T 0914/01 () of 2.12.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T091401.20031202
Datum der Entscheidung: 02 Dezember 2003
Aktenzeichen: T 0914/01
Anmeldenummer: 96112429.4
IPC-Klasse: C08F 10/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Katalysatorsysteme vom Typ der Ziegler-Natta-Katalysatoren
Name des Anmelders: Novolen Technology Holdings C.V.
Name des Einsprechenden: INEOS Silicas Limited
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung (Parameter) (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0172/99
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0464/05
T 0066/07
T 1834/11
T 0054/17

Sachverhalt und Anträge

I. Die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 761 696 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 96 112 429.4 der BASF AG (Patentinhaberin jetzt Novolen Technology Holding C.V.), angemeldet am 1. August 1996 unter Beanspruchung der Prioritäten DE 19 529 240 (9. August 1995) und DE 19545497 (6. Dezember 1995), wurde am 1. April 1998 bekannt gemacht (Patentblatt 1998/14).

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 6 bis 10 lauteten:

"1. Katalysatorsysteme vom Typ der Ziegler-Natta- Katalysatoren, enthaltend als aktive Bestandteile

a) eine titanhaltige Feststoffkomponente, die eine Verbindung des Titans, eine Verbindung des Magnesiums, ein Halogen, Kieselgel als Träger und einen Carbon säureester als Elektronendonorverbindung enthält, sowie als Cokatalysator

b)eine Aluminiumverbindung und

c)gegebenenfalls eine weitere Elektronendonorverbindung,

wobei das verwendete Kieselgel einen mittleren Teilchendurchmesser von 5 bis 200 µm, einen mittleren Teilchendurchmesser der Primärpartikel von 1 bis 10 µm und Hohlräume bzw. Kanäle mit einem mittleren Durchmesser von 1 bis 10 µm aufweist, deren makroskopischer Volumenanteil am Gesamtpartikel im Bereich von 5 bis 20% liegt.

6.Verfahren zur Herstellung von Katalysatorsystemen gemäß den Ansprüchen 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, daß man die titanhaltige Feststoffkomponente a) und den Cokatalysator b) und gegebenenfalls c) bei Temperaturen von 0 bis 150°C und Drücken von 1 bis 100 bar aufeinander einwirken läßt.

7.Verfahren zur Herstellung von Polymerisaten des Propylens durch Polymerisation von Propylen und gegebenenfalls von zugegebenen Comonomeren bei Temperaturen von 20 bis 150°C und Drücken von 1 bis 100 bar in Gegenwart von Ziegler-Natta-Katalysator- systemen, dadurch gekennzeichnet, daß man Katalysator- systeme gemäß den Ansprüchen 1 bis 5 verwendet.

8.Polymerisate des Propylens, erhältlich nach dem Verfahren gemäß Anspruch 7.

9.Propylenhomopolymerisate, erhältlich durch Polymerisation von Propylen bei Temperaturen von 20 bis 100°C, Drücken von 15 bis 40 bar und mittleren Verweil- zeiten von 0,5 bis 5 Stunden im Gegenwart von Ziegler- Natta-Katalysatorsystemen nach den Ansprüchen 1 bis 5.

10. Folien, Fasern und Formkörper aus den Polymerisaten gemäß Ansprüchen 8 oder 9."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 betrafen bevorzugte Ausführungsformen der Katalysatorsysteme gemäß Anspruch 1.

II. Gegen das Patent wurde am 23. Dezember 1998, gestützt auf die Bestimmungen des Artikels 100 a) und b) EPÜ von Crosfield Limited (später INEOS Silicas Limited) Einspruch erhoben und beantragt, das Patent in seinem gesamten Umfang zu widerrufen.

Der im Einspruchsverfahren berücksichtigte Stand der Technik umfasste, unter anderem, folgende Dokumente:

D1: US-A-5 143 883;

D2: J.C. Russ, "The Image Processing Handbook", 2nd edition, CRC Press 1994, Seiten 507 bis 519;

D3: E.E. Underwood, "Quantitative Stereology", Adison- Wesley 1970, Seiten 117 bis 133;

D4: J.C. Russ, "Practical Stereology", Plenum Press 1986, Seiten 136 bis 138;

D5: J.C. Russ, "Practical Stereology", Plenum Press 1986, Seiten 35 bis 38;

D6: E.E. Underwood, "Quantitative Stereology", Adison- Wesley 1970, Seiten 103 bis 105;

D7: H. Schuhmann, "Metallographie", Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie VEB Leipzig 1974; und

D8: M. Schneidereit, "Digitale Bildverarbeitung in der Elektronenmikroskopie", Vortrag, Technische Akademie Esslingen, 1994.

III. Mit der am 11. Mai 2001 mündlich verkündeten und am 22. Juni 2001 schriftlich begründeten Entscheidung wurde der Einspruch zurückgewiesen.

a) In ihrer Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass der Gegenstand des Streitpatents den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ genüge und folgte in diesem Punkt im wesentlichen den Argumenten des Patentinhabers. Für einen Fachmann sei es eine übliche Aufgabe, die Parameter des in Anspruch 1 zu verwendenden Kieselgels, nämlich den mittleren Teilchendurchmesser der Primärpartikel, den mittleren Durchmesser der Hohlräume bzw. Kanäle und deren makroskopischen Volumenanteil am Gesamtpartikel, mit Hilfe der Rasterelektronenmikroskopie zu bestimmen. Dieses Messverfahren würde von einem damit vertrauten Fachmann durchgeführt, so dass keine weiteren Angaben zur Probenvorbereitung und Auswertung der elektronenmikroskopischen Aufnahmen notwendig seinen, um zu aussagekräftigen und reproduzierbaren Ergebnissen bezüglich dieser Parameter zu kommen. Auch der weitere Einwand der Einsprechenden, dass es aufgrund der geringen Information im Streitpatent nicht möglich sei, ohne unzumutbaren Aufwand ein Kieselgel mit den in Anspruch 1 genannten Parametern herzustellen, könne nicht greifen, da dieser Einwand nicht durch entsprechende Beweise belegt worden sei.

b) Nach Ansicht der Einspruchsabteilung sei der Gegenstand des Streitpatents gegenüber D1 neu, dem einzigen von der Einsprechenden für die Neuheit angezogenen Dokument. D1 beschreibe zwar dieselben Katalysatorkomponenten wie das Streitpatent, nicht aber ein Kieselgel wie in Anspruch 1 definiert. Die Einsprechende habe auch keinen Beweis dafür vorgelegt, dass das in Beispiel 7 von D1 verwendete Kieselgel Davison 948 implizit diese Eigenschaften besitze.

c) Außerdem beruhe der Gegenstand des Streitpatents gegenüber D1, dem nächstliegenden Stand der Technik, auf einer erfinderischen Tätigkeit.

IV. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) am 9. August 2001 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein und beantragte die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

In der am 23. Oktober 2001 eingereichten Beschwerdebegründung widersprach sie der Entscheidung der Einspruchsabteilung und erneuerte ihre Einwände bezüglich mangelnder Offenbarung, Neuheit und erfinderischer Tätigkeit. Zur Stützung ihres Neuheitseinwandes legte sie als weiteres Beweismaterial die Dokumente D9 bis D11 vor.

D9: Brief von Union Carbide Chemicals and Plastics Company Inc. vom 18. März 1992;

D10: Produktblatt von SYLOPOL® 948 (Grace Davison) vom 31. März 1995;

D11: Produktblatt von SYLOPOL® 955 (Grace Davison) vom 7. Juli 1995; und

D12: Produktblatt von ES70 (Crosfield) , Mai 1995.

V. Die im schriftlichen Verfahren vorgebrachten Argumente der Parteien können wie folgt zusammengefasst werden. Dabei sind die Argumente, die Neuheit und erfinderische Tätigkeit betreffen, für diese Entscheidung nicht relevant und es erübrigt sich daher auf sie einzugehen.

a) Nach Ansicht der Beschwerdeführerin, erwähne das Patent zwar, dass die Teilchengröße der Primärpartikel, der mittlere Durchmesser der Hohlräume bzw. Kanäle und deren makroskopischer Volumenanteil mit Hilfe der Rasterelektronenmikroskopie bzw. der Mikrobereichsanalyse zu bestimmen seien, es fehlten aber jegliche Angaben, wie die zweidimensionalen Aufnahmen, die ein dreidimensionales Objekt repräsentieren, auszuwerten seien. Die tatsächlich erhaltenen Werte hingen von den Annahmen ab, die bei der Auswertung der Aufnahmen getroffen würden. Ohne die Angabe der zu treffenden Annahmen sei die Bestimmung der Parameter nicht ausreichend definiert. Außerdem würde in dem Streitpatent nicht angegeben, ob es sich bei dem mittleren Teilchendurchmesser des Kieselgels bzw. der Primärpartikel um ein Zahlen- oder ein Gewichtsmittel handele. Diese Angabe sei aber nötig, da der erhaltene Messwert von der Art der Mittelwertbildung abhinge. Ebenso sei die Herstellung eines Kieselgels, wie in Anspruch 1 definiert, nicht ausreichend offenbart. Die Herstellung dieses Kieselgels würde durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, zu denen das Streitpatent keine näheren Angaben mache. Ein Fachmann müsse daher eine Vielzahl von Versuchen durchführen, um zu dem gewünschten Produkt zu kommen.

b) In einer Stellungnahme vom 8. Mai 2002 widersprach die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) dem Vorbringen der Beschwerdeführerin. Ein Fachmann auf dem Gebiet der Rasterelektronenmikroskopie sei sehr wohl in der Lage festzustellen, ob ein Kieselgel die in Anspruch 1 geforderten Parameter aufweise oder nicht. Außerdem sei ein Hersteller von Kieselgel anhand der Informationen in der Beschreibung in der Lage, ohne unzumutbaren Aufwand ein Kieselgel wie in Anspruch 1 gefordert herzustellen.

VI. Auf die am 12. September 2003 ergangene Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe vom 31. Oktober 2003 mit, dass sie an der für den 2. Dezember 2003 anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde und berief sich auf ihre bisherigen schriftlichen Eingaben.

VII. Am 2. Dezember 2003 wurde eine mündliche Verhandlung abgehaltenen, an der die ordnungsgemäß geladene Beschwerdeführerin, entsprechend ihrer Eingabe vom 31. Oktober 2003, nicht teilnahm. Gemäß Regel 71 (2) EPÜ wurde die Verhandlung ohne sie fortgesetzt.

Nach Ansicht des Vertreters der Patentinhaberin ermittle die Coulter-Counter-Analyse, die zur Bestimmung des mittleren Teilchendurchmessers des Kieselgels verwendet wird, ein Zahlenmittel. Bezüglich der Bestimmung der mittleren Teilchengröße der Primärpartikel war er der Meinung, dass ein Fachmann wisse, dass dieser Parameter an Querschnitten bestimmt würde. Auch sei die Auswertung der Aufnahmen einem Fachmann bekannt, wie D7 belege. Dabei konnte er nicht zeigen, inwiefern die Lehre des Dokuments D7, das sich mit der Bestimmung der Korngröße und der Kornform von Metallen beschäftigt, auf Kieselgel angewendet wird und insbesondere, wie die in D7 vorgeschlagene Auswertung für Metallkristallite auf die elektronenmikroskopischen Aufnahmen eines Kieselgels angewendet werden soll. Bezüglich der von der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren vorgelegten Aufnahmen räumte der Vertreter ein, dass zumindest optisch nicht immer ein Unterschied gegenüber den erfindungsgemäßen Kieselgelen erkennbar sei.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Widerruf des Patents in vollem Umfang.

Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 EPÜ und der Regel 64 EPÜ und ist daher zulässig.

Offenbarung der Erfindung

2. Anspruch 1 des Streitpatents betrifft geträgerte Katalysatorsysteme vom Typ der Ziegler-Natta-Katalysatoren, wobei der Kern der Erfindung in der Verwendung eines Kieselgels mit bestimmten Eigenschaften liegt. Dadurch wird ein verbessertes Katalysatorsystem erhalten, das bei hoher Produktivität und Stereospezifität Polymerisate des Propylens erzeugt, die unter verringerter Bildung von sogenannten Mikrostippen (kleine Unregelmäßigkeiten an der Oberfläche) zu Folien verarbeitet werden können (Seite 2, Zeilen 39 bis 43 und Seite 4, Zeilen 12 bis 26 des Streitpatents). Dabei weist das Kieselgel gemäß Anspruch 1 folgende Parameter auf:

(1) einen mittleren Teilchendurchmesser von 5 bis 200 µm;

(2) einen mittleren Teilchendurchmesser der Primärpartikel von 1 bis 10 µm, und

(3) Hohlräume bzw. Kanäle mit einem mittleren Durchmesser von 1 bis 10 µm,

(4) deren makroskopischer Volumenanteil am Gesamtpartikel im Bereich von 5 bis 20% liegt.

3. Bezüglich des Parameters (2) ist festzustellen, dass der Ausdruck "Primärpartikel" keinen vorausgehenden Bezugspunkt im Anspruch hat. Aus dem Gesamtinhalt des Streitpatents ergibt sich aber, dass es sich bei dem in Anspruch 1 genannten Kieselgel um ein Agglomerat aus Primärpartikeln handelt, so dass sich der mittlere Teilchendurchmesser auf die Primärpartikel nach der Agglomeration beziehen muss.

4. Messmethoden zur Bestimmung der Parameter (1) bis (4) werden in Anspruch 1 nicht angegeben. Lediglich auf Seite 5, Zeilen 43. bis 48 des Streitpatents heißt es, dass die Bestimmung des Teilchendurchmessers des Kieselgels (Parameter (1)) durch die Coulter-Counter-Analyse (Korngrößenverteilung der Kielelgelpartikel) erfolgte, und der mittlere Teilchendurchmesser der Primärpartikel (Parameter (2)), der mittlere Durchmesser der Hohlräume bzw. Kanäle (Parameter (3)) und deren makroskopischer Volumenanteil am Gesamtpartikel (Parameter (4)) mit Hilfe der Scanning Electron Mikroscopy (Rasterelektronenmikroskopie) bzw. der Electron Probe Micro Analysis (Elektronenstrahl-Mikrobereichsanalyse) jeweils an Kornoberflächen und an Kornquerschnitten des Kieselgels ermittelt wurden. Weitere Angaben zur Bestimmung der Parameter, insbesondere zur Probenbereitung oder zur Auswertung der elektronenmikroskopischen Aufnahmen, finden sich im Streitpatent nicht.

5. Von Anfang an argumentierte die Einsprechende bzw. die Beschwerdeführerin, dass die Angaben im Streitpatent bezüglich der Messmethoden für die erfindungswesentlichen Parameter (1) bis (4) unvollständig offenbart seien, so dass ein Fachmann nicht in der Lage sei, zu bestimmen, ob ein Kieselgel die in Anspruch 1 definierten Eigenschaften aufweist oder nicht und daher die beanspruchte Erfindung nicht ausführen könne. Somit ist die entscheidende Frage, ob ein Fachmann mit den Angaben im Streitpatent und im Lichte seines allgemeinen Fachwissens in der Lage ist, ein Kieselgel mit den gewünschten Eigenschaften auszuwählen bzw. herzustellen, um damit die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe zu lösen, und zwar ohne unzumutbaren Aufwand und ohne selbst erfinderisch tätig zu werden.

6. Es ist zunächst zu untersuchen, wie die Parameter (1) bis (4) zu bestimmen sind. Dabei sind, wie unter Punkt 4 erwähnt, zwei Gruppen von Messmethoden zu berücksichtigen: zum einen die Coulter-Counter-Analyse für den Parameter (1), zum anderen die Rasterelektronenmikroskopie bzw. die Elektronenstrahl- Mikrobereichsanalyse für die Parameter (2) bis (4).

7. Der mittlere Teilchendurchmesser des Kieselgels, d. h. Parameter (1), ist ein üblicher Parameter um ein Partikelkollektiv zu charakterisieren. Bei der für die Bestimmung dieses Parameters zu verwendende Coulter-Counter- Analyse handelt es sich um eine allgemein bekannte, auf einem Feldstörungsverfahren beruhende Methode zur Partikelgrößenanalyse. Ein Coulter-Counter misst dabei direkt die Anzahlverteilung. Durch die Angabe der Analysenmethode im Streitpatent ist es für den Fachmann klar, dass es sich bei dem mittleren Teilchendurchmessers des Kieselgels um ein Zahlenmittel handelt. Die Angabe der Analysenmethode im Streitpatent lässt daher keinen Zweifel an der Bestimmung und der Interpretation des Parameters (1) aufkommen, so dass der Einwand der Beschwerdeführerin, es sei nicht klar, ob es sich im Fall des Parameters (1) um ein Zahlen-, Gewichts- oder sonstiges Mittel handle, nicht greift.

8. Bezüglich der Parameter (2) bis (4) waren sich die Parteien einig, dass diese an elektronenmikroskopischen Aufnahmen des Kieselgels ermittelt werden. Ferner stimmten sie darin überein, dass es sich bei der Elektronenmikroskopie um ein relativ aufwendiges Verfahren handelt, das von einem hiermit betrauten Fachmann durchgeführt wird.

9. Betrachtet man zunächst nur den mittleren Teilchendurchmesser der Primärpartikel, d. h. Parameter (2), so wird der Fachmann mit dem Problem konfrontiert, dass das Streitpatent auf Seite 4 zwei Möglichkeiten nennt, wie der Parameter (2) mit Hilfe der Elektronenmikroskopie bestimmt werden kann, nämlich an Kornoberflächen oder an Kornquerschnitten des Kieselgels. Bedenkt man aber, dass es sich bei dem in Anspruch 1 verwendeten Kieselgel um ein Agglomerat von Primärpartikeln handelt (siehe Punkt 3), so ist der Patentinhaberin dahingehend zuzustimmen, dass der Aufbau eines solchen Agglomerat nur im Querschnitt sichtbar wird, und ein Fachmann den mittleren Teilchendurchmesser von Primärpartikeln daher an Kornquerschnitten des Kieselgels ermitteln würde. Nach den Ausführungen der Patentinhaberin besteht eine übliche Präparation darin, die Kieselgelpartikel in einem Harz einzubetten, einen Schnitt durch das Harz zu machen, die Oberfläche zu polieren und die Schnittfläche mittels Elektronenmikroskop zu analysieren.

10. Selbst wenn der Argumentation der Patentinhaberin bis hierher zuzustimmen ist, so stellt sich nun die entscheidende Frage, wie die elektronenmikroskopischen Aufnahmen auszuwerten sind. Das Hauptproblem dabei ist, dass die zweidimensionalen Bilder ein dreidimensionales Objekt repräsentieren. So erscheinen die Primärpartikel in einem Querschnitt nur als ebene, mehr oder weniger runde Flächen, die aber unmittelbar nichts über die eigentliche Teilchengröße der Primärpartikel aussagen. Wie eine einfache Überlegung zeigt, besitzen diese Schnittflächen einen sehr unterschiedlichen Flächeninhalt, auch wenn die Teilchen in etwa gleich groß sind, also etwa aus Kugeln mit gleichem Radius bestehen. Bei einem beliebig gelegten Schnitt durch einen derartigen Kugelhaufen werden die Kugeln ja nicht alle am Äquator, d. h. in der Schnittebene mit dem größten Flächeninhalt, geschnitten, sondern es werden auch mehr zum Pol der Kugel gelegene, d. h. kleinere Schnittflächen auftreten. Theoretisch wären in diesem speziellen Fall alle "ebenen" Korngrößen zwischen Null und dem Äquatorschnitt möglich. Die Tatsache, dass die einzelnen Primärteilchen keine Kugelform besitzen, macht die Sachlage noch komplizierter (D7, Seite 51).

11. Die Beschwerdeführerin hat gezeigt, dass aufgrund dieser Schwierigkeiten verschiedene Verfahren entwickelt wurden, um aus den zweidimensionalen Bildern Aussagen über Teilchenform, Teilchengröße und Teilchengrößenverteilung zu gewinnen. So beschreibt z. B. D3 mehrere Methoden zur Berechnung des Teilchendurchmessers, und D4 und D5 zeigen unterschiedliche Ansätze, wie man unregelmäßig geformte Teilchen erfassen kann. Obwohl offensichtlich alle diese Bildanalyseverfahren ein Zahlenmittel für den Durchmesser der Primärpartikel liefern, basieren die Methoden auf unterschiedlichen Annahmen.

12. Die Tatsache, dass es verschiedene Möglichkeiten der Bildanalyse gibt, wurde von der Patentinhaberin gar nicht bestritten. Sie machte vielmehr geltend, dass die Fachleute übereingekommen seien, sofern keine besonderen Informationen erforderlich sind, nur die mittleren Teilchendurchmesser der Querschnittsaufnahmen anzugeben und verwies dabei auf D7, wo es auf Seite 52 heißt, dass man aufgrund der oben genannten Schwierigkeiten (siehe Punkt 10) übereingekommen ist, "als Korngröße eines Metalls (Hervorhebung durch die Kammer) die im Schliffbild sichtbaren Schnittflächen durch die Kristalle zu definieren, und begnügt sich meist mit der Angabe einer Durchschnittsgröße, entweder dem mittleren Flächeninhalt oder dem mittleren Durchmesser der Kristallite". Dodument D7 beschäftigt sich aber ausschließlich mit der Bestimmung der Korngröße und der Kornform von Metallen. Aus D7 selbst ist nicht ersichtlich, dass diese Annahmen bezüglich des mittleren Durchmessers allgemeine Gültigkeit haben und auch für die Bestimmung des Parameters (2) in Kieselgel zutreffen. Wie die von beiden Seiten eingereichten elektronenmikroskopischen Aufnahmen zeigen, unterscheidet sich die Aufnahme eines Kieselgels grundlegend von der eines Metalls. Das Kieselgel wird bei der Präparation in ein Harz eingebettet (siehe Punkt 9), so dass die einzelnen Kieselgelpartikel, die sich aus den Primärpartikeln zusammensetzen, als "Inseln" in einer Matrix aus Harz erscheinen. Im Gegensatz dazu erkennt man am geätzten Schliff eines Metalls eine Vielzahl kleinster, angrenzender Körner (polykristallin). Es ist daher auch nicht ersichtlich, wie das in D7 beschriebene Durchmesserverfahren auf die "Inseln" des Kieselgels übertragen werden könnte. Dies konnte der Vertreter der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung nicht näher erläutern.

13. Unabhängig von der Frage, wie die Querschnittsaufnahmen tatsächlich auszuwerten sind, zeigen die von der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren vorgelegten Aufnahmen (Eingabe vom 12. März 2001), dass auch der Ausschnitt der Aufnahme bzw. die Vergrößerung bei der Bestimmung des Parameters (2) eine entscheidende Rolle spielen kann. So zeigt das Bild 18051 die Anwesenheit von relativ großen, granulären Kieselgelpartikeln, deren Anwesenheit gemäß den Ausführungen des Vertreters der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung dazu führt, dass dieses Kieselgel nicht unter den Anspruch 1 fällt. Auf einem vergrößerten Ausschnitt der gleichen Probe (Bild 17772) ist aber kein granuläres Kieselgel mehr zu sehen. Ein Unterschied zu dem erfindungsgemäßen Kieselgel ist in diesem Bild nicht mehr erkennbar, was vom Vertreter der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten wurde. Die von der Patentinhaberin als erfindungswesentlich betrachtete Abwesenheit von granulärem Kieselgel kann also in einem Bild festgestellt werden, bei einer anderen Vergrößerung der selben Probe aber nicht. Dies muss zwangsläufig auch zu unterschiedlichen Werten für den Parameter (2) führen.

14. Abgesehen davon, dass durch die unzureichende Definition der Messmethode für den Parameter (2) der damit verbundene Bereich von 1 bis 10 µm in Anspruch 1 nicht eindeutig bestimmt wird, kann ein Fachmann auch nicht feststellen, wie das Kieselgel beschaffen sein muss, damit die angestrebte vorteilhafte Wirkung tatsächlich eintritt. Der Fachmann findet nämlich auch keine Anhaltspunkte im Streitpatent, die ihm eine gewisse Anleitung bei der Auswahl der erfindungsgemäßen Kieselgele geben könnten. Auf Seite 4, Zeilen 26 bis 28 heißt es lediglich: "Ein solches feinteiliges Kieselgel ist u. a. erhältlich durch Sprühtrocknen von vermahlenem, entsprechend gesiebten SiO2-Hydrogel, welches hierzu mit Wasser oder einem aliphatischen Alkohol vermaischt wird. Ein solches feinteiliges Kieselgel ist aber auch im Handel erhältlich." Nähere Angaben zur Sprühtrocknung oder ein Beispiel, das die Herstellung eines erfindungsgemäßen Kieselgels beschreibt, finden sich im Streitpatent nicht. Wie die Beschwerdeführerin aber ausgeführt hat, kann das durch Sprühtrocknung erhaltene Kieselgel durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden, wie z. B. die Konzentration des Kieselgels in der Dispersion, Temperatur und Dauer des Trocknungsvorgangs oder die Geometrie des Sprühtrockners. All diese Variationsmöglichkeiten auszuprobieren stellt, nach Ansicht der Kammer, für einen Fachmann, der die Erfindung wiederholen möchte, einen unzumutbaren Aufwand dar. Bezüglich der Aussage, dass ein solches feinteiliges Kieselgel auch im Handel erhältlich ist, bleibt zu bemerken, dass im Streitpatent kein Handelsprodukt genannt wird und vom Vertreter der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung auch nicht benannt werden konnte.

15. Erschwerend kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass es sich bei dem Parameter (2), wie auch bei den Parametern (3) und (4), um Parameter handelt, die vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents zur Charakterisierung eines Kieselgels nicht üblich waren. Dies wurde von der Patentinhaberin nicht bestritten. Sie argumentierte vielmehr, dass die üblicherweise zur Beschreibung von Kieselgelen verwendeten Parameter eben nicht brauchbar seien, um zwischen Kieselgelen, die zur Produktion von Polyolefinkatalysatoren besonders geeignet seien und solchen, die nicht geeignet seien, zu differenzieren. Wie aus den im Einspruchsverfahren vorgelegten Vergleichsbeispielen ersichtlich, ist der Parameter (2), ebenso wie die Parameter (3) und (4) für das Erreichen der gestellten Aufgabe entscheidend. Gerade aber bei der Verwendung von neuen unüblichen Parametern, die für das Erreichen eines technischen Effekts entscheidend sind, besteht für die Patentinhaberin eine besondere Verpflichtung, alle notwendigen Informationen zur Bestimmung dieses Parameters anzugeben, um eine vollständige und faire Offenbarung der Erfindung gegenüber der Öffentlichkeit zu gewährleisten (siehe T 172/99 vom 7. März 2002, nicht im ABl. EPA veröffentlicht, Punkt 4.5.6 der Entscheidungsgründe).Dieser Verpflichtung ist die Patentinhaberin im vorliegenden Fall nicht nachgekommen.

16. Zusammenfassend ist feststellen, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, den mittleren Teilchendurchmesser der Primärpartikel aus elektronenmikroskopischen Aufnahmen zu bestimmen. Dabei konnte die Beschwerdegegnerin nicht nachweisen, dass die von ihr vorgeschlagene Analyse der Querschnittsaufnahmen allgemein üblich ist. Aber selbst für diese Methode fehlen eindeutige Angaben, so dass man für ein und die selbe Probe, je nach dem betrachteten Ausschnitt zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt.

17. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass ein Fachmann mangels Angabe der genauen Messmethode zur Bestimmung des Parameters (2) nicht in der Lage ist, das im Streitpatent angestrebte Ergebnis ohne unzumutbaren Aufwand bzw. ohne eigene erfinderische Leistung zu erreichen. Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 unvollständig offenbart (Artikel 83 EPÜ).

18. Obwohl zumindest für den Parameter (3) ähnliche Überlegungen gelten wie für den Parameter (2), braucht bei dieser Sachlage nicht näher auf die Bestimmung der Parameter (3) und (4) eingegangen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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