European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2005:T047003.20050310 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 10 März 2005 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0470/03 | ||||||||
Anmeldenummer: | 94931588.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | B62K 25/08 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Vorrichtung für eine gefederte Radführung am Rahmen eines Fahrrades | ||||||||
Name des Anmelders: | HS Products Engineering GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (bejaht) | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent EP 728 093 B1 wurde mit der am 14. März 2003 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung in geänderter Fassung aufrechterhalten. Dagegen legte die Einsprechende am 16. April 2003 Beschwerde ein. Am gleichen Tag wurde die Beschwerdegebühr entrichtet und die Beschwerdebegründung eingereicht.
Der strittige Anspruch 1 hat den folgenden Wortlaut:
"Fahrrad mit einer gefederten Vorderradführung, die eine in ihrer Länge veränderbare Teleskopgabel mit zwei Tauchrohren, an denen das Vorderrad drehbar gelagert ist, und zwei in den beiden Tauchrohren teleskopartig geführten Standrohren, und eine gelenkige, die Lenkachse bildende Abstützung für den Rahmen an der Teleskopgabel aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß die Lenkachse von zwei einen vertikalen Abstand voneinander aufweisenden Kugelgelenken gebildet ist, von denen das erste Kugelgelenk von einer Kugelpfanne, die an einer die beiden Standrohre miteinander verbindenden Gabelbrücke vorgesehen ist, und an einer am Rahmen vorgesehenen Gelenkkugel gebildet ist, und das zweite Kugelgelenk an einer die beiden Tauchrohre miteinander verbindenden Gabelbrücke gebildet ist und die beiden Tauchrohre mit einer Schwinge gelenkig verbindet, die um eine zur Rahmenebene senkrechte Achse am Rahmen schwenkbar gelagert ist, und wobei ein Federelement, das sich einerseits am Rahmen zwischen der Schwingenachse und dem ersten Kugelgelenk und andererseits an der Schwinge abstützt, als Elastomerblock oder als pneumatische/hydraulische Feder ausgebildet ist".
II. Die Beschwerdeführerin beantragte, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Sie legte in ihrer Beschwerdebegründung dar, das Merkmal "pneumatische/hydraulische Feder" erfülle nicht das Erfordernis der deutlichen und vollständigen Offenbarung nach Artikel 83 EPÜ, weil dies für den Fachmann kein wohl definierter Begriff sei, insbesondere sei fraglich, was der Fachmann unter einem Federelement, welches "bevorzugt auch Dämpfungsfunktion habe" (Spalte 1, Zeilen 53 bis 54 der Patentschrift), verstehen solle. Weiterhin sei der Anspruchsgegenstand ausgehend von den Dokumenten Z4 (EP-A-377 220) oder Z1 (GB-A-158 705) im Hinblick auf die Kombination mit einem der Dokumente E6 (VDI Bericht Nr. 1025, 1993, Seiten 423 bis 440) oder E1 (DE-A-3 708 579) nicht erfinderisch. Umgekehrt könne aber auch E1 bzw. E6 als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden, da E1 und E6, obwohl beide Dokumente ein Motorrad und kein Fahrrad zeigten, die mit dem Anspruchsgegenstand größte Anzahl gemeinsamer technischer Merkmale aufweisen würden. Somit sei zum einen für den Fachmann ausgehend von Z4 (oder Z1), bei der gegebenen objektiven Aufgabe, eine mit einfachen Mitteln verbesserte Vorderradführung zu schaffen, die Kombination mit E1 oder E6 naheliegend, insbesondere unter Berücksichtigung des expliziten Hinweises in Z4 (Spalte 1, Zeilen 45 bis 53), wonach Teleskopgabeln und Dämpfungselemente zu den technischen Mitteln gehörten, die von einem Motorrad auf ein Fahrrad übertragbar seien. Zum anderen ergebe sich auch der strittige Patentgegenstand in naheliegender Weise bei unmittelbarer Betrachtung von E1 oder E6, durch Übertragung der technischen Lehre dieser Dokumente auf ein Fahrrad gemäß Z1 oder Z4.
III. Die Beschwerdegegnerin vertrat in ihrer Stellungnahme den Standpunkt, wonach zunächst die Ausführbarkeit eindeutig gegeben sei, zumal hydro-pneumatische Federungen auf dem Kraftfahrzeuggebiet hinlänglich bekannt seien. Weiterhin sei zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit von einem Stand der Technik auszugehen, welches auf dem technischen Gebiet der Fahrräder liege. Sowohl in Z1 als auch in Z4 sei die Lenksäule zur Bildung der Lenkachse in einem Steuerrohr des Rahmens gelagert, lediglich die teleskopischen Tauchrohre und das Stoßdämpfersystem seien vom Motorradsektor übernommen. Der Fachmann hätte aufgrund der unterschiedlichen Masse und Geschwindigkeit keinen Anlaß weitere, auf dem Motorradsektor übliche technische Maßnahmen zu übernehmen, und im übrigen werde auch in Z4 (Spalte 1, Zeilen 29 bis 32, 45 bis 46) explizit davon abgeraten.
IV. Die Kammer vertrat in ihrem Bescheid die vorläufige Meinung wonach der Begriff "pneumatische/hydraulische" Feder dem üblichen Begriff "hydro/pneumatische" Feder gleichzusetzen sei. Betreffend die Frage der erfinderischen Tätigkeit des strittigen Anspruchsgegenstandes wurde festgestellt, daß diese sowohl ausgehend von Z1 oder Z4 als auch ausgehend von E1 oder E6 zu betrachten sei.
V. In der mündlichen Verhandlung blieben die Parteien bei den gestellten Anträgen. Die Beschwerdeführerin wiederholte im wesentlichen die schriftlich vorgetragenen Argumente. Insbesondere sei eine pneumatische/hydraulische Feder nicht ausreichend offenbart und falls die Kammer unterschiedlicher Auffassung sei, so sei eine derart ausgebildete Feder, übrigens genauso wie eine als Elastomerblock ausgebildete Feder, als fachüblich anzusehen. Somit führe beispielsweise die naheliegende Kombination von Z4 mit E6 oder umgekehrt, obwohl E6 zwar keine pneumatische/hydraulische oder als Elastomerblock ausgebildete Feder zeige, unmittelbar zum Gegenstand des Anspruchs 1.
Die Beschwerdegegnerin war der Auffassung, weder E1 noch E6 würde ein erstes Kugelgelenk aufweisen, welches von einer Kugelpfanne, die an einer die beiden Standrohre miteinander verbindenden Gabelbrücke vorgesehen ist, und einer am Rahmen gebildeten Gelenkkugel gebildet ist; zudem sei, wie bereits dargelegt, aus E1 und E6 auch keine pneumatische/hydraulische Feder bekannt. Somit seien die von der Beschwerdeführerin in Betracht gezogene Kombinationen der genannten Dokumente aus den vorgetragenen Gründen weder naheliegend, noch würden sie zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 EPÜ in Verbindung mit den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die Frage der Ausführbarkeit der Erfindung hängt im vorliegenden Fall ausschließlich mit der Auslegung des Begriffes "pneumatische/hydraulische Feder" zusammen, wobei hier der Fachmann offensichtlich gleich an den z. B. aus E7 (Kraftfahrtechnisches Handbuch; Bosch, Seite 567) bekannten und weit gebräuchlicheren Begriff einer hydro-pneumatischen Feder denken würde. Die Frage stellt sich somit, ob der Fachmann auch tatsächlich den Begriff "pneumatische/hydraulische Feder" als hydro- pneumatische Feder deuten würde. Diese Deutung erscheint sich für den Fachmann jedoch natürlich zu ergeben, da dies einerseits aus dem unmittelbaren technischen Zusammenhang hervorgeht, insbesondere aus der verbreiteten, fachüblichen Verwendung von hydro- pneumatischen Federn im Kraftfahrzeugbereich, andererseits aber auch aus der Tatsache, wonach keine alternative, vernünftige Deutungsmöglichkeit gegeben ist. Würde man nämlich den genannten Wortlaut als "pneumatische und/oder hydraulische Feder" auslegen, so wäre insbesondere von einer hydraulischen Feder auszugehen; ein aus technischer Sicht unverständlicher Begriff, da eine Hydraulik-Flüssigkeit nicht komprimierbar ist und somit keine Federeigenschaften besitzt. Die von der Beschwerdeführerin angesprochene Stelle in der Beschreibung ist zum einen lediglich eine bevorzugte Ausführungsform und zum anderen auch notwendigerweise dahingehend zu verstehen, daß die Dämpfungseigenschaften einer hydro-pneumatischen Feder mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können, je nachdem ob das Hydrauliköl lediglich zum Verdichten des Gases entsprechend der Radlast wirkt, oder mittels entsprechend gearteten Drosselstrecken auch merklich zur Dämpfung beiträgt. Folglich kann die Frage der Ausführbarkeit nur bejaht werden.
3. Die Beschwerdeführerin war bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit der Ansicht, sowohl die Dokumente Z1,Z4 als auch die Dokumente E1,E6 könnten als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden. Die Dokumente Z1,Z4 zeigen nach Auffassung der Kammer den nächstliegenden Stand der Technik, da sie ein Fahrrad mit sämtlichen Oberbegriffsmerkmalen des Anspruchs 1 offenbaren. Die Dokumente E1,E6 erscheinen dagegen nicht als nächstliegender Stand der Technik gelten zu können, zumindest nicht entsprechend der üblichen Deutung dieses Begriffes, wonach sich der nächstliegende Stand der Technik auf denselben Zweck beziehen soll wie die Erfindung und dasselbe technische Gebiet betreffen soll wie der Gegenstand, von dem der Erfinder ausgegangen ist und den er durch die Erfindung zu verbessern oder weiterzuentwickeln beabsichtigte. Gleichwohl kann aber eine Bewertung der erfinderischen Tätigkeit auch unmittelbar im Hinblick auf die Dokumente E1,E6 vorgenommen werden, da Artikel 56 EPÜ hierüber keine Vorschriften enthält.
4. Ausgehend von Z4 oder Z1 ist die objektive Aufgabe darin zu sehen, eine Verbesserung der gefederten Vorderradführung eines Fahrrads zu erreichen. Auffallend ist bei Betrachtung von Z4 oder Z1, daß die Vorderradführung als wesentliches Element ein im Fahrradrahmen gelagertes Steuerrohr aufweist (Z4, Figur 1,2), welches die Steuerachse definiert und mit dessen oberen Ende auch der Lenker fest verbunden ist, und eine mit dem unteren Ende des Steuerrohres fest verbundene Gabelbrücke, die Teil einer in ihrer Länge veränderbaren Teleskopgabel bildet.
Wesentliche Bestandteile der Motorrad-Vorderradführung aus E1 (Figur 1) oder E6 sind dagegen (a) eine Teleskopgabel mit einer oberen und einer unteren Gabelbrücke, wobei an der oberen Gabelbrücke mittelbar oder unmittelbar der Lenker befestigt ist, und (b) zwei Kugelgelenke, die respektiv an der oberen und an der unteren Gabelbrücke angeordnet sind, wobei das untere Kugelgelenk über eine gefederte Schwinge am Rahmen des Motorrads angelenkt ist.
5. Es stellt sich somit die Frage, welche Veranlassung der Fachmann gehabt hätte, ausgehend von Z4 oder Z1, irgendeine der Maßnahmen gemäß den Merkmalsgruppen (a) oder (b) zu ergreifen.
Die Merkmalsgruppe (a) impliziert eine Auslegung und Dimensionierung der Teleskopgabel, wie sie lediglich bei Motorrädern bekannt ist, um bei den dort auftretenden Kräften und Geschwindigkeiten akzeptable Federungs- bzw. Dämpfungseigenschaften zu erzielen. Ausdrücklich wird in Z4 (Spalte 4, Zeilen 3 bis 15) von der Maßnahme (a) abgeraten, da die Verwendung einer solchen Teleskopgabel unter anderem zu einer für ein Fahrrad nicht akzeptablen Gewichtserhöhung führen würde.
Was die Merkmalsgruppe (b) betrifft, so geht es insbesondere aus E6 eindeutig hervor, daß die Hauptziele der beschriebenen Vorderradführung in der Lösung motorradspezifischer Probleme liegen, hauptsächlich die Vermeidung von einer großen Änderung der Fahrgeometrie beim Bremsen und das Erreichen von verschiedenen damit verbundenen Vorteilen. Aufgrund der völlig anderen Verhältnisse (Masse, Geschwindigkeit, Bremskraft) beim Gebrauch eines Fahrrads stellen sich derartige Probleme dort nicht.
Somit kann die Kammer in der E1 oder E6 keine Anregung für den Fachmann sehen, die bekannte gefederte Fahrrad- Vorderradführung der Z1 oder Z4 durch die bei Motorrädern bekannte Anordnung gemäß den Merkmalsgruppen (a) und (b) zu ersetzen. Die Beschwerdegegnerin hat hingegen erkannt, daß die untere Anlenkung der Teleskopgabel am Rahmen eine für ein Fahrrad brauchbare geringere Dimensionierung der Teleskopgabel zuläßt, so daß die in Z4 geäußerte diesbezüglichen Bedenken nicht mehr greifen.
6. Zuletzt sei noch angemerkt, daß selbst die Kombination von Z4 bzw. Z1 mit E1 bzw. E6 nicht zu der Gesamtheit der Anspruchsmerkmale führen würde, da die Anordnung der Gelenkkugel und der Kugelpfanne in E1 gerade umgekehrt ist als bei der Erfindung, während sie aus E6 nicht klar zu entnehmen ist, und da das Federelement zwischen Rahmen und Schwingenachse in E1 oder E6 nicht als Elastomerblock oder als pneumatische/hydraulische Feder offenbart ist.
7. Wollte man nun, der Beschwerdeführerin folgend, von E1 oder E6 ausgehend die erfinderische Tätigkeit beurteilen, so wäre ihrer Auffassung nach die objektive Aufgabe darin zu sehen, für das in E1 oder E6 beschriebene Konzept der Vorderradführung alternative Anwendungsbereiche zu finden. So müßte die Frage gestellt werden, ob der Fachmann diesen Stand der Technik für eine Verwendung bei einem Fahrrad, selbstverständlich mit den entsprechenden, notwendigen baulichen Änderungen, als geeignet ansehen würde.
8. Angesichts der obigen Ausführungen ist auch diese Frage zu verneinen, da dieselben Argumente wie oben gegen die Anwendung dieses Konzepts der Vorderradführung bei Fahrrädern sprechen. Insbesondere ergeben sich bei diesem Konzept der Vorderradführung die Fahrwerksteifigkeit und die Fahrstabilität aus dem komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher technischer Komponenten, wie z. B. die Merkmalsgruppen (a) und (b), mit den motorradspezifischen Massen, Geschwindigkeiten und Kräfteverhältnissen, so daß die Übertragung dieses Konzeptes auf den Fahrradsektor für den Fachmann keineswegs nahegelegen hätte.
Folglich ergibt sich auch in dieser Hinsicht, daß der Fachmann den Fahrradbereich nicht als alternativen Anwendungsbereich für die Dokumente E1 oder E6 ansehen würde und somit der Anspruchsgegenstand die Anforderungen von Artikel 56 EPÜ erfüllt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.