T 0471/03 (ITO-Pulver/HERAEUS) of 23.5.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T047103.20050523
Datum der Entscheidung: 23 Mai 2005
Aktenzeichen: T 0471/03
Anmeldenummer: 98104890.3
IPC-Klasse: C01G 19/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung eines ITO-Mischkristallpulvers mit geringem elektrischem Widerstand
Name des Anmelders: W. C. Heraeus GmbH
Name des Einsprechenden: Sumitomo Chemical Co., Ltd.
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
Schlagwörter: Berücksichtigung eines im Beschwerdeverfahren eingereichten Versuchsberichts: ja
Neuheit: nein (im Beschwerdeverfahren geänderte Asnprüche)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 23. April 2003 eingereichte Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 0 879 791 in geändertem Umfang.

II. Der Einspruch war lediglich gegen den unabhängigen Produktanspruch 5 und die davon abhängigen Ansprüche 6 und 7 des Streitpatents gerichtet gewesen. Der unabhängige Anspruch 5 des erteilten Patents hat folgenden Wortlaut:

"5. Mischkristallpulver aus Indium-Zinn-Oxid mit mindestens 90 Vol. % Indium-Zinn-Oxid Mischkristallphase im Kristallgitter von Indiumoxid, dadurch gekennzeichnet, daß das auf 35 % bis 50 % seiner theoretischen Dichte verdichtete Indium-Zinn-Oxid Mischkristallpulver einen spezifischen elektrischen Widerstand im Bereich von 0,01 Omegacm bis 95 Omegacm aufweist."

III. Im Einspruchsverfahren wurde eine offenkundige Vorbenutzung eines Indium-Zinn-Oxid-Pulvers durch Verkauf geltend gemacht. Es wurden unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen beziehungsweise Beweismittel angezogen:

D1: Yuzo Shigesato et al., "Crystallinity and electrical properties of tin-doped indium oxide films deposited by DC magnetron sputtering", Applied Surface Science, 48/49 (1991), Seiten 269 bis 275

D3: Kopie des Deckblatts (und dessen Übersetzung ins Englische) und der Seite 190 eines Katalogs der Firma Kojundo Chemical Laboratory Co.

D4: Kopie einer Bestätigung (und deren Übersetzung ins Englische) der Firma Kojundo Chemical Laboratory Co. über eine in 1994 erfolgte Lieferung von Indium-Zinn-Oxid ("ITO")-Pulver an die Sumitomo Chemical Co., Ltd.

D5: "Experimental Report 1" der Sumitomo Chemical Co. Ltd.

D6: "Experimental Report 2" der Sumitomo Chemical Co. Ltd.

D13: Grafische Darstellung der Messwerte aus D6 (relative Dichte und spezifischer elektrischer Widerstand) als Funktion des Kompaktierdrucks

IV. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens wurden verschiedene geänderte Anspruchssätze eingereicht. In der angefochtenen Entscheidung wurde Anspruch 5 des am 21. Januar 2003 eingereichten Hauptantrags und Anspruch 6. des am gleichen Tag eingereichten 1. Hilfsantrags unter Artikel 123 (2) EPÜ beanstandet. Der Hilfsantrag 1' wurde wegen mangelnder Neuheit des Produkts gemäß Anspruch 5 im Hinblick auf die offenkundige Vorbenutzung des in D3 erwähnten ITO- Pulvers unter Berücksichtigung von D6 und D13 abgelehnt. Der damalige 2. Hilfsantrag wurde als gewährbar angesehen.

V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat mit ihrer Beschwerdebegründung vom 26. Juni 2003 fünf geänderte Anspruchssätze als Hauptantrag beziehungsweise 1. bis 4. Hilfsantrag eingereicht. Die jeweiligen Ansprüche 5 der Hilfsanträge 1, 3 und 4 haben den selben Oberbegriff wie der erteilte Anspruch 5. Die kennzeichnende Teile dieser Ansprüche haben folgende Wortlaute (Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 5 sind hervorgehoben):

1. Hilfsantrag:

"5. ... dadurch gekennzeichnet, daß das auf 40 % bis 50 % seiner theoretischen Dichte verdichtete Indium- Zinn-Oxid Mischkristallpulver einen spezifischen elektrischen Widerstand im Bereich von 0,01 Omegacm bis 20 Omegacm aufweist."

3. Hilfsantrag:

"5. ... dadurch gekennzeichnet, daß das auf 40 % seiner theoretischen Dichte verdichtete Indium-Zinn-Oxid Mischkristallpulver einen spezifischen elektrischen Widerstand im Bereich von 0,01 Omegacm bis 20 Omegacm aufweist."

4. Hilfsantrag:

"5. ... dadurch gekennzeichnet, daß das auf 50 % seiner theoretischen Dichte verdichtete Indium-Zinn-Oxid Mischkristallpulver einen spezifischen elektrischen Widerstand im Bereich von 0,01 Omegacm bis 95 Omegacm aufweist."

Zusätzlich hat sie folgende Dokumente eingereicht:

D14: E. Dörre und H. Hübner, "Alumina", Springer Verlag, 1984, Seiten 196 bis 199

D15: Diagramm Dichte zu Pressdruck für In2O3-Pulver der Firma CFM Oskar Tropitzsch

D16: A. Petzold, Anorganisch-nichtmetallische Werkstoffe, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, 3. Auflage, Kapitel 2.9.2, Seiten 55 bis 56

Sie vertrat die Auffassung, dass die Änderungen der Ansprüche unter Artikel 123 (2) EPÜ nicht zu beanstanden seien und dass deren Gegenstand bei gebührender Beachtung von D14, D15 und D16 auch im Hinblick auf das vorbenutzte Pulver gemäß D3/D4/D6/D13 als neu anzusehen sei.

VI. In ihrem Antwortschreiben hat die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) bezüglich der geänderten Ansprüche Einwände unter Artikel 123 (2) und (3) EPÜ erhoben. Ferner machte sie geltend, dass auch die Pulver gemäß dem jeweiligen unabhängigen Produktanspruch 5 aller Anträge im Hinblick auf das durch Vorbenutzung öffentlich zugänglich gemachte, in D3 erwähnte Pulver nicht neu seien. Zur Untermauerung dieses Einwands hat sie einen weiteren Versuchsbericht D17 eingereicht.

VII. In ihrer Stellungnahme vom 10. Mai 2004 hat die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf ein zusätzliches Diagramm die Einwände unter Artikel 123 EPÜ zurückgewiesen. Sie hat ferner die Glaubhaftigkeit des Versuchsberichts D17 in Frage gestellt und dessen Nichtberücksichtigung wegen verspäteten Vorbringens für angemessen gehalten.

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat ihren Einspruch mit Schreiben vom 8. April 2005 zurückgezogen.

IX. Mit ihrem Schreiben vom 19. April 2005 hat die Beschwerdeführerin zwei der bis dahin vorliegenden Anträge (Hauptantrag und 2. Hilfsantrag vom 26. Juni 2003) fallen gelassen.

X. Am 23. Mai 2005 fand eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführerin statt.

XI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents gemäß dem früheren 1. Hilfsantrag vom 26. Juni 2003 als Hauptantrag oder

hilfsweise gemäß dem früheren 3. Hilfsantrag vom 26. Juni 2003, als nunmehriger 1. Hilfsantrag oder

hilfsweise gemäß dem früheren 4. Hilfsantrag vom 26. Juni 2003, als neuer 2. Hilfsantrag.

XII. Die wesentlichen, bezüglich der vorliegenden Anträge relevanten Argumente der Parteien können wie folgt zusammengefasst werden:

Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung auf Befragung durch die Kammer eingeräumt, dass bei formeller und inhaltlicher Berücksichtigung von D17 die Neuheit der Gegenstände der Ansprüche 5 aller vorliegenden Anträge im Hinblick auf den im Jahr 1994 erfolgten Verkauf des ITO-Pulvers der Firma Kojundo Chemical Laboratory Co (in der Folge mit "Kojundo- Pulver" bezeichnet) an die Beschwerdegegnerin nicht anerkannt werden könne.

Sie war jedoch der Auffassung, dass D17 wegen verspäteten Vorbringens nicht zu berücksichtigen sei. Insbesondere sei der Beschwerdegegnerin bereits zum Zeitpunkt der Einlegung ihres Einspruchs bewusst gewesen, dass der Bereich von 35 % bis 50 % der theoretischen Dichte von Belang und daher zu diskutieren war. Zudem seien im erteilten Anspruch 6 Werte von 40 % oder mehr besonders hervorgehoben. Anstatt Werte von mehr als 40 % auf Basis einer Extrapolation der Messergebnisse aus D6 anzugreifen, hätte die Einsprechende Versuche gemäß D17 bereits mit dem Einspruchsschriftsatz eingereicht werden können und müssen. Auch ihr auf D1/D5 basierender Angriff sei durch Versuche bei einem Wert von 44 % der theoretischen Dichte untermauert worden. Die Beschwerdeführerin verwies zudem auf ihre bereits im Einspruchsverfahren geäußerten Zweifel bezüglich der Kompaktierbarkeit des Kojundo-Pulvers. Ein Versuchsbericht wie D17 hätte spätestens als Reaktion auf diese Bedenken vorgelegt werden müssen.

Die Beschwerdeführerin machte auch geltend, dass sich aus D17 selbst nicht unmittelbar ergebe, dass die Versuche gemäß D17 tatsächlich mit unbehandeltem beziehungsweise noch unbenutztem Original-Pulver gemäß D3 durchgeführt wurden. Da einiges dagegen spräche, wäre ihrer Auffassung nach zumindest eine eidesstattliche Erklärung oder eine Bestätigung der Art von D4 notwendig gewesen, um diesen Nachweis zu erbringen. Sie verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Unterschiede in den gemäß D6 beziehungsweise D17 bei gleichen Drücken gemessenen Werten für die relative Dichte. Sie sah es als seltsam an, dass überhaupt etwas von diesem 1994 gekauften Pulver bis 2001 (Jahr des Einspruchs) aufgehoben worden sei. Ferner sei es fraglich, ob es noch in ausreichenden, die Durchführung der Tests gemäß D5/D6 und D17 ermöglichenden Mengen zur Verfügung gestanden habe. Merkwürdig erschien der Beschwerdeführerin auch, dass Messungen am Kojundo- Pulver bei Verdichtung auf mehr als 39 % der theoretischer Dichte (D17) erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens durchgeführt wurden, und dies obwohl das gemäß D1 hergestellten Pulver bereits im Einspruchsverfahren bei Verdichtung auf 44 % der theoretischen Dichte untersucht worden war.

Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren auch bezüglich der neu eingereichten Ansprüche 5 mangelnde Neuheit im Hinblick auf das vorbenutzte Kojundo-Pulver geltend gemacht. Die Versuche gemäß D6 wurden mit besagtem Pulver wiederholt, wobei es aber bis auf 50 % Dichte verdichtet wurde. Die zusätzlich erhaltenen, in D17 wiedergegebenen Messwerte zeigten zweifelsfrei, dass dieses Pulver tatsächlich auf bis zu 50 % der theoretischen Dichte verdichtbar sei, und dass der spezifische elektrische Widerstand bei einer Dichte von 40 % im Bereich 0,01 bis 20 Omegacm liegen müsse.

Zu den später erhobenen Einwänden der Beschwerdeführerin betreffend den Zeitpunkt der Einreichung des Versuchsberichts D17 und die Glaubhaftigkeit seines Inhalts liegt keine Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vor.

Entscheidungsgründe

1. Der jeweilige Anspruch 5 aller drei Anträge umfasst unter anderem Pulver, deren Offenbarung in der ursprünglichen Anmeldung nicht angezweifelt worden ist. Da gewisse dieser ursprünglichen offenbarten Pulver unstreitig nicht neu sind (siehe die folgenden Punkte 2. bis 2.3.2), erübrigt sich eine weitergehende Stellungnahme zu möglichen Einwänden unter Artikel 123 EPÜ.

2. Neuheit

2.1 D4 ist eine Bestätigung der Firma Kojundo Chemical Laboratory Co betreffend eine im September 1994 erfolgte Lieferung einer Menge von 100g eines ITO-Pulvers an die Beschwerdegegnerin. Das gelieferte Produkt ist darin unter anderem durch folgende Angaben gekennzeichnet: "In2O3+SnO2 95:5 wt.%", "Code No. INF01PA", Reinheit "4N" und Chargennummer "Lot 31835F". Aus dem Katalog D3 ist ersichtlich, dass ein derartiges ITO Pulver ("ITO powder") 1993 in Gebinden von 100g von der Firma Kojundo Chemical Laboratory Co vertrieben wurde, siehe D3, Seite 190, oberstes in der Tabelle angegebenes Produkt. Dort finden sich neben dem Preis und der Gebindegröße ebenfalls die folgenden Angaben: "Code No INF01PA", "Purity 4N" und "In2O3+SnO2 95:5wt.%". Es war nicht bestritten worden, dass dieses in D3 erwähnte ITO-Pulver frei erhältlich war und zumindest durch die in D4 belegte Lieferung von 100g davon der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war.

2.2 Aus dem Versuchsbericht D6 geht unter anderem hervor, dass das gelieferte Pulver röntgendiffraktometrisch und iodometrisch analysiert wurde, mit dem unbestrittenen und plausiblen Ergebnis, dass über 95 Vol. % des Pulvers als ITO-Mischkristallphase im Kristallgitter von Indiumoxid vorliegen. In D6 sind ferner die Ergebnisse von gemäß der in D5 angegebenen Methode vorgenommenen Messungen des spezifischen elektrischen Widerstands an dem besagten Pulver bei unterschiedlich starker Verdichtung wiedergegeben. D6 gibt auch die entsprechenden, dabei erreichten relativen Dichten an, ausgedrückt in Prozent der theoretischen Dichte. Die gemessenen Wertepaare sowie der angewandte Kompressionsdruck sind in D13 graphisch dargestellt. Der höchste Druck, bei dem gemessen wurde, führte zu einer Verdichtung auf 39 % der theoretischen Dichte. Der entsprechende spezifische elektrische Widerstand beträgt 0,26 Omegacm.

2.3 Die Messwerte (Druck, relative Dichte und spezifischer elektrischer Widerstand) aus D6/D13 sind auch in D17 noch ein Mal tabellarisch dargestellt (siehe "Data of D13"). Zusätzlich werden in D17 die Ergebnisse weiterer Messungen wiedergegeben, die laut der Beschwerdegegnerin ebenfalls an dem 1994 vorbenutzten Kojundo-Pulver vorgenommen wurden. Die dargestellten Ergebnisse besagen, dass das Pulver bei Drücken bis zu 520 kgf/cm2 auf bis zu 50,5 % der theoretischen Dichte verdichtet werden konnte, wobei der spezifische elektrische Widerstand bis auf 0,02 Omegacm gesenkt werden konnte. Aber bereits bei einem Druck von 58 kgf/cm2 (38,8 % der theoretischen Dichte) wurde ein spezifischer elektrischer Widerstand von lediglich 0,29 Omegacm gemessen. Siehe dazu die Tabelle "New Data".

2.3.1 Aus den in D17 wiedergegebenen Messdaten geht einerseits hervor, dass das untersuchte Pulver auch auf Werte von 40 bis 50 % der theoretischen Dichte verdichtet werden kann. Andererseits geht durch Intrapolation der in der Tabelle "New Data" wiedergegebenen Ergebnisse aus D17 auch hervor, dass bei Verdichtung auf 40 % oder 50 % der theoretischen Dichte, aber auch bei Verdichtung auf dazwischen liegende Dichte-Werte, der spezifische elektrische Widerstand jeweils zwischen 0.29 und 0.02 Omegacm liegen muss, also innerhalb der beanspruchten Bereiche 0.01 bis 20 Omegacm (Hauptantrag und 1. Hilfsantrag) beziehungsweise 0.01 bis 95 Omegacm (2. Hilfsantrag). Diese Ergebnisse stehen auch im Einklang mit den in D6/D13 wiedergegebenen Messdaten, aus denen ersichtlich ist, dass das untersuchte Pulver bereits bei Verdichtung auf weniger als 40 % der theoretischen Dichte einen spezifischen elektrischen Widerstand von weniger als 1 Omegacm aufweist.

2.3.2 Bei Berücksichtigung der Messdaten aus D17 kann die Neuheit der jeweiligen Gegenstände der Ansprüche 5 aller drei Anträge demnach nicht anerkannt werden. Dies ist von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung auch nicht bestritten worden. Sie hat sich lediglich gegen eine Berücksichtigung von D17 ausgesprochen. Es bleibt demnach zu prüfen, ob im Licht der Argumente der Beschwerdeführerin eine Nicht-Berücksichtigung von D17 angebracht ist oder nicht.

3. Verspätetes Vorbringen

3.1 Anspruch 5 des erteilten Streitpatents bezog sich auf bei relativen Dichten von 35 bis 50 % gemessene Werte des spezifischen elektrischen Widerstands. Laut dem mit dem Einspruch eingereichten Versuchsbericht D6 wurden die Werte des vorbenutzten Kojundo-Pulvers bei relativen Dichten gemessen, welche innerhalb dieses Bereichs liegen, nämlich bei Dichten von 35 % bis 39 %. Die Beschwerdegegnerin hat ferner bereits in ihrem Einspruchsschriftsatz geltend gemacht, dass eine Extrapolation der Werte gemäß dem eingereichten Beweismaterial zeige, dass das Kojundo-Pulver auch für den erteilten abhängigen Anspruch 6, der den spezifischen elektrischen Widerstand des beanspruchten Pulvers bei 40 % Dichte angibt, neuheitsschädlich sei (siehe Seite 5, Punkt 3.2). Sie war also offensichtlich stets der Auffassung, dass eine höhere Verdichtung des Kojundo-Pulvers und somit auch höhere Dichtewerte als 39 %, und insbesondere Dichtewerte von 40 % oder mehr, bei entsprechend höheren Drücken auch möglich sein müssten, ungeachtet der Tatsache das der höchste in D6 erwähnte Dichtewert 39 % beträgt. In ihrem Schreiben vom 14. November 2002 hat sie dies in Reaktion auf die von der Patentinhaberin vorgenommenen Änderungen von Anspruch 5 unter Bezugnahme auf D13 auch deutlich zum Ausdruck gebracht (siehe Seite 5, Absatz 2.4). Folglich waren von ihrer Warte aus gesehen bezüglich der Aufnahme der Untergrenze von 40 % Dichte in den geänderten Anspruchs 5 gar keine weiteren Versuchsberichte erforderlich. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass bei den Versuchen zur Offenbarung von D1 (siehe D5) das dort untersuchte Pulver zur Messung des spezifischen elektrischen Widerstands auf eine relative Dichte von 44 % verdichtet wurde. Da dieses Pulver nach einem anderen Herstellverfahren erhalten wurde, ist es möglicherweise bei vergleichbaren Mess-Drücken besser verdichtbar. Letztendlich hat das bezüglich des vorbenutzten Kojundo-Pulvers eingereichte Beweismaterial im Einspruchsverfahren zur Ablehnung eines geänderten Anspruchs 5 geführt, der auf ein ITO-Pulver mit spezifischen elektrischen Widerstand von 0,01 bis 20 Omegacm bei einer Verdichtung auf 40 % der theoretischen Dichte gerichtet war. In ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin jedoch nach wie vor die Verdichtbarkeit des vorbenutzten Kojundo-Pulvers auf Werte von mehr als 39 % der theoretischen Dichte angezweifelt und geltend gemacht, dass eine derartige Verdichtbarkeit auch nicht nachgewiesen worden sei. Der Versuchsbericht D17 wurde von der Beschwerdegegnerin im Gegenzug als Nachweis dafür eingereicht, dass das Kojundo-Pulvers zweifelsfrei auf bis zu 50 % der theoretischen Dichte verdichtbar sei.

3.2 Bezüglich der Frage, ob D17 wegen verspäteten Vorbringens unberücksichtigt bleiben soll, stellt die Kammer zunächst Folgendes fest: Die Relevanz von D17 steht außer Frage. Eine frühere Einreichung von D17 war aus Sicht der Beschwerdegegnerin selbst im Hinblick auf die in Anspruch 5 vorgenommene Änderung des als Untergrenze für die relative Dichte angegebenen Wertes von 35 % auf 40 % nicht notwendig, auch wenn sie, was aus obigem Punkt 3.1 hervorgeht, im Prinzip möglich war. Der Einreichung von D17 im Beschwerdeverfahren lag vielmehr das Bestreben zugrunde, die in der Beschwerdebegründung unter Einreichung von weiterem Beweismaterial (D14 und D15) erneut vorgebrachten Zweifel an der Verdichtbarkeit des vorbenutzten Kojundo- Pulvers auf relative Dichten von 40 % und mehr durch Vorlage von zusätzlichem Beweismaterial restlos auszuräumen. Die Einreichung von D17 ist also als Reaktion auf den Beschwerdeschriftsatz anzusehen. Auch hat die Beschwerdeführerin ausreichend Zeit gehabt, sich mit dem Inhalt der D17 auseinanderzusetzen.

3.3 Die Einreichung von D17 hatte keine Verzögerung des Verfahrens zur Folge. Auch sind die Bedingungen des Artikels 113 (1) EPÜ nicht verletzt worden. Daher hat die Kammer unter Berücksichtigung aller Umstände im vorliegenden Fall im Rahmen des ihr durch Artikel 114 (2) EPÜ eingeräumten Ermessensspielraums beschlossen, den Inhalt von D17 trotz dessen Einreichung erst im Einspruchsbeschwerdeverfahren, nicht wegen verspäteten Vorbringens unberücksichtigt zu lassen.

4. Glaubhaftigkeit des Inhalts von D17

4.1 In ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung (Seite 5, letzter Absatz) hat die Beschwerdegegnerin angegeben, dass die in D17 zusammengefassten Ergebnisse durch Messungen an dem ITO-Pulver von D3 durchgeführt wurden. Ferner bezieht sich D17 auf Dokument D13, also implizit auch auf die an dem Pulver laut D3 vorgenommenen Messungen, welche in D6 unter Bezugnahme auf die in D4 erwähnten Chargennummer 31835F beschrieben sind, siehe D6, das Spektrum "Quantitative analysis (verification)", Angaben oberhalb des eigentlichen Spektrums. Eine gewisse Restmenge des laut D4 gelieferten Pulvers war zum Zeitpunkt der Einlegung des Einspruchs noch im Besitz der Beschwerdegegnerin (siehe Einspruchsbegründung, Punkt 2.3). Die durch die Dokumente D3, D4, D6, D13 und D17 nachgewiesenen Beweistatsachen sind daher durch inhaltliche Bezugszeichen oder Verweisungen gedanklich derart verknüpft, dass zur Überzeugung der Kammer kein Zweifel besteht, dass das in D3 beschriebene und laut D4 gelieferte Pulver mit dem Pulver identisch ist, das den in D6 und D17 beschriebenen Messungen zu Grunde lag. Einer eidesstattlichen Versicherung als weiteres Beweismittel zum Nachweis der Identität des Pulvers der Vorbenutzung mit dem gemessenen Pulver bedurfte es daher nicht.

4.2 Auch die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gegenargumente vermögen aus folgenden Gründen nicht, die Glaubhaftigkeit und Aussagekraft der in D17 beschriebenen Messungen in Frage zu stellen.

4.3 In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass davon auszugehen sei, dass die Beschwerdegegnerin das Kojundo-Pulver gekauft habe, um damit dessen Eignung als Sputter-Target für die eigenen Produktionsanlagen experimentell zu überprüfen. Die wichtigste Anwendung von ITO-Pulvern sei die Herstellung von Sputter-Targets für die Herstellung dünner ITO- Schichten in der LCD-Produktion. Für derartige Tests seien jedoch relativ große Mengen Pulver notwendig, und zwar "zumindest 20g" pro Sputter-Target. Laut D4 wurden nur 100g des Kojundo-Pulvers von der Beschwerdegegnerin erworben. Daher könne nach der Durchführung derartiger Tests bestenfalls noch eine geringe, für die Messungen des spezifischen elektrischen Widerstands gemäß D6/D13 beziehungsweise D17 nicht ausreichende Restmenge des gekauften Pulvers übrig geblieben sein.

Auf Befragung durch die Kammer hat die Beschwerdeführerin jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Kauf des Produkts auch zu anderen Zwecken erfolgt sein könnte. Ein anderer denkbarer Zweck des Ankaufs könnte nach Auffassung der Kammer beispielsweise die Analyse der chemischen und physikalischen Eigenschaften des Pulvers sein. Insbesondere können Analysen und Messungen der in D5, D6, D13 und D17 beschriebenen Art mit weniger Pulver durchgeführt werden, als es für die Herstellung eines Sputter-Targets notwendig wäre, und dennoch Aussagen zu den Eigenschaften des Pulvers liefern. Die Kammer ist demnach nicht davon überzeugt, dass die Beschwerdegegnerin auf jeden Fall ein oder mehr Sputter- Targets für Produktionsanlagen hergestellt haben muss. Es ist daher keineswegs unglaubwürdig oder unwahrscheinlich, dass die Einsprechende noch ausreichend Kojundo-Pulver aus der Lieferung gemäß D4 übrig hatte, um die Versuche gemäß D6 und D17 durchzuführen. Selbst wenn im Sinne der Beschwerdeführerin unterstellt wird, dass zu Testzwecken ein Sputter-Target unter Verbrauch von etwa 20g des vorbenutzten Kojundo-Pulvers hergestellt worden sind, ist die danach verbliebene Restmenge von in etwa 80g durchaus ausreichend gewesen, um damit noch die Versuche gemäß D6 und D17 durchzuführen, siehe dazu auch Punkt 4.5.

4.4 Die Beschwerdeführerin ist ferner in der mündlichen Verhandlung davon ausgegangen, dass aufgrund der geringen gelieferten Menge von 100g die in D17 (und D6) angegebenen Ergebnisse möglicherweise auf Messungen beruhten, welche an einem Pulver vorgenommen wurden, das nicht mehr in seinem ursprünglichen Liefer-Zustand war. Insbesondere hielt sie es für wahrscheinlich, dass das von der Beschwerdegegnerin für die Versuche verwendete Pulver aus der Wiederaufbereitung, zum Beispiel durch Aufmahlen, von Proben aus früheren Tests zum Press- und Sinterverhalten oder zum Verhalten des Materials als Sputter-Target stammte. Ein derartiges Pulver unterscheide sich jedoch bezüglich seiner Eigenschaften (Morphologie, innere Struktur) von dem Original-Pulver. Folglich seien daran vorgenommene Messungen, wie jene von D17, bezüglich der Eigenschaften des ursprünglichen Pulvers von geringer Aussagekraft.

Diese Argumentationslinie ist jedoch nicht nachvollziehbar. Gerade weil der Fachmann weiß, dass die Pulvereigenschaften sich unter diesen Umständen derart ändern können, würde er Reste aus früheren Tests zwar vielleicht zu Dokumentationszwecken aufheben, er würde sie jedoch mit Sicherheit nicht neu aufmahlen, um damit weitere Tests betreffend die Eigenschaften des ursprünglichen Materials durchzuführen. Die Möglichkeit, dass die Versuche D6 und D17 nicht am Original-Kojundo- Pulver vorgenommen wurden, entspricht nicht den Angaben der Beschwerdegegnerin und erscheint der Kammer sehr weit hergeholt.

4.5 In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin auch geltend gemacht, dass bei Untersuchungen, wie sie in D6 und D17 beschrieben sind, davon auszugehen sei, dass pro Versuch etwa 10g Probe erforderlich seien. Bereits für D6 seien 5 Versuche durchgeführt worden, und somit etwa 50g Pulver verbraucht worden. Es sei demnach kaum möglich gewesen, mit der verbliebenen Menge Pulver auch noch die Messungen für D17 durchzuführen. In diesem Zusammenhang machte sie auch geltend, dass Messungen im Druckbereich von 30 bis 500kgf/cm2 (siehe D17) in der Regel nicht auf einer einzigen Presse durchgeführt werden könnten, und dass daher auch aus diesem Grund entsprechend mehr Proben erforderlich gewesen sein müssten.

Allerdings wird laut Streitpatent der spezifische elektrische Widerstand des Pulvers "während des Verdichtens" in der Presse "kontinuierlich" gemessen, siehe Spalte 4, Zeilen 18 bis 27. Nichts in D5 lässt darauf schließen, dass dabei eine andere Vorgangsweise als die im Streitpatent beschriebene gewählt wurde. Die Behauptungen der Beschwerdegegnerin, wonach zur Messung des spezifischen elektrischen Widerstands bei unterschiedlicher Verdichtung des Pulvers gemäß der in D5 näher beschriebenen Methode jeweils mehrere Pulver- Proben von einigen Gramm erforderlich seien, sind daher in Ermangelung von entsprechendem Beweismaterial nicht überzeugend. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die in D6/D13 beziehungsweise in D17 wiedergegebenen Messergebnisse an Hand jeweils einer Probe (laut Beschwerdeführerin in etwa 10g Pulver) erhalten wurden. Selbst wenn im Sinne der Beschwerdeführerin unterstellt wird, dass für die Messungen gemäß D17 aufgrund des weiten überstrichenen Druckbereichs tatsächlich zwei Pressen, und somit 2 Proben zu je etwa 10g notwendig waren, dass für die Versuche gemäß D6 in etwa 10g notwendig waren, und dass tatsächlich 1 Sputter-Target hergestellt und getestet wurde, ergibt sich eine Gesamtmenge an verbrauchtem Pulver, welche deutlich geringer ist als die gelieferten Menge von 100g. Die Kammer hat demnach keine Veranlassung, die Glaubhaftigkeit der Angaben von D17 anzuzweifeln.

4.6 D17 ist zu entnehmen, dass sich die Werte für die gemessene relative Dichte laut D6 beziehungsweise laut D17 bei gleichem Druck unterscheiden können. Dies ergibt sich aus einem Vergleich der in den beiden Tabellen von D17 wiedergegebenen, unterschiedlichen Dichtewerte bei Drücken von 58 und 87 kgf/cm2. Die Beschwerdeführerin hat auf Nachfragen durch die Kammer lediglich erklärt, sie wüsste nicht, ob diese Unterschiede eventuellen Messtoleranzen entsprächen oder nicht. Unter diesen Umständen vermögen diese relativ kleinen Unterschiede (im einstelligen %-Bereich) der gemessenen Dichtewerte nicht, die Aussagekraft der Versuche (Verdichtung auf 50 % relative Dichte erreichbar, elektrischer Widerstand im beanspruchten Bereich) zu schmälern, oder einen Hinweis auf die Verwendung eines unterschiedlichen Pulvers zu begründen.

4.7 Auch die Tatsache, dass im Einspruchsverfahren bei der Messung an dem nach D1 hergestellten Pulver auf eine Dichte von 44 % verdichtet wurde, nicht jedoch bei der Messung am vorbenutzten Kojundo-Pulver, stellt keinen tatsächlich überzeugenden Hinweis darauf dar, dass bei den Versuchen D17 möglicherweise ein unterschiedliches oder aufbereitetes Pulver verwendet wurde. Wie bereits unter den Punkten 3.1 und 3.2 erwähnt, war eine Messung bei 40 % oder mehr, ob möglich oder nicht, zum damaligen Zeitpunkt nicht notwendig. Zudem ist in Betracht zu ziehen, dass aufgrund der unterschiedlichen Herstellverfahren der ITO-Pulver bei der Verdichtung des vorbenutzten Kojundo-Pulvers höhere Drucke, also damals nicht benötigte aufwendigere Maßnahmen, möglicherweise notwendig gewesen wären als bei einem nach D1 hergestellten Pulver, um Dichten im Bereich von mehr als 40 % zu erreichen.

5. Da die Einwände der Beschwerdeführerin gegen die formale und inhaltliche Berücksichtigung von D17 nicht zu überzeugen vermögen, kann die Neuheit der Gegenstände der jeweiligen Ansprüche 5 aller drei Anträge nicht anerkannt werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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