T 0271/02 (Computergehäuse/HAGEDORN) of 23.11.2005

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T027102.20051123
Datum der Entscheidung: 23 November 2005
Aktenzeichen: T 0271/02
Anmeldenummer: 96945852.0
IPC-Klasse: G06F 1/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Computergehäuse
Name des Anmelders: Hagedorn, Markus
Name des Einsprechenden: Schäfer Gehäusesysteme GmbH
Hermann Stahl GmbH
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das Europäische Patent Nr. 0 859 974 (Europäische Patentanmeldung Nr. 96945852.0, veröffentlicht als Internationale Anmeldung WO-A-97/16781) betrifft ein Computergehäuse bestehend aus einem Gehäuserahmen, Gehäusewandteilen sowie Trag- und Befestigungseinheiten für Computerfunktionseinheiten.

II. Das Patent wurde im Einspruchsverfahren am Ende einer mündlichen Verhandlung widerrufen. Einer der Widerrufsgründe in der auf den 4. Februar 2002 datierten Entscheidung war eine unzulässige Erweiterung im Patentanspruch 1 durch das Merkmal, dass der Erweiterungskartenträger in der Einbauposition zumindest einen Teil einer äußeren Seitenwand bildet. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, die Anmeldung offenbare ausschließlich die Rückfront des Gehäuses - nicht aber die Gehäusewände auf der linken und rechten Seite - als die Seitenwand, an der die Erweiterungskarten von außen zugänglich positioniert sein sollten.

III. Der Patentinhaber (Beschwerdeführer) hat gegen diese Entscheidung am 4. März 2002 schriftlich Beschwerde eingelegt und mit Wirkung zum 7. März 2002 die Beschwerdegebühr bezahlt. Die schriftliche Beschwerdebegründung ist am 19. April 2002 eingegangen. Zusammen mit der Beschwerdebegründung wurden vier Hilfsanträge mit jeweils einem geänderten Anspruch 1 eingereicht.

IV. Zu einer mündlichen Verhandlung am 23. November 2005 vor der Kammer, zu der alle Parteien ordnungsgemäß geladen worden waren, war nur die Einsprechende 01 (Beschwerdegegnerin 01) erschienen. Der Vertreter des Patentinhabers hatte zuvor schriftlich mitgeteilt, dass er nicht teilnehmen werde.

In der mündlichen Verhandlung wurde die Sach- und Rechtslage insbesondere in Bezug auf die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge des Beschwerdeführers erörtert. Die Ansprüche, die dieser Erörterung zugrunde lagen, haben den folgenden Wortlaut:

Ursprünglich eingereichter Anspruch 1 (WO-A-97/16781)

"1. Computergehäuse (1), bestehend aus einem Gehäuserahmen (2), Gehäusewandteilen sowie Trag- und Befestigungseinheiten für Computerfunktionseinheiten, dadurch gekennzeichnet, dass mindestens eine Trageinheit (2) vorhanden ist, welche aus einem Hauptplatinen- und Erweiterungskartenträger (10) besteht und gegenüber dem Gehäuserahmen (3) aus einer Einbauposition in eine Montage- und Wartungsposition verschwenkbar ausgebildet ist."

Hautantrag (Anspruch 1 wie erteilt)

"1. Computergehäuse (1), bestehend aus einem Gehäuserahmen (3), Gehäusewandteilen sowie zumindest teilweise verschwenkbaren Trag- und Befestigungseinheiten für Computerfunktionseinheiten, wobei mindestens eine Trageinheit (2), bestehend aus Hauptplatinenträger (10) und Erweiterungskartenträger (11), vorhanden ist, welche aus einer Einbauposition in eine Montage- und Wartungsposition verschwenkbar ausgebildet ist, dadurch gekennzeichnet, daß der mit dem Hauptplatinenträger (10) gemeinsam verschwenkbare Erweiterungskartenträger (11) in der Einbauposition zumindest einen Teil einer äußeren Seitenwand bildet."

Hilfsantrag 1

"1. Computergehäuse (1), bestehend aus einem Gehäuserahmen (3), Gehäusewandteilen sowie zumindest teilweise verschwenkbaren Trag- und Befestigungseinheiten für Computerfunktionseinheiten,

wobei mindestens eine Trageinheit (2), bestehend aus

Hauptplatinenträger (10) und Erweiterungskartenträger (11), vorhanden ist, welche aus einer Einbauposition in eine Montage- und Wartungsposition verschwenkbar ausgebildet ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

- der mit dem Hauptplatinenträger (19) gemeinsam verschwenkbare Erweiterungskartenträger (11) in der

Einbauposition zumindest einen Teil einer äußeren Seitenwand bildet und

- der Hauptplatinenträger zusätzlich lösbar am Gehäuserahmen einhängbar ausgebildet ist."

Hilfsantrag 2

"1. Computergehäuse (1), bestehend aus einem Gehäuserahmen (3), Gehäusewandteilen sowie zumindest teilweise verschwenkbaren Trag- und Befestigungseinheiten für Computerfunktionseinheiten, wobei mindestens eine Trageinheit (2), bestehend aus Hauptplatinenträger (10) und Erweiterungskartenträger (11), vorhanden ist, welche aus einer Einbauposition in eine Montage- und Wartungsposition verschwenkbar ausgebildet ist, dadurch gekennzeichnet, dass

- der mit dem Hauptplatinenträger (19) gemeinsam verschwenkbare Erweiterungskartenträger (11) in der Einbauposition zumindest einen Teil einer äußeren Seitenwand bildet,

- der Hauptplatinenträger zusätzlich lösbar am Gehäuserahmen einhängbar ausgebildet ist und

- die Schwenkbarkeit und Einhängbarkeit des Hauptplatinenträgers dadurch realisiert ist, dass der Hauptplatinenträger hakenförmige Vorsprünge aufweist, die mit Aussparungen im Gehäuserahmenelement zusammenwirken."

Hilfsantrag 3

"1. Computergehäuse (1), bestehend aus einem Gehäuserahmen (3), Gehäusewandteilen sowie zumindest teilweise verschwenkbaren Trag- und Befestigungseinheiten für Computerfunktionseinheiten, wobei mindestens eine Trageinheit (2), bestehend aus Hauptplatinenträger (10) und Erweiterungskartenträger (11), vorhanden ist, welche aus einer

Einbauposition in eine Montage- und Wartungsposition

verschwenkbar ausgebildet ist, dadurch gekennzeichnet, dass

- der mit dem Hauptplatinenträger (19) gemeinsam verschwenkbare Erweiterungskartenträger (11) in der Einbauposition zumindest einen Teil einer äußeren Seitenwand bildet und

- der Hauptplatinenträger zusätzlich lösbar am Gehäuserahmen einhängbar ausgebildet ist,

- die Schwenkbarkeit und Einhängbarkeit des

Hauptplatinenträgers dadurch realisiert ist, dass der

Hauptplatinenträger hakenförmige Vorsprünge aufweist, die mit Aussparungen im Gehäuserahmenelement zusammenwirken und

- die Aussparungen in einem Teil des Gehäuserahmens ausgebildet sind, welches aus der Gehäuserahmenebene herausgebogen ist."

Hilfsantrag 4

"2.[sic!] Computergehäuse (1), bestehend aus einem Gehäuserahmen (3), Gehäusewandteilen sowie zumindest teilweise verschwenkbaren Trag- und Befestigungseinheiten für Computerfunktionseinheiten, wobei mindestens eine Trageinheit (2), bestehend aus Hauptplatinenträger (10) und Erweiterungskartenträger (11), vorhanden ist, welche aus einer Einbauposition in eine Montage- und Wartungsposition verschwenkbar ausgebildet ist, dadurch gekennzeichnet, dass

- der mit dem Hauptplatinenträger (19) gemeinsam verschwenkbare Erweiterungskartenträger (11) in der Einbauposition zumindest einen Teil einer äußeren Seitenwand bildet und

- der Hauptplatinenträger zusätzlich lösbar am Gehäuserahmen einhängbar ausgebildet ist,

- die Schwenkbarkeit und Einhängbarkeit des Hauptplatinenträgers dadurch realisiert ist, dass der Hauptplatinenträger hakenförmige Vorsprünge aufweist, die mit Aussparungen im Gehäuserahmenelement zusammenwirken,

- die Aussparungen in einem Teil des Gehäuserahmens ausgebildet sind, welches aus der Gehäuserahmenebene herausgebogen ist und

- ein Fixierelement vorgesehen ist, mittels dem der verschwenkbare Hauptplatinenträger in der Einbauposition gehalten wird."

V. Die Kammer hat nach Beratung die Entscheidung über die Beschwerde in der mündlichen Verhandlung verkündet.

VI. Der Beschwerdeführer beantragt in der Beschwerdebegründung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung oder hilfsweise auf der Grundlage des Anspruchs 1 gemäß der Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, aufrechtzuerhalten.

VII. Zum Zurückweisungsgrund der unzulässigen Erweiterung trägt der Beschwerdeführer schriftlich vor, der Begriff "rückwärtig" stelle keine technische Angabe eines Computergehäuses dar und könne daher fortgelassen werden, ohne den ursprünglich offenbarten Gegenstand unzulässig zu erweitern. Um 180º gedreht, wenn der Betrachter das Computergehäuse von der entgegengesetzten Seite her betrachte, werde nämlich aus einer rückwärtigen Seitenwand eine vordere Seitenwand.

VIII. Die Beschwerdegegnerin 01 widerspricht diesem Vorbringen und führt aus, dass auf dem Gebiet der Computergehäuse Vorder- und Rückfronten feststehende Begriffe mit einer für den Fachmann ohne weiteres erkennbaren technischen Bedeutung seien. An der Vorderfront würden die Bedienelemente angeordnet, während an der Rückfront die festen Verbindungselemente und die Stromversorgung platziert seien. Diesem Verständnis folge auch die Anmeldung, beispielsweise auf Seite 1, 2. Absatz und Seite 6, letzter Absatz der WO-Schrift.

Alle Ausführungsbeispiele zeigten die Erweiterungskarten in der Einbauposition zur Rückseite hin angeordnet. Diese rückwärtige Anordnung sei zweifelsohne in der ursprünglichen Anmeldung offenbart, aber auch nur als die einzige und ausschließliche Anordnung. Die Figuren, insbesondere die Figuren 1 bis 6 in Verbindung mit der Seite 40, erster Absatz, zeigten klar, dass die Erweiterungskarten einen Teil der Rückfront bilden müssten.

Das unzulässig erweiterte Merkmal gäbe dem Leser hingegen die Anweisung, die Anschlüsse der Erweiterungskarten auch von einer anderen als der rückwärtigen Seitenwand her zugänglich zu machen, was einer "Revolution" des Computergehäusebaus gleichkäme. Dies dürfe nicht unter Schutz gestellt werden, ohne dass eine solche Bauweise in der Anmeldung deutlich und vollständig offenbart worden sei.

IX. Die Beschwerdegegnerin und Einsprechende 02 hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Beschwerde kann aber keinen Erfolg haben, da das von der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin 01 gerügte und in allen Anträgen beanspruchte Merkmal des Erweiterungskartenträgers als Teil einer äußeren Seitenwand mangels Offenbarung in der ursprünglichen Anmeldung nicht zulässig ist (Artikel 100 c) und Artikel 123 (2) EPÜ).

3. Die jetzigen Ansprüche 1 haben den ursprünglichen Anspruch 1 (siehe die WO-A-97/16781) zur Grundlage und enthalten alle das zusätzliche Merkmal, dass der Erweiterungskartenträger "in der Einbauposition zumindest einen Teil einer äußeren Seitenwand bildet".

Dieses Merkmal ist unstrittig für die rückwärtige Seitenwand offenbart. Für die Verallgemeinerung auf "äußere Seitenwand" fehlt jede explizite Stütze in der Anmeldung. Eine explizite Offenbarung wurde vom Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht.

4. Somit könnte sich das betreffende Merkmal nur durch implizite Offenbarung ergeben, in dem der Fachmann unmittelbar und zweifelsfrei unter Heranziehen seines Fachwissens den ursprünglichen Unterlagen die Lehre entnimmt, dass der Erweiterungskartenträger nicht notwendigerweise einen Teil der Rückwand bildet, sondern in einer (beliebigen) äußeren Seitenwand angeordnet sein kann.

Eine implizite Offenbarung in diesem Sinne ist jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben.

4.1 Die Kammer teilt die Meinung der Beschwerdegegnerin 01, dass der Rück- und Vorderfront eines Computergehäuses für den Fachmann am Prioritätstag eine klare technische Bedeutung zukam. Nichts Anderes ist in der ursprünglichen Anmeldung offenbart, die sich ausdrücklich auf die übliche Bauweise bezieht und eine Frontseite, an der sich die Bedien- und Anzeigeelemente des Computers befinden, von einer Rückseite unterscheidet, die die fest eingebauten Schnittstellen/Erweiterungskartenanschlüsse aufweist (siehe die WO-Schrift, z.B. Seite 1, 2. Absatz oder Seite 2, 2. Absatz). Diese Unterscheidung wird durchgängig bei allen in den Figuren dargestellten Ausführungsbeispielen beibehalten (siehe hierzu beispielsweise die Bezugszeichenliste auf Seite 60: Rückfront 5, Vorderfront 6). Die Kammer hält daher das Argument des Beschwerdeführers, dass es bei dem Begriff "rückwärtig" nur auf die Position des Betrachters ankomme, nicht für stichhaltig.

4.2 Die übliche Bauweise eines Computergehäuses mit einer definierten Front- und Rückseite bedingt weitere grundlegende konstruktive Einzelheiten, insbesondere eine quaderförmige Ausbildung und die Anordnung des Hauptplatinenträgers und der Erweiterungskarten parallel zur Längsrichtung des Quaders und senkrecht zu Front- und Rückseite.

4.3 Die ursprüngliche Offenbarung geht nicht nur von dieser "gattungsgemäßen" Bauweise nach dem Stand der Technik aus (siehe Seite 4, zweiter Absatz der WO-A), sondern behält diese Bauweise ausnahmslos auch bei allen Lösungsvorschlägen für die verschiedenen in der Anmeldung formulierten Probleme bei, die sich nach Ansicht des Anmelders bei einem Standardgehäuse ergeben (siehe Seite 4, 2. Absatz bis Seite 9, 3. Absatz und alle Ausführungsbeispiele der WO-Schrift). So wird beispielsweise zur Lösung des Teilproblems der mangelnden Bestückungsflexibilität und eingeschränkten Montagezugänglichkeit (siehe Seite 4, 2. Absatz bis Seite 6, 1. Absatz) vorgeschlagen, sowohl die Laufwerkseinschübe an der Vorderfront als auch die Hauptplatine und die Erweiterungskarten auf schwenkbaren Trageinheiten anzuordnen, wobei der Erweiterungskartenträger mit den zugehörigen Anschlüssen - wie beim Stand der Technik üblich - in der Einbauposition einen Teil der Rückwand bildet (siehe die Figuren 1 bis 12 in Verbindung mit dem zugehörigen Text).

Als weiteres Beispiel sei auf die Lösung des Teilproblems der Verhinderung eines unberechtigten Zugriffs auf den durch die Erweiterungskartenanschlüsse gebildeten Schnittstellenbereich am Rückwandteil des Computers (siehe Seite 7, letzter Absatz bis Seite 8, 1. Absatz) hingewiesen, nach der eine spezielle Schnittstellenabdeckung an der Gehäuserückseite vorgesehen ist (siehe z.B. die Figur 46 in Verbindung mit dem zugehörigen Text).

4.4 Der Fachmann wird somit die Anordnung des Erweiterungskartenträgers und der damit verbundenen Schnittstellenanschlüsse an der Rückwand des Computergehäuses als wesentlich ansehen, da die Gesamtoffenbarung auf dieser Konfiguration beruht und jedes Abweichen von dieser Konfiguration eine nicht unerhebliche Umkonstruktion des Standardgehäuses hinsichtlich der Anordnung seiner Basiselemente zur Folge hätte, auf die jeder Hinweis in der Anmeldung fehlt.

5. Das Merkmal des Erweiterungskartenträgers als Teil einer (beliebigen) äußeren Seitenwand stellt folglich eine Erweiterung des ursprünglichen Offenbarungsinhaltes der Anmeldung dar und ist daher gemäß Artikel 123 (2) EPÜ unzulässig. Da dieses Merkmal in allen Anträgen erscheint, d.h. in Anspruch 1 des Hauptantrags wie auch in den Ansprüchen 1 der Hilfsanträge 1 bis 4, kann keinem der Anträge stattgegeben werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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