T 0101/02 () of 26.5.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T010102.20040526
Datum der Entscheidung: 26 Mai 2004
Aktenzeichen: T 0101/02
Anmeldenummer: 96103276.0
IPC-Klasse: D21G 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kalander für die Behandlung einer Papierbahn und Verfahren zu dessen Betrieb
Name des Anmelders: Voith Paper Patent GmbH
Name des Einsprechenden: Metso Paper, Inc.
Eduard Küsters Maschinenfabrik GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114
European Patent Convention 1973 Art 123
Schlagwörter: Verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel
Zulässigkeit von Dokumenten (überwiegend verneint)
Neuheit (Haupt- und Hilfsantrag - bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (Haupt- und Hilfsantrag - verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende I und II) haben gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Einsprüche gegen das europäische Patent Nr. 0 732 444 zurückzuweisen, Beschwerde eingelegt.

Mit den Einsprüchen der Beschwerdeführerinnen war das Patent in vollem Umfang im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit sowie eine offenkundige Vorbenutzung) angegriffen worden.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß der von der Einsprechenden I verspätet vorgebrachte neue Einspruchsgrund der mangelnden Offenbarung basierend auf den ebenfalls verspätet eingereichten Dokumenten D12 und D13 prima facie nicht relevant ist und berücksichtigte ihn nicht. Auch die anderen verspätet eingereichten Druckschriften D9 bis D11 und D14 bis D16 wurden gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht weiter berücksichtigt, da sie als prima facie nicht relevant erachtet wurden. Die Einspruchsabteilung entschied weiterhin, daß das nachveröffentlichte Dokument D8 nicht zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) gehört und daß der Gegenstand des Vorrichtungsanspruches 1 des Hauptantrages gegenüber den berücksichtigten Dokumenten neu ist und auch eine erfinderische Tätigkeit beinhaltet.

II. Am 26. Mai 2004 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

i) Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende I und II) beantragten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

ii) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), oder das Patent in geändertem Umfang auf der Basis der Ansprüche 1 bis 9, eingereicht am 14. August 2002 (Hilfsantrag 1), aufrechtzuerhalten.

III. Während der mündlichen Verhandlung wurden die folgenden Dokumente als besonders relevant erachtet:

D0 = Prospekt "Die neuen Superkalander-Konzepte" der Firma Sulzer-Papertec

D1 = U. Rothfuss: "In-line- und Off-line-Satinage von holzhaltigen, tiefdruckfähigen Naturpapieren", Wochenblatt für Papierfabrikation 11/12 - 1993, Seiten 457-466

D6 = Thomas J. Lauterbach: "Synthetic composite covers in supercalenders: update", Tappi Journal, Vol. 76, Nr. 6, Juni 1993, Seiten 115-119

D16 = E. Münch und C.-W. Schmitz: "Der moderne Superkalander - Basis für neue Konzeptionen der elastischen Glättung", dpw-Deutsche Papierwirtschaft 1983/1, Seiten 57 bis 62

D18 = 1993 Finishing and Converting Conference, Seiten 289-309

IV. Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 gemäß Hauptantrag (d. h. wie erteilt) lautet wie folgt:

"1. Kalander für die Behandlung einer Papierbahn, insbesondere zur Erzeugung von tiefdruckfähigem Papier, mit einem vom Ende her belastbaren Walzenstapel, der zwischen jeweils einer harten und einer weichen Walze gebildete Arbeitsspalte und zwischen zwei weichen Walzen einen Wechselspalt aufweist, wobei ein Teil der Walzen beheizbar und mindestens eine Endwalze durchbiegungssteuerbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Stapel nur acht Walzen (2 bis 9) aufweist und zur Erhöhung der der Papierbahn (17) zuzuführenden Verformungsenergie zumindest für einen Arbeitsspalt (15) als Bedingung gilt, daß die Verweilzeit mindestens 0,1 ms beträgt und daß die Beheizung (H) einer den Arbeitsspalt begrenzenden beheizbaren Walze (2, 4, 7, 9) auf eine Oberflächentemperatur (T) von mindestens 100°C und die Belastung (P) der Walzen auf eine mittlere Druckspannung im Arbeitsspalt von mindestens 42 N/mm2 ausgelegt ist."

"11. Verfahren zum Betrieb eines Kalanders nach einem der Ansprüche 1 bis 10, dadurch gekennzeichnet, daß die gemittelten Zahlenwerte der Oberflächentemperatur T [in °C], der mittleren Druckspannung p [in N/mm2] und der Verweilzeit t [in ms] aller Arbeitsspalte so gewählt sind, daß die nachstehende Beziehung für eine Zielgröße Zg gilt:

Zg = 1,378-0,00356.T-(0,00825-5,12.10/-5T)p-[0,039+(0,188- 0,00112T)p.e/-0,093p]t.e/-0,421t = 0,8 bis 0,9."

V.Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 eingereicht mit dem Schreiben vom 14. August 2002 lautet wie folgt (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag in Fettdruck):

"1. Kalander für die Behandlung einer Papierbahn, zur Erzeugung von tiefdruckfähigem Papier, mit einem vom Ende her belastbaren Walzenstapel, der zwischen jeweils einer harten und einer weichen Walze gebildete Arbeitsspalte (10 bis 15) und zwischen zwei weichen Walzen einen Wechselspalt (16) aufweist, wobei ein Teil der Walzen beheizbar und mindestens eine Endwalze (2, 9) durchbiegungssteuerbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Stapel nur acht Walzen (2 bis 9) aufweist, daß zur Erhöhung der der Papierbahn (17) zuzuführenden Verformungsenergie zumindest für einen Arbeitsspalt (15) als Bedingung gilt, daß die Verweilzeit mindestens 0,1 ms beträgt und daß die Beheizung (H) einer den Arbeitsspalt begrenzenden beheizbaren Walze (2, 4, 7, 9) auf eine Oberflächentemperatur (T) von mindestens 100°C und die Belastung (P) der Walzen auf eine mittlere Druckspannung im Arbeitsspalt von mindestens 42 N/mm2 ausgelegt ist, daß die weichen Walzen (3, 5, 6, 8) einen Kunststoffüberzug (22) tragen und daß alle Walzen (2 bis 9) einen Antrieb (21) besitzen."

VI. Die Beschwerdeführerin I hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Die Betriebsparameter gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sind so zu verstehen, daß der Kalander so ausgelegt ist, daß er die Einstellung dieser Betriebsparameter erlaubt.

Die Neuheit wird nicht bestritten.

Das gegenüber dem Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag in der Beschwerdesache T 0100/02 einzige zusätzliche Merkmal ist eine durchbiegungssteuerbare Endwalze, die aber eine Standardausstattung von Superkalandern darstellt (vgl. D18, Seite 296, Figur 14; und D1, Seite 457, Abbildung 1). Dokument D1 offenbart einen 8-bis 16-Walzen-Superkalander, der für Geschwindigkeiten von 500-750 m/min und mittlere Druckspannungen von 35-45 N/mm2 ausgelegt ist und auch einen Wechselspalt aufweist (vgl. Seite 457, Abbildung 1; Seite 458, linke Spalte und rechte Spalte; Seite 464, Kapitel 5). Die für die Soft-Nips offenbarten Temperaturen gelten sowohl für den Superkalander als auch den Soft(Kompakt)-Kalander. Wenn mit einem 8-Walzen- Superkalander das gleiche Papier wie mit einem 12-Walzen- Superkalander geglättet werden soll, dann sind ein höherer Druck und eine höhere Temperatur zwingend notwendig, um die gleiche Satinierkapazität bereitzustellen. Die für das Streitpatent zu lösende Aufgabe, ausgehend von Dokument D1 (vgl. Seite 464, rechte Spalte, dritter und fünfter Absatz), ist, einen Kalander zur Verfügung zu stellen, der Papier zur besseren Bedruckbarkeit herstellen kann. Aus dem Streitpatent kann entnommen werden, daß normale bekannte Kalander für diese Betriebsparameter geeignet sind (vgl. Patent, Spalte 2, Zeilen 31-34). Dokument D16 zeigt einen fließenden Übergang der Kalanderkonzepte, wobei die damaligen elastischen Walzen als nicht geeignet angesehen werden (vgl. Seite 58, linke Spalte unten bis mittlere Spalte, oben). Der Fachmann kann jedoch einen derartigen Kalander ohne Probleme entsprechend auslegen, da beispielsweise aus dem Dokument D6 zwischenzeitlich geeignete elastische Kunststoffwalzen für Superkalander bekannt sind, die sowohl Betriebstemperaturen von mehr als 150°C als auch Drücke von mehr als 60 kPa aushalten (vgl. D6, Seite 117, Diagramme 3 und 4). Dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags mangelt es daher an der erfinderischen Tätigkeit.

Kunststoffbezüge für weiche Walzen von Superkalandern sind bekannt (vgl. Dokument D6, Abbildungen 3-4). Die Formulierung von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 "alle Walzen einen Antrieb besitzen" läßt zwei Interpretationen zu. Einerseits, daß jede Walze ihren eigenen Antrieb besitzt, andererseits, daß ein gemeinsamer Antrieb vorhanden sein kann. Jedoch wäre in beiden Fällen eine Auswahl aus zwei bekannten Möglichkeiten nicht als erfinderisch zu betrachten, da die Antriebe zwingend notwendig sind, um den 8-Walzen- Superkalander überhaupt inline-fähig zu machen. Die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 wird daher ebenfalls verneint.

VII. Die Beschwerdeführerin II hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Die Neuheit wird nicht bestritten.

Dokument D1 wird als nächstkommender Stand der Technik betrachtet, das Kalander zur zweiseitigen Behandlung von Papierbahnen mit harten und weichen Walzen und Wechselspalt offenbart (vgl. Seite 457, Abbildung 1; Seite 458, linke Spalte und rechte Spalte unten). Für einen 12-Walzen-Superkalander werden Walzenoberflächentemperaturen von 70-90°C in Kombination mit mittleren Druckspannungen von 35-45 N/mm2 und Verweilzeiten von ca. 0.5-0.6 ms offenbart (die Verweilzeiten sind über die angegebene Geschwindigkeit von 500-750 m/min und die angegebene Druckspannung berechnet). Dem Fachmann wird von D1 gelehrt, daß für bestimmte Tiefdruckpapierqualitäten weniger als die 11 Nips des 12-Walzen-Superkalanders ausreichend sind (vgl. Seite 459, linke Spalte, zweiter und dritter Absatz). Der Fachmann, der sich die Aufgabe stellt, einen Kalander zu schaffen, der billiger in der Herstellung und Betrieb ist und dieselben Satinierergebnisse wie der 12-Walzen-Kalander liefert, würde daher die Walzenzahl reduzieren, da diese den Preis des Kalanders stark beeinflußt. Der Fachmann lernt ferner von der Abbildung 6. des Dokuments D16, daß es weitere Kalanderkonzepte zwischen dem klassischen Superkalander mit 10 bis 16 Walzen und den Soft-(Kompakt)-Kalandern gibt, nämlich einen 6-bis 8-Walzen-Superkalander gemäß der Variante "C", (vgl. Seite 59, Abbildung 6; und Seite 62, rechte Spalte, zweiter Absatz). Das Dokument D16 offenbart im übrigen Temperaturen von 60-140°C, die vom Fachmann als Walzenoberflächentemperaturen verstanden werden (vgl. Seite 57, rechte Spalte bis Seite 58, linke Spalte in Verbindung mit Abbildung 2). Der Fachmann würde die Anlagen unter Berücksichtigung der notwendigen Gesamtsatinierkapazität so auslegen, daß die geforderten Betriebsparameter erreicht würden.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Auch dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 fehlt die notwendige erfinderische Tätigkeit. Das zusätzliche Merkmal von Anspruch 1 "daß die weichen Walzen einen Kunststoffbezug tragen und daß alle Walzen einen Antrieb besitzen" stellt lediglich eine Aggregation von Merkmalen des Standes der Technik dar. Das Einfädeln des von der Papiermaschine kommenden Papiers kann nur bei angetriebenen Walzen erfolgen, da sonst das Papier zerreißen würde. Beim normalen Offline- Superkalander wird nur eine Walze angetrieben und die anderen Walzen werden über Reibung mitangetrieben. Somit gibt es nur zwei Möglichkeiten für den Fachmann: a) ein gemeinsamer Antrieb für alle Walzen, oder b) einzeln angetriebene Walzen. Das Kalanderkonzept "C" gemäß Dokument D16 wird als Inline-fähig angesehen, was bedingt, daß die Walzen angetrieben werden müssen, in einer der beiden Formen. Gemäß Dokument D16 waren die Superkalander in der Vergangenheit nicht Inline-fähig, da die entsprechenden Walzenmaterialien fehlten und nicht, weil die Antriebe für die Walzen fehlten (vgl. D16, Seite 58, linke Spalte, letzter Absatz bis mittlere Spalte, erster Absatz; sowie D1, Seite 459, rechte Spalte, dritter Absatz: "Schleifintervalle von 4 Wochen ...").

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:

Die verspätet eingereichten Dokumente D9-D22 sind nicht relevanter als jene, die rechtzeitig ins Verfahren eingebracht wurden. Die Dokumente D9-D22 sollten daher gemäß Artikel 114 (2) EPÜ unberücksichtigt bleiben. Die gutachterliche Stellungnahme von Prof. Baumgarten stellt lediglich ein Parteiengutachten dar.

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist neu, da dem 8-Walzen- Superkalander gemäß der Entgegenhaltung D1 die Merkmale der Auslegung für Walzenoberflächentemperaturen von mindestens 100°C und der durchbiegungssteuerbaren Endwalze fehlt.

Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da die Dokumente D1 bzw. D16 weder für sich genommen noch in Kombination diesen Gegenstand für den Fachmann nahelegen. Die Aufgabe für Anspruch 1 des Hauptantrags lautet, einen billigeren Kalander zu schaffen, der die gleiche Qualität liefert. Die Konzepte der Superkalander (gekoppelte Nips, geringere Temperaturen) und der Kompaktkalander (entkoppelte Nips, großer Walzendurchmesser erschwert das Druckaufbringen, erhöhte Temperaturen von 160-200°C bedingen Ölheizung oder Dampfeinsatz) sind sowohl von der Anordnung und der Größe der Walzen als auch den angewandten Temperaturen und Drücken so unterschiedlich, daß diese Werte nicht eindeutig übertragbar sind. Sowohl Dokument D1 als auch D16 lehren, daß für bestimmte Papierqualitäten der 12-Walzen-Superkalander notwendig ist, während für geringere Papierqualitäten auch ein Kompaktkalander mit 1, 2 oder 4 Nips ausreicht. Der in Dokument D16 genannte "Newsprint" deutet nicht auf höherwertiges Papier hin und die Temperatur gemäß der Abbildung 2 ist nicht die Walzenoberflächentemperatur. Außerdem hat diese Abbildung 2 keine Korrelation zu den Kalanderkonzepten "A" bis "H", so daß nicht jeder Kalandertyp alle Temperaturen abdecken muß. Das Diagramm 3 von Dokument D6 betrifft Glasübergangstemperaturen (TG). Das zusätzliche Merkmal gegenüber dem Anspruch 1 der Beschwerdesache T 0100/02 bringt keinen größeren Nutzen als beim Stand der Technik.

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 verlangt, daß jede Walze ihren eigenen Antrieb hat, so daß das Dokument D9, bei dem alle Walzen mittels einer Art von Keilriemen angetrieben sind, nicht relevant ist. Aus der Abbildung 6. von Dokument D16 kann man nicht schließen, daß der Kalandertyp "C" Inline-fähig sein soll, da die Typen "A" bis "D" als Offline und der Betrieb von Inline als Wunschtraum beschrieben sind (vgl. Seite 59, rechte Spalte; Seite 58, linke Spalte, letzter Absatz bis mittlere Spalte, erster Absatz). Nur wenn zusätzliche Antriebe gewählt werden, dann kann Inline gearbeitet werden und die Wärme des von der Papiermaschine kommenden Papiers zusätzlich ausgenützt werden. Beim Stand der Technik gibt es keinen Inline-Betrieb und planmäßige Stillstände der Papiermaschine werden zum Walzenwechsel genützt (vgl. D1, Seite 459, rechte Spalte, dritter Absatz). Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 beinhaltet daher eine erfinderische Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der verspätet eingereichten Dokumente D9 bis D22

1.1. Die Dokumente D9 bis D22 wurden alle nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereicht, wobei die Dokumente D17 bis D22 sogar erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegt wurden. Der Gegenstand von Anspruch 1 wurde im Einspruchsverfahren gegenüber dem erteilten Anspruch 1 nicht verändert, so daß kein Anlaß bestand, neue Dokumente nachzureichen. Alle Dokumente D9 bis D22 sind daher als verspätet im Sinne von Artikel 114 (2) EPÜ zu betrachten, so daß deren Zulässigkeit im Ermessen der Kammer liegt. Die Kammer hat daher die Relevanz dieser Dokumente überprüft.

1.2. Die Dokumente D12 (= "Das Janus Concept - eine neue Satinage-Technologie", Wochenblatt für Papierfabrikation 16-1995, Seiten 698, 700 und 701) und D17 (= Papier-Lexikon, Band 2 G-Q, Deutscher Betriebswirte-Verlag GmbH, Gernsbach, 1999, Seiten 125-127) sind eindeutig nachveröffentlicht. Sie sind daher für die Frage der Patentfähigkeit per se nicht relevant.

1.3. Die Kammer stimmt mit der Begründung der Beschwerdegegnerin überein, daß die erstmals im Beschwerdeverfahren eingereichten Dokumente D9 bis D15, D17 und D19 bis D22 nicht relevanter sind, als die bereits im Verfahren befindlichen Dokumente.

Die Kammer entscheidet daher unter Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 114 (2) EPÜ, die Dokumente D9 bis D15, D17 und D19 bis D22 nicht zu berücksichtigen.

Die Dokumente D16 - es offenbart verschiedene Kalanderkonzepte inkludierend einen 8/6-Walzen Superkalander Typ "C" - und D18 (= 1993 Finishing and Converting Conference, Seiten 289-309) - es erwähnt den Einfluß von verschiedenen Prozeßparametern beim Satinieren und gibt Anregungen um Qualität, Produktivität und Sicherheit von Superkalandern zu verbessern - haben eine gewisse Relevanz als Stand der Technik für das Streitpatent.

Die Kammer entscheidet daher in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 114 (1) EPÜ, die Dokumente D16 und D18 zu berücksichtigen.

Hauptantrag

2. Neuheit

2.1. Die Neuheit von Anspruch 1 des Hauptantrags wurde von den Beschwerdeführerinnen nicht bestritten.

2.2. Die Kammer interpretiert die Vorrichtung von Anspruch 1 in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin I derart, daß der Kalander einen Stapel von 8 Walzen, welcher harte und weiche Walzen sowie jeweils zwischen einer harten und weichen Walze gebildete Arbeitsspalte und einen durch zwei weiche Walzen gebildeten Wechselspalt, aufweist. Im übrigen ist dieser Kalander, bei dem ein Teil der Walzen beheizt werden kann und bei dem mindestens eine Endwalze durchbiegungssteuerbar ist, konstruktiv so ausgelegt, daß bestimmte Betriebsparameter bei der Verwendung des Kalanders entsprechend den Merkmalen der Verweilzeit, der Oberflächentemperatur der Walzen und der mittleren Druckspannung im Arbeitsspalt eingestellt werden können.

Die Kammer stellt fest, daß keines der Dokumente einen Superkalander mit 8 Walzen im Stapel mit mindestens einer durchbiegungssteuerbaren Endwalze sowie einem Wechselspalt offenbart, der konstruktiv so ausgelegt ist, daß alle im Anspruch 1 des Hauptantrags definierten Betriebsparameter erreicht werden können.

2.3. Die Kammer befindet daher, daß der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags neu gegenüber den eingereichten Dokumenten ist.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Nächster Stand der Technik

Die Entgegenhaltungen D1 oder D16 werden als nächstkommender Stand der Technik erachtet. Beide Entgegenhaltungen offenbaren 8-Walzen-Superkalander, die harte und weiche Walzen in einem Stapel enthalten und zur beidseitigen Behandlung von Papierbahnen mit einem Wechselspalt konzipiert sind. Die Verwendung durchbiegesteuerbarer Endwalzen stellt eine auch von Dokument D1 bekannte übliche Maßnahme dar.

Die mittels der in der Entgegenhaltung D1 angegebenen mittleren Druckspannungen und Geschwindigkeiten berechnete Verweilzeit im Arbeitsspalt beträgt ca. 0,5- 0,6 ms (vgl. Seite 458, rechte Spalte, drittletzter und zweitletzter Absatz).

In den Dokumenten D1 und D16 ist nicht erwähnt, daß der 8-Walzen-Superkalander so ausgelegt ist, daß er die Betriebsparameter gemäß den Merkmalen des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1 ermöglicht.

3.2. Aufgabe

Die Kammer sieht die mit dem Gegenstand des Streitpatents zu lösende Aufgabe darin, einen 6- oder 8- Walzen-Superkalander bereitzustellen, der so betrieben werden kann, daß er dieselben Satinierergebnisse wie der 12-Walzen-Superkalander liefert.

3.3. Lösung der Aufgabe

Die Lösung dieser Aufgabe erfolgt gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags durch einen 6-oder 8-Walzen-Superkalander, der für die zweiseitige Behandlung einen Wechselspalt und mindestens eine durchbiegungssteuerbare Endwalze aufweist und der im Hinblick auf die Verweilzeit im Spalt, die mittlere Druckspannung und die Walzenoberflächentemperatur für die Betriebsparameter gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 ausgelegt ist.

3.4. Diese Lösung wird durch den Stand der Technik aus folgenden Gründen nahe gelegt.

Das Dokument D1 offenbart Superkalanderkonzepte mit 8-16 übereinander angeordneten Walzen (vgl. Seite 458, linke Spalte, vierter Absatz). Für einen 12-Walzen- Superkalander werden Temperaturen der Walzenoberflächen von 70-90°C in Kombination mit mittleren Druckspannungen von 35-45 N/mm2 (entsprechend Streckenlasten um 300 N/mm) und impliziten Verweilzeiten von ca. 0.5-0.6 ms erwähnt (diese Verweilzeit ist über die angegebene Geschwindigkeit von 500-750 m/min und die angegebene Druckspannung berechnet). Der Fachmann wird daher einen 8-Walzen-Superkalander zunächst für die selben Betriebsparameter wie den 12-Walzen-Superkalander auslegen.

Das gegenüber der Beschwerdesache T 0100/02 zusätzliche im Oberbegriff von Anspruch 1 angeführte Merkmal "und mindestens eine Endwalze durchbiegungssteuerbar ist" ist üblicherweise Bestandteil von Superkalandern, wie auch aus dem Dokument D1 zu entnehmen ist. Der Fachmann weiß aus dem Dokument D1, daß der Einsatz von elastischen weichen Walzen eine möglichst gleichmäßige Streckenlastverteilung im Nip erfordert, was durch den Einsatz zonengesteuerter Walzentypen (= Walzen, die durchbiegungssteuerbar sind) erreicht wird (vgl. D1, Seite 459, rechte Spalte, sechster Absatz; siehe auch D0, Seiten 10-11; und D18, Seite 296, vorletzter Absatz bis Seite 297, erster Absatz und Figur 14). Die Beschwerdegegnerin hat auch zugestanden, daß dieses Merkmal keinen anderen als den vom Stande der Technik bereits bekannten Effekt bewirkt. Folglich kann dieses Merkmal keine erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 begründen.

Dem Fachmann ist auch bekannt, daß eine Reduzierung der Walzenzahl (hier: von 12 auf 8 Walzen) eine Anwendung höherer Temperaturen und höherer Druckspannungen in den verbleibenden Nips erforderlich macht, damit die geforderte Bahneigenschaft des Papiers - d. h. die Glätte - unverändert erzielt werden kann (vgl. D1, Seite 458, Abbildungen 2-3, Paragraph "Der Satinierprozeß").

Der Fachmann entnimmt darüber hinaus der Abbildung 6 des Dokuments D16, daß es weitere Kalanderkonzepte zwischen dem klassischen 10-bis 16-Walzen-Superkalander und den Soft-(Kompakt)-Kalandern gibt, nämlich die Variante "C", d. h. einen 6-bis 8-Walzen-Superkalander (vgl. Seite 59, Abbildung 6; und Seite 62, rechte Spalte, zweiter Absatz).

Das Dokument D16 offenbart übrigens in der Abbildung 2 - wie Dokument D1 - Streckenlasten bis zu 300 N/mm (dieser Wert entspricht gemäß D1 mittleren Druckspannungen von 35-45 N/mm2) und zwar in Kombination mit Temperaturen von 60-140°C .

Die Beschwerdegegnerin argumentierte, daß die Abbildung 2 von Dokument D16 keine Korrelation zu den Kalanderkonzepten "A" bis "H" habe, so daß nicht jeder Kalandertyp alle Temperaturen abdecken müsse, und daß diese Temperatur auch die Wasservorlauftemperatur für die Beheizung der Walzen sein könnte.

Die Kammer kann diese Argumente nicht akzeptieren, da das Dokument D16 explizit stufenlos einstellbare Walzentemperaturen von 30-100°C bei den gleichen Streckenlasten bis 300 N/mm für das Kalanderkonzept "F" - das einen 5-Walzen Superkalander ohne Wechselspalt darstellt - erwähnt (vgl. Seite 59, rechte Spalte, drittletzter Absatz). Diese Sicht wird auch von der Abbildung 13 gestützt, welche ein Diagramm "Glätte über Temperatur" zeigt, wobei die Temperatur der Walzen des 10-Walzen-Superkalanders im Bereich von 60-120°C variiert wurde (vgl. Seite 61, Abbildung 13, linkes Diagramm). Der Fachmann wird diese Temperaturen eindeutig als Walzenoberflächentemperaturen verstehen, da eine andere Interpretation im Hinblick auf die in Kombination mit der Streckenlast (= Liniendruck) erreichbare Glätteentwicklung des Papiers gemäß der Abbildung 2 auch technologisch keinen Sinn ergeben würde (vgl. Seite 57, rechte Spalte bis Seite 58, linke Spalte in Verbindung mit Abbildung 2).

Der Fachmann würde daher aufgrund der genannten Lehren der Dokumente D1 und D16 den 8-Walzen-Superkalander mit den üblichen durchbiegesteuerbaren Endwalzen ausstatten und, um dasselbe Ergebnis, wie mit dem 12-Walzen- Superkalander zu erreichen, so auslegen, daß er Betriebsbedingungen gemäß der im Anspruch 1 definierten Bereiche ermöglicht.

Der Fachmann kann einen derartigen 8-Walzen- Superkalander konstruktiv problemlos auslegen, da geeignete Kunststoffwalzen für Superkalander aus dem Dokument D6 bekannt sind, die sowohl Betriebstemperaturen von mehr als 150°C als auch Drücke von mehr als 60 kPa aushalten (vgl. D6, Seite 117, Diagramme 3 und 4).

Die Beschwerdegegnerin behauptete zwar, daß das Diagramm 3 von Dokument D6 nur die Glasübergangstemperaturen (TG) der für die Überzüge der weichen Walzen verwendeten Polymere betreffe. Die Kammer kann diese Aussage aber nicht akzeptieren, da im Diagramm 3 eindeutig die Einsatztemperaturen ("operating temperatures") von "Epoxy" Material von bis zu ca. 130°C und von "Advanced Epoxy" Polymermaterial von bis zu ca. 175°C spezifiziert sind und nicht deren TG-Werte. Außerdem ist auch aus dem Diagramm 2, der Zusammenhang zwischen den Einsatztemperaturen und dem Druckmodul sowie dem TG-Wert verschiedener Materialien ersichtlich, wobei auch hier das Material "C" für Temperaturen von ca. 130°C einsetzbar ist (vgl. Seite 116, linke Spalte und Figur 2). Somit gab es bereits Walzenmaterialien, die für erhöhte Einsatztemperaturen und auch für erhöhte Einsatzdrücke geeignet sind und auch für diese Verwendung in Superkalandern gemäß Dokument D6 empfohlen wurden (vgl. Seite 117, linke Spalte, erster Absatz bis mittlere Spalte, dritter Absatz).

3.5. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Hauptantrags beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

Hilfsantrag 1

4. Änderungen (Artikel 123 EPÜ)

4.1. Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 1 des Hilfsantrags 1 wurde durch die Aufnahme des Merkmals ", daß die weichen Walzen (3, 5, 6, 8) einen Kunststoffüberzug (22) tragen und daß alle Walzen (2 bis 9) einen Antrieb (21) besitzen." geändert.

4.2. Die Kombination dieser Merkmale ist von der Offenbarung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Form gedeckt (vgl. Ansprüche 1, 5 und 9) und schränkt den Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 weiter ein.

4.3. Die Vorrichtung gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 geht somit nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und erweitert den Schutzbereich des angegriffenen Patents gegenüber Anspruch 1 in der erteilten Form nicht. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ist daher im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht zu beanstanden.

5. Neuheit

Die Ausführungen der Kammer für Anspruch 1 des Hauptantrags (vgl. die oberen Punkte 2.1 bis 2.3) gelten mutatis mutandis für Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, der alle Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags sowie weitere zusätzliche Merkmale aufweist (vgl. den oberen Punkt 4.1).

6. Erfinderische Tätigkeit

6.1. Die Kammer stimmt mit den Beschwerdeführerinnen überein, daß die zusätzlichen Merkmale von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 - die Verwendung von mit einem Kunststoffbezug versehenen weichen Walzen bzw. daß alle Walzen einen (eigenen) Antrieb besitzen - bereits vom Stand der Technik explizit bzw. implizit bekannt sind (vgl. D6, Seiten 116-117, Diagramme 2-4; Seite 117, linke Spalte, letzter Absatz bis mittlere Spalte, dritter Absatz), so daß die dadurch bedingten Effekte vorhersehbar sind und eine reine Aggregation von Merkmalen darstellen, die jeweils Teilprobleme lösen.

Der Fachmann muß, wenn er den Kalander inline-fähig machen möchte, entsprechende Antriebe für die Walzen vorsehen. Dabei kann die Auswahl eines Einzelantriebs der Walzen aus lediglich zwei Möglichkeiten für die Gestaltung des Antriebs keine erfinderische Tätigkeit begründen. Ebenso muß der Fachmann auf entsprechende Kunststoffbezüge für die Walzen gemäß dem Stand der Technik D6 zurückgreifen, um die weichen Walzen für die erhöhten Temperaturen auszulegen, damit die Gesamtsatinierkapazität erhalten bleibt. Im übrigen hat die Beschwerdegegnerin auch keinen kombinatorischen Effekt dieser zusätzlichen Merkmale nachgewiesen.

6.2. Die Kammer befindet daher, daß auch dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 die notwendige erfinderische Tätigkeit fehlt. Daher ist auch der Hilfsantrag 1 nicht gewährbar.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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