein Hebel 6 schwenkbar um eine zur Oberfläche der Frontplatte 1 parallel verlaufende Schwenkachse 5 gelagert. Dieser Hebel dient dem Einsetzen sowie dem Ausziehen der Baugruppe in den Träger, wobei das äußere Ende des Hebels gabelförmig ausgebildet ist und in eine entsprechende Aussparung des Trägers greift. Weiterhin weist der Hebel eine Ausnehmung 11 auf, in der, wenn die Baueinheit vollständig eingesetzt ist, eine U-förmig gebogene Drahtfeder einrastet, die auf der äußeren Oberfläche der Frontplatte 1 mit einer Schraube befestigt ist und ein unbeabsichtigtes Lösen der Baugruppeneinheit durch Schwing- und Schockbeanspruchung sicher verhindert. In dieser Stellung betätigt der Hebel 6 eine Schalttaste 15, die durch eine Öffnung der Frontplatte hindurchragt. Dadurch kann gewährleistet werden, daß die Spannungsversorgung der Baugruppeneinheit erst dann aktiviert wird, wenn alle Verbindungen zu den Steckverbindergegenstücken hergestellt sind und daß die Baugruppeneinheit nur dann aus der Aufnahme herausgezogen werden kann, wenn sich die Baugruppeneinheit in einem gesicherten Schaltzustand befindet (eine sogenannte Aktiv-Passiv-Schaltung) (vgl. Spalte 1,Zeile 68 bis Spalte 2, Zeile 2; Spalte 2, Zeilen 23 bis 43; Spalte 2, Zeile 60 bis Spalte 3, Zeile 43; Figuren 1 bis 3).

3.2 Es ist ferner unbestritten, daß das Frontsystem des Dokuments D1 keine separaten Endstücke aufweist, in denen der Hebelziehgriff, die Schalttaste sowie die Drahtfeder untergebracht sind.

4. Hauptantrag - Neuheit

4.1 Die Neuheit des im Anspruch 1 dargestellten Frontsystems wurde in Anbetracht des Dokuments D1 schon im Einspruchsverfahren bestritten. Es handelt sich im wesentlichen um die Frage, ob das im Merkmal (a) des Anspruchs 1 dargestellte "im oberen bzw. unteren vorderen Eckbereich der Flachbaugruppe angebrachte obere bzw. untere Endstück" als ein von der Frontplatte separates Teil angesehen werden muß oder ob der Fachmann unter "Endstück" auch den Endbereich der Frontplatte des Dokuments D1 versteht, da dieser ja auch, wie von der Beschwerdegegnerin III vorgetragen, als ein funktionelles Ganzes zum Einsetzen und Ausziehen der Baugruppe angesehen werden kann.

4.2 Die Frage der Neuheit kann jedoch im vorliegenden Fall unbeantwortet bleiben, da, wie nachfolgend dargestellt, das beanspruchte Frontsystem keine erfinderische Tätigkeit aufweist, selbst wenn man die Endstücke als von der Frontplatte separate Teile betrachtet.

5. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

5.1 Wie schon angesprochen, unterscheidet sich das Frontsystem des Anspruchs 1 von dem aus dem Dokument D1 bekannten Frontsystem dadurch, daß der vordere Teil der Flachbaugruppe zwei "separate" Endstücke aufweist, in denen jeweils ein Hebelziehgriff und ein entsprechendes Arretierungsmittel untergebracht sind. Ferner ist in einem dieser Endstücke ein Schaltelement vorhanden, das durch den entsprechenden Hebelziehgriff betätigt wird.

5.2 Das Patent stellt die Aufgabe, ein Frontsystem anzugeben, welches in einer präzisen und dauerhaften Weise mit einer elektrischen Aktiv-Passiv-Schaltung für die Leiterplatte versehen ist (vgl. Patentschrift, Spalte 2, Zeilen 15 bis 19). Die erfindungsgemäße Aktiv-Passiv- Schaltung soll den Vorteil haben, daß das Schaltelement durch dessen Integration in eines der Endstücke sehr exakt in eine genau definierbare Position gebracht werden kann (vgl. Patentschrift, Spalte 4, Zeilen 30 bis 34).

5.3 Diese Ausführungen in der Patentschrift beziehen sich jedoch auf den in der Einleitung des Patents dargestellten Stand der Technik, in dem das Schaltelement am Leiterplattenrand angelötet ist und somit eine genaue Positionierung bezüglich der Frontplatte extrem schwierig macht (vgl. Patentschrift, Spalte 1, Zeilen 5 bis 14).

5.4 Das Dokument D1 offenbart zwar nicht ausdrücklich, wie und wo das Schaltelement angebracht ist, da es sich in dieser Druckschrift im wesentlichen um die Darstellung eines Hebel-Arretierungsmittel handelt. Es ist indessen aus den Figuren für den Fachmann offensichtlich, daß der Schalter 15 an der Frontplatte 1 befestigt ist.

5.5 Die im strittigen Patent angegebene Aufgabe kann nicht als die objektive Aufgabe angesehen werden, wenn man das Dokument D1 als den nächstliegenden Stand der Technik berücksichtigt, da die präzise Positionierung des Schalters bezüglich des Hebels bei einem Anbringen des Schalters an der Frontplatte gleichermaßen gegeben ist.

5.6 Die Kammer stimmt mit der Beschwerdegegnerin III überein, daß das Entfernen des Mittelteils der Frontplatte des in Dokument D1 offenbarten Frontsystems als eine rein handwerkliche Maßnahme für einen Fachmann gilt, die keine erfinderische Tätigkeit beinhaltet. Sollte nämlich der Fachmann auf den mittleren Teil der Leiterplatte zugreifen müssen, z. B. um Schalter zu betätigen oder um Zugriff zu einem Laufwerk zu haben, wäre es naheliegend, den entsprechenden Teil der Frontplatte auszulassen. Dies würde jedoch zwangsläufig zu einem aus zwei Endstücken bestehenden Frontsystem führen, wobei der Hebelziehgriff mitsamt Schalter und Arretierungsmittel im Endstück verbleiben würde.

5.7 Ferner bestehen für den Fachmann keine Zweifel daran, daß eine so durchtrennte Frontplatte die notwendige mechanische Stabilität aufweist, da aus Dokument D9 Frontsysteme bekannt sind, die im wesentlichen aus zwei an der Leiterplatte befestigten Endstücken bestehen, wobei die Frontplatte zur Abdeckung des Mittelteils auswechselbar gestaltet ist (vgl. D9, Spalte 2, Zeilen 26. bis 30; Figuren). Dies gilt um so mehr, als die Steck- und Ziehkräfte beim Einsetzen und Entfernen der Baugruppe an den Endstücken ansetzen.

5.8 Auch die mechanische Stabilität innerhalb des Endstücks wird durch das Weglassen des mittleren Teils der Frontplatte nicht vermindert. Der Fachmann würde daher nicht annehmen, daß sich die Positioniergenauigkeit des Schalters im Frontsystem des Dokuments D1 durch das Weglassen des Mittelteils verschlechtern würde.

5.9 Die Kammer kommt deshalb zu der Entscheidung, daß das Frontsystem gemäß Anspruch 1 den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ nicht genügt.

6. Zulässigkeit der Hilfsanträge 1 und 2

6.1 Die Beschwerdeführerin hat die Hilfsanträge 1 und 2 am 19. Januar 2005, d. h. drei Wochen vor der mündlichen Verhandlung und damit nach dem von der Kammer in ihrem Ladungsbescheid für die Einreichung von Schriftsätzen gesetzten Endtermin eingereicht. Zwar hatte die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 10. Januar 2005 angekündigt, eventuell weiter konkretisierte Hilfsanträge einzureichen. Eine derartige Mitteilung einer bloßen Absicht ist jedoch verfahrensrechtlich unbeachtlich, selbst wenn die Art der möglicherweise beabsichtigten Änderungen in ihr andeutungsweise erwähnt wird. Eine bloße Absichtserklärung hat keinerlei Rechtswirkungen für das Verfahren. Diese haben nur von den Parteien gestellten Anträge. Deshalb haben weder die Beschwerdekammer noch erst recht die gegnerische Partei die Verpflichtung oder auch nur Anlaß, sich mit - sei es auch nur noch - nicht vorgenommenen Verfahrenshandlungen zu befassen. Eine andere Betrachtungsweise würde die Grundsätze über die Verspätung von Vorbringen und Anträgen und deren mögliche Rechtsfolgen ad absurdum führen.

6.2 Das Streitpatent wurde von der Einspruchsabteilung widerrufen. Es muß der Patentinhaberin also spätestens beim Erhalt der Entscheidung der Einspruchsabteilung bewußt geworden sein, daß ihr Patent nicht Bestand haben und die Kammer die erstinstanzliche Entscheidung aufrechterhalten könnte. Die Einreichung der Beschwerdebegründung wäre demnach der gebotene Zeitpunkt gewesen, um weitere Hilfsanträge einzureichen, die einen größeren Abstand zum Stand der Technik hergestellt hätten. Dies gilt umsomehr für den weiteren Verlauf des Verfahrens vor der Kammer, das keine wesentlichen Änderungen im Vorbringen der Parteien hervorbrachte. Auch die vorläufige Stellungnahme der Kammer warf keine neuen Gesichtspunkte auf, die eine andere Sachlage geschaffen hätten.

6.3 Die Beschwerdeführerin hat als Erklärung dafür, warum die Hilfsanträge nicht früher in das Verfahren eingebracht wurden, lediglich vorgetragen, die Überlegungen der Patentinhaberin darüber, mit welchem Inhalt die Weiterverfolgung des Patents aus Wettbewerbsgründen sinnvoll sei, seien nicht früher zu einem Abschluß gekommen. Ein Patent sei ein wirtschaftliches Gut, dessen Schicksal auch von verfahrensexternen Umständen abhänge, die jedoch für den vorliegenden Fall von der Beschwerdeführerin nicht näher spezifiziert wurden.

6.4 Sie sind auch unerheblich. Zu welchem Zeitpunkt Anträge im Beschwerdeverfahren zu stellen sind, und, wann sie mit welchen Rechtsfolgen als verspätet anzusehen sind, richtet sich allein nach den Regeln und Gegebenheiten des betroffenen Beschwerdeverfahrens. Verfahrensexterne Umstände, wie z. B. Lizenzverhandlungen mit Konkurrenten oder Verletzungsverfahren, sind keine Aspekte, die bei der Beurteilung der Frage, zu welchem Zeitpunkt das Patent inhaltlich gestaltende Anträge im Beschwerdeverfahren vorzulegen sind, berücksichtigt werden können (Siehe dazu Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Aufl. 2001, VII.D.14.2.3., S. 622), es sei denn als Begründung eines Antrags zur beschleunigten Behandlung des Falls. Darüber hinaus hängt die Frage, wie ein Patent im Einspruchs(beschwerde)verfahren mit Aussicht auf Erfolg verteidigt werden kann, zunächst einmal von den geltend gemachten Einwänden ab. Wie schon erwähnt, hat sich im vorliegenden Fall der rechtliche und faktische Rahmen des Verfahrens weder im Einspruchs- noch im Beschwerdeverfahren verändert.

6.5 Das verspätete Einreichen der Hilfsanträge 1 und 2 wurde von der Beschwerdegegnerin III gerügt. Die Beschwerdegegnerin berief sich darauf, daß es ihr in dem ab der Zustellung des gegnerischen Schriftsatzes durch die Kammer verbleibenden Zeitraum bis zur mündlichen Verhandlung nicht möglich sei, zu den Änderungen eine fundierte Argumentation vorzubereiten, insbesondere nicht, eventuell einschlägigen weiteren Stand der Technik zu recherchieren.

6.6 Das allgemeine Interesse an einer effizienten Durchführung des Beschwerdeverfahrens ist ein wichtiger Aspekt, wenn Beweismittel oder Anträge im Verfahren nach Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zugelassen werden sollen. Neues Vorbringen oder Anträge können je nach den Umständen unberücksichtigt bleiben, wenn das Verfahren nur mit einer Vertagung abgeschlossen werden kann. Eine Partei, die kurz vor der mündlichen Verhandlung einen neuen Gegenstand einbringt, muß gewärtig sein, daß dieser Gegenstand nicht zum Verfahren zugelassen wird.

6.7 Die mit Wirkung vom 1. Mai 2003 geänderte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) schreibt im Artikel 10a (2) vor, daß die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten müssen. Sie sollen neben allen Tatsachen, Argumente und Beweismittel auch alle Anträge enthalten. Änderungen des Vorbringen eines Beteiligten werden nach Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist (Artikel 10b (3) VOBK) (vgl. ABl. EPA 2003, 89).

6.8 So liegt der Fall hier. Im vorliegenden Fall sind die Änderungen des Gegenstands der Hilfsanträge 1 und 2 auf die Ausgestaltung der Integration des Schaltelements in das Endstück gerichtet. Diese Merkmale wurden jedoch weder im Einspruchs- noch im Beschwerdeverfahren vor der Einreichung der Hilfsanträge angesprochen. Das Wesen des erfindungsgemäßen Frontsystems hätte sich durch diese Änderungen von der Integration des Hebel-Schaltersystems in ein Endstück zu der Positionierung des Schalters im Endstück verschoben.

6.9 Eine gebührende Prüfung dieser Änderungen hätte zumindest eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erfordert, um der anderen Partei Gelegenheit zu geben, weiteren Stand der Technik zu recherchieren und ihre Argumentation damit auszubauen, eher dagegen hätte die Sache an die erste Instanz zurückverwiesen werden müssen.

6.10 Da die Beschwerdeführerin für die späte Vorlage der Hilfsanträge keinerlei rechtfertigenden Grund genannt hat, ist die Kammer zu der Entscheidung gelangt, die Hilfsanträge 1 und 2 nicht mehr in das Verfahren zuzulassen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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