T 0417/01 () of 2.12.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T041701.20031202
Datum der Entscheidung: 02 Dezember 2003
Aktenzeichen: T 0417/01
Anmeldenummer: 95935809.4
IPC-Klasse: B41F 31/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Druckverfahren
Name des Anmelders: Druckfarbenfabrik Gebr. Schmidt GmbH
Name des Einsprechenden: Siegwerk Druckfarben GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das Patent Nr. 0 790 893 (Streitpatent) Beschwerde eingelegt.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß der in Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ) genannte Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Streitpatents in unveränderter Form nicht entgegenstehe.

III. Am 2. Dezember 2003 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 790 893.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte als Hauptantrag, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der am 31. Oktober 2003 als erster Hilfsantrag eingereichten Patentansprüche 1 bis 15.

V. Im Beschwerdeverfahren wurde unter anderem auf folgende Druckschriften Bezug genommen:

D1: DE-A 42 05 636;

D2: DE-A 42 05 713;

D3: Der Polygraph 13-88, "Gehört den Kurzfarbwerken bei der Zeitungsherstellung die Zukunft?", Seiten 1102 und 1103, 1988;

D4: zeitungstechnik September 1989, "Anilox-Offset: MAN Roland zieht Erkenntnisse aus Versuchen in Augsburg", Seiten 122, 124 bis 126;

D6: DE-A 33 02 872;

D9: Fogra-Symposium "Trocknung von Druckfarben", München, 22. und 23. November 1990, K. Hanke, "Heatset- Druckfarben in der Fortentwicklung: Stand und Perspektiven", Seiten 1 bis 4;

D10: US-A 2 147 651;

D14: EP-A 0 314 189.

VI. Patentanspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) lautet wie folgt:

"1. Druckverfahren zum Bedrucken eines Bedruckstoffs mit hoher Druckgeschwindigkeit und hoher Druckqualität im Flach- oder Hochdruck, bei welchem in einem Druckwerk eine Druckfarbe durch ein Farbwerk, das mindestens eine weich-elastische Farbauftragswalze umfaßt, auf die Oberfläche einer starrharten Druckform aufgebracht, von dort auf den Bedruckstoff übertragen und anschließend verfestigt wird, und bei welchem folgende Maßnahmen kombiniert sind:

- das Farbwerk ist ein Kurzfarbwerk, das eine Rasterwalze mit einer Farbabstreifvorrichtung aufweist,

- es wird eine bei Raumtemperatur feste, durch Wärmezufuhr verflüssigbare Druckfarbe eingesetzt,

- das Kurzfarbwerk und ihm nachgeschaltete, Druckfarbe führende Teile des Druckwerks werden auf eine Temperatur oberhalb der Verflüssigungstemperatur der Druckfarbe temperiert,

- die auf den Bedruckstoff aufgedruckte Druckfarbe wird durch Abkühlen verfestigt."

VII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf das Streitpatent in erteilter Fassung (Hauptantrag der Beschwerdegegnerin) im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Es sei zunächst zu berücksichtigen, daß die in Patentanspruch 1 des Streitpatents verwendeten Begriffe wie "hohe Druckgeschwindigkeit" und "hohe Druckqualität" relative Angaben sind. Ferner werde mit dem Begriff "starrharte Druckform" nicht die gewünschte Abgrenzung gegen den Flexodruck erreicht. Im Flexodruckverfahren kämen auch härtere Druckformen wie Photopolymerplatten zum Einsatz, die durchaus auch als starrharte Druckformen bezeichnet werden könnten.

Das Streitpatent beziehe sich in der Beschreibungseinleitung auf den Rotationsoffsetdruck mit Heatset-Druckfarben. Dies finde jedoch keinen Niederschlag in Patentanspruch 1 des Streitpatents. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 betreffe den Flachdruck im Allgemeinen und schließe auch den Hochdruck mit ein.

Als nächstliegender Stand der Technik könnten mehrere Dokumente in Betracht gezogen werden.

Dokument D3 beschreibe ein Flachdruckverfahren, wobei ein Kurzfarbwerk mit einer Rasterwalze verwendet werde. Die Anwendung eines derartigen Farbwerks sei nicht nur auf den Zeitungsdruck beschränkt, sondern es werde vorgeschlagen, es auch im Akzidenz-Rollenoffset und in Bogenoffsetmaschinen zu verwenden.

In Anlehnung an die im Tief- und Flexodruck bereits vorgeschlagene Lösung (Dokumente D1 und D2), dem Problem der Farbtrocknung mit der Verwendung von Schmelzdruckfarben zu begegnen, liege es nahe, derartige Farben auch im Flachdruck zu verwenden. Zudem sei die Kombination Flachdruck und Schmelzdruckfarbe aus Dokument D14 bereits bekannt.

Auch Dokument D14 selbst könne als nächstliegender Stand der Technik herangezogen werden. Es beschreibe ein Druckverfahren, wobei eine Schmelzdruckfarbe in einem nur wenige Walzen umfassenden Farbwerk, also einem Kurzfarbwerk, auf den Druckplattenzylinder aufgebracht werde. Die Druckplatten könnten Offset-, Tief- oder Hochdruckplatten sein. Dieses Verfahren erlaube die Herstellung von Druckerzeugnissen guter Qualität.

Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents unterscheide sich von diesem bekannten Verfahren nur dadurch, daß das Kurzfarbwerk eine Rasterwalze enthalte. Die Verwendung von Rasterwalzen in Kurzfarbwerken sei jedoch hinlänglich bekannt, siehe Dokumente D3, D4 oder D6, so daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Es habe auch kein technisches Vorurteil bestanden, zum Verdrucken von Schmelzdruckfarben Kurzfarbwerke mit einer Rasterwalze zu verwenden. Wie im Streitpatent bestätigt, verhielten sich Schmelzdruckfarben als flüssige Schmelze im Farb- und Druckwerk grundsätzlich wie eine traditionelle, bei Raumtemperatur flüssige Druckfarbe. Ferner sei es aus den Dokumenten D1 und D2 bekannt, Schmelzdruckfarben im Tiefdruck zu verdrucken. Ein Tiefdruckzylinder weise, wie auch die Rasterwalze eines Kurzfarbwerks, Näpfchen zur Farbübertragung auf.

Auch ausgehend von Dokument D1 komme man zum Ergebnis, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dokument D1 gehe von dem Problem aus, daß insbesondere im Bereich des Tiefdrucks und des Rollenoffsetdrucks erhebliche Kosten durch die notwendigen Trocknungsmaßnahmen entstünden und schlage zur Lösung die Verwendung von Schmelzdruckfarben vor. Des weiteren werde auch ein Flachdruckverfahren vorgeschlagen, bei dem eine Schmelzdruckfarbe in geschlossenem Film auf den glatten Druckzylinder aufgetragen, dort im gewünschten Bildraster punktweise verflüssigt und in dieser punktuell fluiden Form auf einen Bedruckstoff übertragen werde.

Die verbleibende Aufgabe lasse sich dahingehend definieren, daß bei einem Flachdruckverfahren mit Schmelzdruckfarben ein alternativer Farbauftrag erfolgen soll, der eine bessere Farbgebung, eine bessere Farbverteilung und eine gute und gleichmäßige Temperierung ermögliche.

Zur Lösung dieser Aufgabe habe die Verwendung eines Kurzfarbwerks mit Rasterwalze nahe gelegen. Kurzfarbwerke seien zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents als Stand der Technik, wie im Streitpatent bestätigt (Spalte 4, Zeilen 28 bis 32 und Zeile 41), in den Bereichen Hochdruck, Flachdruck und Flexodruck bekannt gewesen. Zudem sei auf die Dokumente D3, D4 und D6 zu verweisen, wobei Dokument D3 den Hinweis enthalte, derartige Kurzfarbwerke im Rollenoffset zu verwenden. Ferner seien die Wirkungen und Vorteile sowohl eines Kurzfarbwerkes mit Rasterwalze als auch die der Schmelzdruckfarben bekannt gewesen.

Beim Gegenstand des Streitpatents handele es sich um eine nahe liegende Kombination von bekannten Verfahrensmerkmalen, ohne daß ein besonderer technischer Effekt oder entsprechende Vorteile vorhanden seien, die alleine aus der Kombination dieser Merkmale hervorgehen.

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf das Streitpatent in erteilter Fassung (Hauptantrag der Beschwerdegegnerin) im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

Das Streitpatent gehe, wie in der Beschreibung dargelegt, von dem technischen Gebiet des Rollenrotationsdrucks mit Heatset-Druckfarben aus. Dieses Verfahren ermögliche die Herstellung hochwertiger Drucke mit hoher Druckgeschwindigkeit. Dieser Bezug liefere auch eine Definition für die in Patentanspruch 1 verwendeten Begriffe "hohe Druckgeschwindigkeit" und "hohe Druckqualität". Mit dem Begriff "starrharte Druckform" sei der Patentanspruch 1 gegen das bekannte Flexodruckverfahren abgegrenzt. Die im Buchdruck (Hochdruck mit harter Druckform) zur Anwendung kommenden Druckformen seien bekanntermaßen wesentlich härter als die im Flexodruck zur Anwendung kommenden Druckformen.

Im Rotationsoffsetdruck mit Heatset-Druckfarben würden zur Herstellung von Drucken hoher Qualität, im Gegensatz zum Zeitungsdruck, höherwertige, glatte Druckträger, wie z. B. gestrichene Papiere, verwendet. Die bei hohen Druckgeschwindigkeiten notwendige Trocknung der Farben sei mit einem hohen Energieaufwand und Belastungen für die Umwelt verbunden. Dieses Problem sei bekannt, siehe Dokument D9.

Die im Streitpatent vorgeschlagene Lösung zu diesem Problem sei im Kern in der Kombination der Merkmale Flachdruck, Schmelzdruckfarbe und Kurzfarbwerk mit Rasterwalze zu sehen. Es habe sich überraschend gezeigt, daß durch diese Kombination ein funktionierendes Druckverfahren zur Herstellung von Drucken hoher Qualität bei hohen Geschwindigkeiten geschaffen werden konnte. Das Erreichen dieses Ziels sei für den Fachmann nicht vorhersehbar gewesen und der vorliegende Stand der Technik gebe sowohl hierzu, als auch zu der in Patentanspruch 1 enthaltenen Alternative, Hochdruck mit starrharter Druckform, keine Anregung.

In Rotationsoffsetdruckverfahren mit Heatset-Druckfarben seien nie Kurzfarbwerke verwendet worden.

Lediglich im Zeitungsdruck, wo Coldset-Druckfarben verwendet und geringere Anforderungen an die Druckqualität gestellt würden, sei die Verwendung von Kurzfarbwerken, allerdings mit Einschränkungen, bekannt gewesen, siehe Dokumente D3 und D4. Kurzfarbwerke stellten an den Grad der Standardisierung von der Vorstufe bis zur Maschine noch höhere Anforderungen als das marktübliche, moderne Offsetverfahren. Ferner sei die Spanne zwischen dem Tonen und dem zu schwachen Ausdrucken bei den Kurzfarbwerken enger als bei den konventionellen Walzenfarbwerken. Diese Technik habe sich letztendlich auch nicht durchsetzen können.

Die "Trocknung" der im Zeitungsdruck verwendeten Coldset- Druckfarben erfolge durch Wegschlagen im Papier, wobei die Farbe nicht trockne, sondern in die Papierstruktur eindringe. Das Problem einer energieintensiven Farbtrocknung stelle sich hier nicht, und es bestünde daher auch keine Veranlassung, die Verwendung einer anderen Druckfarbe in Betracht zu ziehen.

Die Dokumente D3 und D4 könnten daher den Gegenstand des Streitpatents nicht nahe legen.

Dokument D14 betreffe, wie insbesondere aus der dort gestellten Aufgabe hervorgehe, eine Bürodruckmaschine. Das Problem der langen Standzeiten zwischen Druckvorgängen stelle sich in dem technischen Gebiet, dem das Streitpatent zuzuordnen sei, nicht. Die dort vorgeschlagenen Druckfarben (Wachs, Mikrokapseln), die fehlende Möglichkeit einer Farbdosierung, die Druckgeschwindigkeit, sowie die Art der Druckformherstellung (elektrophotographisches Verfahren) zeigten, daß das dort beschriebene Verfahren nicht geeignet sei, hochwertige, abriebfeste und dauerhafte Druckerzeugnisse mit hoher Geschwindigkeit herzustellen.

Dieses Dokument liege damit dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents fern.

Die Dokumente D1 und D2, die Druckverfahren unter Verwendung von Schmelzdruckfarben zum Gegenstand haben, führten vom Gegenstand des Streitpatents weg. In diesen Dokumenten werde eine Flachdruckvariante vorgeschlagen, die sich grundsätzlich von dem gemäß Streitpatent zur Anwendung kommenden, in der Drucktechnik üblichen konventionellen Flachdruckverfahren unterscheide. Die Dokumente D1 und D2 zeigten zudem die Bemühungen der Fachwelt, die Probleme der Heatset-Trocknung der Druckfarben zu lösen. Der dort vorgeschlagene Entwicklungsansatz gehe aber in eine ganz andere Richtung.

Ferner sei die Verwendung von Schmelzdruckfarben im Tiefdruck schon seit 1937 bekannt, siehe Dokument D10, und die Probleme der Trocknung von Heatset-Druckfarben seien ebenfalls bereits Jahre vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents bekannt gewesen, siehe Dokument D9. Trotzdem sei erst mit dem Streitpatent eine Lösung vorgeschlagen worden.

Der vorliegende Stand der Technik führe weder alleine noch in Kombination zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents. Er beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Auslegung des Patentanspruchs 1

Es trifft zu, daß die in Patentanspruch 1 verwendeten Begriffe "hohe Druckgeschwindigkeit" und "hohe Druckqualität" an sich relative Begriffe sind. Gemäß Artikel 69 (1), zweiter Satz, EPÜ sind jedoch die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Relativbegriffe, wie sie der erteilte Patentanspruch 1 enthält, sind Merkmale, zu deren Auslegung im Hinblick auf die Bestimmung des durch den betreffenden Patentanspruch festgelegten Schutzbereichs der Fachmann die Beschreibung zu Rate ziehen wird.

Aus der Beschreibungseinleitung und der Aufgabenstellung geht hervor, daß das Streitpatent ein Druckverfahren betrifft, daß für den Anwendungsbereich des Heatset- Drucks geeignet ist. Das heißt, daß das Verfahren geeignet ist, Drucke herzustellen, die hinsichtlich ihrer Qualität über den im Zeitungsdruck mit wegschlagenden Druckfarben erreichbaren Qualitäten liegen, und daß die Druckgeschwindigkeiten in der Größenordnung derer liegen, die beim Heatset-Druck, insbesondere beim Heatset-Rollendruck, erreicht werden. In diesem Zusammenhang werden im Streitpatent Druckgeschwindigkeiten von 8 bis 14 m/s genannt (Spalte 2, Zeile 11). Der Fachmann wird daher den Patentanspruch so auslegen, daß mit der Angabe, daß das beanspruchte Verfahren ein Druckverfahren für "hohe Druckgeschwindigkeit" und "hohe Druckqualität" ist, der in der Beschreibung dargelegte Zweck der Erfindung zum Ausdruck gebracht wird. Er wird daher das beanspruchte Druckverfahren dementsprechend der dort definierten Kategorie von Druckverfahren zuordnen.

Die in Patentanspruch 1 enthaltene Alternative Hochdruck mit starrharter Druckform ist nach Ansicht der Kammer eine für den Fachmann eindeutige Aussage, daß es sich hierbei um den an sich bekannten Buchdruck handelt. Wie allgemein bekannt, hat im Buchdruck die Druckform eine starrharte Oberfläche, während die mit der Druckform in Kontakt kommenden Walzen oder Zylinder in Bezug auf ihre Beschaffenheit weicher und nachgiebiger sind. In der alternativen Hochdrucktechnik des Flexodrucks sind diese Verhältnisse hingegen umgekehrt.

2. Erfinderische Tätigkeit

2.1. Nächstliegender Stand der Technik

Bei der Bestimmung des nächstliegenden Standes der Technik ist zu berücksichtigen, daß dieser einen geeigneten Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung darstellen soll, die dem Zweck und dem Ziel des Streitpatents entspricht, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage 2001, Kapitel I.D.3.1. Ein bei dieser Bestimmung zu beachtendes Kriterium ist die bereits im Streitpatent angegebene Aufgabe, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage 2001, Kapitel I.D.3.3, 2. Absatz.

Das Streitpatent erwähnt einleitend den Zeitungsdruck, mit dem hohe Druckgeschwindigkeiten von 8 bis 13 m/s dadurch erreicht werden, daß die Druckfarbe auf dem relativ lockeren Papiergefüge sehr schnell adsorbiert wird. Mit diesen relativ rauen und unebenen Papieren ist jedoch nur eine begrenzte Druckqualität erreichbar, siehe Spalte 1, Zeilen 43 bis 50.

Das Streitpatent bezieht sich daher im Folgenden, siehe Spalte 2, Zeilen 5 bis 57, auf das an sich bekannte Heatset-Verfahren, insbesondere den Heatset- Rollenoffsetdruck, mit dem auch bei geglätteten, gestrichenen Papieren eine hohe Druckqualität bei zugleich hoher Druckgeschwindigkeit (8 bis 15 m/s, siehe Spalte 2, Zeilen 10 bis 12) erreichbar ist. Bei diesem Verfahren werden spezielle Heatset-Druckfarben verwendet, deren Verfestigung nach dem Druckvorgang durch Hitze, vorzugsweise Heißluft, beschleunigt wird. Die Anlagen, der Energiebedarf und die Maßnahmen zur Emissionsminderung sind bei diesem bekannten Verfahren sehr aufwendig, siehe Spalte 3, Zeilen 2 bis 5 des Streitpatents.

Die im Streitpatent angegebene Aufgabe lautet dementsprechend "ein Druckverfahren für den Anwendungsbereich des Heatset-Drucks, insbesondere des Rollendrucks (hohe Druckgeschwindigkeiten, insbesondere bei gehobenen Anforderungen an die Druckqualität und großen Auflagen) zu schaffen, bei dem insgesamt ein verminderter Aufwand hinsichtlich Konstruktion, Energiebedarf und Bauvolumen erreicht und Emissionen erheblich vermindert werden", siehe Spalte 3, Zeilen 35 bis 43.

Der Ausgangspunkt für die dem Streitpatent zu Grunde liegende Weiterentwicklung ist somit das an sich bekannte und in Spalte 2, Zeilen 13 bis 57 des Streitpatents beschriebene, bei hohen Druckgeschwindigkeiten eine hohe Druckqualität erlaubende Flach- und Hochdruckverfahren unter Verwendung von Heatset-Druckfarben.

Die verschiedenen im Laufe des Beschwerdeverfahrens als nächstliegender Stand der Technik in Betracht gezogenen Druckschriften D1, D2, D3, D4, D14 stellen nach Auffassung der Kammer keinen geeigneten Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung dar, die in Richtung des Gegenstands des Streitpatents führen könnte.

Die Dokumente D1 und D2 befassen sich zwar mit der Aufgabe der Verminderung des Energiebedarfs, der bei Verwendung von Heatset-Druckfarben anfällt; die dort vorgestellten Lösungen bzw. Entwicklungen liegen jedoch auf einem anderen technischen Gebiet (Tief- und Flexodruck), bzw. gehen in eine andere Richtung (spezielle Flachdruckvariante). Sie eignen sich daher nicht als Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung, die dem Zweck und dem Ziel des Streitpatents entspricht.

Die Dokumente D3 und D4 betreffen hauptsächlich den Zeitungsdruck, von dem sich das Streitpatent schon in der Beschreibungseinleitung wegen der dort nur begrenzt erreichbaren Druckqualität abgrenzt. Da hier zudem Coldset-Druckfarben zur Anwendung kommen, stellt sich das dem Streitpatent zu Grunde liegende Problem der Farbtrocknung nicht. Mit dem Hinweis in Dokument D3 (Seite 1103, rechte Spalte, letzter Satz), daß ein Einsatz von Kurzfarbwerken im Akzidenz-Rollenoffset- oder sogar in Bogenoffsetmaschinen vorstellbar wäre, wird, nach Auffassung der Kammer, kein Stand der Technik geschaffen, der als Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung dienen könnte, die dem Zweck und dem Ziel des Streitpatents entspricht. Zu diesem nur angedeuteten, fiktiven Stand der Technik fehlen jegliche weitere Angaben, insbesondere Angaben zu den dabei zur Anwendung kommenden Druckfarben.

Schon die Problemstellung in Dokument D14 (lange Standzeiten) zeigt, daß es sich hier um ein gattungsfremdes, in Büromaschinen zur Anwendung kommendes Druckverfahren handelt. Dieser Anwendungbereich ist nicht vergleichbar mit dem Anwendungsbereich, auf den das Streitpatent explizit ausgerichtet ist und für den eine Lösung angestrebt wird. Bürodruckmaschinen sind in der Regel nicht geeignet, Druckerzeugnisse mit der in Heatset-Verfahren, insbesondere dem Heatset-Rollenoffsetdruckverfahren, erreichbaren hohen Druckqualität bei zugleich hoher Druckgeschwindigkeit zu erzeugen.

2.2. Aufgabe - Lösung

Ausgehend von dem im Streitpatent beschriebenen nächstliegenden Stand der Technik (Heatset- Druckverfahren, insbesondere Heatset- Rollenoffsetdruckverfahren), und den damit verbundenen, an sich bekannten Problemen, wie hoher Energiebedarf, aufwendige Anlagen, Emission, (siehe auch Dokument D9), stellt sich die oben unter Punkt 2.1 bereits zitierte, in Spalte 3, Zeilen 35 bis 43 des Streitpatents, dargelegte Aufgabe.

Diese Aufgabe wird durch das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung gelöst, insbesondere aber durch die Kombination der Elemente Flachdruck, Schmelzdruckfarbe und Kurzfarbwerk mit Rasterwalze, und, in einer Alternative, durch die Kombination Hochdruck mit starrharter Druckform, Schmelzdruckfarbe und Kurzfarbwerk mit Rasterwalze.

2.3. Frage der Nahelegung

2.3.1. Gemäß dem Streitpatent wird durch die Kombination der Merkmale des Patentanspruchs 1 ein Druckverfahren geschaffen, das geeignet ist, Druckerzeugnisse in der Qualität und der Geschwindigkeit zu erzeugen, wie sie zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents mit dem Heatset-Druckverfahren, insbesondere dem Heatset-Rollenoffsetdruckverfahren erreichbar waren.

Die entscheidende Frage ist, ob der Fachmann angesichts des ihm zum Prioritätszeitpunkt vorliegenden Standes der Technik für den Anwendungsbereich des Heatset-Drucks ein Flachdruckverfahren oder ein Hochdruckverfahren mit starrharter Druckform in Betracht gezogen hätte, bei dem eine Schmelzdruckfarbe in Kombination mit einem Kurzfarbwerk mit Rasterwalze verwendet wird.

2.3.2. Beim Heatset-Rollenoffsetdruckverfahren kamen, wie von Seiten der Beschwerdegegnerin dargelegt und vom vorliegenden Stand der Technik auch nicht widerlegt, keine Kurzfarbwerke zum Einsatz.

Ferner liegt kein Stand der Technik vor, aus dem die Kombination Schmelzdruckfarbe und Kurzfarbwerk mit Rasterwalze bekannt ist.

2.3.3. Die Dokumente D1 und D2 betreffen Druckverfahren für den Bereich des Tiefdrucks und des Flexodrucks. Für den Flachdruck wird ein vom üblichen Flachdruck abweichendes spezielles Verfahren vorgeschlagen, das in eine gegenüber dem Gegenstand des Streitpatents andere Richtung geht. (Auftrag der Schmelzdruckfarbe in geschlossenem Film auf einen glatten Druckzylinder, anschließend punktweise Verflüssigung im gewünschten Bildraster, Übertragung der punktweise verflüssigten Farbe auf den Bedruckstoff, siehe Zusammenfassung des Dokuments D1 bzw. Spalte 5, Zeile 66 bis Spalte 6, Zeile 7 des Dokuments D2). Diese Dokumente geben mithin keinen Hinweis, Schmelzdruckfarben in einem üblichen Flachdruckverfahren zu verwenden. Durch den Hinweis auf das Spezialverfahren wird dem Fachmann vielmehr die Lehre vermittelt, daß sich diese Farben nicht in der üblichen Weise im Flachdruck einsetzen lassen.

Ferner ist ein Hochdruckverfahren mit, im Gegensatz zum Flexodruck, starrharter Druckform nicht Gegenstand dieser Druckschriften. Diese Dokumente können daher keine Anregung dafür geben, daß gerade durch die Verwendung von Schmelzdruckfarben, in Kombination mit einem Kurzfarbwerk mit Rasterwalze, ein Flachdruck- oder ein Hochdruckverfahren mit starrharter Druckform geschaffen werden kann, das die gestellte Aufgabe zu lösen vermag.

2.3.4. Die Dokumente D3 und D4 verweisen zwar auf die Möglichkeit des Einsatzes von Kurzfarbwerken in einem Flachdruckverfahren, jedoch in einem Anwendungsgebiet (Zeitungsdruck), in dem üblicherweise so genannte Coldset- Druckfarben eingesetzt werden. Um hohe Druckgeschwindigkeiten zu erreichen werden als Druckträger Papiere verwendet, mit denen nur eine begrenzte Druckqualität erreichbar ist. Es findet sich hier kein Hinweis darauf, daß ein Bedarf an anderen als den dort üblichen Coldset-Druckfarben bestand. In diesen Schriften findet der Fachmann auch keinen Hinweis darauf, daß sich Kurzfarbwerke zum Verdrucken von Schmelzdruckfarben eignen könnten. Vielmehr wird neben einigen Vorteilen auch auf die Schwierigkeiten und erhöhten Anforderungen (Standardisierung) verwiesen, die sich durch das Kurzfarbwerk ergeben, siehe insbesondere Dokument D4, Seite 126, rechte Spalte.

2.3.5. Dokument D14 ist zwar zu entnehmen, daß, im Gegensatz zu den Dokumenten D1 und D2, eine Schmelzdruckfarbe auch bildmäßig auf eine Offsetdruckplatte aufgebracht werden kann. Wie oben unter Punkt 2.1 bereits erwähnt, zeigt sich aber schon an der Aufgabenstellung, daß es sich hier um ein in Büromaschinen zur Anwendung kommendes Druckverfahren handelt.

Gemäß Dokument D14, Seite 6, Zeile 26 rotiert der Plattenzylinder mit 10 Umdrehungen pro Minute (10 rpm). Die Umfangslänge des Plattenzylinders ist nicht angegeben. Nimmt man an, daß Bogen mit einer Länge von ca. 420 mm (DIN A3) bedruckt werden sollen, so ergäbe sich bei Einfachzylindern eine Druckgeschwindigkeit von ca. 4,2 m/min = 0,07 m/s. Oder anders dargestellt: Sollten mit dem Verfahren Druckgeschwindigkeiten ähnlich denen des Streitpatents (mehr als 3 m/s = 180 m/min, siehe Spalte 10, Zeilen 17 bis 19) erreicht werden, müßte der Druckplattenzylinder einen völlig unrealistischen Durchmesser von mehr als 5,7 m aufweisen. Auch aus der Angabe der Drehzahl läßt sich daher darauf schließen, daß das in Dokument D14 beschriebene Verfahren hinsichtlich der Druckgeschwindigkeit nicht für die Herstellung von Druckerzeugnissen ausgelegt ist, für die das Verfahren gemäß dem Streitpatent geeignet ist.

Auch die Art der Druckformherstellung mittels eines elektrophotographischen Verfahrens und Tonermaterial, siehe Dokument D14, Seite 6, Zeilen 17 bis 24, ist, zumindest auf dem Gebiet des Rotationsoffsetdrucks, unüblich. Dies und die fehlende Möglichkeit einer Farbdosierung zeigen, daß dieses Druckverfahren sich nicht für die Herstellung einer großen Zahl von Drucken bei hoher Qualität und hohen Geschwindigkeiten anbietet.

Die Kammer ist daher zur Auffassung gelangt, daß der Fachmann, auf der Suche nach einer Lösung der im Streitpatent dargelegten Aufgabe, das Dokument D14 nicht in seine Überlegungen einbeziehen wird. Er konnte hier keine Lösung für sein Problem erwarten und wird dieses Dokument folglich auch nicht als Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung in Betracht ziehen. Es findet sich auch kein Hinweis, daß mit dem Einsatz eines Kurzfarbwerks mit Rasterwalze ein Druckverfahren geschaffen werden könnte, das, über das Anwendungsgebiet der Bürodruckmaschinen hinausgehend, geeignet ist, Druckerzeugnisse mit der in Heatset-Verfahren, insbesondere dem Heatset-Rollenoffsetdruckverfahren, erreichbaren hohen Druckqualität bei zugleich hoher Druckgeschwindigkeit zu erzeugen.

2.3.6. Die weiteren im Beschwerdeverfahren genannten Druckschriften gehen nicht über den oben bereits berücksichtigten Stand der Technik hinaus.

2.3.7. Zusammenfassend ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, daß im vorliegenden Fall bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit insbesondere zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang die Elemente Schmelzdruckfarbe und Kurzfarbwerk mit Rasterwalze im Stand der Technik jeweils dargestellt sind, und daß in den Dokumenten D1 und D2 die Verwendung von Schmelzdruckfarben gerade nicht in Zusammenhang mit üblichen Flachdruckverfahren offenbart ist. Der Fachmann konnte daher nicht erwarten, daß sich Schmelzdruckfarben, ähnlich den in den Dokumenten D1 und D2 gegebenen Lösungen für den Tief- und Flexodruck, auch in seinem Gebiet, dem Flachdruck mit Heatset- Druckfarben, in ähnlicher Weise als Lösung für das bekannte Problem der Farbtrocknung anbieten.

Hierbei ist zu berücksichtigen, daß der Flachdruck hinsichtlich der Anforderungen an Druckplatte und Druckfarbe ein diffiziles Verfahren ist. Das Streitpatent zeigt auch in ausführlicher Form, daß für den Einsatz von Schmelzdruckfarben für den angestrebten Zweck und Anwendungsbereich in einem üblichen Flachdruckverfahren eine Reihe von Überlegungen notwendig waren, siehe Spalte 6, Zeile 5 bis Spalte 10, Zeile 22 des Streitpatents. Es wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß Voraussetzungen dafür, daß sich Schmelzdruckfarben wie herkömmliche Druckfarben verhalten, eine entsprechende Zusammensetzung dieser Farben und die Einhaltung entsprechender Temperaturen sind, siehe Spalte 10, Zeilen 7 bis 12 des Streitpatents. Das Streitpatent zeigt in den oben genannten Passagen einige Lösungsansätze auf und verweist auch auf andere technische Gebiete, aus denen der Fachmann Erkenntnisse und Erfahrungen zur Umsetzung der in Patentanspruch 1 des Streitpatents angegebenen Lösung gewinnen kann.

Auch wenn sich die Verwendung von Kurzfarbwerken mit Rasterwalze wegen ihrer Kompaktheit und der geringen Anzahl von dementsprechend zu erwärmenden Elementen als vorteilhaft erweisen, so ist doch zu berücksichtigen, daß im vorliegenden Stand der Technik Kurzfarbwerke nicht in Zusammenhang mit dem Problem und dem Ziel des Streitpatents erwähnt werden. Der Stand der Technik gibt keine Hinweise, daß sich gerade durch die Verwendung von Kurzfarbwerken mit Rasterwalze eine Möglichkeit ergibt, im Flachdruck bzw. im Hochdruck mit starrharter Druckform Schmelzdruckfarben mit hoher Qualität bei hohen Geschwindigkeiten zu verdrucken.

2.4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung ist somit durch den vorliegenden Stand der Technik, so wie er sich tatsächlich darbietet, nicht nahe gelegt.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

Die abhängigen Patentansprüche 2 bis 16 betreffen Weiterbildungen der in Patentanspruch 1 enthaltenen Erfindung und beruhen ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3. Da der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin damit gewährbar ist, war auf den Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin nicht mehr einzugehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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