T 0253/03 () of 9.11.2006

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2006:T025303.20061109
Datum der Entscheidung: 09 November 2006
Aktenzeichen: T 0253/03
Anmeldenummer: 92108260.8
IPC-Klasse: C09C 3/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Oberflächenmodifizierte plättchenförmige Pigmente mit verbessertem Aufrührverhalten
Name des Anmelders: Merck Patent GmbH
Name des Einsprechenden: BASF Aktiengesellschaft, Ludwigshafen
Th. Goldschmidt AG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
European Patent Convention 1973 R 58(4)
European Patent Convention 1973 R 68(2)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung des Schutzbereiches (ja)
Schwerwiegender Verfahrensfehler (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
J 0006/79
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die von der Einsprechenden 02 mit Brief vom 17. Februar 2003 eingelegte Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent EP-B-0 515 928 in geänderter Form aufrechterhalten wurde. Dieser Entscheidung lagen u.a. die Ansprüche 1 - 6 gemäß Hilfsantrag 4 sowie die Seiten 1, 2, 2a, 3 - 10 der Beschreibung, alles eingereicht mit Schreiben vom 15. Juli 1999, zu Grunde.

II. Die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden unabhängigen Ansprüche 1, 3, 5 und 6 haben den nachstehenden Wortlaut:

1. Oberflächenmodifizierte plättchenförmige Perlglanzpigmente hergestellt indem Perlglanzpigmente mit dem Modifizierungsreagenz bestehend aus einem Polyacrylat oder Polymethacrylat bzw. deren wasserlös-lichen [sic] Salze mit Molekulargewichten zwischen 400 und 50.000 und gegebenenfalls einem Lösemittel bzw. Lösemittelgemisch in Mengen von 0,2 bis 10 Gew.-% bezogen auf das Pigment gemischt werden.

3. Verfahren zur Herstellung oberflächenmodifizierter plättchenförmiger Pigmente nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass man in einem Mischgefäß plättchenförmige Perlglanzpigmente mit dem Modifizierungsreagenz bestehend aus einem Polyacrylat mit Molekulargewichten zwischen 400 und 50.000 und gegebenenfalls einem Lösemittel bzw. Lösemittelgemisch in Mengen von 0,2 bis 10 Gew.-% bezogen auf das Pigment versetzt.

5. Verwendung der Pigmente nach Anspruch 1 in Formulierungen wie Farben, Lacken, Druckfarben und zur Kosmetikpräparation.

6. Formulierungen enthaltend Pigmente nach Anspruch 1.

III. Gemäß Seite 5, Ziffer 22, der Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 14. April 1999 beschloss die Einspruchsabteilung, das Patent auf Basis des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4, eingereicht während der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten. Dieser Anspruch 1 entspricht in seinem Wortlaut dem Anspruch 1 des Anspruchssatzes vom 15. Juli 1999. Die Einspruchs abteilung setzte der Patentinhaberin eine Frist von zwei Monaten zur Anpassung der (weiteren) Ansprüche, insbesondere der Verfahrensansprüche 3 und 4, und der Beschreibung. Die Niederschrift der mündlichen Verhandlung ging der Einsprechenden 02 mit Schreiben vom 10. Mai 1999 zu.

IV. Die überarbeitete Fassung der Beschreibung (Seiten 1, 2, 2a, 3 - 10) und ein neuer Satz von Ansprüchen 1 - 6, wovon wie oben erwähnt Anspruch 1 demjenigen des Hilfsantrages 4, eingereicht während der mündlichen Verhandlung, entsprach, wurden von der Patentinhaberin mit Telefax vom 15. Juli 1999, innerhalb der gesetzten Frist, eingereicht. Diese Unterlagen wurden den beiden Einsprechenden mit Post vom 20. Oktober 1999 zur Kenntnisnahme übermittelt.

V. Mit Schreiben vom 8. Juli 1999 reichte die Einsprechende 02 Beschwerde gegen die ihrer Ansicht nach verfahrensabschließende Entscheidung, die gemäß Seite 2 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung (Form 2309) bzw. Punkt 22 des Verhandlungsprotokolls verkündet worden war, ein. Diese Beschwerde (Aktenzeichen T 0823/99) wurde von dieser Kammer in anderer Besetzung als unzulässig verworfen, da sie sich gegen eine Zwischenentscheidung richtete, gegen die die gesonderte Beschwerde nicht zugelassen worden war.

VI. Die Einsprechende 02 erhob mit Schreiben vom 9. April 2002 Einwände unter Artikel 123 (3) EPÜ gegen den mit Telefax vom 15. Juli 1999 neu eingereichten Anspruch 2. Zudem bemerkte sie, dass gemäß der Beschreibung, Seite 5, die Polyacrylate bzw. Polymethacrylate in einer Menge von "0,1 bis 20 Gew.-%" auf das Pigment aufgebracht werden.

VII. In weiterer Folge erließ die Einspruchsanteilung die nunmehr mit Beschwerde angefochtene Zwischenentscheidung. Diese Entscheidung datiert laut EPA Formblatt 2339WP (Blatt 1) vom 13. Dezember 2002; sie wurde laut Datumstempel am 9. Januar 1991, wohl fälschlich für 9. Januar 2003, zur Post gegeben.

VIII. Die Einsprechende 02 (Beschwerdeführerin) führt in der Begründung an, dass das Verfahren vor der Einspruchsabteilung mit wesentlichen Verfahrensmängeln behaftet gewesen sei. Sie rügt, dass die Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung entschieden habe, ohne sie zu den (bei der mündlichen Verhandlung noch nicht vorliegenden) Ansprüchen 2 - 6 gehört zu haben. Zusätzlich bringt sie vor, dass ihre Eingabe vom 9. April 2002 in der angefochtenen Entscheidung unberücksichtigt geblieben sei, ferner, dass das Verhandlungsprotokoll falsch zugestellt worden sei. Die Beschwerdeführerin beantragt u.a. aus diesen Gründen die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

In der Sache führt die Beschwerdeführerin an, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber demjenigen des erteilten Anspruchs 1 in seinem Schutzumfang erweitert worden sei (Artikel 123 (3) EPÜ). Der erteilte Anspruch definiere mit Modifizierungsreagenz beschichtete Pigmente, während der geänderte Anspruch Pigmente betreffe, die lediglich mit Modifizierungsreagenz gemischt wurden, ohne ausdrücklich eine Beschichtung der Pigmente zu fordern.

Ferner stehe die Mengenangabe "0,1 bis 20 Gew.-% auf Seite 5, Zeile 11, der Beschreibung im Widerspruch zum aufrechterhaltenen Anspruch 1.

IX. Die Kammer hat in einem Zwischenbescheid u.a. Einwände unter Artikel 123 (3) erhoben und bei unveränderter Anspruchslage den voraussichtlichen Widerruf des Streitpatents angekündigt.

X. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat diese Mitteilung dahingehend beantwortet, dass sie im Beschwerdeverfahren nicht beabsichtige, Stellung zu nehmen. Sie begründete dies damit, dass das Streitpatent bereits im Jahre 2001 durch Nichtzahlung der Jahresgebühren in allen Vertragsstaaten erloschen sei.

XI. Die Beschwerdeführerin beantragt den Widerruf des Streitpatents und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Die Verfahrensbeteiligte und Einsprechende 01 hat keine Anträge gestellt und mit Schreiben vom 4. September 2003 mitgeteilt, dass sie sich zum Beschwerdevorbringen der Beschwerdeführerin nicht äußern werde.

Die Beschwerdegegnerin hat keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen

1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist gegenüber demjenigen des erteilten Anspruchs 1 in seinem Schutzumfang erweitert worden und genügt daher nicht den Bestimmungen des Artikel 123 (3) EPÜ).

Der erteilte Anspruch 1 definiert mit Modifizierungs reagenz beschichtete Pigmente, während der geänderte Anspruch Pigmente betrifft, die lediglich mit Modifizierungsreagenz gemischt wurden, ohne ausdrücklich eine Beschichtung der Pigmente zu fordern.

1.2 Gegenüber dem erteilten Anspruch 1 wurde der Ausdruck "zur Verbesserung des Aufrührverhaltens" gestrichen. Der Ausdruck "zur Verbesserung des Aufrührverhaltens" stellt nach Auffassung der Kammer eine den Anspruch einschränkende Zweckangabe dar, weil er solche oberflächenmodifizierte Perlglanzpigmente ausschließt, die beispielsweise in den im Anspruch 5 genannten Formulierungen wie Farben, Lacken, Druckfarben und Kosmetikpräparaten keine Verbesserung des Aufrührverhaltens bringen. Ein den Anspruch einschränkendes Merkmal kann aber wegen der Bestimmung des Artikels 123 (3) EPÜ nicht ersatzlos fortfallen.

2. Da wie unter Punkt 1 erläutert keine Fassung des Streitpatents vorliegt, die den Erfordernissen des Artikels 123 (3) EPÜ genügt, ist das Patent zu widerrufen.

3. Verfahrensfehler

Die Beschwerdeführerin hat gerügt, dass die Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung entschieden habe, ohne sie zu den (bei der mündlichen Verhandlung noch nicht vorgelegenen) Ansprüchen 2 - 6 gehört zu haben. Zusätzlich wird vorgebracht, dass die Eingabe vom 9. April 2002 in der Entscheidung unberücksichtigt geblieben sei, ferner, dass das Verhandlungsprotokoll falsch zugestellt worden sei.

Nach Auffassung der Kammer hat das Verfahren vor der Einspruchsabteilung zumindest nicht den Bestimmungen von Regel 58(4) EPÜ entsprochen, da die Einspruchsabteilung den Parteien nicht mitteilte, in welcher Fassung sie das europäische Patent aufrechtzuerhalten beabsichtigte bzw. sie im Falle des Nichteinverständnisses zur Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten aufforderte.

Bevor die Einspruchsabteilung die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geändertem Umfang beschließt, sieht Regel 58(4) EPÜ zwingend vor, dass die Einspruchsabteilung den Parteien mitteilt, in welcher Fassung sie das europäische Patent aufrechtzuerhalten beabsichtigt und sie auffordert, innerhalb von zwei Monaten Stellung zu nehmen, wenn sie mit der Fassung, in der das Patent aufrechterhalten werden soll, nicht einverstanden sind. Diese Mitteilung ist im vorliegenden Fall unterblieben. Zwar sind die der Aufrechterhaltung zugrunde liegenden Unterlagen der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 20. Oktober 1999 zur Kenntnisnahme übermittelt worden. Diese Mitteilung enthält aber keinen Hinweis auf die beabsichtigte Aufrechterhaltung des Streitpatents in dieser oder einer anderen Fassung und kann daher die Mitteilung nach Regel 58(4) EPÜ nicht ersetzen.

Für die Kammer steht damit fest, dass die Beschwerde führerin von der angefochtenen Entscheidung überrascht worden war. Dazu kommt, dass sie aufgrund ihrer in der zwischenzeitlichen Eingabe vom 9. April 2002 vorgebrachten Einwände mit einer Stellungnahme der Einspruchsabteilung und gegebenenfalls auch mit der Anberaumung einer weiteren mündlichen Verhandlung rechnen durfte.

In dieser Eingabe erhob die Beschwerdeführerin nämlich konkrete Einwände unter Artikel 123 (3) EPÜ gegen Anspruch 2. Zudem stellte sie fest, dass gemäß der Beschreibung, Seite 5, die Polyacrylate bzw. Polymethacrylate in einer Menge von "0,1 bis 20 Gew.-%" auf das Pigment aufgebracht werden. Auf den Einwand nach Artikel 123 (3) EPÜ bzw. auf den Hinweis betreffend die Mengenangabe wird in der angefochtenen Entscheidung nicht eingegangen. Sie entspricht daher in dieser Hinsicht nicht dem Erfordernis der Regel 68(2) EPÜ, wonach Entscheidungen, die mit der Beschwerde angefochten werden können, schriftlich zu begründen sind.

Die Kammer möchte in diesem Zusammenhang der Einspruchsabteilung die Möglichkeit zugute halten, dass ihr besagte Eingabe vom 9. April 2002 nicht vorgelegen haben könnte, da diese zu diesem Zeitpunkt offenbar weder in der Akte selbst noch in der elektronischen Dokumentation aufscheint. Die Beschwerdeführerin hat jedoch im Zuge des Beschwerdeverfahrens mit Schreiben vom 29. August 2005 durch Vorlage einer Kopie dieses Schreibens zusammen mit der Kopie des zugehörigen postalischen Laufzettels, der den Eingangsstempel des EPA vom 11. April 2002 trägt, plausibel gemacht, dass das genannte Schreiben an das EPA tatsächlich abgesandt wurde und dort eingegangen ist. Ein möglicher inneramtlicher Fehler bei der Übermittlung von Schriftstücken wäre aber ebenfalls dem Einspruchs verfahren anzulasten.

Nach J 6/79 (ABl. EPA 1980, 225; Entscheidungsgründe, Punkt 8) stellt es grundsätzlich einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, wenn Verfahrensregeln nicht in der im Übereinkommen vorgeschrieben Weise angewendet worden sind. Die Vorschriften der Regel 58(4) und 68(2), Satz 1, EPÜ stellen solche Verfahrensregeln dar. Wie oben erläutert, sind sie im vorliegenden Fall nicht bzw. nicht in der im Übereinkommen vorgeschrieben Weise angewendet worden.

Da zudem der Beschwerde stattgegeben wird, sind die Voraussetzungen der Regel 67 EPÜ für die Rückzahlung der Beschwerdegebühr erfüllt. Dem Antrag ist daher stattzugeben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das europäische Patent wird widerrufen.

3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

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