T 0267/03 () of 28.9.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T026703.20050928
Datum der Entscheidung: 28 September 2005
Aktenzeichen: T 0267/03
Anmeldenummer: 98109203.4
IPC-Klasse: G02B 7/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Binokulares Fernrohr
Name des Anmelders: SWAROVSKI OPTIK AG
Name des Einsprechenden: LEICA CAMERA AG
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
European Patent Convention 1973 Art 102(3)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit: bejaht (nach Änderung)
Antrag auf Widerruf nur im Umfang bestimmter Ansprüche
Offenbarung durch Abbildung eines kommerziellen Produkts in einem Buch
Von der Einspruchsabteilung wegen später Nennung nicht eingeführtes Dokument
Orientierungssatz:

1. Ein in einem Buch über Ferngläser fotografisch abgebildetes Fernglas mit der Angabe des Herstellers und dem ungefähren Herstellungsjahr ("ca. 1960"), das lange vor dem Anmeldetag des vorliegenden Patents liegt, bildet mit seinem inneren Aufbau für dieses Patent Stand der Technik (vgl. Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe).

2. Ein von der Einspruchsabteilung als verspätet nicht in das Verfahren eingeführtes Dokument wird von der Kammer grundsätzlich nicht eingeführt, wenn die Einspruchsabteilung das ihr in Artikel 114(2) EPÜ eingeräumte Ermessen korrekt ausgeübt hat (vgl. Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe).

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
G 0010/91
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1344/07
T 0028/10

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 0 961 147 (Anmeldenummer 98. 109 203.4) wurde von der Einspruchsabteilung mit der Begründung widerrufen, dass der beanspruchte Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Folgende Dokumente wurden von der Einspruchsabteilung aufgegriffen:

D6: DE-C-154 142

D8: H. T. Seeger, "Feldstecher - Ferngläser im Wandel der Zeit", Edition Besser Optik, 1989, Seiten 86 und 87

II. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt und zunächst beantragt, "den Beschluss in vollem Umfang aufzuheben und das Patent zu erteilen".

In ihrer Beschwerdebegründung hat sie ausgeführt, der Widerruf sei lediglich im Umfang der Ansprüche 1 bis 7 beantragt worden. Deshalb hätte die Einspruchsabteilung das Patent nur insoweit widerrufen dürfen. Dies gelte auch für das anhängige Beschwerdeverfahren.

Was die erfinderische Tätigkeit anbelange, so sei das in D8 offenbarte Fernglas nächstliegender Stand der Technik. Kernelement der Konstruktion dieses Fernglases sei eine axialbewegliche Spindel, die in der Mittelachse angeordnet sei. Demgegenüber liege der Erfindung die Aufgabe zugrunde, durch eine Platz sparende Ausführung des Getriebes die Handhabbarkeit zu verbessern. D8 gebe keine Anregung für die beanspruchte Lösung, da für die Axialbewegung der langen Spindel das Vorsehen einer Mittelachse eine absolute konstruktive Notwendigkeit sei. Auch bei dem in D8 gezeigten Typ Focalpin 10x60 lägen der wesentliche Teil des Getriebes, nämlich die Spindel, in der Mittelachse und nicht in der Gelenkbrücke.

D6 sei kein nahe liegender Stand der Technik, da sich dort bei jeder Veränderung des Augenabstandes die Fokussierung ändere, was nach heutigen Maßstäben völlig inakzeptabel sei. Außerdem handele es sich bei D6 und D8 um völlig unterschiedliche Konstruktionen, so dass ein Fachmann keinen Anlass gehabt hätte, Details von D6 auf D8 zu übertragen. Im Gegensatz zu der in D8 beschriebenen axial verschiebbaren Spindel erfolge in D6 die Längsverschiebung der Tuben über ein Außengewinde, in welches Zahnräder eingriffen.

Aus D8 gehe hervor, dass die Innenfokussierung ab ca. 1951 serienmäßig realisiert worden sei. Ein bestehendes Bedürfnis nach einer Kombination der Innenfokussierung mit einer ausgezeichneten Handhabbarkeit sei aber erstmals nach rund 50 Jahren durch das vorliegende Patent erfüllt worden. Es habe daher nicht nahe gelegen, das Fernrohr von D8 aus dem Jahre 1951 mit dem von D6 aus dem Jahre 1903 zu kombinieren.

III. Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und den Widerruf des Patents zu bestätigen, hilfsweise im Umfang der Ansprüche 1 bis 6. Sie hat eine offenkundige Vorbenutzung des Fernglases Modell Focalpin 10x60 geltend gemacht und hierzu Abbildungen 1 bis 5 eingereicht. Sie hat ferner die Seiten 22, 53, 54, 62 und 72 von D8 eingereicht und beantragt, folgendes Dokument als für die Entscheidung wesentlich in das Verfahren einzuführen:

D9: DE-A-23 58 697

Die Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Anspruch 1 erfordere eine Klarstellung dergestalt, daß an der das Getriebe führenden Gelenkbrücke (2) der Drehkopf (12) gelagert sei.

Die Beschwerdebegründung gehe davon aus, dass das in Figur 101 von D8 im Schnitt dargestellte Focalpin 6x40 hinsichtlich der Konstruktion mit einer langen Spindel identisch mit dem in Figur 102 gezeigten Focalpin 10x60 sei. Ein Exemplar des Focalpin 10x60 sei kürzlich erworben und dessen Fokussierantrieb ohne großen Aufwand zerlegt worden. Wie den Abbildungen entnehmbar sei, werde das Getriebe bereits durch die Gelenkbrücke geführt, an der der Drehknopf gelagert sei. Die Länge des in der Hohlachse geführten Teils der Spindel sei ersichtlicherweise wesentlich kürzer als die Hohlachse, und der in der Hohlachse gleitende ballige Kopfteil der Spindel könne dort auch nicht exakt geführt werden. Das Schraubengetriebe sei bereits dadurch sicher geführt, dass die bekannte Konstruktionsregel eingehalten sei, wonach die in getrieblichem Eingriff stehende Gewindelänge dem 2,5- bis 3-fachen Gewindedurchmesser entspreche. Die Aufgabe, einen freien Durchgriff zu schaffen, könne daher dadurch gelöst werden, die Gelenkachse zwischen den Gelenkbrücken wegzulassen, wie das D6 zu entnehmen sei. Ausgehend von D8, Figur 102, müssten hierzu lediglich die Spindel und die Hohlachse gekürzt werden, da die Hohlachse nicht zur Führung der Spindel diene, sondern ausschließlich die Funktion der Geradführung übernehme.

In D8 sei die Spindel axial verschiebbar. Prinzipiell bestehe aber ein Schraubengetriebe immer aus einem Spindelteil und einem Mutterteil, von denen jeweils ein Teil axial festgelegt und der andere axial beweglich sei. Ein Schraubengetriebe zur Fokussierung, in dem der Mutterteil axial verschiebbar ist, sei in D9 anhand Figur 10 beschrieben. Dieses Getriebe sei in seiner Lagerung unabhängig von einer zweiten Gelenkbrücke. Ferngläser mit voneinander getrennten Gelenkbrücken seien vielfältig bekannt, wie aus den Abbildungen 22, 58, 59, 60, 71 und 85 von D8 hervorgehe.

Die Beschwerdeführerin hat zu den Ausführungen der Beschwerdegegnerin Stellung genommen und ihren zuvor gestellten Antrag durch einen Hilfsantrag ergänzt. Der Antrag der Beschwerdegegnerin, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen, sei unzulässig. Die Beschwerdegegnerin sei an ihren ursprünglich gestellten Antrag auf Widerruf im Umfang der Ansprüche 1 bis 7 gebunden. Die Druckschrift D9 und die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung sollten unberücksichtigt gelassen werden.

Was die Drucksschrift D9 anbelange, so habe die Beschwerdegegnerin diese schon in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung einführen wollen, dann aber darauf verzichtet. Daran sei sie auch jetzt gebunden. In jedem Fall sei die Nennung von D9 verspätet. D9 beschreibe anhand der Figur 10 eine Ausführungsform mit nur einer Gelenkbrücke, so dass das Merkmal der Bildung eines Durchgriffs fehle. D9 sei daher auch nicht relevant. Allerdings würde D9 die Auffassung bestätigen, daß der Fachmann beim Übergang von einer breiten Gelenkbrücke auf zwei Gelenkbrücken eine Hohlachse zwischen den Gelenkbrücken zur exakten Führung der Gewindespindel für unverzichtbar ansehe.

Die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung sei verspätet vorgebracht worden, ohne dass dafür Gründe genannt worden seien. Abgesehen davon gehe die angebliche Vorbenutzung nicht über das in D8, Abbildung 101 Offenbarte hinaus, denn auch bei dem Focalpin 10x60 müsse die Gewindespindel exakt axial geführt werden, was nur durch eine Fixierung durch die an beiden Enden befestigte Hohlachse zu erreichen sei. Durch die axiale Führung ergebe sich keine Überbestimmung der Lagerung, sondern erst die exakte axiale Führung. Der in der Hohlachse geführte Abschnitt der Spindel sei, soweit es Abbildung 101 entnehmbar sei, leicht ballig ausgeführt, was ein Verkanten der Spindel verhindere.

IV. In der mündlichen Verhandlung, die am 28. September 2005 statt gefunden hat, wurde von der Beschwerdegegnerin noch die Kopie einer mit 30. August 1961 datierten Konstruktionszeichnung des Focalpin 10x60 vorgelegt.

In der mündlichen Verhandlung wurde von der Beschwerdeführerin zuletzt beantragt, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Anspruchs 1 mit folgendem Wortlaut aufrecht zu erhalten:

"1. Binokulares Fernrohr mit Innenfokussierung mit zwei Tuben (1,1'), die zur Einstellung des Augenabstandes durch zwei im Abstand voneinander angeordnete, um eine Gelenkachse (4) verschwenkbare Gelenkbrücken (2,3) verbunden sind, wobei beide Tuben (1,1') zur Fokussierung axial verschiebbare Fokussiermittel (8) aufweisen, die mit einem gemeinsamen Drehknopf (12) und einem Getriebe betätigbar sind, das zwei zweiarmige Hebel (15,15') in einer der beiden Gelenkbrücken (2,3) aufweist, deren eines Ende an dem einen bzw. anderen der beiden Fokussiermittel (8) angreift, wobei jeder Hebel (15,15') um eine senkrecht zur Fernrohr- Längsrichtung laufende Achse (16,16') verschwenkbar ist, und das andere Ende jedes Hebels (15,15') an einem durch Drehung des Drehknopfes (12) axial verschiebbaren ringförmigen Anschlag (24) angreift, und das Getriebe vom Drehknopf (12) zu den Fokussiermitteln (8) durch die eine Gelenkbrücke (2,3) geführt ist dadurch gekennzeichnet, dass die Gelenkbrücken (2,3) zur Bildung eines Durchgriffs (6) ohne Verbindung durch eine Mittelachse im Abstand voneinander angeordnet sind, wobei die zweiarmigen Hebel (15,15') als Winkelhebel, und der Anschlag (24) als Konusfläche (23) ausgebildet sind."

Die Beschwerdegegnerin hat beantragt, die Beschwerde zurück zu weisen und hilfsweise, das Patent im Umfang der geltenden Ansprüche 1 bis 4 zu widerrufen.

Entscheidungsgründe

1. Umfang des Einspruchs

Mit dem Einspruch war Widerruf des Patents im Umfang der Ansprüche 1 bis 7 beantragt worden. Nach den von der Großen Beschwerdekammer in ihren Entscheidungen G 9/91 und 10/91 (ABl. EPA 1993, 408 bzw. 420)festgelegten Grundsätzen beschränkt sich daher die Prüfung des Einspruchs in erster Linie auf diese Ansprüche. Das bedeutet, dass ein Antrag, der einen Hauptanspruch auf der Basis der nicht angegriffenen Ansprüche zum Gegenstand hätte, die Grundlage für eine Aufrechterhaltung in geändertem Umfang darstellen könnte, falls dem die Einspruchsgründe prima facie nicht entgegenstehen würden, siehe G 9/91, Leitsatz. Der Einspruchsabteilung hatte offenbar kein solcher Antrag vorgelegen, auch nicht in Form eines Hilfsantrags. Da die Einspruchsabteilung zu dem Schluss gekommen war, dass der ihr vorliegende Antrag, der auf der Grundlage der angegriffenen Ansprüche beruhte, auf einen nicht- patentfähigen Gegenstand gerichtet war, musste sie das Patent widerrufen.

2. Spätes Vorbringen

2.1 Offenbarung des Fernglases Focalpin 10x60

2.1.1 Die Einspruchsabteilung hat die sich auf das Modell Focalpin 10x60 beziehenden Passagen in D8 als rechtzeitig genannt betrachtet. Da es sich bei diesem Modell anscheindend um ein kommerziell vermarktetes Produkt handelt, worauf die Bildunterschrift von Abbildung 102 in D8 hindeutet, geht die Kammer grundsätzlich davon aus, daß einem Erwerber eines Exemplars des Focalpin 10x60 der innere Aufbau und damit die Konstruktion der Innenfokussierung bekannt geworden war. Eine entsprechende offenkundige Vorbenutzung ist schon durch die Angaben in D8 substantiiert, bzw. ihre späte Geltendmachung ist durch die im Einspruchsverfahren vorgenommene Änderung des Anspruchs 1 veranlasst, nämlich durch die Aufnahme des sich auf den "Durchgriff" beziehenden Merkmals, das nicht in den beiden erteilten unabhängigen Ansprüchen vorhanden war. Die Kammer hat die offenkundige Vorbenutzung gemäß Artikel 10a (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern berücksichtigt. Gleiches gilt für die von der Beschwerdegegnerin genannten Abbildungen 22, 58, 59, 60, 71 und 85 in D8, die Ferngläser mit einem "Durchgriff" darstellen.

2.1.2 Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, dass sich die Ausführungen im Einspruchsschriftsatz nur auf das in der Abbildung 101 von D8 dargestellte Focalpin 6x40 aus dem Jahre 1951 bezögen und nicht auf das in Abbildung 102 gezeigte Focalpin 10x60 aus dem Jahr 1960. Damit sei die offenkundige Vorbenutzung des Focalpin 10x60 verspätet geltend gemacht. Aus "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 4. Auflage, 2001, Seite 373, gehe hervor, dass die Kammern bei der Relevanzprüfung einer offenkundigen Vorbenutzung restriktiv gewesen seien und diese bisher nur anerkannt hätten, wenn sie höchst relevant gewesen sei. Im vorliegenden Fall fehle aber die Substantiierung, was, wo, wann, wie und durch wen benutzt worden sei. Insbesondere fehle der Beweis, dass das in D8 abgebildete Focalpin 10x60 in den Handel gelangt sei. Im Übrigen weise dieses Fernglas eine Mittelachse auf, die für die Lagerung der Spindel notwendig sei. Die Mittelachse sei daher ein tragendes Konstruktionselement, das weg zu lassen keine Veranlassung bestanden habe. Was die Vorlage der Konstruktionszeichnung in der mündlichen Verhandlung anbelange, so sei das ein Verfahrensmissbrauch. Außerdem könne diese Zeichnung vom 30. August 1961 nicht das in D8 gezeigte Focalpin 10x60 aus dem Jahre 1960 darstellen.

2.1.3 Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass kein Zweifel darüber bestehen konnte, dass das in der Abbildung 102 von D8 dargestellte Focalpin 10x60 den Aufbau hatte, wie er aus den von der Beschwerdegegnerin eingereichten Fotografien eines zerlegten Exemplars und der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Konstruktionszeichnung hervorgeht. Es würde der Lebenserfahrung widersprechen, wenn angenommen würde, dass die Konstruktion eines so ausgereiften und langlebigen Artikels, wie ihn ein hochwertiges Fernglas darstellt, ständigen Änderungen unterworfen würde. Es konnte daher angenommen werden, dass alle unter der Bezeichnung Focalpin 10x60 geführten Ferngläser im Wesentlichen den gleichen Aufbau hatten, der vor dem Anmeldetag des vorliegenden Patents bekannt geworden war, wie aus der Angabe in D8 "Abb. 102 10x60 Focalpin Kern Aarau, ca. 1960" hervorgeht.

2.1.4 Die Beschwerdeführerin hat ferner eingewandt, dass in den Fotografien des zerlegten Focalpin 10x60 die Spindel und der Hebel etwa gleich lang seien, während in der Konstruktionszeichnung die Spindel deutlich kürzer als die Hebel seien. Die Kammer stellt jedoch fest, dass das Verhältnis der Längen von Spindel und Hebel in der Fotografie und in der Konstruktionszeichnung etwa gleich ist.

2.1.5 Was die späte Vorlage von Unterlagen bezüglich des Focalpin 10x60 anbelangt, so waren die Angaben der Beschwerdegegnerin glaubhaft, wonach es schwierig gewesen sei, noch an Exemplare dieses Fernglases oder entsprechende Konstruktionszeichnungen heran zu kommen, nachdem der Hersteller, die Firma Kern, 1989 aufgelöst worden sei.

2.2 Dokument D9 (DE-A-23 58 697)

2.2.1 Die Beschwerdegegnerin hat ausgeführt, daß die Nennung dieses Dokuments durch ein in der Beschwerdebegründung vorgebrachtes Argument veranlasst worden sei, wonach das Kernelement von D8 eine in der Mittelachse angeordnete axialbewegliche Spindel sei. D9, so die Beschwerdegegnerin, offenbare nun eine Alternative, wonach die Spindel in axialer Richtung festgelegt sei und die Mutter axial verschiebbar sei.

2.2.2 Die Kammer ist demgegenüber der Auffassung, dass ein Dokument, das wie im vorliegenden Fall von der Einspruchsabteilung als verspätet nicht in das Verfahren eingeführt worden ist, grundsätzlich nicht eingeführt wird, wenn die Einspruchsabteilung das ihr in Artikel 114 (2) EPÜ eingeräumte Ermessen korrekt ausgeübt hat. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass Letzteres nicht der Fall gewesen ist. Hinzu kommt, dass die Beschwerdegegnerin vor der Einspruchsabteilung den Antrag auf Einführung von D9 zurückgenommen hat. Die Kammer hat daher D9 nicht in das Verfahren eingeführt, da es nicht relevant ist.

3. Klarheit und ursprüngliche Offenbarung

3.1 Der Anspruch 1 ist inhaltlich eine Zusammenfassung der erteilten Ansprüche 1, 2, 4 und 5, deren Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen im Einspruch nicht in Frage gestellt worden ist. Die Beschwerdegegnerin hat bemängelt, dass nicht klar aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 hervorgehe, an welcher Gelenkbrücke der Drehknopf angeordnet sei.

3.2 Die Kammer kommt jedoch zu dem Schluss, dass der bezüglich des Drehknopfes verwendete Wortlaut identisch dem erteilten Anspruch 1 entnommen ist und daher ein eventueller Mangel an Klarheit nicht durch im Einspruch vorgenommenen Änderungen verursacht wäre. Die Kammer sieht im Übrigen keine Schwierigkeiten, den Wortlaut zu interpretieren. Die Erfordernisse von Artikel 84 und 123 (2) EPÜ sind daher erfüllt.

4. Patentfähigkeit

4.1 Keines der im Verfahren befindlichen Dokumente offenbart ein binokulares Fernrohr mit der im Anspruch 1 definierten Innenfokussierung unter Verwendung von Winkelhebeln und einer Konusfläche als Anschlag. Die Neuheit wurde zuletzt auch nicht bestritten.

4.2 Ein binokulares Fernrohr mit allen im Oberbegriff des Anspruchs 1 angegebenen Merkmalen ist durch das Focalpin 10x60 bekannt geworden, siehe insbesondere die Konstruktionszeichnung.

4.3 Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich das Fernrohr des Patents gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 dadurch, dass die Gelenkbrücken zur Bildung eines Durchgriffs ohne Verbindung durch eine Mittelachse im Abstand voneinander angeordnet sind, wobei die zweiarmigen Hebel als Winkelhebel und der Anschlag als Konusfläche ausgebildet sind.

4.4 Die mit den unterscheidenden Merkmalen gelöste Aufgabe bezieht sich auf eine gute Handhabbarkeit, indem die Finger die Tuben in dem Durchgriff umgreifen können. Die Winkelhebel ermöglichen eine Platz sparende Anordnung und daher eine kurze Gelenkbrücke. Die Konusfläche als Anschlag vermeidet ein Verklemmen der Winkelhebel bei der Verschiebung des Anschlags.

4.5 Während ein Durchgriff bei Ferngläsern in der Vergangenheit eine durchaus übliche Ausbildung war, wie aus D6, Figur 2, und D8, Abbildungen 22, 58, 59, 60 und 71, hervorgeht, findet sich in keinem der zitierten Dokumente irgendein Hinweis auf die Ausbildung der Hebel zur Betätigung der Fokussiermittel als Winkelhebel und des Anschlags als Konusfläche. Durch diese Ausbildung wird eine Betätigungsvorrichtung erreicht, die auf Platz sparende Weise eine hohe Übersetzung der Axialbewegung des Drehknopfes in eine Axialbewegung der Fokussiermittel ermöglicht, wobei die Anpassung der Winkelhebel an die schräg stehende Anschlagsfläche eine verklemmungsfreie Betätigung gewährleistet. Die Beschwerdeführerin hat noch darauf hingewiesen, dass sich durch die Winkelhebel eine besonders schmale Gelenkbrücke ergebe.

4.6 Die Beschwerdegegnerin hat darauf hingewiesen, dass es unklar sei, welcher Winkel für die Abbiegung der Arme des Winkelhebels gewählt werde. Abgesehen davon bedinge der Tubenabstand evtl. eine Verkürzung der Hebel, was offensichtlich durch Abbiegen der Hebelarme erreicht werden könne. Außerdem fehle in dem Patent der Nachweis, dass eine Anpassung des Antriebs an die schräg stehende Anschlagsfläche erfolge.

4.7 Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass sich die Funktion der Winkelhebel und die sich aus ihrem Zusammenwirken mit dem als Konusfläche ausgebildeten Anschlag ergebenden Vorteile einem Fachmann ohne Weiteres aus der Figur 2 und ihrer Beschreibung der Streitpatentschrift, insbesondere dem Abschnitt [0032], erschließen. Während es dem Fachmann überlassen werden musste, Winkelhebel zur Lösung irgendwie gearteter konstruktiver Probleme, z. B. im Zusammenhang mit dem vorgegebenen Tubenabstand, heran zu ziehen, war es offensichtlich nicht trivial, diese mit einem konusförmigen Anschlag zu kombinieren. Der nachgewiesene Stand der Technik gibt jedenfalls keinen Hinweis auf eine solche Kombination.

4.8 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nur neu ist im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ, sondern auch auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.

5. Die abhängigen Ansprüche sind an den geänderten Anspruch 1 angepasst worden. Die ebenfalls angepasste Beschreibung entspricht hinsichtlich der Darstellung des Standes der Technik und der Erfindung den an sie zu stellenden Forderungen.

6. Die Beschwerdekammer kommt daher entsprechend Artikel 102 (3) EPÜ zu dem Schluss, dass unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin vorgenommenen Änderungen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anweisung, das Patent in geänderter Fassung aufgrund der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Beschreibung:

Spalten: 1 bis 4, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2005;

Spalten: 5 und 6, wie erteilt;

Ansprüche:

Nr.: 1 bis 11, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2005;

Zeichnungen:

Figuren: 1 bis 4, wie erteilt.

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