T 0174/03 () of 5.7.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T017403.20050705
Datum der Entscheidung: 05 Juli 2005
Aktenzeichen: T 0174/03
Anmeldenummer: 97121726.0
IPC-Klasse: C08K 3/36
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 85 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kautschukmischung für Laufstreifen von Fahrzeugluftreifen
Name des Anmelders: Continental AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Formulierung der Ansprüche
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0332/87
T 0666/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 10. Dezember 1997 unter Beanspruchung der Priorität einer deutschen Voranmeldung (19653938) vom 21. Dezember 1996 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 97 121 726.0 mit der Veröffentlichungsnummer 0 849 313 und dem Titel "Kautschukmischung für Laufstreifen von Fahrzeugluftreifen" wurde von der Prüfungsabteilung mit einer am 21. Juni 2002 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen.

II. Der der Entscheidung zugrundeliegende, mit Schreiben vom 20. April 2000 eingereichte, am 22. April 2000 eingegangene Anspruchssatz bestand aus fünf Ansprüchen mit folgendem Wortlaut:

"1. Schwefelvernetzbare Laufstreifenmischung für die Herstellung von Winterreifen, die als Kautschukkomponenten Polyisopren, Polybutadien und Styren-Butadien-Copolymer sowie weitere übliche Füll- und Zusatzstoffe enthält, dadurch gekennzeichnet, daß sie 20 - 50 phr cis 1,4 Polyisopren, 15 - 50 phr Polybutadien mit einem cis-Gehalt>90 mol%, 15 - 65 phr lösungspolymerisiertes Styren-Butadien-Copolymer und 65 - 120 phr Kieselsäure sowie weitere übliche Füll- und Zusatzstoffe enthält.

2. Laufstreifenmischung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das cis-1'4-Polyisopren Naturkautschuk ist.

3. Laufstreifenmischung nach zumindest einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Kautschukmischung als weiteren Füllstoff Ruß enthält.

4. Laufstreifenmischung nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Kautschukmischung 10 bis 40 phr Ruß enthält.

5. Fahrzeugluftreifen, dadurch gekennzeichnet, dass er einen Reifenlaufstreifen aufweist, der aus der Laufstreifenmischung nach zumindest einem der vorhergehenden Ansprüche hergestellt ist."

III. Die Zurückweisung wurde auf Artikel 54 EPÜ gestützt. Nach Auffassung der Prüfungsabteilung war der Gegenstand der Ansprüche 1 und 5 durch die Offenbarung von EP-A-0 677 548 (im Verfahren als "D2" gekennzeichnet), Testbeispiel 2 (Tabelle 2) in Kombination mit dem Gegenstand der Ansprüche 1, 17, 18, 22 und 25 neuheitsschädlich vorbeschrieben. Es wurde in dieser Hinsicht pauschal auf die Entscheidungen T 332/87 (23. November 1990, nicht veröffentlicht im ABl. EPA) und T 666/89 (ABl. 1993, 495) hingewiesen.

Es wurde weiter festgestellt, dass die mit Schreiben vom 27. Juni 2001 eingereichten Vergleichsbeispiele keinen unerwarteten technischen Effekt gegenüber D2 belegen würden, da die Verbesserung des Winterverhaltens einer Kautschukmischung bedingt durch die Auswahl der Mengen von cis-1,4-Polyisopren ("IR"), Naturkautschuk ("NR") bereits aus EP-A-673 792 ("D3", Seite 3, Zeile 55 bis Seite 4, Zeile 12) bekannt sei.

IV. Gegen diese Entscheidung wurde am 20. August 2002 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt.

V. Die Beschwerdebegründung ging am 9. Oktober 2002 ein. Die Anmelderin - nun Beschwerdeführerin - beantragte die Erteilung eines Patentes auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 5 vom 20. April 2000, (vgl. II oben), hilfsweise eine mündliche Verhandlung.

Die Beschwerdeführerin trug im wesentlichen folgendes vor:

a) Anmeldungsgemäß handelte es sich um eine ganz bestimmte Auswahl von Substanzen mit ganz speziellen Bereichen der jeweiligen Anteile, die in Kombination eingesetzt wurden. Insbesondere offenbarte D2 weder explizit noch implizit eine Mischung einer Kombination von 20 - 50 phr cis-1,4-Polyisopren und 20 - 50 phr Polybutadien. Eine solche Zusammensetzung ginge weder aus der Kombination von Beispiel 2 mit der Beschreibung noch aus der Gesamtoffenbarungsgehalt von D2 hervor.

b) Die mit Schreiben vom 27. Juni 2001 nachgereichten Vergleichsbeispiele würden einen unerwarteten technischen Effekt gegenüber D2 belegen. Aus der Tabelle ginge eindeutig hervor, dass erst die erfindungsgemäßen Mischungen bei einem Nassgriff auf hohem Niveau hervorragende Wintereigenschaften zeigten, und außerdem Vorteile im Abrieb gegenüber D2 zu verzeichnen seien. Dagegen zeigten die Mischungen von D2 schlechtere Wintereigenschaften und verbessertes Naßrutschverhalten, wobei der Unterschied zwischen diesen Eigenschaften bei den Zusammensetzungen von D2 relativ hoch sei. D2 enthalte keine Anhaltspunkte auf Basis derer der Fachmann zu den anspruchsgemäßen Mischungen gelangen würde.

D3 lag die Aufgabe zugrunde dem Reifen verbesserten Wintereigenschaften zu verleihen. Dies wurde durch Einsatz eines Blähagens erreicht, wodurch eine geschäumte Bodenaufstandsfläche erzeugt wurde. Bei der anmeldungsgemäßen Zusammensetzung wurden keine zusätzlichen Hilfsstoffe (z. B. Blähmittel) erforderlich. D3 enthalte demzufolge keine Hinweise auf die anspruchsgemäße Zusammensetzung.

VI. Eine Ladung zur mündlichen Verhandlung für den 5. Juli 2005 erging am 22. Dezember 2004.

In einem am 14. Januar 2005 zur Post gegebenen Bescheid stellte die Kammer als vorläufige Meinung folgendes fest:

a) Die Neuheit wurde anerkannt.

b) Die Kammer vermochte aber keine erfinderische Tätigkeit anzuerkennen:

i) Die der Anmeldung zugrunde liegende Aufgabe war, gemäß Seite 2, Zeilen 24 bis 25 der Beschreibung der Veröffentlichungsschrift, die, Reifen bereitzustellen die ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wintereigenschaften und Haftung auf nassen Fahrbahnen aufweisen.

ii) D2 befasste sich mit der Bereitstellung einer Kautschukmischung für den Laufstreifen eines Reifens, wobei die Aufgabe darin bestand, sowohl gute Wintereigenschaften als auch guten Naßgriff zu erzielen (D2, Seite 2, Zeilen 25 bis 27). Demzufolge wurde D2 als nächstliegender Technik angesehen.

iii) Es wurde bemängelt, dass die den Werten der Beispiele in der Anmeldung zugrunde liegenden Meßmethoden bzw. Meßnormen nicht erläutert wurden. Ferner wurden nur die relativen Eigenschaften bezogen auf einer "Standardmischung 1" angegeben. Die absoluten Werte wurden nicht erwähnt. Ebenfalls wurde nicht erklärt, welche Änderungen in welchen Parametern bzw. Eigenschaften als "Verbesserung" bewertet wurden. Auch war nicht nachvollziehbar, ob die gemessene Eigenschaften, bzw. die "Verbesserungen" dieser Eigenschaften tatsächlich Größen entsprachen, die technisch relevant waren.

Folglich ging aus den Beispielen nicht hervor, ob die der Anmeldung zugrunde liegende Aufgabe gelöst worden wäre.

iv) Ferner wurde bemängelt, dass die "Standardmischungen" weder der Offenbarung von D2 noch derer zwei in der Beschreibung der Anmeldung zitierten Druckschriften (DE 44 42 691 und DE 44 42 692) entsprachen. Es war demzufolge nicht klar, auf der Basis welchen Standes der Technik die "Standardmischungen" ausgewählt wurden, und folglich welche Aussagewert und Relevanz diese für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit hatten.

v) Die mit Schreiben vom 27. Juni 2001 nachgereichten Vergleichsbeispiele wiesen ihrerseits Mängel auf, die zur Folge hatten, dass diese nicht dazu geeignet waren, einen technischen Effekt gegenüber D2 zu belegen. Nur Testbeispiel 2 von D2 war für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit relevant, da allein diese Zusammensetzung alle 3 anspruchsgemäß notwendigen Komponenten aufweise. Die im Testbericht verwendeten Mengen an Komponenten, und zum Teil auch die eingesetzten Komponenten entsprachen jedoch denen vom Testbeispiel 2 von D2 nicht.

vi) Da weder die Beispiele in der Anmeldung noch die nachgereichten Beispiele in der Lage waren, einen technischen Effekt gegenüber D2 glaubhaft zu machen, konnte die der Anmeldung zugrunde liegende Aufgabe nur als die minimalistische formuliert werden, und zwar in der Bereitstellung einer alternativen Kautschukzusammensetzung.

Bei dieser Aufgabenformulierung wäre keine erfinderische Tätigkeit erkennbar.

c) Es wurde ferner auf Unstimmigkeiten zwischen der Beschreibung und den Ansprüchen im Sinne des Artikels 84 EPÜ hingewiesen:

i) Gemäß Seite 2, Zeilen 39 bis 43 hatte das anmeldungsgemäß eingesetzte Polyisopren einen cis-Gehalt >90 mol% aufzuweisen. Der Anspruch enthielte jedoch kein entsprechendes Merkmal.

ii) Der Styrengehalt des eingesetzten Styren- Butadien Copolymerisats (SBR) betrug gemäß Seite 2, Zeilen 49 bis 51 der Beschreibung 15 - 35 mol%, was im Anspruch nicht vorkam.

iii) Ebenfalls sollte gemäß der Beschreibung (Seite 2, Zeilen 52 bis 57) die eingesetzte Kieselsäure gewisse Eigenschaften aufweisen, die im Anspruch nicht definiert wurden.

VII. Mit Schreiben vom 31. Mai 2005 reichte die Anmelderin einen ergänzten und berichtigten Versuchsbericht sowie einen Hilfsantrag ein. Bei dem Hilfsantrag handelte es sich um einen Anspruchssatz gemäß dem vom 20. April 2000 wobei Anspruch 1 mit den oben unter VI.c.i)-iii) abgehandelten Merkmalen ergänzt worden ist.

Der so geänderte Anspruch 1 hatte folgenden Wortlaut:

"1. Schwefelvernetzbare Laufstreifenmischung für die Herstellung von Winterreifen, die als Kautschukkomponenten Polyisopren, Polybutadien und Styren-Butadien-Copolymer sowie weitere übliche Füll- und Zusatzstoffe enthält, dadurch gekennzeichnet, daß sie 20 - 50 phr cis-1'4-Polyisopren mit einem cis-1'4- Anteil>90 mol%, 15 - 50 phr Polybutadien mit einem cis- Gehalt>90 mol%, 15 - 65 phr lösungspolymerisiertes Styren-Butadien-Copolymer mit einem Styrenanteil von 15 bis 35 mol% und 65 - 120 phr Kieselsäure mit einer BET- Oberfläche von 145 bis 270 m2/g (ASTM D 5604), einer CTAB-Zahl von 120 - 285 m2/g (ASTM D 3765) und einem Porenvolumen von 0,7 - 1,7 mL/g (DIN 66133) sowie weitere übliche Füll- und Zusatzstoffe enthält."

Ansprüche 2 bis 5 entsprachen denen der unter (II) angegebenen Fassung.

Ferner wurden folgenden Dokumente eingereicht:

- Datenblätter der Produkte BUNA® VSL und Cariflex®

- Schnetger, "Lexikon der Kautschuk-Technik", (Hüthig Buch Verlag, Heidelberg) 2. Auflage (1991), Seiten 228, 467, 468.

Die Beschwerdeführerin erklärte:

a) Die "Standardmischungen" entsprächen Mischungen, die dem Entwicklungsstand der Continental AG darstellten und zum Zeitpunkt der Anmeldung für vertriebene Reifen verwendet wurden.

b) Bei den nachgereichten Beispielen handelte es sich um Zusammensetzungen gemäß D2. Bei der ursprünglich eingereichten Tabelle wurden einige Bestandteile nicht angegeben. Zum Teil wurden Ölverstreckten Komponenten verwendet, der Ölgehalt wurde jedoch in der Tabelle nicht angegeben. Die Tabelle enthielte außerdem einen Schreibfehler.

Es wurde eine korrigierte und mit allen Komponenten ergänzte Tabelle nachgereicht, woraus hervorginge, dass die nachgereichten Beispiele sehr wohl den Zusammensetzungen von D2 entsprachen.

c) Die Bestimmung der Eigenschaften wurde erläutert:

i) Es wurden Reifen mit den in der Tabelle angegebenen Laufstreifenmischungen hergestellt, und in einem Fahrprogramm auf ein Fahrzeug getestet.

ii) Winter: Ermittlung des Traktionsvermögens auf Schnee - das rollende Fahrzeug wurde in einem Schlupfbereich von 0-50 % beschleunigt, und die mittlere Traktionskraft im Schlupfbereich zwischen 10 - 40 % aus der Längsbeschleunigung in Abhängigkeit vom durchlaufenden Schlupf berechnet. Eine erhöhte Traktionskraft entspricht einer Verbesserung. Die kritische Differenz die als relevant angesehen wird betrug 1,6 %. Die Standardmischung 1 wies einen Wert von 342 daN auf.

iii) Nässe: Messung des mittleren Bremsweges auf nassem Asphalt bei schlagartigem Abbremsen aus 80 km/h. Der Bremsweg zwischen einer Geschwindigkeit von 80 und 20 Km/h wurde gemessen. Der Wert des Reifens mit der Standardmischung 1 betrug 51,4 m. Eine Verbesserung bedeutet Verkürzung des Bremswegs. Die kritische Differenz betrug 1,2 %.

iv) Abrieb: Der Reifen wurde über ca 20.000Km 80/20 Autobahn/Landstraßen unter Teillastbedingungen gefahren. Der Gewichtsverlust wurde ermittelt. Bei Standardmischung 1 betrug der Verlust 0,955 kg. Eine Verbesserung bedeutet weniger Verlust. Die kritische Differenz ist kleiner als 5 %.

d) Die Beschwerdeführerin trug ferner vor, die gemessenen Eigenschaften wären für Winterreifen relevante Eigenschaften. Die vorgelegte Bewiesen würden belegen, dass die Aufgabe, die Verbesserung der Wintereigenschaften bei zumindest gleich bleibenden Nasseeigenschaften durch die spezielle Kombination von Polymeren mit Kieselsäure in bestimmten Mengen gelöst wurde.

Aus D2 entnehme der Fachmann weder die Anregung noch den Hinweis, die Aufgabe durch diese spezielle Kombination von Polymeren und Kieselsäure in den beanspruchten Mengen zu lösen.

Demzufolge beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

e) Hinsichtlich den unter VI.c aufgeführten Unklarheiten nahm die Beschwerdeführerein wie folgt Stellung:

i) Unter "cis-1,4-Polyisopren" wurde der Fachmann ein Polyisopren verstehen das mindestens 90 mol% cis-1,4-Anteil aufweise. Es wurde auf dem "Lexikon der Kautschuktechnik", Seiten 467 bis 468 hingewiesen. Demzufolge sei eine Aufnahme des cis-Anteils in Anspruch 1 Überflüssig ("Sinnhäufung").

ii) Die Beschwerdeführerin erklärte sich bereit den Styrengehalt der SBR Komponente sowie die Merkmale der Kieselsäure in den Anspruch aufzunehmen.

VIII. Eine mündliche Verhandlung fand am 5. Juli 2005 statt.

a) Hinsichtlich der Definition des Polyisoprens wiederholte die Beschwerdeführerin im wesentlichen die schon im schriftlichen Verfahren vorgebrachten Argumente. Insbesondere wurde betont, dass der Fachmann unter dem Begriff "cis-1,4-Polyisopren" zwangsläufig und ausschließlich ein Produkt versteht, das mehr als 90 mol% cis-1,4-Einheiten enthält. Folglich war eine Definition dieses Merkmales im Anspruch überflüssig, bzw. eine "Doppelbestimmung".

b) Hinsichtlich der Definition des Styrengehalts der SBR Komponente, argumentierte die Beschwerdeführerin, dass die Angabe in der Beschreibung nicht als "soll" sondern als "kann" Bestimmung zu verstehen sei.

c) Es wurde ähnlich in Bezug auf die Definition der Eigenschaften der Kieselsäure argumentiert.

d) Die Beschwerdeführerin erklärte sich bereit, den Hauptantrag zurückzuziehen, und den mit dem Schreiben vom 31. Mai 2005 eingereichten Hilfsantrag als Hauptantrag weiter zu verfolgen.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Basis der Ansprüche zu erteilen die am 31. Mai 2005 als Hilfsantrag 1 eingereicht wurden. Der am 22. April 2000 eingereichte Hauptantrag wurde fallen gelassen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Artikel 123 (2) EPÜ

Anspruch 1 setzt sich aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 2 hinsichtlich der eingesetzten Komponenten und deren Mengen zusammen. Das Merkmal, dass die Zusammensetzung Mischungen für Reifenlaufstreifen darstellen, geht aus dem ursprünglichen Anspruch 8 hervor. Die anspruchsgemäßen Eigenschaften des Polyisoprens (cis-1,4-Gehalt), des SBR Copolymers (Styrenanteil) sowie der Kieselsäure (BET-Oberfläche, CTAB-Zahl und Porenvolumen) sind in der ursprünglichen Anmeldung auf Seite 2, Zeile 28, Seite 3, Zeile 9 und Seite 3, Zeilen 12 bis 14 (in der veröffentlichten Fassung auf Seite 2, Zeilen 39, 51 und 53 bis 54) offenbart.

Das Merkmal des ursprünglichen Anspruchs 1, nach dem die angegebenen Mengen sich auf 100 Teile des gesamten Kautschuks bezogen, ist in dem antragsgemäßen Anspruch nicht mehr vorhanden. Nach Auffassung der Kammer entsteht hierdurch keine Verletzung der Artikeln 123 (2) oder 84 EPÜ, da die entsprechende Definition bereits durch die Angabe "phr" (dh "parts per hundred parts of rubber") gegeben ist.

Somit erfüllt Anspruch 1 den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ.

Der Gegenstand der Ansprüche 2 bis 5 entspricht dem der ursprünglich eingereichten Ansprüche 5 bis 8.

3. Artikel 84 EPÜ

3.1 Die Beschwerdeführerin trug hinsichtlich der Definition des Polyisoprens vor, dass der Fachmann unter dem Begriff "cis-1,4-Polyisopren" zwangsläufig ein Polyisopren verstehe, das ein cis-1,4-Anteil >90 mol% aufweist. Um dies zu belegen, wurde auf dem "Lexikon der Kautschuk-Technik" hingewiesen. Aus diesem geht hervor, dass cis-1,4-Polyisopren natürlichen Ursprungs ausschließlich in cis-1,4-Verknüpfung vorliegt und dass synthetisch hergestellte cis-1,4-Polyisoprentypen "ca 90 - 98 %" cis-1,4-Strukturen enthalte.

Dieses Lehrbuch zeigt demzufolge, dass unter dem Begriff "cis-1,4-Polyisopren" nicht ausschließlich Polyisopren mit einem cis-Gehalt >90 mol% zu verstehen sind. Dieser Begriff umfasst auch cis-1,4-Polyisoprenen mit einem cis-Gehalt von 90 mol%. Aufgrund der durch "ca" bedingte Ungenauigkeit dieser Angabe kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass unter diesem Begriff auch solche Polymere mit einem cis-Gehalt von weniger als 90 % verstanden werden könnten.

Somit erweist sich die Definition des cis-Gehalts der Polyisoprenkomponente weder als Überflüssig noch als "Doppelbestimmung" sondern als erforderliche Präzisierung.

3.2 Hinsichtlich der Definition des Styrengehalts des Styren-Butadien-Copolymerisat geht aus der Beschreibung hervor, dass der Styrenanteil dieser Komponente 15 - 35 mol% beträgt.

Diese Formulierung ist eindeutig und ohne jede Bedingung oder Qualifizierung. Es lässt sich z. B. aus der Beschreibung nicht herauslesen, dass dieser Styrengehalt nicht zwingend sondern nur bevorzugt ist.

3.3 Auch die Angaben der Beschreibung der Anmeldung (Seite 3, Zeilen 12 bis 14) hinsichtlich der Kieselsäure sind eindeutig: "So sollen Kieselsäure mit einer BET- Oberfläche von 145 bis 270 m2/g (ASTM D 5604), einer CTAB-Zahl von 120 - 285 m2/g (ASTM D 3765) und einem Porenvolumen von 0,7 - 1,7 ml/g (DIN 66133)Verwendung finden". Die Argumente der Beschwerdeführerin, wonach "sollen" als "können" zu verstehen sei, wird weder durch diesen Teil der Beschreibung noch durch irgendeine andere Aussage der Beschreibung gestützt.

3.4 Aus 3.1 - 3.3 geht demzufolge hervor, dass die Definition im Anspruch 1 der Merkmale:

cis-1,4-Gehalt des Polyisoprens

Styrengehalt des Styren-Butadien-Copolymers

BET, CTAB-Zahl und Porenvolumen der Kieselsäure

gemäß Artikel 84 erforderlich ist. Andernfalls würden sich Unstimmigkeiten zwischen der Beschreibung und dem Anspruch ergeben.

3.5 Daher entsprechen die Ansprüche 1 bis 5 den Klarheitserfordernissen des Artikels 84 EPÜ.

4. Die Anmeldung - der nächstliegende Stand der Technik

4.1 Die Anmeldung stellt gemäß Seite 2, Zeilen 24 bis 25 der Veröffentlichungsschrift Winterreifen bereit, die zumindest bei gleich bleibendem Naßgriff eine hervorragende Traktion auf Eis und Schnee gewährleisten.

In diesem Zusammenhang betrifft die Anmeldung eine schwefelvernetzbare Laufstreifenmischung für die Herstellung von Winterreifen mit der Zusammensetzung:

Cis-1,4 Polyisopren 20 - 50 phr

(cis 1,4-Anteil >90 mol%)

Polybutadien 15 - 50 phr

(cis-Gehalt >90 mol%)

Lösungs-SBR 15 - 65 phr

(Styrenanteil 15 - 35 mol%)

Kieselsäure 65 - 120 phr

(BET-Oberfläche, CTAB-Zahl und Porenvolumen wie Punkt 3.3, oben).

4.2 Winterreifen, die ein ähnliches Eigenschaftsprofil aufweisen, sind vom Stand der Technik bekannt, insbesondere von D2, welcher als nächstliegender Stand der Technik angesehen wird.

D2 befasst sich mit der Bereitstellung von Kautschukmischungen für Winterreifen mit dem Ziel, sowohl gute Naßgriff wie auch Verbesserungen im Schneegriff, Traktionsverhalten und Bremseigenschaften bei Eis und Schnee zu erreichen (D2, Seite 2, Zeilen 32 bis 34 und 42 bis 44). Diese Aufgabe wird gemäß D2, Ansprüchen 1, 17, 18, 22 und 25 dadurch gelöst, daß für den Laufstreifen eine Zusammensetzung aus zumindest einem Polymer A aus der Gruppe der Homopolymere und zumindest einem Polymer B aus der Gruppe der Copolymere basierend auf konjugiertem Dien und aromatischer Vinylverbindung, enthaltend feinverteilte, gefällte Kieselsäure verwendet wird, wobei:

Polymer A 20 - 80 phr

(Naturkautschuk, synthetischem Polyisopren, Butadienkautschuk, mit einem Vinylanteil< 30 %)

Polymer B 80 - 20 phr

(Lösungs- oder Emulsionscopolymer eines konjugierten Diens und einer aromatischen Vinylverbindung)

Kieselsäure 5 - 100 phr

verwendet wird.

Insbesondere offenbart Testbeispiel 2 von D2 eine Zusammensetzung aus:

Naturkautschuk 10 Teile (= 10 phr)

VSL 1940 S20* 30 Teile (= 30 phr)

VSL 1950 S25* 30 Teile (= 30 phr)

Polybutadien 30 Teile (= 30 phr)

VN3 Kieselsäure 70 Teile (= 70 phr)

(*) Wie aus den dem Schreiben vom 31. Mai 2005 beigelegten "Product Data Sheets" hervorgeht, sind die Produkte "VSL 1940 S20" und "VSL 1950 S25" lösungspolymerisierte Vinyl-Butadien-Styren Copolymerisate, die mit 37.5 phr Öl verstreckt sind. Hieraus ergibt sich einen Öl-Anteil der Gesamtzusammensetzung von 27,3 %. Folglich ergeben die beispielsgemäß eingesetzten Mengen von 41,25 Teilen der ölverstreckten Copolymeren ein Copolymergehalt von jeweils 30 phr.

Es werden in D2 wie auch in den Beispielen der Anmeldung zum Teil die gleichen Komponenten verwendet (VSL-1940 S20 und VN3). Demzufolge wird davon ausgegangen, dass die anspruchsgemäß definierten Eigenschaften der Kieselsäure und der SBR Komponente denen von den Komponente gemäß D2 Testbeispiel 2 entsprechen, und somit daß die anspruchsgemäß definierten Eigenschaften dieser Komponente keine Unterscheidungsmerkmale gegenüber der Offenbarung von D2 darstellen.

5. Das technische Problem, die Lösung

5.1 Es geht aus den Erklärungen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Messung der Eigenschaften der Laufstreifenmischungen (vgl. VII.c), dass diese unter realistischen, praxisnahen Bedingungen und nicht z. B. lediglich unter Laborbedingungen auf isolierten Proben durchgeführt worden sind. Aus diesem Grund, stellen die durchgeführten Messungen einen fairen Vergleich dar. Demzufolge wird die technische Relevanz der Versuche von der Kammer anerkannt.

5.2 Die "Erfindungsgemäßen Mischungen" 1, 2 und 6 der Tabelle 1 der Anmeldung entsprechen dem Gegenstand vom vorliegenden Anspruch 1. Ein Vergleich dieser Zusammensetzungen mit dem genannten Testbeispiel 2 von D2 zeigt folgende Effekte:

- verbesserte Wintereigenschaften (104 bzw. 102 gegenüber 92);

- etwas schlechtere Naßeigenschaften (105 bzw. 108 gegenüber 109);

- verbesserte Abrieb (105 bzw. 100 gegenüber 98).

(Wie in der Anmeldung erläutert, werden die Messergebnisse der "Standardmischung 1" dem Wert 100 zugeordnet, damit Werte >100 eine Verbesserung, Werte <100 eine Verschlechterung der entsprechenden Eigenschaft gegenüber der Standardmischung bedeuten.)

5.3 Ausgehend von dieser Gegenüberstellung der Ergebnisse von D2 und der Anmeldung muß die objektiv zu lösende technische Aufgabe gegenüber der in der Anmeldung definierten Aufgabe umformuliert werden und zwar als die, Laufstreifenmischungen für Winterreifen bereitzustellen, die bei einem Naßgriff auf hohem Niveau verbesserten Wintereigenschaften gewährleisten. Diese entspricht im Wesentlichen der in der Beschwerdebegründung von der Beschwerdeführerin formulierten Aufgabe (vgl. VI.b oben).

Wie auch aus 5.2 hervorgeht, wird diese Aufgabe durch den Anmeldungsgegenstand glaubhaft gelöst.

6. Artikel 54 EPÜ - Neuheit

6.1 Der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 unterscheidet sich von D2, Testbeispiel 2 dadurch, dass die Menge an Polyisopren (Naturkautschuk) 20 - 50 phr beträgt. Ferner geht aus D2 der cis-Gehalt des eingesetzten Butadiens nicht hervor.

6.2 Die anspruchsgemäße Menge von 20 - 50 phr cis-1,4- Polyisopren geht auch nicht aus der sonstigen Offenbarung von D2 hervor. So offenbart Anspruch 17 von D2, dass die Komponente "Polymer A" in einer Menge von 20 - 80 Gewichtsteile vorhanden ist, und Anspruch 18 offenbart, dass "Polymer A" aus Naturkautschuk, synthetischem Polyisopren und Butadienkautschuk mit einem Vinylanteil< 30 % ausgewählt ist. Eine weitere Definition dieser Komponente oder eine Angabe hinsichtlich des Verhältnisses von Naturkautschuk bzw. synthetischem Isopren zu Butadien ist weder der Beschreibung noch den Ansprüchen von D2 zu entnehmen.

Folglich würde auch eine Kombination von Testbeispiel 2 mit einem anderen Teil der Beschreibung (wie gemäß Absatz 2.2 der Entscheidungsgründe der von der Prüfungsabteilung zitierten Entscheidung T 332/87 zulässig wäre) eine Offenbarung des anspruchsgemäßen Gehalts von Polyisopren durch D2 nicht ergeben.

6.3 Der Gegenstand von Anspruch 1 und folglich auch der von Ansprüchen 2 bis 5 ist demzufolge neu.

7. Artikel 56 EPÜ - Erfinderische Tätigkeit

7.1 D2 behandelt die Komponenten Polyisopren/Naturkautschuk und Polybutadien als gleichwertige Vertreter eine Komponentengruppe und enthält keine Lehre hinsichtlich des Verhältnisses insbesondere der zwei Komponenten Naturkautschuk/Polyisopren und Polybutadien. Es gibt auch in D2 keinerlei Hinweis darauf, dass durch variieren des Verhältnisses insbesondere der Komponenten Naturkautschuk/Polyisopren und Polybutadien die Eigenschaften der Kautschukzusammensetzung in irgendeiner Art und Weise gezielt beeinflusst werden könnten.

Folglich enthält D2 keine Lehre, die dem Fachmann in der Lage versetzt oder den Hinweis gegeben hätte, durch einstellen der Menge von cis-1,4-Polyisopren in einem Bereich von 20 - 50 die gemäß 5.3 formulierte technische Aufgabe zu lösen.

7.2 Hinsichtlich der Verhältnisse der Komponenten verwies die Prüfungsabteilung auf D3. Dieses Dokument betrifft ebenfalls Winterreifen, und hat als Aufgabe Reifen bereitzustellen, die gute Eigenschaften auf Eis, Schnee und bei Nässe aufweist (D3, Seite 2, Zeilen 5 bis 7). Dies wird gemäß D3 dadurch erreicht, dass die Lauffläche (teil) geschäumt wird. Es ist für die Kammer nicht glaubhaft, daß der Fachmann, der eine herkömmliche Laufstreifenmischung - wie durch D2 gelehrt - zur Lösung des unter 5.3 formulierten Problems modifizieren wollte, auf ein Dokument zurückgreifen würde, das eine andere Technik beschreibt. Ferner, wenn D3 zur Modifizierung der Lehre von D2 herangezogen werden sollte, dann müsste die Hauptlehre von D3 - nämlich die Schäumung der Laufstreifen - außer Acht gelassen werden. Dies stellt nach Auffassung der Kammer keine praxisnahe Vorgehensweise, was gegen eine Kombination von D2 und D3, wie von der Prüfungsabteilung vorgetragen, sprechen würde.

Auf jedem Fall, ist die Abhandlung der Kautschukkomponenten in D3 noch undifferenzierter als die in D2. So werden die drei anspruchsgemäß definierten Kautschukarten, Naturkautschuk, cis-1,4-Polybutadien und SBR gemeinsam als "Dienkautschuk" abgehandelt. Es wird zum Beispiel empfohlen, mindestens 50 Gew-Teile cis-1,4- Polybutadien/50 Gew-Teile oder wenige Naturkautschuk zu verwenden. Bei Verwendung von SBR soll diese maximal 20 Gew-Teile betragen. Ein Verhältnis aller drei Komponenten, wie im vorliegenden Anspruch 1 definiert, ist D3 nicht zu entnehmen. Auch gehen aus D3 die weiteren anspruchsgemäß definierten Merkmale (vgl. VII oben) dieser Komponenten nicht hervor.

Demzufolge auch wenn D3 zur Modifizierung der Lehre von D2 herangezogen worden wäre, ergäbe diese Kombination den Gegenstand vom vorliegenden Anspruch 1 nicht.

7.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 lässt sich demzufolge nicht in naheliegender Art und Weise aus dem Stand der Technik ableiten.

7.4 Folglich kommt die Kammer zu den Schluss, daß der Gegenstand von Anspruch 1 und demzufolge der der Ansprüche 2 bis 5 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent auf der Basis des Hauptantrags, eingereicht am 31. Mai 2005 als Hilfsantrag 1, und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen.

Quick Navigation