T 0699/03 () of 2.8.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T069903.20060802
Datum der Entscheidung: 02 August 2006
Aktenzeichen: T 0699/03
Anmeldenummer: 96934758.2
IPC-Klasse: C08J 5/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Nach dem Aminoxidverfahren hergestellte Nahrungsmittelhüllen auf Cellulosebasis
Name des Anmelders: Kalle GmbH
Name des Einsprechenden: Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - ja - unzulässige rückschauende Betrachtungsweise
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das Europäische Patent Nr. 883 645 wurde auf die europäische Patentanmeldung Nr. 96 934 758.2 der Kalle Nalo GmbH & Co KG mit 14 Ansprüchen erteilt.

Der unabhängige Anspruch 1 lautete:

"Nahtlose, schlauchförmige Folie auf Cellulosebasis, erhältlich durch Extrudieren einer cellulose-, N- methyl-morpholin-N-oxid und wasserhaltigen Spinnlösung durch eine Ringspaltdüse und Behandeln des Folienschlauches in einem N-methyl-morpholin-N-oxid-haltigen, wäßrigen Spinnbad, wobei die Folie in einer Luftstrecke zwischen Ringspalt und Oberfläche des Spinnbads durch Blasverformung querverstreckt wird, dadurch gekennzeichnet, daß die Spinnlösung 0,2 bis 50 Gew.-%, bezogen auf das Gewicht der Cellulose, an modifizierenden Verbindungen enthält, die die Geschmeidigkeit, Zähigkeit, Clip- und Scherstabilität der schlauchförmigen Hülle erhöhen, wobei diese modifizierenden Verbindungen Stärke, Stärke- und Cellulosederivate, Zuckerester, Fettsäuren oder Fettsäuresalze, Wachse, Paraffine, hydrophile, in der Natur vorkommende Polymere, hydrophile, synthetische Polymere oder Polymere, die gleichzeitig hydrophile und hydrophobe Eigenschaften besitzen, sind, mit der Maßgabe, daß die modifizierenden Verbindungen keine Polyethylenimine sind."

II. Gegen das Patent wurde, gestützt auf die Bestimmungen des Artikels 100 a) EPÜ, von der Fraunhofer Gesellschaft Einspruch erhoben und der Widerruf des Patents im gesamten Umfang wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit beantragt.

III. Im Einspruchsverfahren wurde unter anderem der folgende Stand der Technik angeführt:

D1: DE-A-4 421 482

D2: EP-A-0 648 808

D5: DD-A-201 703

IV. In ihrer Entscheidung vom 15. April 2003 stellte die Einspruchsabteilung im Wesentlichen fest, dass die Verwendung einer erfindungsgemäß modifizierten Spinnlösung die gegenüber D1 vorliegende technische Aufgabe, nämlich die Bereitstellung belastbarer Schlauchfolien, löst, und dass diese Maßnahme weder durch die Lehre von D1 allein, noch durch deren Kombination mit der Offenbarung von D5 oder D2 nahe gelegt sei.

V. Gegen die dementsprechende Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen, wurde am 13. Juni 2003 von der Einsprechenden Beschwerde eingelegt und am 21. August 2003 die Beschwerdebegründung eingereicht.

VI. Am 2. August 2006 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

VII. Die Beschwerdeführerin machte folgende Argumente geltend:

- Ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik bestehe die der Erfindung zugrunde liegende technische Aufgabe darin, herkömmliche Folien mit verbesserten mechanischen Eigenschaften bereitzustellen.

- Da D1 ausdrücklich darauf hinweise, dass die Spinnlösung Zusätze enthalten könne, wie sie aus D5 - auch zur Verbesserung der Festigkeit - bekannt seien, liege es nahe, der Cellulose-Spinnlösung auch die dort fakultativ genannten "anderen Polymere", darunter Cellulosederivate, zuzusetzen, wodurch man zur Erfindung gelange.

- Die gemäß D2 verwendeten Zusätze zur Cellulose-Spinnlösung strebten zwar primär deren leichte Verformbarkeit an, die Lehre dieses Dokuments schließe aber auch das Erreichen guter mechanischer Eigenschaften der hergestellten Formkörper ein. Dass diese Zusätze zu einer Verbesserung dieser Eigenschaften führen müssen, ergebe sich daraus, dass es sich hierbei teilweise um dieselben Verbindungen wie die gemäß dem Streitpatent handle.

- Entsprechend bedürfe es keiner erfinderischen Tätigkeit, die in D2 offenbarte Maßnahme des Zusatzes von beispielsweise Cellulosederivaten auf D1 zu übertragen.

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen wie folgt vorgetragen:

- Die in D5 verwendeten Zusatzstoffe zur Herstellung von Formkörpern guter Festigkeit seien bestimmte organische Verbindungen, welche nichts mit den in Anspruch 1 definierten modifizierenden Verbindungen gemeinsam hätten.

- Darüber hinaus offenbare D5 zwar, dass der Spinnmasse bis zu 10 Gew.-% andere Polymere beigemischt sein können, über diese theoretische Erwägung hinaus enthalte D5 diesbezüglich aber keine Information.

- In D2 sei die Herstellung von Filamenten - und nicht von Schlauchfolien - beschrieben. Die genannten Additive dienten allein dazu, die Verformbarkeit der Cellulose-Lösungen zu verbessern, ohne die Eigenschaften der Filamente zu beeinträchtigen. Der Fachmann habe daher keinen Anlass, dieses Dokument zur Lösung der bestehenden Aufgabe heranzuziehen.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 883 645.

X. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

Erfinderische Tätigkeit

1. Erfindung / nächstliegender Stand der Technik

Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents ist eine nahtlose, schlauchförmige Folie auf Cellulosebasis, erhältlich durch Extrudieren einer cellulose-, N-methyl-morpholin-N-oxid (NMMNO) und wasserhaltigen Spinnlösung.

Schlauchfolien auf Cellulosebasis, die in analoger Weise nach dem NMMNO Verfahren hergestellt werden, sind aus D1 bekannt. Infolgedessen ist es auch unstrittig, dass D1 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt. D1 offenbart jedoch keine Spinnlösungen mit einem Gehalt an modifizierenden Verbindungen, wie sie Anspruch 1 des Streitpatents verlangt.

2. Aufgabe / Lösung

2.1 Gegenüber D1 kann die der Erfindung zugrunde liegende technische Aufgabe darin gesehen werden, Schlauchfolien mit verbesserten mechanischen Eigenschaften bereitzustellen. Diese Formulierung der technischen Aufgabe steht auch im Einklang mit der Beschreibung des Streitpatents, wonach erfindungsgemäß angestrebt wird, das herkömmliche NMMNO Verfahren derart zu modifizieren, dass ausreichend belastbare Folien hergestellt werden können (Seite 2, Absatz [0010]).

2.2 Als Maßnahme zur Lösung der bestehenden Aufgabe werden Schlauchfolien vorgeschlagen, die durch die Verwendung einer gemäß Anspruch 1 modifizierten Spinnlösung gekennzeichnet sind. Wie von der Beschwerdegegnerin festgestellt, belegen die Beispiele im Streitpatent die angestrebten Vorteile, welche durch den Zusatz der modifizierenden Verbindungen zur Spinnlösung erreicht werden können. Die Beschwerdeführerin hat diesen Vortrag weder widerlegt noch bestritten.

2.3 Zwar hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung angezweifelt, dass die bestehende technische Aufgabe in der gesamten Breite des Anspruchs 1 gelöst ist, sie hat jedoch keine konkreten Argumente, etwa in Bezug auf bestimmte modifizierende Verbindungen, geschweige denn überzeugende Beweise zur Stützung ihres Einwands erbracht. Ein solches Vorbringen wäre auch mit ihren Ausführungen zum Naheliegen der vorgeschlagenen Maßnahme im Hinblick auf D2 bzw. D5 nicht vereinbar (siehe hierzu Punkte 3.3 und 4.3 unten). Unter diesen Umständen kann die Kammer dem pauschalen Einwand der Beschwerdeführerin nicht folgen und geht davon aus, dass die bestehende technische Aufgabe durch den beanspruchten Gegenstand in seinem gesamten Umfang gelöst ist.

3. Kombination der Dokumente D1 und D5

3.1 Der Beschwerdeführerin ist soweit zuzustimmen, dass D1 für die Zusammensetzung von Cellulose-Lösungen und Fällungsbädern zur Herstellung von Schlauchfolien ausdrücklich auf die Druckschrift D5 verweist (D1, Seite 2, Zeilen 13 bis 14 und 66). Dort wird gelehrt, den Form- und Spinmassen auf Cellulosebasis definierte organische Verbindungen zuzusetzen, um den Abbau der Polymerkette der Cellulose zu reduzieren und Formkörper mit - im Vergleich zu Formkörpern aus Spinnmassen ohne solche Zusätze - verbesserter Festigkeit zu erhalten. Als solche "Zusatzstoffe" eignen sich organische Verbindungen, die wenigstens 4 Kohlenstoffatome und wenigstens zwei konjugierte Doppelbindungen und wenigstens zwei Gruppen von Hydroxyl- und/oder Aminogruppen mit wenigstens einem unsubstituierten Wasserstoffatom besitzen, und/oder Glycerinaldehyd (D5, Seite 3, Absätze 2 bis 4). Es ist somit unbestritten, dass die hier definierten "Zusatzstoffe" vom Wortlaut des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht umfasst sind.

3.2 Der Beschwerdeführerin ist zuzustimmen, dass im Anschluss an die Beschreibung der genannten Zusatzstoffe in D5 ausgeführt wird, dass die Form- und Spinnmassen bis zu 10 Gew.-% andere Polymere enthalten können, wobei Cellulosederivate, Chitosen, Polyamid, Polyacrylate und Polyvinylalkohol beispielhaft erwähnt sind (Brückenabsatz Seiten 3 und 4). Die fakultative Anwesenheit dieser "anderen Polymere" in der Celluloselösung ist jedoch durch kein einziges Beispiel konkretisiert. Auch offenbart D5 weder einen Wirkungszusammenhang zwischen den "anderen Polymeren" und den vorher definierten "Zusatzstoffen", noch erschließt sich aus dem gesamten Inhalt von D5, welchen Einfluss diese "anderen Polymere" auf die Spinnmasse oder auf die daraus hergestellten Folien ausüben könnten.

3.3 Die Kammer stellt fest, dass die Gruppe der fakultativen "anderen Polymere" keine einzige Verbindung enthält, die der Definition der "Zusatzstoffe" genügt. Auch spricht nichts für ein gegenüber der Celluloselösung chemisch ähnliches Verhalten der beiden Substanzklassen. Somit kann der Fachmann nicht ohne weiteres erwarten, dass der Zusatz der "anderen Polymere" zu der Cellulose-Spinnlösung einen analogen positiven Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften der hergestellten Formkörper haben würde. Infolgedessen hätte er keinen Anlass diese einzusetzen, um die bestehende technische Aufgabe zu lösen. Der Vortrag der Beschwerdeführerin, wonach der Fachmann dies auf jeden Fall versucht und zwangsläufig festgestellt hätte, dass der Zusatz eben dieser Polymere die Festigkeit der Folien verbessert, ist demnach auf eine rückschauende Betrachtungsweise zurückzuführen und daher zur Beurteilung des Naheliegens der patentgemäßen Lösung unzulässig.

4. Kombination der Dokumente D1 und D2

4.1 D2 betrifft die Herstellung von Fasern und Filamenten aus einer Cellulose-Spinnlösung enthaltend: (1) eine Cellulosekomponente mit einem Polymerisationsgrad von 500 bis 2000 und (2) eine zweite Komponente aus der Gruppe der Cellulosen mit einem Polymerisationsgrad zwischen 350 bis 900 und höchstens 90% des Polymerisationsgrads der ersten Komponente, Cellulosederivate und Polysaccharide. D2 lehrt, dass sich die Fließ- und Formbarkeit der Cellulose-Spinnlösung durch den Zusatz der zweiten Komponente verbessern lässt, ohne dabei die mechanischen Eigenschaften der Formkörper zu beeinträchtigen (Seite 2, Zeile 56 bis Seite 3, Zeile 13 und Seite 3, Zeilen 25 bis 54).

4.2 Es ist unbestritten, dass D2 die Verwendung der Spinnlösung zur Herstellung von Schlauchfolien nicht vorschlägt. In Anbetracht der unterschiedlichen Problemstellung und des Umstands, dass D2 keinen Zusammenhang zwischen den zusätzlichen Komponenten und einer eventuellen Verbesserung der mechanischen Eigenschaften der Formkörper vermuten lässt, kann die Kammer aus der Sicht des Fachmanns keinen Anlass erkennen, sich auf der Suche nach einer Lösung der bestehenden Aufgabe der Lehre von D2 zuzuwenden.

4.3 Das Argument der Beschwerdeführerin, die in D2 offenbarten Zusätze seien die gleichen wie die anspruchsgemäßen modifizierenden Verbindungen, so dass ihr Einsatz zwangsläufig zu einer Verbesserung der mechanischen Festigkeit der Formkörper führen müsse, würde zwar darauf hinaus laufen, dass die bestehende Aufgabe auf diese Weise gelöst werden könnte (siehe auch Punkt 2.3 oben). Dies überzeugt die Kammer jedoch nicht. Vielmehr ergibt sich eine derartige Wirkungsweise nicht aus D2 sondern aus dem Streitpatent. Die Argumentation beruht daher nur auf einer rückschauenden und somit unzulässigen Betrachtungsweise.

5. In der Beschwerde stützt die Einsprechende ihren Antrag auf Widerruf des Streitpatents wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht mehr auf die weiteren im Verfahren vor der ersten Instanz genannten Druckschriften. Auch für die Kammer ist nicht ersichtlich, dass die im Anspruch 1 vorgeschlagene Maßnahme sich aus einem dieser Dokumente in nahe liegender Weise herleiten ließe.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Beschwerdeführerin hat nicht gezeigt, dass die patentgemäß vorgeschlagene Lösung der der Erfindung zugrunde liegenden technischen Aufgabe aus D1 allein oder in Kombination mit einer anderen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltung herleitbar ist. Die Kammer kommt daher zu der Schlussfolgerung, dass die Schlauchfolie gemäß Anspruch 1 gegenüber dem zitierten Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, Artikel 56 EPÜ.

Die Ansprüche 2 bis 12 betreffen bevorzugte Ausführungsformen der Folien gemäß Anspruch 1; die Ansprüche 12 und 13 betreffen Verwendungen dieser Folien. Der Gegenstand dieser Ansprüche ist daher aus denselben Gründen erfinderisch, die für Anspruch 1 gelten.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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