T 0479/03 () of 8.7.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T047903.20050708
Datum der Entscheidung: 08 Juli 2005
Aktenzeichen: T 0479/03
Anmeldenummer: 97104336.9
IPC-Klasse: B65D 85/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Klappschachtel, insbesondere für Zigaretten
Name des Anmelders: Focke & Co. (GmbH & Co. KG)
Name des Einsprechenden: G. D S.p.A.
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 111
European Patent Convention 1973 Art 123
European Patent Convention 1973 R 57a
Schlagwörter: Auslegung des Anspruchs 1
Verspätet eingereichte Entgegenhaltungen (zugelassen)
Zurückverweisung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 0 801 010 zu widerrufen, Beschwerde eingelegt.

Im Einspruchsverfahren war das Patent in vollem Umfang im Hinblick auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit), 100 b) (mangelnde Offenbarung) und 100 c) EPÜ (unzulässige Erweiterung) angegriffen worden.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß der Anspruch 1 nach dem Haupt- und Hilfsantrag auf drei verschiedene Arten ausgelegt werden könne. Da betreffend eine dieser Arten die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne, wurde das Patent widerrufen.

Im Beschwerdeverfahren wurden die folgenden, mit Fax vom 7. Juli 2005, d. h. einen Tag vor der mündlichen Verhandlung, übermittelten, Entgegenhaltungen

A9: WO 96/37413

A10: EP-A-0 443 930

berücksichtigt.

II. Am 8. Juli 2005 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

III. Dem Beschwerdeverfahren liegen die folgenden Anträge zugrunde.

Die Beschwerdeführerin beantragte als Haupt- und als Hilfsantrag die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung vom 8. Juli 2005 überreichten Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hauptantrag und hilfsweise der überreichten Ansprüche 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag. Weiterhin beantragte die Beschwerdeführerin die Zurückverweisung an die erste Instanz zur weiteren Prüfung bzw. die Nichtzulassung der Entgegenhaltungen A9 und A10 bzw. die Anberaumung einer erneuten mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 01)beantragte die Zurückweisung der Beschwerde bzw. die Zulassung der Entgegenhaltungen A9 und A10 und Zurückverweisung an die erste Instanz zur weiteren Prüfung.

Seitens einer früheren Einsprechenden 02 wurde der Einspruch zurückgenommen. Die Einsprechende 02 ist damit, soweit das vorliegende Beschwerdeverfahren betroffen ist, keine Beteiligte mehr (Artikel 107 EPÜ).

IV. Der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"1. Klappschachtel für eine Zigaretten-Gruppe oder anderen Packungsinhalt, bestehend aus einem Schachtelteil (10) und einem mit diesem klappbar verbundenen Deckel (11), sowie aus einem vorzugsweise aus einem gesonderten Zuschnitt gebildeten Kragen (35) mit Kragen-Vorderwand (36) und Kragen-Seitenwänden (37, 38), wobei der Kragen (35) mit einem Kragen-Oberteil (39) aus dem Schachtelteil (10) herausragt, derart, dass das Kragen-Oberteil (39) in Schließstellung durch den Deckel (11) umfasst ist, wobei Organe zur Stabilisierung der Schließstellung im Bereich der Außenseite mindestens einer der Kragen-Seitenwände (37, 38) vorgesehen sind, und wobei der Deckel (11) Deckel-Seitenwände (19, 20) aufweist, die durch einander zumindest teilweise überdeckende Deckel-Seitenstreifen (30, 31) gebildet sind, und wobei an der Außenseite der mindestens einen Kragen-Seitenwand (37, 38) und an der Innenseite mindestens einer der innenliegenden Deckel- Seitenstreifen (31) Vorsprünge (40, 43, 44) und/oder Vertiefungen (46) gebildet sind, die in Schließstellung formschlüssig miteinander in Eingriff sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorsprünge (40, 43, 44) zum formschlüssigen Eingriff mit anderen Vorsprüngen (40, 43, 44) und/oder Vertiefungen (46) jeweils eine quer zur Längserstreckung der Klappschachtel gerichtet (richtig: gerichtete) Stützfläche (41) aufweisen.".

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die geänderten Ansprüche entsprächen den Erfordernissen gemäß den Artikeln 84 und 123, sowie der Regel 57a EPÜ.

Die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1, nach denen die Vorsprünge zum formschlüssigen Eingriff mit anderen Vorsprüngen und/oder Vertiefungen jeweils eine quer zur Längserstreckung der Klappschachtel gerichtete Stützfläche aufweisen, definierten, neben der Erstreckung der Stützfläche in Richtung des Vorsprunges eine weitere Erstreckung der Stützfläche senkrecht dazu als quer zur Längserstreckung der Klappschachtel verlaufend. Damit sei die Lagenanordnung der Stützfläche jedes Vorsprungs so angegeben, dass die im Anspruch 1 definierte Wirkung des formschlüssigen Eingriffs erreicht werde. Unabhängig davon könne die Stützfläche, wie in dem Streitpatent beschrieben (Spalte 5, Zeilen 5. - 13) und aus den Figuren 4 und 8 ersichtlich, in Querschnittsrichtung schräggerichtet sein.

Die Entgegenhaltungen A9 und A10 seien prima facie relevant. Da durch diese Entgegenhaltungen ein neuer Sachverhalt eingebracht worden sei sei, für dessen Berücksichtigung in zwei Instanzen, die Angelegenheit an die erste Instanz zurückzuverweisen.

VI. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Bezüglich der Änderungen des Anspruchs werde betreffend die Erfordernisse gemäß den Artikeln 84 und 123, sowie der Regel 57a EPÜ kein Einwand erhoben.

Der durch die Kammer im Verlaufe der mündlichen Verhandlung gegeben Auslegung der Merkmale des Anspruchs 1, durch die die Lageanordnung jeder Stützfläche definiert werde, werde zugestimmt.

Die Entgegenhaltungen A9 und A10 seien prima facie relevant. Beide Entgegenhaltungen würden als neuheitsschädlich erachtet werden; A9 werde dabei als Stand der Technik gemäß Artikel 54(3) EPÜ erachtet ohne dass die Voraussetzungen hierfür (wirksamer Eintritt in die regional Phase; Wirksamkeit der Priorität) bislang geprüft worden seien. Durch die Entgegenhaltung A10 werde darüber hinaus der Gegenstand des Anspruchs 1 auch nahegelegt. Beide Entgegenhaltungen seien, nachdem sie von der Einsprechenden zufällig entdeckt worden waren, aufgrund ihrer Relevanz unverzüglich eingereicht worden. Insofern läge kein verfahrensmissbräuchliches Verhalten vor.

Aufgrund der Relevanz der beiden Entgegenhaltungen werde es als sachdienlich erachtet sie in das Verfahren zuzulassen und die Angelegenheit an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag

Der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (im folgenden: Anspruch 1) weist als Oberbegriff die Merkmale des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung auf. Die hinzugefügten kennzeichnenden Merkmale ergeben sich aus der Beschreibung (Spalte 4, Zeile 52 - Spalte 5, Zeile 16).

Die Kammer hat die Ansprüche gemäß Haupt- und Hilfsantrag im Hinblick auf die Erfordernisse der Artikel 84 und 123 sowie die Regel 57a EPÜ überprüft mit dem Ergebnis, dass die diesen Ansprüchen zugrunde liegenden Änderungen im Einklang mit den Erfordernissen dieser Bestimmungen des EPÜ sind.

2. Auslegung des Anspruchs 1 (Hauptantrag)

Es war zunächst zwischen den Parteien umstritten in welcher Weise die durch Merkmale des Anspruchs 1 einschließlich der kennzeichnenden Merkmale definierte Stützfläche verläuft. Dabei war insbesonders von Bedeutung, wie das kennzeichnende Merkmal, gemäß dem die Vorsprünge ... jeweils eine quer zur Längserstreckung der Klappschachtel gerichtete Stützfläche aufweisen, auszulegen ist.

Die Kammer konnte sich den von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumenten anschließen und kam zu folgender Auslegung betreffend die Lageanordnung der nach dem Anspruch 1 vorgesehenen Stützflächen. Danach sind an der Außenseite der mindestens einen Kragen- Seitenwand und an der Innenseite mindestens einer der innenliegenden Deckel-Seitenstreifen Vorsprünge und/oder Vertiefungen ausgebildet, die in Schließstellung formschlüssig miteinander in Eingriff sind. Die Vorsprünge weisen zum formschlüssigen Eingriff mit anderen Vorsprüngen und/oder Vertiefungen jeweils eine Stützfläche auf. Damit ist die Stützfläche in einer Richtung, nämlich derjenigen in der sich der Vorsprung aus einer Kragen-Seitenwand bzw. einem Deckel- Seitenstreifen erstreckt, festgelegt. Durch das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1, nach dem die Stützfläche quer zur Längserstreckung der Faltschachtel gerichtet ist, wird die Stützfläche in einer senkrecht zu der erstgenannten Richtung verlaufenden, weiteren Richtung festgelegt.

Diese Auslegung der die Lage der Stützflächen definierenden Merkmale des Anspruchs 1 ergibt sich unter Berücksichtigung der Beschreibungsteile betreffend die Ausbildung der Stützflächen (Spalte 4, Zeile 52 - Spalte 5, Zeile 16), der in der Beschreibung enthaltenen Richtungsangaben (Spalte 3, Zeilen 33 - 39; Zeilen 49. - 53), der das Zusammenwirken der Stützflächen betreffenden Beschreibungsteile (Spalte 2, Zeilen 3 - 9; Spalte 5, Zeilen 17 - 30) sowie der zeichnerischen Darstellung von Vorsprüngen nach den Figuren 3 - 8 und 10.

Diese, dem weiteren Verfahren zugrunde zulegende, Auslegung betreffend den Verlauf der Stützflächen gilt, solange ein formschlüssiges Eingriff mit einem anderen Vorsprung und/oder einer Vertiefung möglich ist, unabhängig von einer etwaigen schräggerichteten Anordnung der Stützfläche (Spalte 5, Zeilen 1 - 16; Figuren 4 und 8).

Diese Auslegung betreffend die Lageanordnung der Stützflächen ist, nachdem ihr die Beschwerdegegnerin am Ende der mündlichen Verhandlung zugestimmt hat, nunmehr unstreitig. Sie entspricht im wesentlichen der Auslegung nach der Alternative b) der angefochtenen Entscheidung (vgl. Gründe Nr. 2. und 3.)

3. Verspätetes Vorbringen

Mit Fax vom 7. Juli 2005, also einen Tag vor der mündlichen Verhandlung die termingerecht am 8. Juli 2005 stattfand, reichte die Beschwerdegegnerin die Entgegenhaltungen A9 und A10 ein.

Ein Umstand der das verspätete Einreichen der beiden Entgegenhaltungen rechtfertigen könnte wurde nicht dargelegt. Ein derartiger Umstand ergibt sich auch nicht aus der Änderung des Anspruchs 1, durch die lediglich die Lageanordnung der Stützflächen definierende Merkmale klargestellt worden sind. Ein derartiger Umstand ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Beschwerdegegners, nach dem die beiden Entgegenhaltungen in zufälliger Weise durch die Einsprechende aufgefunden worden seien und nach dem sie, aufgrund der, ihrer Meinung nach, ersichtlichen hohen Relevanz, nach ihrem Auffinden unverzüglich eingereicht worden seien.

Die Beantwortung der Frage, ob die verspätet eingereichten Entgegenhaltungen A9 und A10 allein aufgrund ihrer unentschuldeten Verspätung nicht zu berücksichtigen sind, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Für die Kammer ist nämlich betreffend die Beurteilung der Frage, ob die verspätet eingereichten Entgegenhaltungen A9 und A10 zu berücksichtigen sind oder nicht, im vorliegenden Fall das Verhalten der Beschwerdeführerin maßgebend.

Diese hat zum einen keinen grundsätzlichen Einwand gegen die Berücksichtigung der verspätet eingereichten Entgegenhaltungen geltend gemacht. Der Vertreter der Beschwerdeführerin hat vielmehr einer eingehenden Berücksichtigung dieser Entgegenhaltungen schon während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer ausschließlich aus sachlichen Gründen widersprochen, weil die Zeitspanne zwischen dem Einreichen dieser Entgegenhaltungen und der mündlichen Verhandlung zu knapp gewesen sei um die, für eine Verteidigung des Streitpatents, erforderliche Rücksprache mit der Patentinhaberin bzw. den Erfindern zu halten. Die Beschwerdeführerin hat weiter die beiden Entgegenhaltungen bezüglich ihres Inhalts prima facie zumindest für so relevant erachtet, dass sie nicht ausschließen wollte, dass deren Berücksichtigung eine weitere Änderung des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag erforderlich machen könnte.

Aufgrund dieses Verhaltens der Beschwerdeführerin zu dem verspäteten Einreichen der beiden Entgegenhaltungen sieht die Kammer, ohne auf die Frage eines etwaigen Verfahrensmissbrauchs einzugehen, keine Veranlassung dafür, diese Entgegenhaltungen unabhängig von deren Relevanz nicht in das Verfahren zuzulassen.

Weiterhin sieht die Kammer betreffend den Inhalt der Entgegenhaltungen A9 und A10 keine Anhaltspunkte dafür, hinsichtlich der Frage, ob die Entgegenhaltungen A9 und A10 prima facie hochrelevant sind, von der übereinstimmenden Auffassung beider Parteien abzuweichen.

Die Entgegenhaltungen A9 und A10 sind somit zu berücksichtigen.

4. Zurückverweisung

Damit der Beschwerdeführerin ausreichend Zeit für eine Berücksichtigung der Entgegenhaltungen A9 und A10 und eine etwaig vorzunehmende Änderung der Ansprüche zur Verfügung steht und sich diesbezüglich kein Instanzverlust ergibt übt die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 111(1) EPÜ dahingehend aus, die Angelegenheit entsprechend Anträgen beider Parteien zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.

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